Mehr Sein als Schein: Die Bestimmungen zur behördlichen Anfechtung einer Vaterschaft sind verfassungswidrig. Außerdem in der Presseschau: Oppositionsrechte im Bundestag, Etappensieg für rauchenden Rentner, Abschied für Tolksdorf, erneuter Schuldspruch gegen Amanda Knox, Resozialisierung von Finanzjongleuren und eine Online-Petition gegen ein Jugend-Idol.
Thema des Tages
Behördliche Vaterschaftsanfechtung: Eine 2008 eingeführte Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuches zur behördlichen Anfechtung vermuteter Scheinvaterschaften ist nach einem jetzt veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig und damit nichtig. Die Regelung zielte darauf ab, Missbräuche in Fällen zu verhindern, in denen ein Deutscher die Vaterschaft des Kindes einer ausländischen Mutter anerkennt und dem Kind hierdurch die deutsche Staatsbürgerschaft und der Mutter ein Aufenthaltsrecht verschafft. Wie SZ (Robert Rossmann) und taz (Christian Rath) berichten, sah es das Verfassungsgericht zwar als legitimen Zweck an, Missbräuche zu ahnden, die gesetzliche Lösung greife jedoch unverhältnismäßig in den grundrechtlichen Schutz vor dem Wegfall der Staatsangehörigkeit und in das Elternrecht ein, indem sie betroffene Kinder unter Umständen staatenlos mache und Eltern einem Generalverdacht aussetze.
Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) begrüßt die Entscheidung in seiner Kolumne als die verfassungsgerichtliche Korrektur eines Gesetzgebers, der sich "offenbar von migrationspolitischem Fachidiotentum verführen" hat lassen und hierbei in einer Sprachlosigkeit auslösenden Weise im Familienrecht herumgepfuscht habe. Helene Bubrowski (FAZ) meint dagegen, dass Vaterschaft "überdehnt" werde, wenn sie einzig der Verschaffung von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsrecht diene. Um derartiges künftig zu verhindern, müsse "die Anerkennung der Vaterschaft erst zum Geschäftsmodell werden."
Rechtspolitik
Oppositions-Rechte: Nach einer Meldung der FAZ (Günter Bannas) hat sich der Ältestenrat des Bundestages nicht auf eine Formulierung einigen können, mit der Minderheitsrechte der Opposition verwirklicht werden könnten. Linke und Grüne bestünden nach wie vor auf Gesetzesänderungen und Änderungen der Geschäftsordnung. Der Vorschlag des Bundestags-Präsidenten Norbert Lammert (CDU), verringerte Quoren etwa zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses durch einfachen Parlamentsbeschluss herbeizuführen, sei demgegenüber "nicht rechtssicher genug."
Heribert Prantl (SZ) kommentiert, dass die Oppositions-Parteien mit ihren Forderungen auch dem Parlamentarismus dienten. Ein Parlament, in dem die Rechte der Minderheit vom Wohlwollen der Mehrheit abhinge, verkomme zur "Verlautbarungsanstalt der Regierung."
Mietrecht: Die große Koalition plant zahlreiche Neuregelungen im Bereich des Mietrechts. Fachanwalt Dominik Schüller setzt sich für lto.de kritisch mit Vorschlägen zu einer Mietpreisbremse, Neufestlegungen zur Mietfläche, einer neuen Berechnungsmethode für Mietspiegel und zur Frage, wer die Maklerprovision schuldet, auseinander. Das Handelsblatt (Reiner Reichel) berichtet in seinem Immobilien-Teil über einen Vorschlag des Maklerverbandes IVD. Als Alternative zur Mietpreisbremse sollten wirtschaftsstrafrechtliche Bestimmungen, nach denen Vermieter eine Ordnungswidrigkeit begehen, wenn sie überhöhte Mieten verlangen, konsequenter angewendet werden. Gegebenenfalls solle eine Beweislastumkehr normiert werden, nach der Vermieter nachweisen müssten, dass ein Wohnraummangel im betroffenen Gebiet nicht vorliege.
Raubkunst: Das Feuilleton der FAZ veröffentlicht eine am gestrigen Donnerstag im Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors gehaltene Rede Ronald S. Lauders, in der der Präsident des World Jewish Congress den deutschen Umgang mit Raubkunst kritisiert und Lösungsvorschläge anbietet. Der kürzlich vorgestellte bayrische Gesetzentwurf könne Unrecht korrigieren, zudem solle aber auf Grundlage der Washingtoner Erklärung von 1998 eine Kommission gebildet werden, die mit einem "proaktiven Ansatz" Sammlungen in Museen überprüft und nach ursprünglichen Besitzern sucht.
Finanzaufsicht: Das Handelsblatt widmet in seinem Wochenende-Teil mehrere Beiträge den "Gierigen", dubiosen Firmen am sogenannten grauen Markt, die Anleger um ihr Geld fürchten lassen würden. Ein Beitrag (S. Afhüppe/F. Drost/S. Kersting) befasst sich mit dem Vorschlag der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen die Kontrolle über Finanzanlagevermittler zu übertragen. In einem Interview (Frank Drost/Silke Kersting) äußert sich Gerd Billen, Staatssekretär für Verbraucherschutz im Bundesjustizministerium, hierzu und den Konsequenzen aus der Prokon-Insolvenz.
Justiz
EuGH zur Grundrechts-Wirkung: In einer zwei Wochen alten Entscheidung verweigerte der Europäische Gerichtshof die Feststellung einer horizontalen Wirkung der Rechte und Grundsätze der EU-Grundrechtscharta. Hannes Rathke (juwiss.de) analysiert die Entscheidung ausführlich und konstatiert "ungewohnt zurückhaltende Grundrechtsevolution statt dynamischer Grundrechtsrevolution."
EuGH – Flüchtlinge: Der Europäische Gerichtshof hat nach einer Meldung der taz die Regeln für die Aufnahme von Flüchtlingen konkretisiert, die ihre Heimat wegen bewaffneter Konflikte verlassen haben. Demnach sei allein die individuelle Bedrohung der Betroffenen entscheidend für die Gewährung von Schutz, auch wenn eine Anerkennung als Flüchtling nicht möglich sei.
BVerfG – EZB: Reinhard Müller (FAZ) kommentiert das vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren zu den Kompetenzen der Europäischen Zentralbank. Es sei bereits zweifelhaft, ob das Karlsruher Gericht im Gegensatz zum Europäischen Gerichtshof überhaupt zu einer Entscheidung berufen sei, im Gegensatz etwa zur angelsächsischen "Kultur der Zurückhaltung" erfülle das deutsche Verfassungsgericht gerade in europapolitischen Angelegenheiten jedoch auch "eine Art Oppositionsrolle." In dieser Funktion eines "sanft-lenkenden Mahners und Diskurslenkers", der politische Grundsatzentscheidungen akzeptiere, aber deutsche Verfassungsgrenzen hervorhebe, sei eine weitere "Ja, aber"-Entscheidung des Gerichts möglich.
OLG München – NSU-Prozess: Im Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München ist bei der Vernehmung eines Beamten des baden-württembergischen Landeskriminalamtes zu den Ermittlungen um den Heilbronner Polizistenmord rassistischer Sprachgebrauch thematisiert worden. So hätten sich in polizeilichen Vermerken die Begriffe "Neger" und "Zigeuner" wiedergefunden, wobei festgehalten worden sei, dass etztere typischerweise lügen würden, schreibt die SZ (Tanjev Schultz, Online-Version). Auch spiegel.de (Björn Hengst) berichtet.
Die FAZ (Thomas Holl, Online-Version) berichtet über die Absicht der schwarz-grünen Landesregierung Hessens, durch eine Kommission aus Fachleuten Vorschläge zur Arbeit der Sicherheitsbehörden als Konsequenz aus der NSU-Mordserie erarbeiten zu lassen.
OLG Zweibrücken zu Brustimplantaten: Nach einer Meldung von lto.de muss der TÜV Rheinland gemäß einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken einer durch mangelhafte Brustimplantate geschädigten Frau keinen Schadensersatz leisten. Es sei nicht erwiesen, dass der TÜV Prüfpflichten verletzt habe.
LG Düsseldorf - Rauchender Mieter: In der mündlichen Berufungsverhandlung des wegen übermäßigen Rauchens und unzureichenden Lüftens gekündigten Mieters Friedhelm Adolfs hat das Landgericht Düsseldorf zu erkennen gegeben, dass dessen Wohnungskündigung wohl aus formalen Gründen unwirksam sei, berichten FAZ (Reiner Burger) und taz (Pascal Beucker). Die Vermieterin habe zwischen einer Abmahnung wegen des bemängelten Verhaltens und der Kündigung mehr als ein Jahr verstreichen lassen.
LG Berlin – Suhrkamp: Nach einer Meldung der FAZ (Sandra Kegel) hat der Suhrkamp-Minderheitsgesellschafter Hans Barlach beim Landgericht Berlin eine sofortige Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Genehmigung des Insolvenzplans des Verlages eingelegt.
VG Stade – Akteneinsicht: Nach Berichten von SZ und taz-Nord (Andreas Speit/Teresa Havlicek) hat die Journalistin Andrea Röpke beim Verwaltungsgericht Stade eine Klage eingereicht, mit der sie den niedersächsischen Verfassungsschutz verpflichten will, ihr die bislang verweigerte vollständige Einsicht der über sie angelegten Akten zu ermöglichen.
Richter Tolksdorf: Die taz (Christian Rath) porträtiert den am heutigen Freitag aus dem Amt scheidenden Präsidenten des Bundesgerichtshofs Klaus Tolksdorf und berücksichtigt dabei besonders dessen Konflikt mit dem Richterkollegen Thomas Fischer.
Recht in der Welt
EGMR - Russland: Spiegel.de berichtet über eine am gestrigen Donnerstag vorgestellte Statistik des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der das Gericht im vergangenen Jahr die meisten Grundrechtsverletzungen in russischen Fällen festgestellt hat.
Großbritannien – Einwanderung: Im britischen Unterhaus wird derzeit über ein neues Einwanderungs-Gesetz debattiert, dass etwa den Zugang für Ausländer zu Sozialsystemen erschweren und die Abschiebung straffällig gewordener Ausländer erleichtern soll. Über die auch in der konservativen Regierungspartei kontroverse Debatte - eine Gruppe von Tory-Abgeordneten fordert etwa die Wiedereinführung von Grenzkontrollen für Rumänen und Bulgaren - berichtet die FAZ (Jochen Buchsteiner).
Frankreich – Franck Ribéry: Eine Strafkammer in Paris hat den Fußballprofi Franck Ribéry vom Vorwurf freigesprochen, die Dienste einer minderjährigen Prostituierten in Anspruch genommen zu haben, meldet lto.de. Das Gericht sei dem Antrag der Staatsanwaltschaft gefolgt, die keine Beweise finden konnte, dass der Fußballer das Alter der jungen Frau gekannt hat.
Italien – Amanda Knox: Das Schwurgericht in Florenz hat die US-Amerikanerin Amanda Knox wegen Mordes an der britischen Studenten Meredith Kercher in Abwesenheit zu 28 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Ihr mitangeklagter Ex-Freund erhielt 25 Jahre, schreiben faz.net (Jörg Bremer) und spiegel.de (Hans-Jürgen Schlamp). Nachdem in den bisherigen Verfahren drogenberauschte Sexspiele als Mordmotiv galten, sollte nun nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Streit über mangelnde häusliche Sauberkeit der Auslöser der Tat gewesen sein.
USA – Boston-Bomber: Gemäß einer Meldung von faz.net fordert die US-amerikanische Staatsanwaltschaft für Dschochar Zarnajew, den Überlebenden der beiden mutmaßlichen Bombenleger von Boston, die Todesstrafe. Der Prozessbeginn sei bislang nicht terminiert.
Nicaragua – Verfassung: Das nicaraguanische Parlament hat eine Verfassungsänderung beschlossen, derzufolge der aktuelle Präsident Daniel Ortega im Jahr 2016 erneut kandidieren kann. In ihrem Bericht nennt die SZ (Sebastian Schoepp) weitere Beispiele dieser in Lateinamerika beliebten Praxis.
Sonstiges
Kirchenasyl: Die FAZ (Simona Pfister) berichtet über Fälle, in denen Kirchen Flüchtlingen Asyl gewähren, um sie vor einer Abschiebung zu bewahren. Obwohl eine gesetzliche Grundlage hierfür nicht bestehe, erkenne das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das "Recht der Kirchen auf die Gewährung von Kirchenasyl" an.
Resozialisierung: In seinem Karriere-Teil beleuchtet das Handelsblatt (Claudia Obmann) das Leben von verurteilten und mittlerweile entlassenen Bankern. So lieferte die Biographie eines amerikanischen Finanzjongleurs die Vorlage zum Hollywood-Film "Wolf of Wall Street". Nick Leeson, der den Untergang der Barings-Bank verursachte, managt einen irischen Fußballklub. Der frühere BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky befindet sich im offenen Vollzug und muss sich in einem weiteren Verfahren wegen des Hypo Alpe Adria-Kaufs mit ehemaligen Vorstandskollegen vor dem Landgericht München verantworten.
Das Letzte zum Schluss
Blame Canada: Vorwürfe von Körperverletzung, illegalen Autorennen, Vandalismus und Drogenmissbrauch: Der kanadische Popsänger Justin Bieber lässt derzeit kein Klischee über wahre Rock 'n' Roller aus. Wegen eines Angriffs auf einen Chauffeur droht ihm in seiner Heimat demnächst ein Strafprozess. Die Eskapaden könnten nun aber auch Konsequenzen in seiner US-amerikanischen Wahlheimat nach sich ziehen. Wie die FAZ (Christiane Heil) berichtet, forderten mehr als 180.000 Unterzeichner einer Online-Petition auf der Web-Seite des Weißen Hauses die Abschiebung des Sängers. Präsident Obama hatte angekündigt, jede Petition prüfen zu wollen, die von mindestens 100.000 Wählern unterstützt wird.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag scheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. Januar 2014: Vaterschaftsanfechtung verfassungswidrig – Berufungserfolg für Raucher – Amanda Knox verurteilt . In: Legal Tribune Online, 31.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10842/ (abgerufen am: 20.05.2024 )
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