Der Fall Gurlitt ist noch lange nicht ausgestanden. Nun steht offenbar die erste Rückgabe eines Kunstwerks bevor. Außerdem in der Presseschau: schärfere Regeln für Selbstanzeige, EuGH zu Netz-Sperren, Dieter Grimm zum ZDF-Urteil des BVerfG, Gerichtssprache Deutsch in Italien und störendes Gebelle vor Gericht.
Thema des Tages
Gurlitt: Die FAZ (Julia Voss) berichtet, dass sich Cornelius Gurlitt offenbar mit Erben eines jüdischen Kunsthändlers über die Rückgabe eines Gemäldes von Henri Matisse geeinigt habe. Das betreffende Bild sei eindeutig als Raubkunst einzuordnen, die jetzige Rückgabe an keinerlei Bedingungen geknüpft. Zudem sei der in Salzburg aufgetauchte Teil der Sammlung Gurlitts weit größer als angenommen. In Betreff dieser Bilder macht die FAZ (Stefan Koldehoff) im Feuilleton die Unschuldsvermutung geltend. Um die regulär erworbenen Kunstwerke von jenen mit einem "NS-Makel" behaftete trennen zu können, müsse Einsicht in die "wohl sehr umfangreich erhaltenen Geschäftsunterlagen der Familie Gurlitt" genommen werden, es liege nun an Gurlitt und seinem Team, diese zugänglich zu machen.
Auch die Welt (Peter Dittmar) berichtet über die neuesten Entwicklungen und zitiert zudem aus einer im Februar von den Anwälten Gurlitts beim Amtsgericht Augsburg eingelegten Beschwerde gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss. Wegen fehlender Beweisrelevanz der beschlagnahmten Bilder für den Vorwurf der Steuerhinterziehung habe der Beschluss gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen. Ihr Mandant sei sich zwar "der moralischen Dimension dieses Falls durchaus bewusst", das Strafverfahren jedoch kein "Ort für moralische Kategorien." Wegen der enormen Öffentlichkeit des Falles bestünde zudem eine begründete Sorge um Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Ein Artikel im Kunstmarkt-Teil des Handelsblatts (Lucas Elmenhorst/Susanne Schreiber)erwähnt eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg, nach der sich ein Journalist Einblick in die Liste der in München-Schwabing sichergestellten Bilder Gurlitts erstritten habe. Es sei davon auszugehen, dass diese noch nicht rechtskräftige Entscheidung vom bayerischen Verwaltungsgerichtshof aufgehoben werde.
Die SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) zeichnet in ihrem Feuilleton die Ermittlungsgeschichte im Fall Gurlitt nach, "soweit sie sich recherchieren lässt." Im Zuge der Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung sei so etwa auch eine längerfristige Observation angeordnet worden.
In einem Kommentar bezeichnet Heribert Prantl (SZ) die Beschlagnahme der Bildersammlung Gurlitts als "strafrechtlichen Fehler" und "rechtsstaatlichen Skandal" wegen ihrer Unverhältnismäßigkeit. Gleichzeitig habe diese "falsche Anwendung des Rechts" dazu geführt, die Bilder "als stumme Zeugen der NS-Verbrechen" zum Sprechen zu bringen. Das Zivilrecht mit seinen Bestimmungen über den Eigentumserwerb und die Verjährung allerdings sei ungeeignet für die "juristische Reparatur von Akten politischer Perversion", dieser Mangel könne auch nicht durch das Strafrecht und dessen Konstruktion eines "übergesetzlichen Herausgabeanspruchs" behoben werden.
Rechtspolitik
Doppel-Pass: Die Regierungskoalition hat sich auf einen Gesetzentwurf verständigt, der die Voraussetzungen für eine doppelte Staatsbürgerschaft regelt, schreibt die SZ (Robert Roßmann). Von der Optionspflicht und damit der Entscheidung zwischen mehreren Pässen wäre demnach befreit, wer sich bis zu seinem 21. Geburtstag acht Jahre in Deutschland aufgehalten oder hier sechs Jahre die Schule besucht hat.
Selbstanzeige: Die Finanzminister der Länder haben sich nach Berichten von SZ (Claus Hulverscheidt) und FAZ (Joachim Jahn) auf eine Verschärfung der Regeln für eine strafbefreiende Selbstanzeige verständigt, eine endgültige Regelung jedoch auf ein Jahrestreffen Anfang Mai verschoben. Nach dem jetzt vorliegenden Eckpunkte-Beschluss solle der zu berichtigende Zeitraum auf zehn Jahre verdoppelt, die Verjährung auf 15 Jahre verlängert und der zu leistende "Strafzuschlag" auf zehn Prozent der hinterzogenen Summe erhöht werden.
Donata Riedel (Handelsblatt) begrüßt den Ansatz, "den Preis für die Straffreiheit zu erhöhen." Eine Abschaffung der Selbstanzeige sei demgegenüber aus verfassungsrechtlichen Gründen problematisch, weil sie eine "Brücke" zwischen Straf- und Steuerrecht schaffe und Betroffene, anders als "gewöhnliche Kriminelle", bei der Aufklärung ihrer Tat mithelfen müssten.
Europa: In einem Gastbeitrag für die FAZ plädiert Erwin Teufel (CDU), früherer Ministerpräsident Baden-Württembergs, dafür, den Schwierigkeiten europäischer Integration durch eine "Herrschaft des Rechts und die Einhaltung von Verträgen" sowie eine konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zu begegnen.
Justiz
EuGH zu Netz-Sperren: Internetanbieter können nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dazu verpflichtet sein, den Zugang zu Seiten mit rechtswidrigen Inhalten zu erschweren. Die Urheberrechts-Richtlinie aus dem Jahr 2001 verpflichte die Anbieter nach Ansicht des Gerichts zu einem "hohen Schutzniveau", schreibt die taz (Christian Rath), so dass es eines einzelnen Nachweises der Nutzung etwa illegal angebotener Filme für die Kunden von Internetprovidern nicht bedürfe. Diese Unternehmen dürften auch nur zu "zumutbaren" Sperrmaßnahmen verpflichtet werden. Im Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) ist das Urteil "sehr viel differenzierter, als es die Warnungen der Internetcommunity vermuten lassen." Das Gericht habe sich um eine Kompromisslösung bemüht und diese durch die Berücksichtigung der Belange der Unternehmen und auch jener von Nutzern, die auf legale Inhalte zugreifen wollten, auch gefunden.
Für lto.de stellt Thomas Stadler die Entscheidung sowie ihre tatsächlichen und technischen Hintergründe vor und formuliert Kritik. So sei zum einen die Kausalität, nach der Provider einen Beitrag zur konkreten Rechtsverletzung leisten müssten, problematisch, zum anderen ein zu befürchtender Chilling Effect, nach dem Anbieter im Wege eines vorauseilenden Gehorsams Websites nur aufgrund eines Verdachts rechtswidriger Inhalte sperren könnten.
Nach Wolfgang Janisch (SZ) "schlägt sich das Urteil nicht einseitig auf die Seite der Film- und Musikindustrie", sondern schütze auch die Grundrechte der Netzgemeinde. Gleichzeitig bestünden Versuchungen, Internetprovider "als Kontrolleure und Torwächter" einzusetzen, weil sich "da draußen im Netz" immer Gründe für Sperren finden ließen.
BVerfG zum ZDF-Staatsvertrag: Aus Anlass des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts interviewt Henrike Maier (verfassungsblog.de) den emeretierten Rechtsprofessor und früheren Verfassungsrichter Dieter Grimm zu den Gründen politischer Einflussnahme auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den Möglichkeiten des Rechts, diese zu verhindern oder wenigstens einzugrenzen, den Auswirkungen des jetzigen Urteils auf die künftige Gremienzusammensetzung in Rundfunkanstalten und seiner Meinung zum Rundfunkbeitrag.
BVerfG – NPD-Verbot: In dem beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verbotsverfahren gegen die NPD hat die Partei nun die sofortige Einstellung des Verfahrens beantragt. Wie die taz (Konrad Litschko) schreibt, sei nach Ansicht der NPD "nicht glaubhaft dargelegt", dass die zur Begründung des Verbotsantrages eingereichten Materialien nicht von V-Leuten des Verfassungsschutzes stammten.
BGH zu Terror-Vorbereitungen: In einem aktuellen Verfahren vor dem Bundesgerichtshof zu einer Verurteilung nach Paragraf 89a Strafgesetzbuch, der die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat bestraft, hat die Verteidigung die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht angeregt, weil die Norm Gesinnungsstrafrecht gleichkomme. Christian Rath (taz) hält diesen Vorwurf für "abwegig." Im konkreten Fall seien die Vorbereitungen zum Bau einer Bombe recht weit fortgeschritten gewesen. Wegen der Skrupellosigkeit terroristischer Täter müsse der Staat auch im Vorfeld ermitteln können.
BGH zu konkludenter Abnahme: In einem Gastbeitrag für den Immobilien-Teil der FAZ berichtet Rechtsanwalt Friedrich-Karl Scholtissek über eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem vergangenen Monat, nach der auch vor vollständiger Vollendung eines Architektenwerkes von einer konkludenten Abnahme ausgegangen werden könne. Voraussetzung sei, dass der Auftraggeber davon ausgeht, dass die wesentlichen Architektenleistungen abgeschlossen seien und auch der Bauherr sich so verhält, dass der Planer davon ausgehe dürfe, dass seine Leistungen als vertragsgerecht anerkannt werde.
VerfGH Bayern zu Verwandtenaffäre: In mündlicher Verhandlung befasste sich der Bayerische Verfassungsgerichtshof mit der Frage, ob die Regierung des Freistaats zur Offenlegung der Beträge, die Minister und Staatssekretäre im Zuge der sogenannten Verwandtenaffäre zurückerstatteten, verpflichtet ist. Die von Horst Seehofer (CSU) angeführte Regierung berufe sich darauf, dass die Betroffenen, die Familienmitglieder anstellten und aus öffentlichen Kassen bezahlten, in ihrer Funktion als Landtagsabgeordnete gehandelt hätten und daher nicht der Verantwortlichkeit der Landesregierung unterfielen, schreibt die SZ (Frank Müller) in ihrem Bayern-Teil. Ein Urteil werde im Mai erwartet.
OLG München – NSU-Prozess: Über die Fortsetzung der Vernehmung einer früheren Freundin des mitangeklagten Ralf Wohlleben im Verfahren gegen Beate Zschäpe und andere vor dem Oberlandesgericht München schreibt die SZ (Tanjev Schultz). Die Zeugin habe sich wiederum mehrfach auf Erinnerungslücken berufen, andererseits aber behauptet, ihren damaligen Freund nicht über ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz informiert zu haben. Zeit.de (Tom Sundermann) berichtet über die Aussage eines Verfassungsschützers, der die Zusammenarbeit mit dem früheren NPD-Funktionär Tino Brandt in höchsten Tönen lobte. Auch dieser Quelle sei es jedoch nicht gelungen, Einzelheiten über das untergetauchte NSU-Trio in Erfahrung zu bringen.
AG Meschede zu Stalking: Wegen Nachstellung hat das Amtsgericht Meschede eine Rentnerin zu 14 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Über den bizarren Fall – das Opfer ist ein Pfarrer, die vielfältigen Belästigungen halten zum Teil schon seit mehr als zehn Jahren an – berichtet die FAZ (Reiner Burger).
StA Frankfurt – Auschwitz-Wachmänner: In ihrem Frankfurt-Teil berichtet die FAZ (Denise Peikert) über Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen in Frankfurt lebende, ehemalige Wachmänner des KZ Auschwitz. Die Ermittlungen wurden von der Zentralen Stelle für die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg nach der Demjanuk-Entscheidung des Landgerichts München aufgenommen und sind nun an die lokalen Ermittlungsbehörden übergeben worden. Der "kniffeligen" Rechtsansicht einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit durch "bloße" Anwesenheit in Vernichtungslagern stehe ein Beschluss des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1969 entgegen.
Investitionsschutz: Zeit.de (Alexandra Endres/Lukas Koschnitzke) berichtet über Investitionsschutz durch Schiedsgerichtsverfahren und stellt aktuelle Fälle, unter anderem eine vier Milliarden Euro schwere Schadensersatzklage des Energiekonzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik wegen staatlich verfügter Abschaltungen von Atomkraftwerken, vor.
Recht in der Welt
ICTY-Ankläger: Die FAZ (Reinhard Müller) befragt den Belgier Serge Brammertz, Chefankläger des Jugoslawien-Tribunals, zu Herausforderungen der internationalen Strafgerichtsbarkeit, der vermeintlichen Konzentration des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) auf afrikanische Täter, dem politischen Einfluss auf Tribunal und IStGH sowie der versöhnenden Kraft der Justiz in Konfliktregionen.
EuGH/Italien – Gerichtssprache Deutsch: Eine Ausnahmeregelung, nach der in der Südtiroler Provinz Bozen lebende Italiener, nicht jedoch EU-Ausländer, sich auch in Deutsch an Gerichte wenden können, verletzt nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs die Freizügigkeit letzterer und diskriminiere diese allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit. Dies meldet lto.de. Reinhard Müller (FAZ) begrüßt das Urteil und mutmaßt, dass nun künftigen deutschsprachigen Klägern und Beklagten bewusst werde, dass in Südtirol nicht aus Gründen des Fremdenverkehrs Deutsch gesprochen werde, "sondern immer schon."
Frankreich – Werksschließungen: Der französische Verfassungsrat hat weite Teile eines Gesetzes gegen Werksschließungen für verfassungswidrig erklärt, schreibt die FAZ (Christian Schubert). Die beanstandete Regelung habe vorgesehen, dass vor der Schließung eines Standortes nach Käufern gesucht werden müsse und widrigenfalls Bußgelder gegen Eigentümer verhängt werden könnten. Beides stelle nach Auffassung des Verfassungsrates einen Eingriff in Unternehmer- und Eigentumsrechte dar.
Russland/Ukraine – Selbstverteidigung: In einem englischsprachigen Beitrag zur russisch-ukrainischen Krise befasst sich der wissenschaftliche Assistent Ralph Janik (juwiss.de) mit der Frage eines "Right to use Force in Self-Defence" der Ukraine.
USA – MH370: SZ (Petra Steinberger) und FAZ (Christiane Heil) berichten über die US-amerikanische Anwältin Monica Kelly, die im Auftrag von Angehörigen der Passagiere des im Indischen Ozean verschwundenen Fluges MH370 eine milliardenschwere Entscheidungsklage gegen den Hersteller Boeing und die Fluggesellschaft Malaysia Airlines vorbereitet. Die Anwältin vermute einen Konstruktionsfehler der Maschine als Absturzursache und habe die hohe Entschädigungssummer unter anderem damit begründet, dass ein Großteil der chinesischen Passagiere einzige Kinder ihrer Eltern gewesen seien.
Todesstrafe: Die SZ (Thomas Kirchner) berichtet über den nun vorgelegten Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) zu weltweit vollstreckten Todesstrafen. Ohne Zahlen aus China, dass in diesem Bereich weltweit führe, sei gegenüber dem Vorjahr ein leichter Anstieg zu vermelden, in einem längeren Vergleichszeitraum deute der Trend jedoch "klar nach unten." In einem separaten Kommentar meint Thomas Kirchner (SZ), dass die Tätigkeit von AI, "die Absurdität dieser Strafe zu dokumentieren" sinnvoller sei als Appelle gegen die Unmenschlichkeit dieser Strafe, die nicht nur "im fernen Orient oder in dunklen Diktaturen" sondern auch in der westlichen Welt, speziell in den USA, Rechtsrealität sei.
Sonstiges
Kriminalbiologe: In der Reihe "Reden wir über Geld" befragt die SZ (Malte Conradi/Alexander Hagelüken) den Kriminalbiologen Mark Benecke, der über seine Erfahrungen an Tatorten erzählt und meint, dass wohlhabende und gut vernetzte Täter bessere Chancen hätten, "mit einem Mord davonzukommen." Auch sei der bei reichen Tötungsopfern betriebene Ermittlungsaufwand höher als bei "einem Alki, der tot im Park liegt."
Das Letzte zum Schluss
AG München zu Hunde-Lärm: Weil ein Hundebesitzer seinen vierbeinigen Liebling während einer Festveranstaltung am letztjährigen Volkstrauertag nicht zum Schweigen brachte, verhängte das Kreisverwaltungsamt gegen ihn wegen "unzulässigen Lärms" ein Bußgeld. Die nach einen Einspruch hiergegen anberaumte Verhandlung vor dem Amtsgericht München wird nach dem Bericht der SZ (Christian Rost) mit einer Inaugenscheinnahme des tierischen Übeltäters fortgesetzt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. März 2014: Neuigkeiten zu Gurlitt – EuGH zu Netz-Sperren – Deutsch in Italien . In: Legal Tribune Online, 28.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11477/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag