Das Bundesverwaltungsgericht fordert vor einer Elbvertiefung weitere planerische Maßnahmen. Außerdem in der Presseschau: Pläne zum Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung und Entschädigung für pauschales Kopftuchverbot.
Thema des Tages
BVerwG zu Elbvertiefung: Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil die geplante Elbvertiefung bei Hamburg zwar grundsätzlich gebilligt, gleichzeitig aber vor einem Baubeginn erhebliche Nachbesserungen eingefordert. Die gegenwärtige Rechtswidrigkeit der Planfeststellung resultiere bereits aus der Möglichkeit, dass die sich durch den Fahrrinnenausbau ergebenden nachteiligen Auswirkungen für eine Pflanzenart von der Feststellungsbehörde unterschätzt worden seien, schreibt Rechtsanwalt Hendrik Schilder auf lto.de in einer vertieften Darstellung des Urteils. Zudem seien auch die bereits vorgesehenen Kohärenzmaßnahmen für betroffene Gebiete derzeit nicht ausreichend. Weitere Berichte zur Entscheidung bringen SZ (Thomas Hahn), taz (Sven-Michael Veit) und das Hbl (Christoph Kapalschinski). Eine Reportage der FAZ (Frank Pergande) geht auch auf die jahrelange Auseinandersetzung und den behaupteten wirtschaftlichen Nutzen der Elbvertiefung ein.
Sven-Michael Veit (taz) begrüßt den "weisen" Richterspruch im Leitartikel, weil er rechtliche Leitlinien für die Planungen großer Infrastrukturprojekte definiere und damit "Freibriefe für planerische Skrupellosigkeit" verweigere. Im Gegensatz zu Planungsbehörden orientierten sich eher Naturschützer an "Geist" und "Buchstaben von Gesetzen". Christian Müßgens (FAZ) fordert im Wirtschafts-Teil der Zeitung, dass die Bundesrepublik dringend ihre Verfahrensregeln für "die zu komplexen Planungs- und Genehmigungsprozesse" vereinfachen müsse, um nicht auf lange Sicht den Standort Deutschland "ins Abseits" zu manövrieren. Im Leitartikel des Blatts behauptet Frank Pergande (FAZ), dass klagebefugte Verbände, die von Projekten nicht direkt betroffen seien, die Möglichkeit besäßen, "Vorhaben aus Prinzip zu verhindern". Sollte das Urteil dazu beitragen, künftig einfacher "zwischen wirtschaftlichen Erfordernissen und Natur- und Umweltschutz zu entscheiden oder gar zu vermitteln", wäre in ihm tatsächlich ein Meilenstein zu erkennen.
Rechtspolitik
Parteienfinanzierung: Der Bundesrat entscheidet am heutigen Freitag in erster Lesung über einen Gesetzentwurf und zwei Entschließungsanträge mit dem Ziel, die NPD wegen Verfassungsfeindlichkeit von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) hält das Verfahren zur Feststellung der Voraussetzungen für problematisch. Der niedersächsische Entwurf weise diese Befugnis dem Bundestagspräsidenten zu, gegen dessen Entscheidung in erster und letzter Instanz beim Bundesverwaltungsgericht Rechtsmittel eingelegt werden könnten. Damit verquicke er exekutive und legislative Entscheidungsgewalt und füge dem Demokratieprinzip irreparablen Schaden zu. Keine grundsätzlichen Bedenken hat Wolfgang Janisch (SZ): Der "Staat ist nicht gezwungen, kleine Verfassungsfeinde zu großen Verfassungsfeinden aufzupäppeln". Wenn nun aber ein "Zwei-Klassen-Parteienrecht" eingeführt würde, erfordere dies eine "sehr präzise" Definition der Verfassungsfeindlichkeit. Diese Arbeit könne dem Gesetzgeber auch das Bundesverfassungsgericht nicht abnehmen.
Abschiebungen: Bund und Länder haben sich nach dem Bericht von zeit.de auf Pläne zur schnelleren Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer geeinigt. Detaillierte Regelungen stünden noch aus. In einem Kommentar identifiziert Heribert Prantl (SZ) "Generalprävention" als das eigentliche Ziel der Verhandlungen. Flüchtlinge sollten "möglichst so beraten und behandelt werden, dass der Anreiz zum Hierbleiben schwindet". Diese Fokussierung auf Abschiebungen sei "fatal", weil Flüchtlingspolitik so am Ende "zur Abkehr vom Recht" werden könne.
Gebäudeenergiegesetz: In einem neuen Gebäudeenergiegesetz sollen nach dem Willen der Bundesregierung bislang in drei verschiedenen Gesetzen behandelte energetische Baustandards zusammengefasst werden. Dies meldet die SZ (Andreas Remien).
Wohnungseinbruchdiebstahl: Die in der Regierungskoalition diskutierte Verschärfung der Strafandrohung für Wohnungseinbruchdiebstahl wird nach Kenntnis des Hbl (Heike Anger/Frank Specht) vorerst nicht realisiert. Union und SPD hätten sich nicht über die Höhe der Mindeststrafe einigen können.
Justiz
EGMR zu Stichtagsregelung: Eine erbrechtliche Stichtagsregelung, nach der vor 1949 nichtehelich geborene Kinder von der Erbfolge ausgeschlossen werden, ist nach einer Entscheidung der kleinen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte diskriminierend und verletzt das Grundrecht auf Schutz des Familienlebens. Für die beklagte Bundesrepublik prüfe derzeit das Justizministerium, Rechtsmittel einzulegen, so der Tsp (Jost Müller-Neuhof).
BGH zu Beihilferecht: Nationale Gerichte, bei denen Konkurrentenklagen wegen verbotener staatlicher Beihilfen anhängig sind, müssen grundsätzlich von der Rechtswidrigkeit der Beihilfen ausgehen, wenn die Europäische Kommission ein förmliches beihilferechtliches Prüfverfahren eröffnet hat. Dies entschied im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Bundesgerichtshof. Entscheidende Ausnahmen von dieser Bindungswirkung und dem zugrunde liegenden Streitfall – staatliche Vergünstigungen für Billigflieger und die von ihnen frequentierten Regionalflughäfen – stellt Rechtsanwalt Ulrich Soltesz auf lto.de vor.
BGH zu Aktenveröffentlichung: Mittlerweile vor dem Bundesgerichtshof geht das Bundesverteidigungsministerium gegen die Komplettveröffentlichung von Lageberichten über Auslandseinsätze der Bundeswehr durch die WAZ vor. Die ungewöhnliche Begründung der Klage könnte dabei durchaus deren Erfolg sichern, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch) im Medien-Teil. So berufe sich das Ministerium nicht auf verletzten Geheimnisschutz, vielmehr auf eine Verletzung des Urheberrechts der Autoren. Die für den 1. Juni terminierte Urteilsverkündung deute auf "grundsätzliche Aussagen" des Gerichts hin. Nach dem Bericht der taz (Christian Rath) zeichnete sich nach der Verhandlung ab, dass das Gericht den Urheberrechtsschutz von Regierungsberichten anerkenne.
BGH zu Freshfields-Durchsuchung: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex-Deals die begehrte Durchsuchung von Geschäftsräumen der Großkanzlei Freshfields zu verweigern, ist nun auch Thema eines Beitrags der SZ (Klaus Ott/Katja Riedel).
OLG München – NSU: Ein von den "Altverteidigern" Beate Zschäpes gestellter Befangenheitsantrag gegen das Oberlandesgericht München scheiterte am Widerstand der Angeklagten. Nach dem Bericht von zeit.de (Tom Sundermann) bewiesen die Anwälte in der andauernden Befragung des psychiatrischen Gutachters Henning Saß "zumindest ihr eigenes Existenzrecht im Verfahren".
LAG Berlin-Brandenburg zu Kopftuchverbot: Einer muslimischen Lehrerin, der eine Anstellung als Grundschullehrerin wegen der von ihr geäußerten Absicht, ihr Kopftuch auch während des Unterrichts tragen zu wollen, verweigert worden war, muss das Land Berlin eine Entschädigung zahlen. Nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg habe das Verbot nicht pauschal, ohne Prüfung und Darlegung einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens zur Anwendung kommen dürfen, schreibt die SZ (Jens Schneider).
Hoffnungen, dass durch die Entscheidung auch das Berliner Neutralitätsgesetz als Rechtsgrundlage der verweigerten Einstellung sein baldiges Ende finde, erteilt Jost Müller-Neuhof (Tsp) in seinem Kommentar eine Absage. Die SPD befinde sich in ihrer "politisch vielfältig begründeten Abneigung" gegen Menschen mit Kopftüchern "im Einklang mit vielen Lehrern und Bürgern". Jene müssten sich aber fragen lassen, "wie sie es mit dem Respekt vor den höchsten demokratischen Werten halten". Die Verfassung begründe sich eher auf Freiheit denn auf Neutralität.
LG Potsdam zu Brandanschlag: Wegen des Brandanschlags auf eine Notunterkunft für Flüchtlinge in Nauen hat das Landgericht Potsdam zwei Angeklagte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die übrigen vier Angeklagten erhielten Bewährungsstrafen, berichtet die FAZ (Mechthild Küpper). Zur Aufklärung des Tathergangs hätten auch umfängliche Einlassungen der Verurteilten beigetragen. Der ursprünglich erhobene Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung durch die Gruppe wurde jedoch während des Verfahrens fallengelassen. In einem Kommentar benennt Konrad Litschko (taz) weitere Urteile zu Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und folgert daraus, dass Strafverfolgungsbehörden "auf dem rechten Auge wachsam" seien.
LG Nürnberg – Karl-Heinz Hoffmann: Vor dem Landgericht Nürnberg begehrt der Gründer der 1980 verbotenen "Wehrsportgruppe Hoffmann", der 80-jährige Karl-Heinz Hoffmann, von zwei Journalisten die Unterlassung von Behauptungen, die nach seiner Ansicht wahrheitswidrig nahelegten, er sei Waffenhändler und Drahtzieher des Anschlags auf das Münchner Oktoberfest gewesen. Die SZ berichtet.
LG Hamburg – Schmähgedicht: bild.de macht darauf aufmerksam, dass das Landgericht Hamburg am heutigen Freitag seine Hauptsacheentscheidung zur Unterlassungsklage des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegen den Satiriker Jan Böhmermann verkünden wird.
Recht in der Welt
Schweden – Menschenschmuggel: Wegen Menschenschmuggels hat ein schwedisches Gericht einen Journalisten und sein Team verurteilt. Die Männer hatten im Rahmen einer Reportage vor knapp drei Jahren einen damals 14-jährigen Syrer aus Griechenland ins Land geholt, schreibt die taz (Reinhard Wolff). Das verurteilende Gericht habe seine Hoffnung auf eine Grundsatzentscheidung einer höheren Instanz zum Ausdruck gebracht.
Rumänien – Justizminister: Wegen anhaltender Massenproteste gegen Regierungsverordnungen zu Amtsmissbrauch und Korruption ist der rumänische Justizminister Florin Iordache zurückgetreten. Nach Meldung der FAZ (Reinhard Veser) habe Iordache in seiner Rücktrittserklärung auf die Abweisung einer weiteren Klage gegen die Verordnungen durch das Verfassungsgericht des Landes verwiesen.
USA – Einreiseverbot: Ein Berufungsgericht in San Francisco hat in der vergangenen Nacht den Antrag, das von Präsident Donald Trump verhängte Einreiseverbot wieder in Kraft zu setzen, einstimmig abgelehnt. Damit werde nun eine Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof der USA wahrscheinlich, meldet u.a. zeit.de.
USA – Justizminister/Donald Trump: Der US-amerikanische Senat hat den von Präsident Trump nominierten vormaligen Senator Jeff Sessions als Justizminister des Landes bestätigt. Über den beruflichen Werdegang des neuen Ministers, dessen Anhörung, aber auch über die weiterhin anhängige gerichtliche Auseinandersetzung zu dem vom Präsidenten verhängten Einreisestopp berichtet die SZ (Sacha Batthyany).
Kenia – Flüchtlingslager: Als unverhältnismäßig und willkürlich hat ein kenianisches Gericht die von der Regierung angeordnete Schließung des Flüchtlingslagers Dadaab untersagt. Eine Abschiebung der im Lager zum Teil seit Jahrzehnten lebenden somalischen Flüchtlinge sei zudem verfassungswidrig und diskriminierend, berichtet die taz (Dominic Johnson) zum Urteil.
Sonstiges
EU-U-Ausschuss "Panama Papers": Vor einem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments zu den sogenannten Panama Papers legte die frühere Compliance-Managerin bei Deutschlands ältester Privatbank dar, dass ihren Hinweisen auf Geldwäsche nicht nachgegangen worden sei. Weil der Chef des Geldhauses einer Einladung des Ausschusses nicht folgte, erwägten Mitglieder nun eine engere Kooperation mit nationalen Untersuchungsausschüssen, schreibt die SZ (Markus Mayr/Alexander Mühlauer).
Das Letzte zum Schluss
Gewinnspiel: Beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf. Dies gilt auch für eine Gruppe Heranwachsender, über deren feucht-fröhlichen Abend vor einem Jahr schließlich am Amtsgericht Arnsberg verhandelt wurde. Wie nun auch bild.de (A. Wegener/M. Engelberg) berichtet, gewann einer der Zecher über den Kronkorken einer Bierflasche einen Audi als Hauptgewinn. Dem Ansinnen, diesen Gewinn ebenso wie die Kosten des gemeinsam genossenen Biers zu teilen, verweigerte er sich aber. Wegen der "komplizierten Rechtsfragen" drang das Gericht bislang erfolglos auf einen Vergleich.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Februar 2017: Elbvertiefung verzögert / Verfassungsfeindlichkeit geahndet / Kopftuchverbot pauschal . In: Legal Tribune Online, 10.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22058/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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