Die Türkei hat den Ausnahmezustand verhängt, Frankreich hat ihn verlängert. Außerdem in der Presseschau: Am LG München hat sich ein Entlastungszeuge als gekaufter Lügner entpuppt und die SPD-Abgeordnete Petra Hinz ist keine Juristin.
Thema des Tages
Türkei - Ausnahmezustand: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat auf Grundlage von Art 120 der türkischen Verfassung einen dreimonatigen Ausnahmezustand verhängt. Begründung: der Militärputsch sei möglicherweise noch nicht zu Ende. Das meldet zeit.de. Danach könnte der türkische Präsident per Dekret regieren, Ausgangssperren verhängen, Demonstrationen und Kundgebungen verbieten sowie Presseerzeugnisse zensieren oder verbieten lassen. Außerdem könnte Erdoğan den Verkehr an Land, auf See und in der Luft kontrollieren lassen. Am heutigen Donnerstag befasst sich das türkische Parlament mit dem Ausnahmezustand. Es könnte ihn aufheben, aber auch die Dauer verändern.
Türkei - Ausreisefreiheit: Das Ausreiseverbot für türkische Wissenschaftler verstößt gegen das 4. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Türkei habe das Zusatzprotokoll zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert*, hat verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) recherchiert.
Frankreich - Ausnahmezustand: Das französische Parlament hat in der Nacht zu Mittwoch zum vierten Mal den Ausnahmezustand verlängert, diesmal um sechs Monate. Ermittler dürfen wieder ohne richterlichen Beschluss Häuser und Fahrzeuge durchsuchen und die Computer und Telefone auswerten, die sie dabei sicherstellen, berichtet die SZ (Leo Klimm). Eigentlich sollte vor dem IS-Anschlag von Nizza der Ausnahmezustand aufgehoben werden.
Rechtspolitik
Sexualstrafrecht/Stalking: Die Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle verteidigt in einem FAZ-Gastbeitrag das Anfang Juli im Bundestag beschlossene neue Sexualstrafrecht. Der Richter Markus Löffelmann kritisiert in einem weiteren FAZ-Gastbeitrag dieses Gesetz, indem er zahlreiche Konstellationen aufzählt, die nun strafbar werden, obwohl er sie nicht für strafwürdig hält. Wenn etwa ein Partner während des Geschlechtsverkehrs bittet, aufzuhören und der andere Partner dem nicht sofort nachkomme, könne dies nun als Vergewaltigung bestraft werden. In einem Interview mit der Zeit (Anna Kunze) kritisiert auch die Juniorprofessorin Elisa Hoven das neue Sexualstrafrecht. Es werde zu Enttäuschungen führen, weil Beweisprobleme bestehen bleiben. Sie lobt allerdings den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verschärfung des Stalking-Paragraphen. Auch starke Frauen, die ihr Leben nicht ändern, müssten gegen Stalker geschützt werden.
Automatisiertes Fahren: Die Anwältin Christine Heeg schlägt ein eigenes Gesetz zum automatisierten Fahren vor. Darin solle die Haftung der Hersteller und der Fahrzeughalter geregelt werden, berichtet das Hbl (Daniel Delhaes). Die Zeitung zeichnet auch die Diskussion um einen Gesetzentwurf von Verkehrsminister Dobrindt nach, der unter anderem eine unbeschränkte Herstellerhaftung vorschlägt.
* Dieser Satz wurde auf Hinweis des Autors (s.u. bei Kommentare) korrigiert.
Justiz
BVerfG zu Rentenbesteuerung: Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfassungsbeschwerden abgelehnt, die sich gegen die steuerliche Behandlung von Ausgaben zur Altersicherung als Sonderausgaben (statt als Werbungskosten) wandten. Der Gesetzgeber habe bei der Einführung der Rentenbesteuerung einen Gestaltungsspielraum. Ob es später in bestimmten Konstellationen zu Doppelbesteuerungen komme, könne jetzt noch nicht geprüft werden. Es berichtet sueddeutsche.de.
EuG zu Markenrecht/"Südtirol": Das Europäische Gericht erster Instanz hat laut lto.de bekräftigt, dass Gebietsbezeichnungen wie "Südtirol" nicht als Markenname geschützt werden können. Solche Begriffe sollen frei verwendet werden können.
EuGH - Vorratsdatenspeicherung: Nun fasst auch blog.beck.de (Thomas Lapp) die Anforderungen zusammen, die Generalanwalt Henrik Saugmansgaard Øe für nationale Vorratsdatenspeicherungen aufstellt. Der englische Rechtsprofessor Andrew Murray referiert auf verfassungsblog.de die Schlussanträge in englischer Sprache. In Großbritannien werde gerade ohnehin über die Reform der Vorratsdatenspeicherung diskutiert. Falls auch der EuGH eine Begrenzung der Datennutzung auf schwere Straftaten fordert, müsste britisches Recht geändert werden.
LSG Stuttgart zu Gesundheitskarte: Krankenversicherte sind verpflichtet, die elektronische Gesundheitskarte zu nutzen. Der Datenschutz sei ausreichend, entschied laut lto.de das LSG Stuttgart.
OLG München zum Leistungsschutzrecht: Das Oberlandesgericht München hat keine Obergrenze für die noch zulässige Länge von Snippets nach dem seit drei Jahren geltenden Leistungsschutzrecht definiert, berichtet zeit.de (Patrick Beuth). Das Gericht hielt aber die einstweilige Verfügung der Vorinstanz für gerechtfertigt, die dem Medienbeobachtungsdienst Delta die lizenzlose Nutzung von Snippets aus der SZ mit 235 bis 250 Zeichen verbot.
LG Coburg zu Kindstötungen: Das Landgericht Coburg hat eine Frau wegen Totschlags zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie mindestens vier neugeborene Kinder getötet hat, berichtet die FAZ (Katrin Truscheit). Der Anklagevorwurf des Mordes aus niedrigen Beweggründen wurde abgelehnt.
AG Köln zu Politikerbeleidigung: Das Amtsgericht Köln hat einen Mann wegen Beleidigung der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu einer Geldstrafe verurteilt, meldet spiegel.de. Der Täter hatte Politiker wie Kraft als "korruptes Pack" bezeichnet und ihren IQ mit dem von Toastbroat gleichgesetzt.
ArbG Frankfurt zu "Negerkuss"-Kündigung: Wer bei einer dunkelhäutigen Kantinen-Mitarbeiterin einen "Negerkuss" statt einem "Schokokuss" bestellt, kann deshalb nicht fristlos entlassen werden, wenn er bisher zehn Jahre lange beanstandungsfrei für das Unternehmen gearbeitet hat. Das entschied jetzt laut blog.beck.de (Markus Stoffels) das Arbeitsgericht Frankfurt/Main.
LG Kiel - abgelenkte Richter: Das Landgericht Kiel hat Ablehnungsgesuche der Verteidigung gegen einen Richter und einen Schöffen stattgegeben, weil diese während der Vernehmung einer Zeugin in prozessfremden Unterlagen geblättert hatten. Der seit sieben Jahren laufende Prozess um angeblichen Betrug mit Flirt-SMS wurde ausgesetzt, meldet spiegel.de.
LG München I - gekaufter Zeuge: Im Prozess gegen eine Frau, die beim Oktoberfest einen Besucher mit einem Messer niedergestochen haben soll, hat sich ein Entlastungszeuge als gekauft entpuppt. Der Mann, der vor zwei Wochen bereits im Verhandlungssaal festgenommen worden war, hat gestanden, dass er vom Lebensgefährten der Angeklagten 100 000 Euro für seine erfundene Entlastungsaussage erhalten sollte, berichtet spiegel.de (Gisela Friedrichsen).
LG Erfurt - rechter Überfall: spiegel.de (Maik Baumgartner) resümiert den bisherigen Verlauf eines Verfahrens am Landgericht Erfurt gegen 15 Personen aus der rechten Szene, die 2014 eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt überfallen haben sollen. Unter anderem habe das Gericht Probleme, Abhörprotokolle zu erhalten, die der Thüringer Verfassungsschutz angefertigt habe.
OLG München - NSU/V-Mann: Im NSU-Prozess wurde dem mutmaßlichem V-Mann Marcel D., gegen den zeitweise wegen Falschaussage ermittelt wurde, Gelegenheit gegeben, seine bislang bestrittene V-Mann-Tätigkeit doch noch einzuräumen. Dabei stellte sich D. so widersprüchlich an, dass die Frage aufkam, ob sein Anwalt mit der Sache überfordert sei, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).
OLG Köln - Persönlichkeitsrechte eines Verbrechers: Der verurteilte Geiselnehmer Dieter Rösner versucht zu verhindern, dass die ARD das Geiseldrama von Gladbeck verfilmt, an dem Rösner als Täter beteiligt war. Beim Oberlandesgericht Köln hat er jetzt laut SZ (Viola Schenz) Prozesskostenhilfe beantragt. Das Landgericht Aachen hatte diese abgelehnt, weil die Rundfunkfreiheit eindeutig Vorrang vor Rösners Resozialisierungsinteresse habe.
LG Köln - Silvester-Übergriff: Ein Algerier, der wegen versuchter Nötigung in der Kölner Silvesternacht vom Amtsgericht Köln verurteilt worden war, hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt, berichtet die Welt (Tim Röhn). Er bestreitet, dass er einem Deutschen 5000 Euro für die überlassung seiner zwei Begleiterinnen geboten und ihm im Falle der Weigerung mit dem Tod gedroht habe. Der Algerier wird als geldgierig und uneinsichtig beschrieben.
Recht in der Welt
USA - Klagen gegen VW: Die SZ (Claus Hulverscheidt) stellt zusammen, welche Klagen gegen VW vom 15-Milliarden-Dollar-Vergleich Ende Juni erfasst seien und welche Klagen weiterverfolgt werden könnten.
Polen - Klage gegen ZDF: Ein 92-jähriger Veteran der polnischen Heimatarmee hat das ZDF vor dem Bezirksgericht Krakau auf Zahlung von 5700 Euro Schadensersatz verklagt, meldet die FAZ. Die Kriegs-Trilogie "Unsere Mütter, unsere Väter" hätten seine Persönlichkeitsrechte und die Würde der polnischen Nation verunglimpft.
Großbritannien - Brexit: Im Poker um den Brexit habe die EU die besseren Karten, glauben der in England lehrende Rechtsprofessor Horst Eidenmüller und der Anwalt Andreas Hacke in einem FAZ-Gastbeitrag. Großbritannien brauche den Zugang zum Binnenmarkt, den die EU nach einem Austritt nicht zugestehen müsse. Die EU könne daher auf Bedingungen wie die Gewährung von Personenfreizügigkeit für EU-Bürger pochen.
Sonstiges
Polizeilicher Todesschuss: Die gesetzlichen Regelungen zum finalen Rettungsschuss brächten für die Polizei keine Rechtssicherheit, sondern suggerierten diese lediglich. Zu diesem Schluss kommt Heribert Prantl (SZ) aus Anlass des Todesschusses gegen den afghanischen IS-Anhänger, der im Regionalzug nach Würzburg mehrere Menschen verletzt hatte.
Juristische Ausbildung
Petra Hinz hat nicht studiert: Die SPD-Abgeordnete Petra Hinz hat nicht nur ihr Abitur erfunden, sondern auch eine juristische Ausbildung mit erstem und zweitem Staatsexamen. Darüber empört sich der Blog iuratio.de.
Das Letzte zum Schluss
Passwort vergessen: Ein 21-jähriger Mann aus Siegen hatte seine Wohnung demoliert, einen Nachbarn geschlagen und herbeigerufene Polizisten verletzt. Der Grund laut spiegel.de: Der Mann hatte das Passwort zu seinem sozialen Netzwerk vergessen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. Juli 2016: Ausnahmezustände / Gekaufter Entlastungszeuge / MdB Hinz ohne Staatsexamen . In: Legal Tribune Online, 21.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20066/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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