Das BVerfG hat am gestrigen Dienstag das Informationsrecht des Parlaments bei Rüstungsexporten gestärkt und zugleich eingeschränkt. Außerdem in der Presseschau: Unternehmensjuristen sollen frei von der Rentenversicherungspflicht bleiben, BAG erlaubt längeren Urlaub für Ältere, Bandidos streiten um Kutten vor Gericht, Oscar Pistorius erhält seine Strafe und wie ein reumütiger Räuber sich selbst überführte.
Thema des Tages
BVerfG zum Informationsrecht bei Rüstungsexporten: Das Bundesverfassungsgericht hat am gestrigen Dienstag über den Umfang und die Grenzen des parlamentarischen Informationsrechts zu Rüstungsexportgenehmigungen der Bundesregierung entschieden. Das Parlament darf Auskunft über ein konkretes, bereits genehmigtes Kriegswaffenexportgeschäft verlangen. Darüber hinausgehende Informationspflichten – etwa zu den Gründen der Entscheidung oder zu Voranfragen der Rüstungsindustrie – bestehen nicht, da sie den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betreffen. Unter anderem die SZ (Wolfgang Janisch), Badische Zeitung (Christian Rath), die Welt (Thorsten Jungholt) und spiegel.de (Dietmar Hipp) berichten ausführlich und erläutern die Hintergründe.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter Sebastian Roßner bespricht die Entscheidung auf lto.de. Mit der Bestimmung des Entscheidungsprozess als Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung liege das BVerfG "auf bekannten oder zumindest vorhersehbaren Pfaden". Überraschend und weniger parlamentsfreundlich sei dagegen die Festlegung einer Ausnahmemöglichkeit für den Fall der Staatswohlgefährdung, worüber die Regierung im Einzelfall selbst entscheiden dürfe.
Reinhard Müller (FAZ) begrüßt das Urteil des BVerfG, weil es die Handlungsfähigkeit des Staates sicherstelle, da die "absolute Offenheit" schädlich sei. Wolfgang Janisch (SZ) verweist auf Art. 26 des Grundgesetzes, der Rüstungsexporte generell verbiete und nur ausnahmsweise erlaube und meint zum Urteil: "Es unterlegt dem friedensliebenden Grundgesetz einen unangenehm kriegerischen Ton, den dessen Autoren nicht im Sinn hatten." Auch Christian Bommarius (FR) sieht das Urteil im Widerspruch zum "Geist des Grundgesetzes". Nach Christian Rath (taz) liegt dem Urteil ein "restriktives Demokratieverständnis" zugrunde, denn die Parlamentarier dürften bei Auskunft erst nach der Genehmigung nur noch"hinterhermekern", ohne noch etwas bewirken zu können.
Rechtspolitik
Unternehmensjuristen: Wie lto.de meldet, arbeitet das Bundesjustizministerium an einer Regelung, die Unternehmensjuristen von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherungen befreien soll. Dies sei eine Reaktion auf das kürzlich ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts, das Syndici als abhängig Beschäftigte einstufte und damit der Versicherungspflicht unterwarf. Zur konkreten Ausgestaltung seien keine Angaben gemacht worden, jedoch finde derzeit eine Absprache mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales statt.
IT-Sicherheitsgesetz: Jakob Tischer und Sönke E. Schulz diskutieren auf juwiss.de den Gesetzentwurf zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme, den das Bundesinnenministerium am 19. August vorgestellt hatte. Geplant seien unter anderem Änderungen des Telekommunikations-, Telemedien- und BSI-Gesetzes. Die Autoren ordnen informationstechnische Systeme dann als kritische Infrastruktur ein, wenn sie "für eine andere kritische Infrastruktur zwingend erforderlich ist." Demnach sei auch die geplante Meldepflicht für die Betreiber von informationstechnischen Systemen gerechtfertigt, allerdings müssten deren Voraussetzungen weiter konkretisiert werden.
Steuerreform: 2019 laufen der Solidarpakt II und die Regelungen des Bund-Länder-Finanzausgleichs aus, sodass die föderalen Finanzbeziehungen neu geordnet werden müssen. Den vom Bund hierfür unterbreiteten Vorschlag bespricht Professor Dennis Klein auf lto.de. Danach sollen die Länder bei der Festlegung der Einkommensteuersätze mitbestimmen dürfen; im Gegenzug soll der Finanzausgleich begrenzt werden. Der erwartete Steuerwettbewerb könne nach Meinung des Autors das Steuerrecht verkomplizieren und zu einer Mehrbelastung der Steuerpflichtigen führen. Es sei zu erwarten, dass sich die länderspezifischen Zuschläge insgesamt innerhalb enger Grenzen halten werden.
Antiterror-Strafrecht: Auch die FR (Mira Gajevic) berichtet nun über die Ankündigung von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), das Strafrecht zu verschärfen und bereits die Ausreise in terroristischer Absicht und die Terrorfinanzierung unter Strafe zu stellen. Die Reform diene der Umsetzung der kürzlich vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Anti-Terrorismus-Resolution.
Justiz
BAG zu Urlaub: Das Bundesarbeitsgericht erlaubt Unternehmen, ihren älteren Arbeitnehmern aus sachlichen Gründen einen längeren Urlaub zu gewähren, berichten die SZ (Thomas Öchsner) und die FAZ (Joachim Jahn). Geklagt hatten Beschäftigte eines Unternehmens, das für Arbeitnehmer ab 58 Jahren zwei Urlaubstage mehr vorsah als für die jüngeren Kollegen. Diese sahen darin eine Benachteiligung wegen des Alters nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und verlangten dieselbe Vergünstigung. Das BAG hat nun entschieden, dass die Urlaubsregelung wegen der längeren Erholungsphase bei älteren Arbeitnehmern in der Branche eine zulässige Ungleichbehandlung gemäß § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG darstellt und die zwei zusätzlichen Tage auch erforderlich und angemessen sind.
BVerwG zu Zweitwohnungsteuer: Die FAZ (Joachim Jahn) weist auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zweitwohnungsteuer hin. Die Steuer falle nicht an, wenn die Zweitwohnung lediglich als Kapitalanlage gehalten und leer stehen gelassen werde.
BGH zu wucherischem Anwalt: Der Bundesgerichtshof habe den Freispruch eines Anwalts wegen Betrugs und Wucher aufgehoben, der von seinem Mandanten ein Honorar von 80.000 Euro verlangt und ein zusätzliches Darlehen von diesem aufgenommen hatte, berichtet die FAZ (Joachim Jahn). Der Rechtsanwalt hätte den Mandanten über die Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz aufklären müssen, eine Garantenstellung ergebe sich aus dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte.
BVerfG – Insolvenzrecht: Laut der FAZ (Joachim Jahn) hat die DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz) für die IVG Immobilien AG eine Verfassungsbeschwerde gegen die 2011 reformierten Regelungen des Insolvenzrechts erhoben. Die Reform habe für Gläubiger die Möglichkeit erweitert, ihre Forderungen in Firmenanteile umzuwandeln. Anlass der Verfassungsbeschwerde sei ein Insolvenzplan gewesen, nach dem das Grundkapital der IVG AG auf Null herabgesetzt und im Wege der Barkapitalerhöhung wieder erhöht worden war, wobei die Altaktionäre ausgeschlossen wurden. Diese sähen sich in ihrem Grundrecht auf Eigentum verletzt und wenden sich gegen die gesetzliche Grundlage des Insolvenzplans.
BVerfG - BND-Überwachung: Der Anwalt Niko Härting hat im Verfahren um die strategische Fernmeldekontrolle des BND seine Verfassungsbeschwerde zurückgenommen, da er sie teilweise zu spät eingelegt hatte, meldet die taz (Christian Rath). Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Mai entschieden, dass Härting nicht gegen die BND-Massenüberwachung klagen kann, weil er keine persönliche Betroffenheit nachweisen konnte.
OLG München – NSU: spiegel.de (Jörg Diehl) berichtet von der Vernehmung der Kriminalhauptkommissarin des Stuttgarter Landeskriminalamts Sabine R. im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Die Beamtin habe ausgesagt, die mutmaßlichen Rechtsterroristen des NSU seien zwischen 1993 und 2001 immer wieder nach Ludwigsburg gereist und hätten an Treffen der regionalen Neonaziszene teilgenommen. In einem Brief habe sich Uwe Mundlos daraufhin über die gute Bewaffnung der Kameraden beeindruckt gezeigt.
LG Bochum – Bandidos-Kutten: Zwei Mitglieder des Rockerklubs Bandidos stehen vor dem Landgericht Bochum wegen Tragens von Kennzeichen verbotener Vereine, meldet spiegel.de. In vielen Teilen von Nordrhein-Westfalen seien die Rockerklubs und die Verwendung ihrer Symbole verboten. Die beiden Rocker hätten sich absichtlich festnehmen lassen, um die Rechtmäßigkeit des "Kutten-Verbots" gerichtlich prüfen zu lassen.
AG Hannover zu Geschlecht: Vor dem Amtsgericht Hannover ist eine Person mit dem Begehren gescheitert, ihre Geschlechtsangabe in "inter" oder "divers" zu ändern, meldet die SZ. Nach dem Personenstandsgesetz seien lediglich die Angaben "weiblich", "männlich" oder "keine Angabe" möglich, entschied die Richterin.
VG Aachen – Gorch Fock: Das Verwaltungsgericht Aachen verhandelt seit dem heutigen Mittwoch die Entschädigungsklage der Eltern von Jenny Böken gegen die Bundesrepublik, meldet die taz. Die Kadettin ging 2008 auf dem Schiff Gorch Fock über Bord und ertrank. Die Todesumstände seien bislang noch ungeklärt.
Verringerung von Fallzahlen: Die FAZ (Joachim Jahn) befasst sich im Recht-und-Steuern-Teil mit den Fallzahlen und der Verfahrenslänge der Zivilgerichte. Während die Zahl der Neuzugänge kontinuierlich gesunken sei, habe sich die durchschnittliche Verfahrensdauer erhöht. Als Gründe für die sinkenden Fallzahlen werden die außergerichtlichen Konfliktlösungsmöglichkeiten und der gesunkene Leitzins genannt.
Recht in der Welt
Südafrika – Pistorius: Im Prozess gegen Oscar Pistorius wegen der tödlichen Schüsse auf seine Freundin Reeva Steenkamp hat die Richterin das Strafmaß verkündet. Für die fahrlässige Tötung erhielt der Sportstar eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren und zudem drei Jahre für den unerlaubten Waffenbesitz auf Bewährung. Die SZ (Isabel Pfaff), taz (Martina Schwikowski), spiegel.de (Gesa Mayr) und die FAZ (Claudia Bröll) berichten.
Tobias Zick (SZ) kommentiert, die Richterin zeige damit"Augenmaß und Unbeugsamkeit; sie ist weder den Rachsüchtigen entgegengekommen noch den Mitleidigen, die etwa auf Pistorius' Behinderung verwiesen."
Sonstiges
Pressefreiheit – heute-show: Rechtsanwalt Jonas Kahl analysiert auf telemedicus.de die Versagung der Drehgenehmigung für die Satiresendung "heute-show" durch die Bundestagsverwaltung. Diese berief sich darauf, dass es sich bei der Sendung um "keine politisch-parlamentarische Berichterstattung" handle. Der Autor verweist darauf, dass sowohl Satire, als auch die Form der Berichterstattung der Pressefreiheit unterfallen. Stattdessen müsste "allein maßgeblich sein, ob über politisch-parlamentarische Zusammenhänge berichtet wird oder nicht." Auch internet-law.de (Thomas Stadler) diskutiert die Begründung.
Berichtspflichten für Unternehmen: Die Vorgaben der EU-Richtlinie zu CRS-Berichtspflichten (Corporate Social Responsibility) stellen Rechtsanwalt Andreas Hecker und Tom Veltmann in der FAZ vor. Unternehmen, die mehr als 500 Mitarbeiter haben und im öffentlichen Interesse stehen müssen künftig Auskunft über die Auswirkung ihrer Geschäftstätigkeit auf die Umwelt, Sozial-, und Arbeitgeberbelange geben. Die Mitgliedsstaaten haben eine Umsetzungsfrist von zwei Jahren und können den Adressatenkreis erweitern.
Cloud- Einsatz in Unternehmen: Rechtsanwalt Johannes Rabus beantwortet im Interview mit dem Handelsblatt (Manuel Heckel) Rechtsfragen, die sich bei der Verwendung von Cloud-Lösungen in Unternehmen stellen könnten. Besprochen werden datenschutzrechtliche Aspekte, die Rechtsform des Vertrags mit dem Clous-Anbieter und dessen Kündigung.
Das Letzte zum Schluss
Reuvoller Räuber: Ein 18-jähriger Tankstellenräuber hatte nach dem Raub ein so schlechtes Gewissen, dass er seine Maske abnahm, die Kassierin umarmte und daraufhin mehrmals zur Tankstelle zurückkehrte, um sich für den Raub zu entschuldigen. Beim erneuten Besuch habe die Kassiererin die Polizei verständigt, die den Räuber festgenommen habe, meldet justillon.de (Andreas Stephan).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. Oktober 2014: BVerfG zu Rüstungsexporten – BAG zu Urlaubsregelung – Strafmaß im Pistorius-Prozess . In: Legal Tribune Online, 22.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13551/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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