Sollen Ärzte bei möglichen Gefährdungen Dritter durch Patienten die berufliche Schweigepflicht brechen dürfen? Müssen sie dies vielleicht jetzt schon? Außerdem in der Presseschau: Plädoyer pro Unternehmensstrafrecht, Gewissensnöte eines thüringischen Beamten, Kita in Karlsruhe und Erfindungsreichtum eines Trickbetrügers.
Thema des Tages
Ärztliche Schweigepflicht: Nach den letzten Erkenntnissen zum gesundheitlichen Zustand des Copiloten des in der vergangenen Woche verunglückten Germanwings-Fluges fordert etwa der Bundestagsabgeordnete Dirk Fischer (CDU), Ärzte, die Piloten behandeln, gegenüber Arbeitgeber und Luftbundesamt von der beruflichen Schweigepflicht zu entbinden. Dies berichtet spiegel.de (Ansgar Siemens/Jens Witte). In Frage-und-Antwort-Form stellt der Artikel die Empfehlungen der Bundesärztekammer als Rechtsgrundlage der ärztlichen Schweigepflicht dar. Deren Verletzung könne aber durch die allgemeinen strafrechtlichen Notstandsregeln gerechtfertigt sein. zeit.de (Katharina Schuler/Lisa Caspari), FAZ (A. Mihm/J. Jahn/U. Friese) und Badische Zeitung (Christian Rath) berichten ebenfalls ausführlich.
Gerade weil in besonderen Notlagen bereits jetzt die Schweigepflicht ohnehin nicht gelte, würden nach Werner Bartens (SZ) weitere Lockerungen nicht weiterhelfen. Dagegen gehöre es "zum Selbstverständnis der Heilberufe", aber auch anderer Berufsgruppen wie etwa Anwälten, "dass sich ihnen Fremde mit ihren Defiziten und Fehlern und Eigenheiten offenbaren". Dagegen hält Joachim Jahn (FAZ) die jetzige Idee einer Übermittlungspflicht bei Krankschreibungen von Piloten wenigstens für "bedenkenswert". Ob sie praktisch durchführbar sei, stehe dagegen auf einem anderen Blatt.
Rechtspolitik
Unternehmensstrafrecht: Wolfgang Münchau (spiegel.de) plädiert in einer Kolumne für die Einführung eines Unternehmensstrafrechts. Der britische "Corporate Manslaughter and Corporate Homicide Act" aus dem Jahr 2007 erlaube es, "ein Unternehmen strafrechtlich belangen zu können, wenn einer seiner Mitarbeiter einen Mord oder Totschlag begeht". Die Rechtsfähigkeit von Unternehmen im deutschen Zivilrecht könnte auch den Weg zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit weisen. Fragen hierzu würden dann untersucht, "wo sie hingehören: nicht in Talkshows, sondern vor Gericht."
Urheberrecht: Die Regierungen Deutschlands und Frankreichs wollen durch gemeinsame europäische Regeln für das Urheberrecht sicherstellen, dass Kreative an der Verwertung ihrer Werke angemessen beteiligt werden und so ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Eine entsprechende Erklärung wird am heutigen Dienstag von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) und der französischen Ministerin für Kultur und Kommunikation, Fleur Pellerin, unterzeichnet. Die FAZ (Eckart Lohse/Christian Schubert) berichtet.
Schiedsgerichtsbarkeit: zeit.de (Petra Pinzler) befragt den Präsidenten des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, zu Bedenken der von ihm vertretenen Unternehmen an dem geplanten europäisch-US-amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP. Besondere Kritik erfährt dabei das System des Investorenschutz durch Schiedsgerichte, das in seiner jetzigen kostenintensiven Form vor allem Konzernen dienen würde.
Tierschutz: Nach Bericht der SZ (Daniela Kuhr) befinden sich Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) und sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Johannes Remmel (Grüne) im Streit, wie die bislang gängige Praxis des sogenannten Kükenschredderns beendet werden. Bei dem Verfahren werden männliche Küken, die für Zucht oder andere Verwertung ungeeignet sind, massenhaft getötet. Der Bundesminister setze auf verstärkte Forschungsbemühungen zur Früherkennung des Geschlechts, sein Kollege dagegen auf eine Untersagung der Praxis. Diese sei jedoch vor kurzem vom Verwaltungsgericht Minden gestoppt worden.
Justiz
BGH zu Kreditbearbeitungsgebühren: Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs aus dem vergangenen Herbst bestimmten, dass Banken die bei der Gewährung von Verbraucherkrediten erhobenen Bearbeitungsgebühren zurückzahlen müssten. Die SZ (Harald Freiberger) schreibt unter Nennung von Beispielen über Schwierigkeiten, denen sich Bankkunden bei der Geltendmachung ihrer Rückerstattungsansprüche gegenüber sehen.
OLG Oldenburg zu Verzögerungs-Entschädigung: Das im Dezember 2011 verabschiedete Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ermöglicht es Betroffenen, eine Entschädigung für erlittene Nachteile geltend zu machen. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg besteht eine hierfür vorauszusetzende Verfahrensverzögerung jedenfalls nicht bei einem Ermittlungsverfahren von zehn Monaten Dauer. rechtsindex.de berichtet.
LG Bielefeld – Thomas Middelhoff: An diesem Donnerstag sollte vor dem Landgericht Bielefeld über eine Rückzahlungsforderung des Beraters Roland Berger gegen den Manager Thomas Middelhoff verhandelt werden. Nach Informationen des Handelsblatts (Massimo Bognanni) droht der Termin zu platzen. Die Anwälte des inhaftierten Middelhoff hätten in einem Schreiben an das Gericht zu verstehen gegeben, dass damit zu rechnen sei, dass einem Insolvenzantrag des Bielefelder Finanzamts gegen ihren Mandanten stattgegeben werde.
ArbG Mainz zu Vertragsbefristung: Am 19. März entschied das Arbeitsgericht Mainz, dass die Befristung des Arbeitsvertrages eines ehemaligen Profis des örtlichen Bundesligavereins zu Unrecht erfolgte. Rechtsanwalt Johannes Arnold stellt für lto.de die Entscheidung kurz vor und geht im Anschluss ausführlich auf die Rechtslage ein. Zwar sei es nach Ansicht des Sportrechtsexperten fraglich, ob das Urteil die Besonderheiten des Sports gewürdigt habe, gleichwohl bedürfe die Frage der Befristung von Arbeitsverhältnissen von Sportlern mittelfristig einer Lösung. Diese könne etwa durch den Abschluss eines Tarifvertrags erreicht werden.
VG Gera zu Beamten-Gewissen: Vor dem Verwaltungsgericht Gera ist ein thüringischer Beamter mit dem Ansinnen gescheitert, sich im Wege des Eilrechtsschutzes in den einstweiligen Ruhestand versetzen zu lassen. Wie lto.de meldet, hatte der technische Oberinspektor geltend gemacht, durch die Wahl Bodo Ramelows (Linke) zum Ministerpräsidenten des Freistaats in einen Widerspruch zu Amtseid und Gewissen gezwungen zu sein. Dagegen erfordere das Amt des Antragstellers nach Ansicht des Gerichts kein politisches Bekenntnis zugunsten der Landesregierung.
Cum-Ex-Geschäfte: Die laufenden Ermittlungen mehrerer Staatsanwaltschaften in Deutschland – u.a. der Kölner – und der Schweiz gegen die Privatbank Sarasin und deren Kunden wegen Steuerhinterziehung und Betrug durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte bewirkten nach Darstellung des Handelsblatts (Volker Votsmeier) auch das "Ende einer Freundschaft". Die Beziehung zwischen Eric Sarasin, Private-Banking-Chef des Schweizer Geldhauses, und Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer sei wegen streitiger Versionen zur Verantwortung für die umstrittenen Geschäfte, an denen zahlreiche Bekannte Maschmeyers beteiligt gewesen sein sollen, zerbrochen.
Justiz-Kita in Karlsruhe: Karlsruhe als Sitz zahlreicher Bundes- aber auch Landesgerichte plant die Einrichtung einer Justiz-Kita. Nach Einschätzung der SZ (Wolfgang Janisch) ist der Schritt überfällig. Denn während mittlerweile 60 Prozent der richterlichen Berufsanfänger weiblich seien, behindere mangelhafte Familienfreundlichkeit der Justiz deren Aufstieg im Beförderungswesen nach wie vor.
Recht in der Welt
ICTY – Vojislav Seselj: Der internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) hat die wegen gesundheitlicher Probleme verfügte vorläufige Haftverschonung gegen den serbischen Nationalisten Vojislav Seselj aufgehoben. Dies meldet die taz. Seselj muss sich vor dem ICTY in Den Haag/Niederlande wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Kriege der jugoslawischen Nachfolge verantworten.
Israel – Ehud Olmert: Der ehemalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert ist vom Bezirksgericht Jerusalem wegen Korruption für schuldig befunden worden. Wie zeit.de schreibt, hätten neue Beweise den Nachweis erbracht, dass Olmert während seiner Zeit als Bürgermeister von Jerusalem Schmiergeld angenommen habe. Ein erstes Verfahren in der Angelegenheit hatte noch zu einem Freispruch geführt. Weiterhin anhängig sei beim Obersten Gerichtshof des Landes dagegen ein Korruptionsvorwurf in einer anderen Angelegenheit.
Sonstiges
NSU-U-Ausschuss B-W: Nach dem überraschenden Tod einer Zeugin des baden-württembergischen NSU-Untersuchungsausschusses konnte gerichtsmedizinisch eine Fremdeinwirkung nicht festgestellt werden. Die mit dem Fall befasste Staatsanwaltschaft Karlsruhe kündigte jedoch weitere Analysen an, schreibt die SZ (Josef Kelnberger). Die Verstorbene war die Freundin eines ebenfalls ehemaligen Neonazis, der Hintergrundkenntnisse zur Tötung der Polizistin Michele Kiesewetter zu besitzen behauptet hatte, nach derzeitigen Erkenntnisstand jedoch 2013 Selbstmord verübte.
"Das Vertrauen in die baden-württembergischen Ermittlungsbehörden ist beschädigt." Dies folgert Lena Müssigmann (taz) im Leitartikel der Zeitung aus der Forderung der Ausschussmitglieder nach restloser Aufklärung der Todesfälle.
Das Letzte zum Schluss
Erfindungsreichtum: In Großbritannien muss sich ein 28-Jähriger wegen mehrerer Betrügereien vor Gericht verantworten. Die für den kommenden Monat geplante Urteilsverkündung verzögerte er dabei durch eigenes Zutun. Wie spiegel.de (Felix Knoke) schreibt, entließ er sich aus der verfügten Untersuchungshaft zwischenzeitlich selbst. Über ein eingeschmuggeltes Smartphone gelang ihm die Einrichtung einer Internetseite, die jener des für ihn zuständigen Gerichts zum Verwechseln ähnlich sah und ordnete von ihr aus seine Entlassung an. Der Angeklagte zeigte sich nun geständig und wurde dafür von der Staatsanwaltschaft als "außerordentlich erfindungsreich" gelobt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. März 2015: Diskussion zu ärztlicher Schweigepflicht – Karlsruher Justiz-Kita – Gewissenskonflikt in Gera . In: Legal Tribune Online, 31.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15109/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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