Der Sonderermittler zum Fall Amri sieht keine wesentlichen Versäumnisse der NRW-Behörden. Außerdem in der Presseschau: Flüchtling gibt Rechtsstreit mit Facebook auf und deutsche Behörden warnen vermeintliche Gülen-Anhänger.
Thema des Tages
Gutachten zum Fall Amri: Der von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens eingesetzte Sonderermittler Bernhard Kretschmer, der in Gießen Strafrecht lehrt, hat sein Gutachten zum Verhalten der nordrhein-westfälischen Behörden im Fall Anis Amri vorgestellt. Wesentliche Versäumnisse habe er nicht entdeckt. Fehler seien allenfalls bei den Behörden in Berlin oder beim Bundesgeneralanwalt gemacht worden, so der Strafrechtler. Die Union bezweifelt die Unabhängigkeit des Gutachters, der mit dem Land NRW über einen Wechsel an die Universität Bielefeld verhandele. Das Gutachten und die Diskussion stellen die FAZ (Reiner Burger) und die taz (Sabine am Orde) vor.
Reinhard Müller (FAZ) hält das Ergebnis, zu dem der "sorgsam ausgewählte Gutachter" kommt, für nicht überraschend. Es gebe jedoch eine "politische Verantwortung, die jenseits von vertretbaren juristischen Ermessensentscheidungen liegt".
Die Welt (Florian Flade) zeichnet nach, was das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt über den späteren Attentäter wusste. focus.de weist auf brisante Stellen aus dem am Wochenende bekannt gewordenen LKA-Bericht hin.
Rechtspolitik
Autonomes Fahren: Der Automobilhersteller BMW und die Allianz befürworten eine Beibehaltung der Fahrzeughalterhaftung auch bei Unfällen mit autonom fahrenden Autos. Eine Haftung des Herstellers lehnen die Unternehmen ab, so die SZ (Herbert Fromme).
Heribert Prantl (SZ) meint, dass damit die Haftung auf Halter und Fahrer abgewälzt werde. Die Hersteller würden eine Gefahrenquelle schaffen und müssten daher auch haften.
Internetkriminalität: Der Deutsche Richterbund kritisiert nach einer Meldung der FAZ (Hendrik Wieduwilt) die geplante Vorabbeteiligung von Gerichten bei Bußgeldern gegen Internetkonzerne. Nach dem Gesetzentwurf sollen Gerichte die Rechtswidrigkeit eines Beitrags feststellen, bevor ein Bußgeld verhängt wird. Rechtsprofessor Alexander Peukert meint auf cicero.de, dass dadurch ein Sonderverfahren etabliert werde, das den Zweck habe, den Kampf gegen Internetkriminalität aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Er kritisiert außerdem die unklaren Begriffe im Gesetzentwurf und die sieht die Gefahr von Zensur.
Verfassungsfeindliche Parteien: Im Podcast von lto.de (Michael Reissenberger) nimmt der Parteirechtler Martin Morlok Stellung zu den aktuellen Plänen, verfassungsfeindlichen Parteien die Finanzierung zu entziehen. Trotz "kontraproduktiver Momente" begrüßt Morlok ein solches Vorgehen. Ein Verfahren mit dem Bundesverwaltungsgericht in erster Instanz sei bei einer entsprechenden Verfassungsänderung zwar möglich, berge jedoch die Gefahr, dass häufig zu dem Instrument gegriffen werde. Das Erstarken der AfD sieht er als Ausdruck eines funktionierenden Parteiensystems.
Strafverteidiger gegen Ausweitung von Strafen: In seiner Abschlusserklärung hat sich der 41. Strafverteidigertag, der in Bremen stattgefunden hat, für ein liberales Strafrecht und gegen Forderungen nach einer Ausweitung von Straftatbeständen positioniert. Strafe sei kein Mittel zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme. lto.de (Tanja Podolski) berichtet. spiegel.de weist auf die Forderung nach einer Abschaffung des Mord-Paragrafen hin, die jedoch keine Aussicht auf Umsetzung habe. nebgen.blogspot.de (Christoph Nebgen) bemängelt, dass die Diskussionen des Strafverteidigertages zu wenig mit dem Titel "Schrei nach Strafe" zu tun gehabt hätten und zu wenig kontrovers gewesen seien.
Steuerfreiheit für Sanierungsgewinne: Bundesjustizminister Heiko Maas will möglicherweise, dass die Gewinne von insolvenzbedrohten Unternehmen wieder von der Steuer befreit werden. Das geht aus einem dem Hbl (Heike Anger) vorliegenden Manuskript für eine Rede hervor, die Maas am Donnerstag beim Insolvenzrechtstag halten will.
Urheberrechts-Richtlinie: Nach der geplanten Reform der Urheberrechts-Richtlinie sollen Website-Anbieter verpflichtet werden, hochgeladene Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen zu überprüfen. In einem Gastbeitrag auf netzpolitik.org kritisiert Joe McNamee, geschäftsführender Direktor der Nichtregierungsorganisation European Digital Rights, die Pläne als Aufbau einer "gefährlichen Zensurmaschine".
Justiz
LG Berlin zu Selbstjustiz in Supermarkt: Der Supermarktfilialleiter, der einen Ladendieb erwischt und zusammengeschlagen hat, wurde vom Landgericht Berlin zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Gericht wertete die Geschehnisse als Körperverletzung mit Todesfolge. Die Welt (Christine Kensche) und spiegel.de (Uta Eisenhardt) berichten.
OLG München – NSU-Prozess: Die Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe haben erneut beantragt, abberufen zu werden. Das melden die SZ (Wiebke Ramm) und zeit.de. Die Fortführung der Verteidigung sei unzumutbar, sollen die Anwälte in einem Schreiben an das Gericht argumentiert haben.
AG Soltau – "Dschungelcamp"-Besuch mit Folgen: Am Amtsgericht Soltau hat der Prozess gegen die Mutter einer Teilnehmerin des "Dschungelcamps" begonnen. Der Lehrerin wird vorgeworfen, mit falschen Angaben eine Krankschreibung bewirkt zu haben, um ihre Tochter bei der Fernseh-Veranstaltung in Australien besuchen zu können. Einen Strafbefehl über 7.000 Euro lehnte sie ab, so die FAZ (Reinhard Bingener) und lto.de.
LG Würzburg zu Falschinformation auf Facebook: Der Flüchtling der Facebook verklagt hat, weil in dem sozialen Netzwerk Falschinformationen über ihn verbreitet worden waren, gibt den Rechtsstreit auf. Er werde keine Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts Würzburg einlegen. Als Gründe nannte er laut FAZ (Uwe Ebbinghaus) und zeit.de finanzielle Erwägungen und Pläne, sich auf seine Deutschprüfungen konzentrieren zu wollen.
Überlastung an Verwaltungsgerichten: Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, Joachim Buchheister, hat auf die Überlastung an den Verwaltungsgerichten in Berlin und Brandenburg aufmerksam gemacht. Diese sei vor allem auf die gestiegene Anzahl an Asylverfahren zurückzuführen. Buchmeister fordert neue Stellen und begrüßt eine stärkere Einbindung der Oberverwaltungsgerichte in die Asyl-Rechtsprechung. Es berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof).
Ermittlungen wegen Voicerecorder: lawblog.de (Udo Vetter) schildert einen Fall, in dem gegen einen Anwalt wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes ermittelt wurde, obwohl dieser mit seinem Smartphone nur die eigenen Worte aufgenommen hatte.
Recht in der Welt
Spanien – Verfassungsgericht: In einem (englischsprachigen) Beitrag auf verfassungsblog.de kritisiert der Rechtsprofessor Joaquín Urías ein Gesetz, mit dem das Verfassungsgericht Spaniens mit der Umsetzung seiner eigenen Urteile betraut wird. Das würde letztlich die Legitimation des Gerichts untergraben.
Staatsanwalt zur NS-Zeit: Die FAZ (Christiane Liermann) rezensiert das Buch "Im Sturm der Zeiten", in dem die Erinnerungen von Otto Kleinknecht veröffentlicht sind, der in der Weimarer Republik, während der NS-Zeit und danach als Staatsanwalt arbeitete. Die Erinnerungen würden davon berichten, dass es neben den überzeugt nationalsozialistischen Juristen auch solche gegeben habe, die in jedem System "funktioniert" haben.
Spanien – Germanwings-Katastrophe: Angehörige der Opfer der Germanwings-Katastrophe haben zwei Jahre nach dem Vorgang Klage gegen das Flugunternehmen eingereicht. Sie fordern vor einem Handelsgericht in Barcelona Schmerzensgeld, wie spiegel.de meldet.
Sonstiges
Türkischer Geheimdienst in Deutschland: Deutsche Behörden haben nach Informationen der SZ (Ronen Steinke u.a.) eine vom türkischen Geheimdienst erhaltene Liste von überwachten Türken nicht dazu genutzt, gegen diese zu ermitteln, sondern die Betroffenen gewarnt. Die Liste sei dem BND am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz übergeben worden. Die deutschen Behörden sehen in der Überwachung einen rechtswidrigen Eingriff in die Grundrechte hier lebender Ausländer und berufen sich auf § 99 StGB, der "geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland" unter Strafe stellt.
Das Letzte zum Schluss
LG Köln zu Duschen im Stehen: Wenn das Badezimmer nur halbhoch gefliest ist und Spritzwasser daher in die Wand eindringen kann, ist das Duschen im Stehen eine vertragswidrige Nutzung der Mietsache. Das hat das Landgericht Köln entschieden, worauf justillon.de hinweist.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. März 2017: Amri-Gutachten veröffentlicht / Flüchtling gibt auf / Warnung vor türkischem Geheimdienst . In: Legal Tribune Online, 28.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22492/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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