Die Bundesdatenschutzbeauftragte hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen den neuen Gesetzesentwurf zur "Anti-Terror-Datei". Außerdem in der Presseschau: Die Rechtsgrundlage der Abschiebehaft ist zu unbestimmt, Zschäpes Erklärung ist verwunderlich, Mollaths Anwälte werden zwangsverpflichtet und einsame Esel haben Anspruch auf Gesellschaft.
Thema des Tages
Kritik am Gesetzesentwurf zur "Anti-Terror-Datei": Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff bemängelt am neuen Entwurf zur Regelung der "Anti-Terror-Datei", die Vorgaben des Verfassungsgerichts vom letzten Jahr seien nicht beachtet worden; sie äußert "erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken". Insbesondere kritisiert sie die unbestimmte Regelung über aufzunehmende Personen, mangelhafte Verankerung datenschutzrechtlicher Kontrolle und durch die Möglichkeit der Datenverknüpfung gehe der gesamte Charakter nunmehr über eine Hinweisdatei hinaus. spiegel.de (Veit Medick) und netzpolitik.org (Anna Biselli) berichten.
Rechtspolitik
Brüssel billigt EEG: Wie das Handelsblatt (Thomas Ludwig) meldet, billigte EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia nach dem vorangegangenen Streit mit der Bundesrepublik das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz als vereinbar mit europäischem Wettbewerbsrecht.
Medizinisches Cannabis: Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Neskovic äußert sich in der FAZ zu möglichen rechtspolitischen Lehren aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zum Heimanbau von medizinischem Cannabis. Er lobt die Entscheidung als vernunftorientiert und sieht die Chance für eine daran anschließende Drogenpolitik, die sich von der gescheiterten strafrechtlichen Prohibition einer Gesundheitspolitik zuwenden könne. Die Zeit (Khuê Pham) setzt das Urteil in den Kontext anderer aktueller Entscheidungen zugunsten der medizinischen Nutzung und verweist auf Drogen wie Opium, die als Medikamente anerkannt seien.
Justiz
BVerwG zu BND-E-Mail-Überwachung: internet-law (Thomas Stadler) stellt die nun veröffentlichte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Mai vor, welche die Klage eines Rechtsanwalts gegen die E-Mail-Überwachung des Bundesnachrichtendienstes mangels hinreichenden Nachweises individueller Betroffenheit als unzulässig abwies. Grundsätzlich sehe das Gericht bereits in der E-Mail-Erfassung einen Eingriff in Art. 10 des Grundgesetzes, was aufschlussreich, aber unbefriedigend sei, da der Betroffenheitsnachweis letztlich niemandem gelingen könne und so der Rechtsschutz leerlaufe. Eine Verfassungsbeschwerde sei angekündigt.
BGH zu rechtswidriger Abschiebehaft: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Regelung des Aufenthaltsgesetzes zur Inhaftierung von Flüchtlingen gegen die zu Jahresbeginn erlassene Dublin-III-Verordnung verstößt, weil sie nicht hinreichend konkret angebe, wann Haft angezeigt sei. Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch) und spiegel.de. An einer Gesetzesänderung werde gearbeitet, informiert die taz (Konrad Litschko). Was mit den zu Unrecht Inhaftierten geschehe, habe das Innenministerium aber bisher nicht beantwortet.
BGH zur Wahlfeststellung: Die FAZ (Helene Bubrowski) befasst sich mit dem Beschluss des 2. Senats des Bundesgerichtshofs zur ungleichen Wahlfeststellung vom Januar dieses Jahres, der die bisher ständige Rechtsprechung angreift, weil sie mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht vereinbar sei.
BFH zu Umsatzsteuer für Sportvereine: Mit nun veröffentlichtem Urteil hat der Bundesfinanzhof im März entschieden, dass auch gemeinnützige Vereine aufgrund von Unionsrecht in vollem Umfang umsatzsteuerpflichtig sind. Bisher war nach deutschem Recht für die Überlassung von Sportanlagen ermäßigter Steuersatz zu zahlen. Der Ausweg: nach Unionsrecht ist die Überlassung von Sportanlagen durch Einrichtungen ohne Gewinnstreben steuerfrei. Das ändert jedoch nichts an der vollen Steuerpflicht etwa für Sponsorenleistungen, berichtet lto.de.
BSG zu Sozialhilfe für behinderte Menschen: Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass behinderte Menschen auch dann Anspruch auf den vollen Sozialhilfesatz (Regelbedarfsstufe 1) haben, wenn sie bei Eltern oder Bekannten leben. Dass die aktuelle Rechtsanwendung die Sozialleistungen von individuellen Fähigkeiten zur Haushaltsführung abhängig mache, sei nicht mit dem Grundgesetz und der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar, meldet die taz.
OLG Köln zu Schwarzer über Kachelmann: Das Urteil des Oberlandesgerichts Köln zur ehrenrührigen falschen Tatsachenbehauptung Alice Schwarzers über Jörg Kachelmann vom Mai liegt nun im Volltext vor, meldet Thomas Stadler (internet-law.de).
OLG München – NSU-Prozess: Im nun weitergeführten NSU-Prozess gab es Probleme mit zwei Zeugen aus der rechten Szene. Einer konnte sich an nichts erinnern, und der andere war gar nicht erst zum Gericht gekommen, sondern auf der Fahrt dorthin in ein Wirtshaus eingekehrt, berichtet die taz (Andreas Speit).
OLG München – Zschäpes Erklärung: Die SZ (Tanjev Schultz/Annette Ramelsberger) und die Welt (Per Hinrichs) stellen die schriftliche Begründung Beate Zschäpes zu ihrem gewünschten Verteidigerwechsel vor. Der Wunsch werde nicht ausdrücklich erwähnt und der Text wirke wie "resignatives Zurückrudern".
LG Regensburg – Mollath: Im Prozess gegen Gustl Mollath konnte der Sachverständige "objektiv nicht sagen, ob die Reifen zerstochen wurden". Mit dem als Tatwerkzeug angegebenen breiten Schraubenzieher hätten die behaupteten kleinen Löcher nicht erzeugt werden können. Die Reifen lagen zur Untersuchung nicht vor. spiegel.de (Beate Lakotta) berichtet.
LG Regensburg – Mollaths Wahlverteidiger jetzt Pflichtverteidiger: Gustl Mollaths Verteidiger haben ihr Mandat aufgrund des Verhaltens des Angeklagten gegenüber dem Gericht niedergelegt. Anschließend ordnete sie das Gericht als Pflichtverteidiger bei, da der Mandant ihnen weiterhin vertraue, und die Anwälte setzten ihre Arbeit fort, erläutert die SZ (Ingrid Fuchs).
Rechtsprechung zu Aufklärung über Bankenprovision: Anlässlich des in der letzten Woche veröffentlichten Urteils des Bundesgerichtshofs stellt die SZ (Markus Zydra) dieses in den Kontext der Rechtsprechungsgeschichte zur Frage der Aufklärungspflicht von Banken über ihre Provisionen.
EuGH zu Sprachtest bei Familiennachzug: Rechtsprofessor Kay Hailbronner setzt sich in der FAZ mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu Sprachtests bei Familiennachzug auseinander. Er analysiert die dünnen Entscheidungsgründe und geht der Frage nach, wie das deutsche Recht den daraus erwachsenen Anforderungen gerecht werden könne.
StA Berlin – Volksverhetzung: Gegen den Imam Sheikh Abu Bilal Ismail werde wegen eines Videos ermittelt, welches ihn bei antisemitischen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt zeige, berichtet spiegel.de (Paul Middelhoff). Die Berliner Polizei werde nun auch bei Demonstrationen "unter Wahrung des Rechts auf Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit gegen antisemitische Äußerungen konsequent vorgehen", sagte Innensenator Henkel.
Heribert Prantl (SZ) kommentiert zum aufwallenden Antisemitismus, er zeige ein Integrationsdefizit, sei alles andere als neu und müsse mit gesellschaftlichen Mitteln bekämpft werden. Strafrecht sei ultima ratio. In seiner Videokolumne äußert er sich auch über die Grenze zwischen Kritik und strafbarer Volksverhetzung.
Verfassungsrichter Helmut Steinberger: Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Helmut Steinberger ist am 6. Juli verstorben, teilte das Gericht nun mit. Die SZ würdigt den "weltläufigen Geist", der dieser Richter und Rechtsprofessor war.
Recht in der Welt
Schweiz – Völkerrechtsvorrang: Der Rechtswissenschaftler Patrick Freudiger (juwiss.de) setzt sich mit dem Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht am Beispiel der Schweiz und der Europäischen Menschenrechtskonvention auseinander. Er verweist auf die Erweiterungen durch internationale Rechtsprechung und meint, es müsse dem nationalen Gesetzgeber möglich sein, sich dem durch bewusste Entscheidung entgegenzustellen. Ein Verweis auf den Vorrang des Völkerrechts allein werde den bestehenden Fragen nicht gerecht.
Sonstiges
Haftungsrisiko bei Kartellrechtsverstößen: Rechtsanwalt Dr. Andreas Grünwald setzt sich auf dem Handelsblatt-Rechtsboard mit der Haftung von Mutterkonzernen für Kartellrechtsverstöße ihrer Töchter im Unionsrecht auseinander. Anstoß bietet die Entscheidung der EU-Kommission zur Verhängung von Bußgeldern gegen das sogenannte "Power-Cable"-Kartell und die gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter beteiligter Unternehmen, welche auf Einflussmöglichkeit abstellt, die bei 100-Prozent-Beteiligung vermutet wird.
DFB-Logo – Marke oder Bundesadler? Die Supermarktkette Real geht gegen den Deutschen Fußballbund vor, dessen Logo keine Wort-Bild-Marke sei, sondern der nicht als Marke zulässige Bundesadler. Der Fußballbund hatte gegen die Supermarktkette eine einstweilige Verfügung erwirkt wegen des Verkaufs von Artikeln mit einem dem DFB-Logo sehr ähnlichen Aufdruck. Im Hauptverfahren droht Verurteilung zu Schadensersatz, berichten die SZ (Angelika Slavik) und spiegel.de.
Burkaverbot und Zwang zur Geselligkeit: Der Autor und Jurist Maximilian Steinbeis kommentiert im Feuilleton der SZ zum "vivre ensemble" als Begründung für das Burkaverbot. Er sieht das eigene Gesicht der Gemeinschaft übereignet und dem Individuum genommen und zieht eine Parallele zur Begründung der Sondervoten im Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Demonstrationsblockade ist strafbar: Rechtsprofessor Jürgen Schwabe schreibt in der FAZ von der Strafbarkeit der Blockade von Versammlungen nach § 21 Versammlungsgesetz. Er kritisiert, wie dieses Verbot von der Exekutive ignoriert wird und mit welch fragwürdigen Begründungen dies geschieht.
Preis für Dienstpflichterfüllung: Der Richter am Landgericht Florian Lickleder weist in der FAZ darauf hin, dass die für ihre "akademische Zivilcourage" geehrten Professoren bei der Prüfung der Plagiatsvorwürfe gegen Annette Schavan lediglich ihre Dienstpflicht erfüllt hätten. Ihnen dafür die Universitätsmedaille zu verleihen, wirke durchaus eigentümlich.
Das Letzte zum Schluss
Einsamer Esel: Ein einsamer Esel habe Anspruch auf soziale Kontakte, entschied das Verwaltungsgericht Trier und ordnete seine "Vergesellschaftung" an. Es berichtet Udo Vetter (lawblog.de).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. Juli 2014: Voßhoff kritisiert "Anti-Terror-Datei" – BGH kritisiert Abschiebehaft – VG Trier kritisiert Esels Einsamkeit . In: Legal Tribune Online, 24.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12658/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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