Seit Montag befindet sich ein früherer KZ-Wachmann wegen des dringenden Tatverdachts der Beihilfe zum Mord in Untersuchungshaft. Außerdem in der Presseschau: ein Ultimatum des Bundesverfassungsgerichts an den Bundestag, Reaktionen zum Prozessauftakt im NSU-Verfahren, die Verurteilung von Lauryn Hill wegen Steuerhinterziehung und warum ein Anwalt weiter mit Online-Scheidungen werben darf.
U-Haft für KZ-Wachmann: Nach Meldung der taz (Klaus Hillenbrand) ist am Montag der ehemalige KZ-Wachmann Hans Lipschis in Untersuchungshaft genommen worden. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft dem heute 93-Jährigen vor, von 1941 bis 1945 als Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz gedient zu haben. Konkret soll er als Angehöriger des Totenkopf-Sturmbanns der SS den Ausbruch von Gefangenen in Auschwitz verhindert haben. Warum Lipschis erst jetzt strafrechtlich belangt wird, schildert die Welt (Michael Borgstede, Sven Felix Kellerhoff, Uwe Müller) in einem ausführlichen Beitrag. Laut SZ (Roger Probst) und spiegel.de (Benjamin Schulz) gelte für Wachmänner in Konzentrationslagern nach der Verurteilung von John Demjanjuk der Maßstab, dass der Nachweis der Tätigkeit eines Verdächtigen in einem Vernichtungslager genüge, um ihn wegen Beihilfe zum Mord verurteilen zu können.
sueddeutsche de (Martin Anetzberger) bringt dazu ein Interview mit dem Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm.
Das bittere am Fall Lipschis sei, dass aufgrund der inzwischen vergangenen Zeit der Zusammenhang von Tat und Sühne fast bis zur Unkenntlichkeit überdehnt sei, kommentiert Wolfgang Büscher (Die Welt). Für die, die damals litten, komme der Versuch einer Sühne zu spät; der, der sie leiden ließ, könne die Sühne kaum mehr als solche erkennen.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Ultimatum aus Karlsruhe: Nach Information der SZ (gwb, hick, jan) hat das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag ein Ultimatum zur Umsetzung der steuerlichen Gleichbehandlung der Homo-Ehe gestellt. Bereits am 18. Juli vergangenen Jahres hatten die Verfassungsrichter entschieden, es sei grundgesetzwidrig, dass die Gleichbehandlung bei der Grunderwerbsteuer nicht mit Einführung der Homo-Ehe geschaffen worden war, sondern erst von Dezember 2010 an. In einem Schreiben an Bundestagspräsident Norbert Lammert kündigte der Vize-Präsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, nun an, das Gericht beabsichtige, in einer Sitzung am 18./19. Juni über das weitere Vorgehen zu entscheiden, insbesondere auch, ob eine Vollstreckungsordnung nach § 35 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes angezeigt sei.
Vorstandsgehalt in Aktiengesellschaften: Das Handelsblatt (Heike Anger) beschreibt einen Entwurf zur Änderung des Aktiengesetzes, wonach der Aufsichtsrat sich künftig die Vorstandsgehälter jährlich von der Hauptversammlung absegnen lassen soll. Dies ergebe sich aus einer Formulierungshilfe des Bundesjustizministeriums, die dem Blatt vorliege. Billige die Hauptversammlung die Vergütung nicht, habe dies ausweislich des Entwurfs aber keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Vorstandsverträge und die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft.
Videoübertragung von Gerichtsverhandlungen: Die bayerische Justizministerin Beate Merk hat einen Gesetzentwurf zur Ermöglichung von Videoübertragungen von Gerichtsverhandlungen in einen anderen Raum des Gerichtsgebäudes angekündigt. Die FAZ (Karin Truscheit, Michael Martens) zitiert die Ministerin, dass auf diese Weise für Prozesse mit großem Medieninteresse eine "behutsame Ausweitung der Öffentlichkeit" ermöglicht, und Gerichten eine "Zwangslage, wie sie das Oberlandesgericht München aufgrund der unbefriedigenden Rechtslage empfindet", erspart werden solle. Auch lto.de berichtet.
Qualität von EU-Gesetzesvorschriften: Die FAZ (Joachim Jahn) befasst sich auf der Recht & Steuern-Seite mit der mangelhaften Qualität europäischer Gesetzesvorschriften. So habe die deutsche Referentin für eine neue Verordnung gegen Insidergeschäfte und Marktmanipulation, Miriam Parmentier, jüngst eine ernüchternde Bilanz gezogen. Die Regelungen wiesen "in sich Brüche auf, wenn ein Thema mehrfach, womöglich unter der Ägide verschiedener Ratspräsidentschaften, auf der Tagesordnung stand". Zudem fehle die disziplinierende Wirkung der nationalen Anforderungen an die Rechtsförmlichkeit.
Väterrechte: Die Zeit (Elisabeth Niejahr) befasst sich mit dem am 19. Mai in Kraft tretenden Gesetz, das unverheirateten Vätern mehr Rechte bei der Kindeserziehung einräumt. Bislang hätten ledige Mütter ein Vetorecht bei der Erziehung ihrer Kinder; gegen den Willen der Mütter gab es im Normalfall auch kein gemeinsames Sorgerecht. Nunmehr können Väter gleichberechtigt mitentscheiden. Dazu müssen sie das gemeinsame Sorgerecht beantragen; die Mütter können sich allenfalls innerhalb einer Frist von sechs Wochen dagegen wehren.
Beschäftigung von Verwandten im Abgeordnetenbüro: lto.de befasst sich aus Anlass der aktuellen Fälle im bayerischen Landtag im Wege einer Pro & Contra-Darstellung mit der Frage, ob Abgeordneten die Beschäftigung von Verwandten in ihrem Büro erlaubt sein soll. Auf der Pro-Seite argumentiert der Strafrechtswissenschaftler Michael Kubiciel, der Verdacht der Vetternwirtschaft sei zu pauschal und diffus, um den weitreichenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Angehörigen und die Mandatsfreiheit der Parlamentarier zu rechtfertigen. Dagegen betont der wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Roßner auf der Contra-Seite, es gehe bei den Beschäftigungsverboten darum, zu verhindern, dass Entscheidungen über öffentliche Gelder oder den Gebrauch hoheitlicher Gewalt verzerrt werden. Zudem fehle es an einer innerparlamentarischen Kontrolle, denn in materieller Sicht säßen alle Abgeordneten in einem Boot.
Weitere Themen - Justiz
NSU-Verfahren – Prozessauftakt: Die Zeit (Özlem Topçu) schildert den Prozessauftakt im NSU-Verfahren aus der Perspektive der Hinterbliebenen der Opfer des NSU. Deren Wunsch nach Aufklärung und Gerechtigkeit träfe nun auf den deutschen Rechtsstaat in seiner formalen Korrektheit, seiner Umständlichkeit und seiner sachlichen Langsamkeit. Die SZ (Annette Ramelsberger, Tanjev Schultz) befasst sich mit den Reaktionen auf die Verfahrensverzögerung aufgrund der Entscheidung über die Befangenheitsanträge. Für den Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer dränge sich der Eindruck auf, es gehe dem Gericht mit der langen Unterbrechung darum, mehr Platz im Saal zu schaffen. zeit.de (Tom Sundermann) schildert die praktischen Schwierigkeiten, mit denen die Hinterbliebenen aufgrund der Verzögerung des Prozesses konfrontiert sind.
Annette Ramelsberger (SZ) meint, auch wenn es für die Angehörigen beschwerlich sei, so sei es normal, dass zu Prozessbeginn Befangenheitsanträge gegen Richter gestellt werden, und dass diese sich für das Nachdenken über diese Anträge eine Woche Zeit nehmen.
NSU-Verfahren – mediale Berichterstattung: Laut spiegel.de hat Beate Zschäpes Anwältin Anja Sturm die Kritik am Auftreten ihrer Mandantin zurückgewiesen. Die medialen Beurteilungen Zschäpes "von gelöst-freundlich bis genervt, von eiskalt bis arrogant" seien Projektionen der Berichterstatter, und damit reine Spekulationen. Die FAZ (Karen Krüger) gibt einen Überblick über die Resonanz des Prozessauftakts in der Berichterstattung der türkischen Medien. Auch die FR (Frank Nordhausen, Daniel Haufler) stellt die Einschätzungen türkischer und weiterer internationaler Medien zusammen.
NSU-Verfahren - Regeln für Journalisten: Die FAZ (Karin Truscheit) schildert die Regeln, die für die Medienvertreter beim NSU-Prozess gelten. Verließen diese ihren reservierten Sitzplatz außerhalb der Sitzungspausen, wird er laut Sicherheitsverfügung des Gerichts an wartende Journalisten ohne Reservierung weitergegeben. Gleiches gelte, wenn man sich aus dem Aufenthaltsbereich hinter dem Zuschauerrang entferne, so dass es Journalisten – anders als sonst üblich – kaum möglich sei, in den Verhandlungspausen mit Verfahrensbeteiligten zu sprechen.
NSU-Verfahren – Zschäpes Anwälte: Der Schriftsteller und Jurist Georg M. Oswald geht im Feuilleton der Welt der Frage nach, ob Beate Zschäpe sich ihre Anwälte etwa wegen deren Namen – Stahl, Heer, Sturm – zusammengestellt habe.
BGH zu Bußgeldberechnung in Kartellverfahren: Rechtanwalt Hans Jürgen Meyer-Lindemann bespricht auf der Recht & Steuern-Seite der FAZ ein Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach die an einem Zementkartell beteiligten Unternehmen ein Rekordbußgeld von 360 Millionen Euro zahlen müssen. Aufgrund des Urteils werde das Bundeskartellamt seine Berechnungspraxis für Bußgelder fundamental neu ausrichten müssen. So stelle die Begrenzung des Bußgelds auf zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes eines Unternehmens nur eine absolute Obergrenze in besonders schwerwiegenden Fällen dar. Als eine starre Kappungsgrenze für den Bußgeldrahmen, wie es das Bundeskartellamt angenommen hatte, sei sie dagegen nicht zu verstehen, da sonst keine erschwerenden oder mildernden Umstände mehr berücksichtigt werden könnten.
BGH zur Haftung von Vorständen: "Verschärft der Bundesgerichtshof die Rechtsprechung zur Haftung von Vorständen?", fragt Rechtsanwalt Achim Glade auf der Recht & Steuern-Seite der FAZ. Anlass ist ein jüngeres Urteil des Gerichtshofs, in dem er der Vorinstanz beschieden hatte, die Regeln der persönlichen Haftung von Vorstandsmitgliedern zu lax angewandt zu haben. Bei genauerer Betrachtung habe der Bundesgerichtshof die bisher geltenden Grundsätze aber lediglich präzisiert. Dem "Zeitgeist, alle Schuld beim Vorstand zu suchen", wirke das Urteil damit korrigierend entgegen.
KG Berlin zu Selbstleseverfahren: Das Kammergericht Berlin hat entschieden, dass das Studium von Urkunden im sogenannten Selbstleseverfahren im Strafprozess nicht gebührenerhöhend zu berücksichtigen sei. Rechtsanwalt Hans-Jochem Mayer skizziert auf blog.beck.de die Entscheidung.
LG Potsdam zu Mord in Ludwigsfelde: Das Landgericht Potsdam hat den ehemaligen Bürgermeister von Ludwigsfelde, Heinrich Scholl, wegen Mordes an seiner Ehefrau zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, wie die FAZ (Mechthild Küpper) berichtet. Während des Prozesses sei das Bild einer entsetzlichen Ehe entstanden, in der Scholl von seiner Frau systematisch gedemütigt worden war. Dagegen befand das Gericht laut SZ (Hans Holzhaider), dass das Opfer zwar bestimmend, aber kein "Hausdrache" gewesen sei. "Es gab keine Zeugen, kein Geständnis, keine Beweise - nur Indizien", so spiegel.de (Julia Jüttner).
LG Berlin zu Vertragsbedingungen von Apple: Das Landgericht Berlin hat nach Meldung von lto.de und der FAZ (Joachim Jahn) eine Reihe von Vertragsbedingungen des Computerkonzerns Apple Inc. gekippt. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hatte gegen 15 Klauseln geklagt; nachdem sich Apple im Vorfeld verpflichtet hatte, siebend der Klauseln nicht mehr zu verwenden, kippte das Gericht nun die übrigen acht. Dass Apple sich in den Vertragsklauseln etwa vorbehalten habe, Daten wie Name, Anschrift, E-Mail und Telefonnummer von Kontakten ihrer Kunden zu erheben, sei eine ungesetzliche "Einwilligung zulasten Dritter". Apple werde die Entscheidung wohl nicht rechtskräftig werden lassen, vermutet Thomas Stadler (internet-law.de).
LG Stuttgart – Prozess gegen Porsche-Manager: Die Staatsanwaltschaft hat im Prozess gegen den ehemaligen Porsche-Finanzvorstand Holger Härter in ihrem Schlussvortrag eine Bewährungsstrafe von einem Jahr wegen Kreditbetrugs gefordert. Härter wird vorgeworfen, Anfang 2009 bei Verhandlungen mit der Bank BNP Paribas um ein Darlehen zur Finanzierung der VW-Übernahme geschwindelt zu haben. Laut SZ (Max Hägler) wertete die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag strafmildernd, dass Härter "sozial hervorragend eingegliedert" sei.
Weitere Themen – Recht in der Welt
USA - Haftstrafe für Lauryn Hill: Wie die taz (Fatma Aydemir) berichtet, ist die ehemalige Fugees-Sängerin Lauryn Hill wegen Steuerhinterziehung zu drei Monaten Gefängnis, anschließendem dreimonatigen Hausarrest und einer Geldstrafe von 60.000 Dollar verurteilt worden. Hill hatte zugegeben, Steuern für ein Einkommen von mehr als 1,8 Millionen Dollar hinterzogen zu haben. Laut SZ (Christian Rohm) habe die Sängerin beteuert, ihre Steuern zahlen zu wollen, aber keine Möglichkeit gehabt, das Geld zur Begleichung ihrer Steuerschuld aufzubringen.
USA – Klage gegen Deutsche Bank: Nach Meldung der SZ (Andrea Rexer) und des Handelsblatts werden die Deutsche Bank und elf weitere Geldinstitute erneut in den USA verklagt. Ein US-Pensionsfonds wirft den Banken vor, jahrelang den Markt für Kreditausfallversicherungen (CDS) manipuliert und so die Kosten für Investoren in die Höhe getrieben zu haben.
Schweiz – Keine Ermittlungen gegen Nestlé: Die Staatsanwaltschaft des Schweizer Kantons Waadt wird nach Bericht der taz (PKT) keine Ermittlungen gegen den Lebensmittelkonzern Nestlé wegen fahrlässiger Tötung eines kolumbianischen Gewerkschafters einleiten. Für den Mord am Nestlé-Gewerkschafter Luciano Romero im Jahr 2005 waren zwar die unmittelbaren Täter in Kolumbien verurteilt worden, die vom kolumbianischen Gericht angeordnete Untersuchung der Rolle des Nestlé-Konzerns hatte aber nie stattgefunden. Vor vierzehn Monaten hatte dann die Berliner Menschenrechtsorganisation ECCHR Strafanzeige gegen fünf Nestlé-Manager gestellt. Nach Begründung der Staatsanwaltschaft sei nunmehr bereits Verjährung eingetreten.
Sonstiges
Feministischer Juristinnentag: lto.de (Wiebke Fröhlich) berichtet vom 39. Feministischen Juristinnentag (FJT), der vergangenes Wochenende in Berlin stattfand. Nicht nur Alter und Beruf der Teilnehmerinnen seien mit den Jahren vielfältiger geworden, sondern auch thematisch sei der FJT breiter aufgestellt. Neben Diskussionen über sexualisierte Gewalt hätten Stellungnahmen zu den Rechten intersexueller Menschen, der Diskriminierung in kirchlichen Wohlfahrtsverbänden und der Beschneidung von minderjährigen Mädchen wie Jungen auf dem Programm gestanden.
Das Letzte zum Schluss
Scheidung online: Nach einem Bericht der WAZ (Bernd Kiesewetter) darf ein Bochumer Rechtsanwalt jedenfalls für einvernehmliche Trennungen weiter mit dem Satz "Scheidung Online spart Zeit, Nerven und Geld" werben. Das OLG Hamm wies eine entsprechende Klage der Rechtsanwaltskammer ab, weil die Werbung, sowohl was die Zeit als auch die Kosten betreffe, nicht irreführend sei. Auch der Hinweis aufs Sparen von Nerven sei nachvollziehbar, weil der Mandant nur elektronisch mit dem Anwalt kommuniziere, was psychisch weniger belastend sein könne.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Übermorgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. Mai 2013: KZ-Wachmann in U-Haft – Ultimatum aus Karlsruhe – Gefängnisstrafe für Lauryn Hill . In: Legal Tribune Online, 08.05.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8689/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag