Vor dem BGH wird bereits zum zweiten Mal zum Tod von Oury Jalloh verhandelt. Außerdem in der Presseschau: kommunale Sperrklauseln und das Grundgesetz, Gutachten-Streit im Loveparade-Verfahren, Neuigkeiten von Emmely, Anwalt im Schuldenstreik, neue Tätigkeit für Hans-Jürgen Papier und ein überfürsorglicher Familienvater vor Gericht.
Thema des Tages
BGH – Oury Jalloh: Im Jahr 2005 verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Dessauer Arrestzelle. In einer Revisionsverhandlung befasst sich der Bundesgerichtshof nun bereits zum zweiten Mal mit dem Fall. Gegen ein Urteil des Landgerichts Magdeburg, das den zuständigen Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt hatte, haben sowohl Verteidigung als auch Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt.
Das Landgericht war bei der Verurteilung zugunsten des Angeklagten von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum ausgegangen. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass der zur Identitätsfeststellung Festgehaltene unverzüglich einem Richter vorgeführt werden müsse. Diese Praxis wurde bei der Verhandlung in Karlsruhe nun mit harten Worten bedacht. Wie SZ (Wolfgang Janisch), fr-online.de (Bernhard Honnigfort) und taz (Christian Rath) berichten, hat Bundesanwalt Johann Schmid von einer "Riesenschlamperei", die offenbar in dem Dessauer Polizeirevier geherrscht habe, gesprochen. Im Gegensatz zur Ansicht der Nebenklage, die eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge fordert, beruhe das Magdeburger Urteil gemäß der Bundesanwaltschaft jedoch nicht auf diesem Rechtsfehler. Denn es sei nicht auszuschließen, dass ein hinzugezogener Richter den zum Geschehenszeitpunkt betrunkenen Jalloh auch nicht sofort freigelassen hätte. Eine Entscheidung ist für den 4. September angesetzt.
Rechtspolitik
Suizidhilfe: Zu dem vor kurzem vorgelegten Expertenentwurf zur strafrechtlichen Regelung der Suizidhilfe befragt lto.de (Anne-Christine Herr) den Mitautor Jochen Taupitz. Der Medizinrechtler erläutert das Anliegen des Entwurfs, seine Adressaten und Einzelheiten zum vorgesehenen Prozedere. Taupitz geht ebenfalls auf die von uneinheitlichen berufsrechtlichen Regelungen geprägte aktuelle Rechtslage sowie Rechtsprechung zum Thema ein.
Kommunale Sperrklauseln: Durch eine Ergänzung der nordrhein-westfälischen Landesverfassung sollen Sperrklauseln für kommunale Vertretungen im einwohnermäßig größten Bundesland wieder eingeführt werden. Rechtsprofessor Johannes Dietlein kritisiert für lto.de das Vorhaben. Auch die Verfassungsgesetzgebung in den Ländern habe sich an den Vorgaben des Grundgesetzes und hier speziell dem Homogenitätsprinzip nach Art. 28 Abs. 1 zu orientieren. Dessen Konkretisierung durch das Gebot der Wahlrechtsgleichheit bei Bundestagswahlen sei auch für Kommunalwahlen verbindlich, wie verfassungsgerichtlich bereits mehrfach festgestellt.
Hasskriminalität: Den von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorgestellten Gesetzentwurf zu Strafschärfungen bei sogenannter Hasskriminalität begrüßt Christian Rath (taz.de) in einem Kommentar als "berechtigt." Taten mit z.B. rassistischem Hintergrund verletzten neben dem unmittelbaren Opfer auch immer weitere Angehörige der betroffenen Gruppe. Nach den Morden des NSU sei es auch richtig, gerade Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den besonderen Fokus von Richtern "und vor allem der Polizei" zu rücken.
Justiz
OLG Frankfurt zu Sorgerechtsentzug: Ein gegen ein streng religiöses Elternpaar wegen Missachtung der Schulpflicht ihrer Kinder verfügter Entzug des Sorgerechts ist vom Oberlandesgericht Frankfurt aufgehoben worden. Wie spiegel.de schreibt, sei der Entzug nach Ansicht des Gerichts unverhältnismäßig gewesen. Die Sozialkompetenz und das Wissen der seit Jahren nicht an einer Schule unterrichteten Kinder sei nicht eingeschränkt gewesen.
OVG NRW zu Pipeline: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat ein Verfahren zur Zulässigkeit einer Pipeline nach den Bestimmungen eines eigens für diesen Bau erlassenen Rohrleitungsgesetzes ausgesetzt und an das Bundesverfassungsgericht verwiesen, meldet lto.de. Das Vorhaben stelle sich grundsätzlich privatnützig dar und sei deshalb an den grundgesetzlichen Vorgaben für eine Enteignung zu messen. Hierzu berufen sei jedoch nur das Bundesverfassungsgericht. Lawblog.de (Udo Vetter) berichtet ebenfalls.
LG Duisburg – Loveparade: Bereits vor Eröffnung des beim Landgericht Duisburg anhängig gemachten Strafverfahrens wegen der tödlichen Unglücksfälle bei der Loveparade 2010 steht ein für die Staatsanwaltschaft zentrales Gutachten in der Kritik. Wie die SZ (Bernd Dörries) schreibt, war eine bei der Erstellung des Gutachtens beteiligte Expertin zeitgleich für das nordrhein-westfälische Innenministerium tätig, ohne dies kenntlich gemacht zu haben. Der Umstand gewinne dadurch Brisanz, dass zwar Mitarbeiter der Stadt Duisburg und Angestellte des Veranstalters, jedoch kein einziger Polizist angeklagt wurde.
LG Düsseldorf zu Vergewaltigung: Vor dem Landgericht Düsseldorf ist ein Polizeikommissar vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden. Zwar habe das Gericht es als erwiesen angesehen, dass es entsprechend der Anklage auf einer Polizeiwache zu sexuellen Kontakten zwischen dem Polizisten und einem jungen Mann, der den Diebstahl seines Fahrrads anzeigen wollte, gekommen sei, schreibt die FAZ (Reiner Burger). Der Nachweis, das hierbei Gewalt angewendet worden sei, habe jedoch nicht geführt werden können.
Recht in der Welt
Russland – Sanktionen: In einem Bericht über die Auswirkungen bereits verhängter und möglicher zukünftiger Sanktionen gegen Russland zitiert die FAZ (Hendrick Kafsack und andere) EU-Handelskommissar Karel De Gucht mit der Ankündigung, Russland vor der Welthandelsorganisation WTO verklagen zu wollen. Grund sei das von Russland verhängte Einfuhrverbot für europäische Agrarprodukte.
Argentinien – Verschwundene: Am 30. August wird in Argentinien mit einem Tag der Verschwundenen den wahrscheinlich 30.000 Opfern der Militärdiktatur gedacht. Focus.de (Julian Rohrer) lässt in seinem Bericht zum Thema den Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck zu Wort kommen, der über seine Erfahrungen bei Bemühungen, im Auftrag von Hinterbliebenen auch von Deutschland aus eine strafrechtliche Aufklärung zu erreichen, berichtet.
Sonstiges
Emmely: Spiegel.de (Alexander Demling) erinnert an Barbara Emme, die als Fall "Emmely" das Bundesarbeitsgericht zu einer Modifizierung der strikten Grundsätze einer Verdachtskündigung bewegen konnte. Während die Kassiererin mittlerweile wieder an einer Supermarkt-Kasse sitze, hätten Arbeitsrechtler nach der Entscheidung ein "längeres Gedächtnis" von Arbeitgebern festgestellt. Diese würden mittlerweile vorsorglich parallel zu Personalakten ihrer Arbeitnehmer auch jahrealte Abmahnungen speichern, um im Zweifelsfall nachweisen zu können, dass ein Vertrauensverhältnis nicht mehr bestanden habe.
Internationale Medikamentenvorräte: Aus Anlass der in Westafrika wütenden Ebola-Epidemie plädiert die wissenschaftliche Mitarbeiterin Anika Klafki (juwiss.de) in einem längeren Beitrag für international finanzierte Medikamentenvorräte. Deren rechtliche Notwendigkeit ergebe sich aus der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit.
Chefjustiziarin: Die SZ (Helga Einecke) stellt in der Rubrik Nahaufnahme Friederike Rotsch und ihre Tätigkeit als Chefjustiziarin eines großen deutschen Pharmakonzerns vor.
Schuldenstreik: Im Gespräch mit der SZ (Caspar Dohmen) erläutert der Rechtsanwalt Hans Scharpf die Gründe des von ihm unternommenen Schuldenstreiks. Der Anwalt verweigert gegenüber Banken die Zahlung von Schuldzinsen für Kredite, weil das von den Instituten verwaltete Buchgeld keine gesetzliche Grundlage besitze und praktisch von ihnen selber hergestellt würde. Weil hierdurch kaum Kosten entstünden, mache er bis zu einer vollständigen Auskunft über tatsächliche Kosten eines Kredits ein Zurückbehaltungsrecht geltend.
Hans-Jürgen Papier: Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat einen neuen Job. Wie die FAZ (Joachim Jahn) berichtet, tritt Papier zum 1. September das Amt des Ombudsmannes der Kreditauskunftei Schufa an. Dies geschieht in Nachfolge seines zum Jahresbeginn verstorbenen Richterkollegen Winfried Hassemer.
Das Letzte zum Schluss
Väterliche Fürsorge: Über einen kuriosen Fall aus dem Bereich der belgischen Rauschgiftkriminalität berichtet spiegel.de. Wegen Handel mit Marihuana ist dort eine vierköpfige Familie angeklagt. Der über 60-jährige Vater und mutmaßliche Haupttäter erklärte sich folgendermaßen: Nachdem er seine erwachsenen Kinder beim Genuss der Droge erwischt hatte, hätten ihn hinzugerufene Polizisten beruhigt. Daraufhin habe er sich entschlossen, selbst zum Einkäufer zu werden – um dem Nachwuchs geringere Kosten zu ermöglichen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. August 2014: Riesenschlamperei im Fall Jalloh – Emmely und das Arbeitsrecht – Ombudsmann Papier . In: Legal Tribune Online, 29.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13032/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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