Wieviel Vertrauensschutz haben angestellte Anwälte nach dem Urteil des BSG? Jobwechsel führen wohl zu Nachteilen. Außerdem in der Presseschau: Ethikexperten stellen Gesetzentwurf zu Suizid-Beihilfe vor, Ex-Porsche-Chef Wiedeking muss doch vor Gericht, transsexuelle Frau scheitert mit Diskriminierungsklage - und warum sich das Jurastudium für einen Mörder auszahlte.
Thema des Tages
Angestellte Anwälte und Rentenbeiträge: Im April entschied das Bundessozialgericht, dass Syndikusanwälte nicht mehr von der Beitragspflicht für die Rentenversicherung befreit werden. Der FAZ (Joachim Jahn) liegt jetzt die Urteilsbegründung vor. Dem Wortlaut nach könnte die Beitragspflicht auch für Anwälte gelten, die bei Anwaltskanzleien angestellt sind. Allerdings befassten sich alle drei im April entschiedenen Urteile mit Anwälten, die für Gewerbeunternehmen arbeiteten. Aus dem Terminbericht des Gerichts schließt die FAZ, dass für Anwälte, die bereits eine Befreiung haben, Vertrauensschutz gilt. Dieser entfalle jedoch vermutlich bei einem Arbeitgeberwechsel und eventuell sogar bei einer neuen Tätigkeit im gleichen Unternehmen. Der CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak setzt sich laut FAZ für eine Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung ein. Angestellte Anwälte sollen auch künftig von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden.
Rechtspolitik
Suizidhilfe: Vier Experten aus Ethik und Palliativmedizin haben einen Gesetzentwurf zur strafrechtlichen Regelung der Suizidhilfe vorgestellt. Danach soll die Beihilfe zur Selbsttötung künftig strafbar sein, nur Ärzte könnten bei unheilbaren Krankheiten rechtmäßig Hilfe zum Suizid gewähren. Entsprechende Verbote im ärztlichen Standesrecht sollen fallen. Es berichten u.a. die FAZ (Helene Bubrowski), Die Welt (Matthias Kammann) und spiegel.de (Heike le Ker). Die taz (Heike Haarhoff) führte ein Interview mit dem Ethiker Ralf Jox, einem der Autoren des Entwurfs.
Nina von Hardenberg (SZ) kritisiert im Leitartikel den Ansatz des Gesetzentwurfes: Wenn ein Patient trotz Palliativmedizin und Hospizdiensten die Situation nicht erträgt, "soll der Arzt ihm helfen können – ohne viele Regeln und ganz sicher ohne Strafrecht." Oliver Tolmein (FAZ) ist der Gesetzentwurf dagegen zu liberal. Die Selbsttötung würde durch die vorgeschlagene Regelung "zu einer auf Vertragsbasis ausgeführten medizinischen Dienstleistung trivialisiert." Christian Rath (taz) spricht von einer "ausgewogenen" und "dialektischen" Lösung. Die Verschärfung des Strafrechts sei akzeptabel, weil sie zu einer erforderlichen gesellschaftlichen Liberalisierung führe.
Anlegerschutz: Rechtsprofessor Matthias Casper tritt in der FAZ dem Eindruck entgegen, das von der Bundesregierung vorgeschlagene Kleinanlegerschutzgesetz erdrossele das Crowdfunding. Er verweist auf Befreiungen von der Prospektpflicht zugunsten einer Kurzinformation. Dass Investmenta über 250 Euro künftig nicht mehr per Klick im Internet möglich sind, sondern das Informationsblatt unterschrieben und per Post an die Funding-Plattform gesandt werden muss, begrüßt er.
Prostitution: Die Juniorprofessorin Ulrike Lembke kritisiert auf juwiss.de die von Familienministerin Manuela Schwesig vorgelegten Eckpunkte für ein Prostituiertenschutzgesetz. Diese unterschieden nicht zwischen Großbordellen und selbständigen Prostituierten. Rechtsfreie Räume und Rechtszersplitterung in Ländern und Kommunen blieben bestehen.
Datenschutz: internet-law.de (Thomas Stadler) thematisiert das geplante "Gesetz zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzrechts". Das Gesetz eröffnet eine Klagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden gegen Datenschutzverstöße von Unternehmen. internet-law.de diskutiert, ob (besser ausgestattete) staatliche Datenschutzbehörden eher für diese Aufgabe geeignet wären, oder auch ein Klagerecht individueller Bürger.
Justiz
OLG Stuttgart zu Wiedeking/Härter: Die beiden einst führenden Porsche-Manager Wendelin Wiedeking und Holger Härter müssen sich doch wegen mutmaßlicher Marktmanipulation im Zuge der versuchten Übernahme von VW strafrechtlich verantworten. Das Oberlandesgericht Stuttgart ließ nun die zuvor vom Landgericht Stuttgart abgelehnte Anklage zu. Die vom OLG angeführten Indizien erläutert die FAZ (Joachim Jahn/Susanne Preuß).
In einem separaten Kommentar bezeichnet Joachim Jahn (FAZ) das Urteil als "Bombe". Die Begründung der Entscheidung lese sich "fast wie ein vollendetes Strafurteil."
LG München - BayernLB: Wie eigentlich schon für Montag erwartet, stellte das Landgericht München nun am Dienstag das Untreue-Verfahren gegen vier ehemalige Manager der BayernLB gegen Zahlung von Geldauflagen von 5.000 bis 20.000 Euro ein. Es berichtet u.a. sueddeutsche.de (Stefan Radomsky).
Heribert Prantl (SZ) vergleicht den Verfahrensausgang mit der Einstellung im Fall Ecclestone: "Warum das einmal so wahnsinnig viel Geld ist und dann wieder so wahnsinnig wenig – so richtig zu erklären ist es nicht." Die Justiz veranstalte Glücksspiele, am Ende entscheide der Zufall.
KG Berlin zu Suhrkamp: Das Kammergericht Berlin hat ein Urteil des Landgerichts Berlins vom Dezember 2012 aufgehoben. Danach war die Geschäftsführung des Suhrkamp-Verlags wegen Pflichtverletzungen beim Kauf einer Villa von ihren Posten abberufen worden. Das KG erachtete nun die Übergehung des Minderheitseigners Barlach als nicht schwerwiegend genug. Es berichten die SZ (Andreas Zielcke) und Die Welt (Richard Kämmerlings).
BFH zu Verwandtenkrediten: Die günstige Abgeltungssteuer von 25 Prozent auf Kapitalerträge gilt auch, wenn Kredite unter Verwandten verzinst werden. Das entschied laut FAZ (Joachim Jahn) der Bundesfinanzhof in der vorigen Woche.
OLG Hamm zu Beifahrern: Ein Beifahrer muss nicht Verkehrszeichen beobachten und sich merken. Es kann von ihm daher nicht verlangt werden, dass er sich nach einem Fahrerwechsel an Überholverbote hält, die zuvor angezeigt wurden (es sei denn ein Überholverbot drängte sich auf). Auch der bisherige Fahrer muss bei der Ablösung nicht über die zuletzt erkannten Verkehrsschilder informieren, entschied laut spiegel.de das Oberlandesgericht Hamm.
LAG Frankfurt zu Arbeitszeitbetrug: Wer sich bei der Arbeitszeiterfassung zusätzliche Pausen erschwindelt, muss trotz langer Betriebszugehörigkeit mit fristloser Kündigung rechnen. Diese Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Frankfurt vermeldet die SZ.
LAG Mainz zu Diskriminierung von Transsexuellen: Das Landesarbeitsgericht Mainz hat einer transsexuellen Leiharbeiterin eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz verweigert. Eine Entleihfirma hatte sie nicht entliehen, nachdem zuvor der zuständige Mitarbeiter Bemerkungen über ihr unweibliches Auftreten gemacht hatte. Da aber weder er noch die Leiharbeitsfirma etwas von der Transsexualität der Klägerin wussten, sei diese nicht wegen ihrer Transsexualität abgelehnt worden, so das Gericht laut spiegel.de.
LG Essen - AKW Biblis: Die SZ (Markus Balser und andere) beleuchtet die Aussichten der Schadensersatzklage von RWE gegen das Land Hessen wegen der rechtswidrigen Stillegung des AKW Biblis im Jahr 2011. Fraglich sei, ob RWE eine so hohe Summe - 200 Millionen Euro - als Schadensersatz verlangen kann, weil das AKW ohnehin stillstand. Umstritten ist auch, wer den Schadensersatz am Ende bezahlen muss: der Bund, weil er das Moratorium anordnete, oder das Land, weil es die Stillegung verfügte.
LG Koblenz zu Nürburgring: Das Landgericht Koblenz hat jetzt die Begründung des Urteils vorgelegt, mit dem im April der Mainzer Ex-Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) wegen Untreue zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Deubels Maßnahmen bei der Suche eines Investors für den Nürburgring seien "eindeutig nicht mehr vertretbar" und nicht berufstypisch gewesen, referiert die FAZ (Timo Frasch).
AG Augsburg - Anwalt Urmann: Der Abmahnanwalt Thomas Urmann muss sich vor dem Amtsgericht Augsburg wegen Insolvenzvergehen im Zusammenhang mit einer von ihm früher betriebenen Wurstfabrik verantworten. Nach einem Geständnis-Deal erwartet ihn eine Bewährungsstrafe zwischen 20 und 24 Monaten, meldet lawblog.de (Udo Vetter).
Recht in der Welt
USA - ICReach: Die FAZ (stsch) beschreibt, wie US-Behörden in Daten des Geheimdienstes NSA mit Hilfe der internen Suchmaschine ICReach nach Daten suchen können. Wenn sie fündig werden, müssen sie die Herkunft der Informationen allerdings verschleiern, weil diese nicht gerichtlich verwertbar wären. "Jede Erkenntnis, die ihnen die Datenbank der Geheimdienste bringt, muss dem Gericht glaubhaft als eigener Ermittlungserfolg vorgebracht werden."
Sonstiges
Überwachung und Recht: telemedicus.de (Simon Assion) stellt die These auf, dass die Überwachung durch Geheimdienste vor allem Meinungsführer und Minderheiten belaste. Deshalb seien juristische Mittel besser geeignet als politischer Widerstand und technische Notwehr. Schließlich hätten Gerichte die Aufgabe, Minderheiten zu schützen. Aufgezählt werden mehrere laufende Verfahren gegen Massenüberwachung und Spionage. Der Text bereitet die telemedicus-Sommerkonferenz am Wochenende vor.
Mietrecht und Rauchverbote: Die Anwältin Patricia Stelzer prüft auf lto.de, ob Vermieter mit ihren Mietern vertraglich ein Rauchverbot in der Wohnung vereinbaren können. Unter Bezugnahme auf ein obiter dictum des Bundesgerichtshofes im Jahr 2008 kommt sie zum Schluss, dass derartige Beschränkungen nur individuell, nicht aber durch Allgemeine Geschäftsbedingungen vereinbart werden könnten. Sie dürften zudem Besucher nicht binden.
Das Letzte zum Schluss
Befreiung durch Studium: Ein verurteilter Mörder, der im US-Bundesstaat New York einsass, studierte im Gefängnis Jura und konnte dann mit dem erworbenen Wissen die eigene Verurteilung als Justizirrtum entlarven. Er wurde nach 16 Jahren freigelassen und erhielt 10 Millionen Dollar Entschädigung für die Freiheitsentziehung, berichtet justillon.de (Stefan Maier).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. August 2014: Anwälte und Rentenbefreiung – Expertenentwurf zur Suizidhilfe – Wiedeking wird angeklagt . In: Legal Tribune Online, 27.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13003/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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