Der EGMR unterbindet Abschiebung nach Italien wegen menschenunwürdiger Unterbringungsverhältnisse. Außerdem in der Presseschau: Das "Berliner Testament" – ein Erbrechtsklassiker mit Tücken, Prozesskosten für eine Scheidung sind von der Steuer absetzbar, E-Zigaretten tangieren den Nichtraucherschutz nicht und wann "gentlemanlikes" Verhalten vor Gericht nicht gut ankommt.
Thema des Tages
EGMR zu Abschiebungen nach Italien: Flüchtlinge dürfen nur dann nach Italien abgeschoben werden, wenn eine menschenwürdige Unterbringung und die Wahrung der Rechte der Migranten garantiert werden können. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am gestrigen Dienstag in Straßburg. Eine afghanische Familie mit sechs minderjährigen Kindern hatte gegen ihre Abschiebung von der Schweiz nach Italien geklagt, weil ihnen dort keine angemessene Unterbringung zugesichert worden sei. Die Familie war über Italien in die Schweiz eingereist. Laut der Dublin-II-Verordnung, der sich auch die Schweiz angeschlossen hat, hätte die Familie in Italien bleiben und dort einen Antrag auf Asyl stellen müssen. Deswegen sollte die Familie wieder in das Ankunftsland abgeschoben werden. Der EGMR entschied nun, dass Flüchtlinge nur wieder nach Italien abgeschoben werden dürften, wenn die Behörden "detaillierte und verlässliche" Zusicherungen zu einer menschenwürdigen Unterbringung machen. Asylbewerber seien aufgrund ihrer speziellen Situation besonders zu schützen. Den Betroffenen drohe, laut Gericht, wegen der prekären Bedingungen für Flüchtlinge in Italien eine unmenschliche Behandlung, welche gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention zum Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoße. Für die Praxis in Deutschland wird das Urteil keine erheblichen Konsequenzen haben. Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge, die über Italien einreisten, wurden wieder dorthin abgeschoben. Deutsche Gerichte erklärten vermehrt Abschiebungen nach Italien wegen menschenunwürdiger Unterbringung für unzulässig. Dies berichtet die SZ (Wolfgang Janisch/Roland Preuss).
Tagesschau.de zitiert einen kurzen Kommentar der migrationspolitischen Sprecherin der Grünen im Europäischen Parlament, Ska Keller. Diese ist der Ansicht, das Urteil des EGMR beinhalte die Feststellung, dass Italien grundsätzlich nicht in der Lage sei, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie vertritt die Meinung, dass die Dublin-II-Regelung nicht mehr funktioniere, es bedürfe einer Reform des europäischen Asylrechts.
Rechtspolitik
Datenschutz und Mautgesetz: Am Wochenende wurde der Gesetzentwurf zur Maut veröffentlicht. Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts, möchte die zur Kontrolle der Mautzahlungen erhobenen Daten zur Verbrechensverfolgung einsetzen. Das Verkehrsministerium sowie führende Unionspolitiker erteilten diesen Forderungen eine Absage. Der Gesetzentwurf umfasse keine entsprechende Nutzung der Daten. Die Chefin der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, ist darüber hinaus der Ansicht, dass eine Speicherung der Daten überhaupt nicht erforderlich sei, eine stichprobenartige Kontrolle sei ausreichend, um Mautzahlungen zu prüfen. Dies berichten die taz und zeit.de.
Kritik an Frauenquote: Die Regierungskommission für den Deutschen Corporate Governance Kodex schlägt Änderungen für die geplante Frauenquote vor. Unter anderem sollten Abweichungen von den vorgeschriebenen 30 Prozent zugelassen werden, sofern der Aufsichtsrat plausibel und nachprüfbar begründen kann, weshalb die vorgegebene Zahl an adäquaten Kandidatinnen nicht erreicht wird. Damit könne etwaigen verfassungsrechtlichen Problemen der starren Frauenquote entgegen gewirkt werden, so die Kritiker. Von weiteren Änderungsvorschlägen der Kommission berichtet die FAZ (Joachim Jahn).
Justiz
OVG Münster zu E-Zigaretten: Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied am gestrigen Dienstag, dass das Rauchverbot für Gaststätten in Nordrhein-Westfalen den Gebrauch von E-Zigaretten nicht umfasst. Das Nichtraucherschutzgesetz verbiete das "Rauchen" und gelte daher nur für Tabakprodukte, bei denen ein Verbrennungsprozess stattfindet. Bei E-Zigaretten hingegen entstehe Dampf. Dies sei vom Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt. Ein entsprechender Telos sei nicht feststellbar, weil das "Passivdampfen" bisher nicht als gesundheitsgefährdend gilt. Die Stadt Köln hatte einem Gastwirt mit Ordnungsmaßnahmen gedroht, wenn er weiter das Benutzen von E-Zigaretten im Lokal erlaubt. Die FAZ (Rainer Burger) schildert das Urteil.
OLG München zu Online-Bewertung: Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass ungerechtfertigte Kritiken auf der Internetplattform Ebay unzulässig sind. Händler können sich dagegen zur Wehr setzen und eine Löschung verlangen. Ein Ebay-Käufer hatte sich in der Online-Bewertung über Mängel beschwert, diese jedoch nicht gegenüber seinem Vertragspartner geltend gemacht. Er muss nun der Löschung der Kritik zustimmen. Dies meldet die FAZ (Joachim Jahn).
FG Rheinland-Pfalz zu Scheidungskosten: Prozesskosten für eine Ehescheidung können steuerlich als "außergewöhnliche Belastung" abgesetzt werden. Dies entschied das Finanzgericht Rheinland-Pfalz am gestrigen Dienstag. Es urteilte damit als erstes Finanzgericht aufgrund einer entsprechenden Gesetzesverschärfung von 2013, meldet die FAZ (Joachim Jahn).
OLG Stuttgart - Mutmaßliche Terroristen: Am heutigen Mittwoch beginnt der Strafprozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen drei Männer unter anderem wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Es wird vermutet, dass die Angeklagten sich am Kampf des IS beteiligen wollten. Ein Mitangeklagter, Ismail I., soll von IS-Kämpfern in Syrien ausgebildet worden sein. Unklar sei, ob er sich bereits an Kämpfen der Terrormiliz beteiligt hat. Die SZ (Josef Kelnberger) berichtet vorab zu den Hintergründen des Prozesses.
OLG München - NSU: Die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München zum NSU-Prozess musste am gestrigen Dienstag abgesagt werden, da Beate Zschäpe sich krank gemeldet hatte. Daher wurde die Zeugenvernehmung des V-Manns "Piatto" verschoben. Die Befragung ist wichtig für den Prozess, denn er soll über Interna des NSU aussagen. Dies melden die taz und spiegel.de.
LG Berlin - Hells Angels: Am gestrigen Dienstag begann der Prozess gegen elf Mitglieder der Hells Angels Berlin-City. Ihnen wird gemeinschaftlicher Mord an einem jungen Mann vorgeworfen. Mit dem Prozessauftakt und den Hintergründen der mutmaßlichen Tat befasst sich die SZ (Verena Mayer).
LG Berlin - Totschlag in Flüchtlingsheim: Die taz (Plutonia Plarre) bringt eine Reportage zum Strafprozess gegen Nfamara J. vor einer großen Strafkammer in Berlin. Er wurde wegen des Verdachts des Totschlags an einem Mitbewohner angeklagt. Der Artikel geht ausführlich auf die Hintergründe der Tat ein. Der Angeklagte hat die Tötung gestanden, berichtet allerdings, das Opfer habe ihn unter anderem beleidigt und bedroht. Der Strafverteidiger ist der Ansicht sein Mandant habe in Notwehr gehandelt.
Klage gegen KiK geplant: Der European Centre for Constitutional and Human Rights hat angekündigt gegen den deutschen Textildiscounter KiK zu klagen. Anlass ist der Brand in einer pakistanischen Textilfabrik bei dem zahlreiche Menschen starben. Dem Konzern wird vorgeworfen dort produziert zu haben, obwohl die Sicherheit des Gebäudes nicht gewährleistet war. In einem Interview mit der SZ (Felix Stephan) kritisiert Völkerrechtlerin Miriam Saage-Maaß prekäre Arbeitsbedingungen und die Schwierigkeit entsprechende Produzenten rechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Sie möchte über Gerichtsprozesse auf die ungenügende Rechtslage in Deutschland hinweisen und so mittelfristig einen rechtlichen Rahmen für die Unternehmensverantwortung schaffen. Sie sieht die Hauptpflicht hier nicht bei den Verbrauchern.
Recht in der Welt
EGMR zu journalistischer Sorgfalt: Journalisten müssen nicht mit Sanktionen rechnen, wenn sie Informationen verbreiten, deren Unrichtigkeit oder Nichtbeweisbarkeit sich im Nachhinein herausstellt. Sie müssen allerdings in gutem Glauben und unter Beachtung der journalistischen Sorgfalt über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse berichtet haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied am gestrigen Dienstag, dass sich auch ein Privater auf diese journalistische Sorgfalt berufen kann. Voraussetzung für die Anwendung dieses privilegierten Sorgfaltsmaßstabs auf Nicht-Journalisten ist allerdings die Beteiligung an einer Debatte von öffentlichem Interesse. Dies berichtet blog.lehofer.at (Hans Peter Lehofer).
Frankreich - Neuer Straftatbestand: Das französische Parlament verabschiedete am gestrigen Dienstag einen Gesetzentwurf, welcher vorsieht, einen Produzenten wegen Betrugs zu bestrafen, wenn dieser absichtlich die Lebensdauer seiner Produkte verringert. Der Vorschlag bedarf noch der Zustimmung des Senats. Frankreich will damit unter anderem den Energiebedarf verringern. Deutschland hat bisher keine äquivalente Regelung. Die taz (Jacques Pezet) setzt sich mit dem französischen Gesetzentwurf auseinander.
Großbritannien – Leipzig "gewinnt" KWL-Prozess: Klaus Heininger, ehemaliger Geschäftsführer der Kommunalen Wasserwerke Leipzig, hat 2006 und 2007 ohne die Zustimmung der Aufsichtsgremien riskante Verträge mit der Schweizer Bank UBS geschlossen. Wegen Verlusten aus den Geschäften mit KWL forderte die Bank 350 Millionen Euro von der Stadt Leipzig. Das oberste britische Zivilgericht, der High Court of Justice in London, wies am gestrigen Dienstag eine Klage von UBS gegen die Stadt Leipzig ab. Es erklärte die hoch riskanten Finanzgeschäfte zwischen den Parteien für nichtig. Dem Geschäft lag unter anderem die Bestechung von Heininger zugrunde. Leipzigs finanzielle Handlungsfreiheit hätte bei Erfolg der Klage von UBS erheblich gelitten. Über den komplexen Fall berichten die FAZ (Thiemo Heeg), Die Welt (Sven Eichstädt) und bild.de (Erik Trümper).
Spanien – Unabhängigkeit gestoppt: Das Verfassungsgericht in Madrid beschloss am gestrigen Dienstag, dass ein unverbindliches Unabhängigkeitsreferendum Kataloniens unzulässig sei. Die Madrider Zentralregierung hatte wegen des katalanischen Vorhabens eine Verfassungsklage eingereicht. Die Regierung in Barcelona plant dennoch, die Befragung durchzuführen. Dies berichten Die Welt und rp-online.de.
Südafrika – Pistorius: Die Staatsanwaltschaft hat am gestrigen Dienstag Berufung im Fall Oscar Pistorius eingelegt. Als Grund dafür gab sie das zu geringe Strafmaß sowie den Schuldspruch an. Oscar Pistorius wurde zu fünf Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung an seiner Freundin verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hingegen geht von Mord aus und forderte mindestens zehn Jahre Freiheitsstrafe. Ob die Berufung zugelassen wird, ist unklar. Dies meldet spiegel.de.
Sonstiges
Düsseldorf - Emoticon ":D" als Marke: Die Stadt Düsseldorf hat sich das Emoticon ":D", welches für Lachen steht, als Gemeinschaftsmarke eintragen lassen. Die Rechtsanwältin Valeska Töbelmann schreibt für lto.de über die Legitimität und die rechtlichen Konsequenzen einer solchen Eintragung. Das deutsche Patent- und Markenamt hat hinsichtlich der Zulässigkeit des Düsseldorfer Vorhabens noch nicht entschieden.
Tücken des "Berliner Testaments": Die SZ (Catrin Gesellensetter) beschäftigt sich ausführlich mit dem sogenannten "Berliner Testament". Dieses gemeinschaftliche Testament sieht in der Standardvariante vor, dass sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben einsetzen. Die Abkömmlinge erhalten ihren Nachlass erst nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten. Diese Regelung sei trotz vermehrter Verwendung selten die beste und aus verschiedenen Gründen anfällig. Probleme können sich aus den Pflichtteilsansprüchen etwaiger Abkömmlinge, aus der Bindungswirkung der Verfügung und wegen einer möglichen höheren Besteuerung ergeben. Es werden zudem steuerlich sinnvollere Alternativen aufgezeigt.
Das Letzte zum Schluss
Der angeklagte "Gentleman": Dem bereits vorbestraften Mandanten wurde vorgeworfen eine Frau angegriffen und verletzt zu haben. In der Hauptverhandlung echauffierte sich der Angeklagte über die ihm vorgeworfene Tat. Seinem Strafverteidiger flüsterte er zu: "Die Vorwürfe sind eine Frechheit. Ich war das nicht. Sie können dem Gericht ruhig sagen, dass ich nur Männer schlage!" Der Anwalt besann sich jedoch und teilte dem Gericht diese vermeintlich sinnvolle Information nicht mit. Der Angeklagte wurde wohl auch so freigesprochen. Von der "frechen" Anklage berichtet kanzleiundrecht.wordpress.com (Joachim Müller).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. November 2014: EGMR zu Abschiebungen nach Italien – Tücken des "Berliner Testaments" – Nichtraucherschutz und E-Zigaretten . In: Legal Tribune Online, 05.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13709/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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