Das Verfahren gegen Radovan Karadzic nähert sich dem Ende. In Den Haag plädierte zunächst die Anklage. Außerdem in der Presseschau: Gegenwind für Investitionsschutzklauseln, Gefängnis für dopende Sportler, erneute Niederlage für Uber, BAW prüft Neuaufnahme der Oktoberfest-Ermittlungen, kein Referendum in Katalonien und frische Unterhosen durch das OLG Hamm.
Thema des Tages
ICTY – Karadzic: Vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag/Niederlande haben im Verfahren gegen Radovan Karadzic die Schlussplädoyers begonnen. Die Anklage erklärte, dass der frühere Präsident der Teilrepublik Srpska "unzweifelhaft des Völkermords" schuldig sei, schreibt die FR (Norbert Mappes-Niediek) in ihrem Bericht. In dem 2009 eröffneten Verfahren muss sich der Angeklagte gegen insgesamt elf Anklagepunkte, unter denen das 1995 verübte Massaker von Srebrenica herausragt, verteidigen. Das Urteil werde nicht vor Mitte des nächsten Jahres erwartet.
In einem Kommentar meint Ronen Steinke (SZ), dass an einer Verurteilung des Angeklagten auch vor Beginn der Verhandlung keine ernsten Zweifel bestanden hätten. Bemerkenswert sei hingegen die im Verfahren zutage getretene Haltung des Angeklagten gewesen. Im Unterschied zu anderen "Balkan-Bossen" wie etwa Slobodan Milosevic habe sich Karadzic dem Gerichtshof als "Gewandelter" präsentiert, der "juristisch klug taktiert" und höflich auftrat. Die dennoch enorme Länge des Verfahrens sei demgegenüber der "hochpeniblen" Arbeitsweise des Tribunals geschuldet, dass Revisionisten außerhalb des Gerichts die Möglichkeit habe nehmen wollen, im früheren Jugoslawien begangene Verbrechen zu leugnen.
Rechtspolitik
Terrorismus-Gesetzgebung: Für lto.de analysiert Denis Basak die jüngst verabschiedete UN-Resolution 2178. Der Rechtswissenschaftler erkennt in dem Beschluss, der Mitgliedsstaaten zu konkreten gesetzlichen Maßnahmen im "Kampf gegen den Terror-Tourismus" verpflichtet, eine neue Funktion des UN-Sicherheitsrates als "Gesetz(vor-)geber" und zitiert eine Studie zur Wirksamkeit von in Deutschland 2009 eingeführten strafrechtlichen Regelungen. Wie bei anderen Vorfeldkriminalisierungen würden nicht zusätzliche Bestrafungen beabsichtigt und bewirkt, dagegen aber Ermittlungsmöglichkeiten erhöht.
Sympathiewerbung: Die taz (Christian Rath) berichtet zu Überlegungen der Regierungskoalition, im Rahmen von gesetzlichen Maßnahmen gegen Terror-Tourismus die sogenannte Sympathiewerbung für Terrorgruppen wieder einzuführen. Eine seit Einführung des § 129a Strafgesetzbuch (StGB) existierende Bestimmung war 2002 von der damaligen rot-grünen Regierung im Gegenzug für die Einführung des § 129b StGB "leicht liberalisiert" worden. In einem Kommentar bezeichnet Christian Rath (taz) das Vorhaben als "kontraproduktiv." Verkannt würde die "doppelte Funktion der Meinungsfreiheit." Als Garantie einer freiheitlichen Demokratie sei sie nur dann überzeugend, wenn sie auch fragwürdige Ansichten schütze. Daneben würde sie aber auch den Staat "vor unnötigen Zuspitzungen und Eskalationen" bewahren.
Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Jasper von Altenbockum (FAZ) beschäftigt sich im Leitartikel des Blattes aus Anlass der am Wochenende bekanntgewordenen Misshandlung von Flüchtlingen in einer nordrhein-westfälischen Aufnahmeeinrichtung mit der Übernahme öffentlicher Aufgaben durch Private. Diese Praxis sei zu begrüßen, solange sie über dem reinen Kostenargument nicht auch staatliche Aufsichtspflichten vernachlässige. Ansonsten fielen Probleme dem Staat schließlich doch wieder auf die Füße und müssten wie jetzt von Flüchtlingen ausgebadet werden, die zwar "nicht immer Unschuldsknaben, aber doch die Schwächsten der Schwachen" seien.
Investitionsschutz: In der Auseinandersetzung zu den umstrittenen Investitionsschutzklauseln in Freihandelsabkommen plant der neue Kommissionschef Claude Juncker offenbar einen Schritt in Richtung der zahlreichen Kritiker. Wie die SZ (Javier Caceres/Cerstin Gammelin) schreibt, soll der als "Blaupause" für das Abkommen mit den USA dienende Vertragstext mit Kanada die Rolle der nationalen Gerichte stärken. Die Anrufung von Schiedsgerichten solle Unternehmen so erst nach einer 18-monatigen "Abkühlphase", in der versucht werden soll, vor nationalen Gerichten oder außergerichtlich eine Einigung zu erzielen, möglich sein. Allerdings ist ein Verzicht auf Schiedsgerichte nun doch nicht geplant.
Maklergebühren: Wegen der geplanten Neuregelung des Bestellerprinzips bei der Beauftragung von Wohnungsmaklern kündigt der Immobilienverband Deutschland eine Verfassungsbeschwerde an. Wie die SZ (Detlef Esslinger) schreibt, moniert der Interessenverband die vermeintliche Strenge des von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorgestellten Entwurfes. Dieser lasse befürchten, dass Vermieter künftig die Beauftragung von Maklern regelmäßig unterließen und gefährde damit die Existenz des Berufes.
Wahlrecht: Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) will in einer für den heutigen Dienstag angesetzten Sitzung mit Wahlleitern ergründen, wie künftig wirksam eine mehrfache Stimmabgabe von Doppelstaatlern bei Europawahlen verhindert werden kann. In einem Schreiben habe der Minister ausgeführt, dass die durch das Geständnis des Journalisten Giovanni di Lorenzo offenbarte Regelungslücke bei der Durchsetzung des Verbots der Mehrfachwahl geschlossen werden solle. Die SZ (Robert Roßmann) berichtet.
Anti-Doping-Gesetz: Nach Informationen der FAZ (Anno Hecker, Zusammenfassung) haben sich Bundesinnen-, Justiz- und Gesundheitsministerium auf den Entwurf eines "scharfen" Anti-Doping-Gesetzes geeinigt. Für Spitzensportler solle bereits der Besitz geringer Mengen bestimmter Dopingpräparate strafbar sein. Über den Entwurf, nach dem dopenden Sportlern bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe drohen sollen, berichtet auch die taz.
WLAN-Haftung: Ein der Welt (Patrick Schwarz) vorliegender Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, WLAN-Anbieter im öffentlichen Bereich von der Haftung für Rechtsverstöße ihrer surfenden Kunden freizustellen. Wie diese Aufhebung der Störerhaftung konkret geregelt wird, sei noch offen.
Justiz
EU - Beihilfeverfahren: Die EU-Kommission veröffentlicht am heutigen Dienstag ihre im Juni getroffene Entscheidung, gegen Irland und Luxemburg Beihilfeverfahren einzuleiten. Jeweiliger Hintergrund sind sogenannte "Tax Rulings" der betroffenen Mitgliedsstaaten, Vorbescheide der Steuerbehörden, in denen Unternehmen wie Apple nach Ansicht der Kommission unberechtigt bevorzugt worden seien. Die FAZ (Marcus Theurer/Werner Mussler) macht in ihrem Bericht eine von der Kommission ausgehende Verschärfung der Gangart aus. Bislang sei das Beihilferecht nicht auf Steuerfragen angewendet worden.
BVerfG – NPD-Verbot: Die SZ (Tanjev Schultz/Mike Szymanski) beschreibt, wie zahlreiche rechtsextreme Aktivisten in Vorbereitung eines möglichen Parteiverbots der NPD durch das Bundesverfassungsgericht gegenwärtig mit der Gründung neuer Parteien beschäftigt sind. Ein eingerückter Beitrag (Wolfgang Janisch) bezeichnet die Erfolgsaussichten des Verbotsverfahrens als "offen." Die zwischenzeitlich ausgeschiedenen Verfassungsrichter Gertrude Lübbe-Wolff und Michael Gerhardt hätten zwar als "absolut unempfänglich für politischen Druck, wie er sich im NPD-Fall entfalten könnte" gegolten. Dafür habe der als Nachfolger Gerhardts als Berichterstatter nun tätige frühere Ministerpräsident Peter Müller im Jahr 2000 im Bundesrat gegen einen Verbotsantrag gestimmt.
OLG München – NSU-Prozess: Nach Darstellung von focus.de mehren sich im vor dem Oberlandesgericht München laufenden Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere Hinweise, dass der Unterstützerkreis des mutmaßlichen NSU-Trios größer war, als in der Anklageschrift dargestellt. Gerade die Befragung des Zeugen Tino Brandt habe belegt, dass das Gericht nun auch empfänglicher für die bislang nur von den Nebenklagebevollmächtigten vertretene These sei.
OVG Hamburg zu Uber: Nach Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Hamburg ist die gegen den Fahrdienst Uber verhängte Verbotsverfügung rechtmäßig. Im Gegensatz zur Vorinstanz habe das Gericht die Zuständigkeit der Hamburger Wirtschaftsbehörde festgestellt, schreibt lto.de. Auch die materielle Rechtmäßigkeit der Verfügung unterläge keinen Zweifeln.
AG Berlin-Mitte zu Prüfbericht: Rechtsanwalt Jürgen Melchior (ra-melchior.blog.de) macht auf ein Urteil des Amtsgerichts Mitte von Berlin aufmerksam. In diesem sei dem Versuch einer beklagten Versicherung, einem fiktiv abrechnenden Unfallgeschädigten mittels eines sogenannten Prüfberichts den Schadensersatz eigenmächtig zu kürzen, "die verdiente Abfuhr erteilt" worden. Nach Auffassung des Gerichts bestehe der streitgegenständliche Bericht im wesentlichen aus einer "abstrakten Aufzeichnung von geringeren Stundenlöhnen" ohne Bezug zum konkreten Schadensfall.
Bundesanwaltschaft - Oktoberfest-Anschlag: Nach Bericht der SZ (Wolfgang Janisch/Robert Roßmann) will die Bundesanwaltschaft neue Hinweise auf etwaige Mittäter bei dem Anschlag auf das Oktoberfest im Jahr 1980 "sorgfältig prüfen." Das Bundesjustizministerium habe erklärt, keinen Einfluss auf die Prüfung ausüben zu wollen. Spiegel.de (Tobias Lill) fasst die vom Münchner Anwalt Werner Dietrich zusammengetragenen, mutmaßlich neuen Erkenntnisse zusammen.
In einem Kommentar bezeichnet es Heribert Prantl (SZ) als "völlig unverständlich", dass sich die Bundesanwaltschaft "seit 30 Jahren spreizt und windet", statt erneut Ermittlungen aufzunehmen. Für die Neuaufnahme und damit die Suche nach möglichen Mittätern des bei dem Anschlag zu Tode gekommenen Gundolf Köhler sprächen zahlreiche "Spuren, Zeugen und seinerzeit nicht ausgewertete Akten". Zudem sei die damalige Einzeltäter-These schon wegen der Aufdeckung der NSU-Mordserie "diskreditiert."
StA München – Hypo Real Estate: Wegen der "Beinahepleite" der Immobilienbank Hypo Real Estate hat die Münchner Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen den früheren Bankchef Hans-Georg Funke und sieben weitere ehemalige Vorstände erhoben. Wie die FAZ (Henning Peitsmeier) schreibt, werfen die Ermittler den Managern unrichtige Darstellungen in Konzernbilanzen in den Jahren 2007 und 2008 vor. Ebenfalls eingeleitete Ermittlungen wegen Untreue seien dagegen eingestellt worden. Die Entscheidung über die Zulassung der Anklage liege beim Vorsitzenden Richter am Landgericht Peter Noll, der ebenfalls über die Anklage gegen Jürgen Fitschen zu befinden habe.
Recht in der Welt
ICTR – Völkermord: Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda hat in einer Berufungsentscheidung Verurteilungen gegen die Führer der früheren Regierungspartei des Landes wegen Völkermordes bestätigt. Die Partei sei zudem als Organisation für die Ermordung von mehr als 800.000 Tutsi verantwortlich, schreibt die taz (Dominic Johnson) in ihrem Bericht, der die Beteiligten ausführlich vorstellt.
Belgien – Sterbehilfe: Nach Bericht der FAZ (Michael Stabenow) hat das Brüsseler Berufungsgericht den Antrag eines inhaftierten Sexualstraftäters auf "aktive Sterbehilfe" bestätigt. Der Betroffene berufe sich auf "unerträgliche psychische Leiden" und soll inzwischen einen Arzt gefunden haben, der ihn bei seinem Vorhaben unterstützt.
Spanien – Katalonien: Das spanische Verfassungsgericht hat eine Klage der spanischen Zentralregierung gegen ein von der katalanischen Regionalregierung für den 9. November angesetztes Unabhängigkeitsreferendum zugelassen. Wie zeit.de meldet, hat das Gericht nun fünf Monate Zeit, über die Klage zu entscheiden. Das einseitig terminierte Referendum sei derweilen suspendiert.
Russland – Jewtuschenkow: Die russische Justiz ermittelt derzeit gegen den Milliardär Wladimir Jewtuschenko wegen der Legalisierung illegal erworbenen Besitzes. Die SZ (Julian Hans) stellt die weitverzweigten geschäftlichen Aktivitäten des Oligarchen vor und erläutert den im Raum stehenden Vorwurf. Während tatsächliche oder vermeintliche Unregelmäßigkeiten bei Privatisierungen von Staatsbetrieben in Russland nach zehn Jahren verjähren, könnten Ermittler durch den Vorwurf der Legalisierung auch spätere Transaktionen belangen. Jewtuschenkows Anteile an einem Öl-Konzern seien mittlerweile vom Staat eingezogen worden.
Sonstiges
Arbeitsrechtliche Abstimmungen: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt begrüßt Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer die auf dem 70. Deutschen Juristentag unterbliebene Abstimmung zum arbeitsrechtlichen Thema "Stärkung der Tarifautonomie" und schlägt vor, auf künftige Abstimmungen in diesem Rechtsgebiet generell zu verzichten. Denn die "fachkundige Einschätzung von Juristen, die das Gemeinwohl und qualitativ gutes Recht im Blick" habe, ginge bei bei Abstimmungen, bei denen "neutrale" Arbeitsrechtler gegenüber Verbandsvertretern in deutlicher Minderheit wären, verloren.
Mindestlohn: Die FAZ (Dietrich Creutzburg) berichtet über ein nun vorliegendes Gutachten zum Mindestlohngesetz. Die Rechtswissenschaftler Ulrich Preis und Daniel Ulber untersuchen die Frage, für welche Zeiträume Arbeitnehmer Arbeitgeber rückwirkend auf Nachzahlungen verklagen können, wenn diese zu geringe Löhne ausgezahlt haben. Für die meisten Arbeitnehmer verlängerten sich diese Fristen, nach Ansicht der Gutachter sei aber bei Langzeitarbeitslosen, die vom Mindestlohn ausgenommen sind, eine "verfassungswidrige Schutzlücke" festzustellen.
Das Letzte zum Schluss
Täglich wechseln: Auch in der Haft besteht ein Bedürfnis nach frischer Unterwäsche. Eine von einem Häftling bis vor das Oberlandesgericht Hamm getriebene Auseinandersetzung hat nun die bislang in Nordrhein-Westfalen geltende Regelung, dass hierunter vier Garnituren Unterwäsche und zwei Paar Socken – in der Woche – zu verstehen sind, revolutioniert. Wie lawblog.de (Udo Vetter) informiert, befanden die Richter, dass heutzutage der tägliche Unterwäsche- und Sockenwechsel als "gesellschaftliche Norm" zu verstehen bzw. zumindest "wünschenswert" sei. Entsprechende Richtlinien müssten demnach geändert werden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. September 2014: Karadzic vor Verurteilung – Ermittlungen zu Oktoberfest-Anschlag? – Niederlage für Katalonien . In: Legal Tribune Online, 30.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13339/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag