Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, fordert eine Justizreform. Außerdem in der Presseschau: Verfassungsrichterliche Anforderungen an Zwangsmedikation und ein mutmaßlicher Schweizer Spion wird angeklagt.
Thema des Tages
Jens Gnisa/Justiz-Reform: In einem Interview mit lto.de (Christian Rath) bekräftigt der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, seine Forderungen nach umfangreichen Reformen des deutschen Justizwesens. Neben einer Aufstockung der Ressourcen für die Gerichte spricht er sich für die Selbstverwaltung der Justiz und die Abschaffung des Weisungsrechtes für die Staatsanwaltschaften aus. Überdies kritisiert er symbolische Strafvorschriften und plädiert für die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens, um die Gerichte zu entlasten.
Die FAZ (Constantin van Lijnden) bespricht das am Donnerstag erscheinende Buch von Jens Gnisa, "Das Ende der Gerechtigkeit". Der Wunsch nach erhöhten Finanzmitteln sei für einen Verbandsvertreter zwar "wenig überraschend", die Forderung nach Entkriminalisierung indes "bedenkenswert."
Rechtspolitik:
Steinmeier/Bund-Länder-Reform: In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Ausfertigung des Gesetzespakets zur Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleiches begründet. Dies meldet die FAZ. Zwar habe er "erhebliche Zweifel" an der Verfassungsmäßigkeit der Reform, mit Rücksicht auf die Befugnisse des Bundespräsidenten habe er sich aber dennoch für die Ausfertigung entschieden. Jasper von Altenbockum bemerkt im Leitartikel der FAZ, der Bundespräsident dürfe bei derartigen Zweifeln ein Gesetz eigentlich gar nicht ausfertigen, Steinmeier habe dies lediglich aus parteipolitischen Motiven trotzdem getan.
Fortpflanzungstourismus: In der FAZ befassen sich Stephan Harbarth (Mitglied des Deutschen Bundestages), Akademischer Rat Chris Thomale und Rechtsprofessor Marc-Philipe Weller mit dem gesetzlichen Verbot der Leihmutterschaft und dem daraus resultierenden Phänomen des sogenannten Fortpflanzungstourismus. Das Verbot sei legitim, da es dem Schutz der Menschenwürde von Kind und Leihmutter diene. Allerdings werde es durch die Verfügbarkeit von Leihmutterschaften im Ausland regelmäßig umgangen, was die Gerichte vor die Frage stelle, welche Personen nun rechtlich als Eltern eines so geborenen Kindes anzusehen seien. Dieser Problematik müsse der Gesetzgeber entgegentreten und festhalten, dass durch Leihmutterschaften im Ausland keine Elternschaft der Auftraggeber entstehe.
Innere Sicherheit: lto.de (Annelie Kaufmann) analysiert die sicherheitspolitischen Forderungen der großen politischen Parteien zur Bundestagswahl. Während sich die Parteien über eine personelle Aufstockung der Polizei einig seien, bestünden Unterschiede mit Blick auf die Zulässigkeit intelligenter Videoüberwachung oder die Ausweitung von DNA-Analysen in der Strafverfolgung.
Niedersachsen/Vollverschleierung an Schulen: Nach einer Änderung des Landesschulgesetzes ist das Tragen einer Vollverschleierung an niedersächsischen Schulen künftig verboten. Dies melden Welt und FAZ. Ausweislich des Gesetzeswortlautes dürfen Schüler fortan durch "ihre Kleidung die Kommunikation mit den Beteiligten des Schullebens nicht in besonderer Weise erschweren."
Justiz
BVerfG zu Zwangsbehandlungen: Das Bundesverfassungsgericht hat strenge Vorgaben für eine Zwangsmedikation in der Unterbringung aufgestellt, wie lto.de (Maximilian Amos) und SZ (Kim Björn Becker) berichten. Vorrang müsse es haben, das Einverständnis des Patienten einzuholen. Sofern dies nicht gelinge, müsse die Zwangsbehandlung so rechtzeitig angekündigt werden, dass der Patient sich gegen diese juristisch wehren könne. Eine Zwangsbehandlung dürfe nur als letztes Mittel und durch einen Arzt eingesetzt werden. Überdies müsse die Entscheidung der Überprüfung durch eine neutrale Stelle zugänglich sein. Ähnliche rechtliche Anforderungen hatte das Gericht bereits für Zwangsbehandlungen im Maßregelvollzug aufgestellt.
BVerfG – EZB-Anleihenkäufe: Nach dem gestrigen Vorlagebeschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Europäische Zentralbank verteidigt, wie faz.net meldet. Er betrachte deren Mandat für eingehalten. In einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de analysiert Juniorprofessor Matthias Goldmann den Vorlagebeschluss und bemerkt dabei einen deutlich konzilianteren Ton des BVerfG gegenüber dem EuGH im Vergleich zu jenem, den es noch 2015 im Vorlagebeschluss im OMT-Vefahren gewählt hatte.
BFH – Scheidungskosten: Die Kosten für die Rechtsverfolgung in einem Scheidungsprozess sind nicht als außergewöhnliche Belastung steuerlich absetzbar, wie der Bundesfinanzhof entschieden hat. Dies melden lto.de und SZ (Stephan Radomsky). Nach einer Neuregelung des Einkommensteuergesetzes konnten bereits seit 2013 die Kosten der Rechtsverfolgung nur noch dann abgesetzt werden, wenn ohne gerichtlichen Prozess die Existenzgrundlage des Betroffenen gefährdet gewesen wäre. Eine solche existenzielle Betroffenheit liege bei Scheidungsprozessen jedoch in der Regel nicht vor, urteilte das Gericht.
BAW – Spionage-Anklage: Die Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen einen mutmaßlichen Schweizer Spion erhoben, der zwischen Juli 2011 und Februar 2015 deutsche Steuerbehörden ausgeforscht haben soll. Dies melden FAZ und Welt. Hintergrund der Spionage-Tätigkeit soll der Ankauf von Steuer-CDs durch deutsche Steuerfahndungsbehörden gewesen sein. Bereits im Frühjahr 2012 hatte die Schweizer Bundesanwaltschaft Haftbefehle gegen drei deutsche Steuerfahnder erlassen, wofür der mutmaßliche Spion 13.000 Euro erhalten habe.
Rechtshilfe mit Polen: Die BadZ (Christian Rath) analysiert, dass die am Samstag in Kraft getretene Justizreform in Polen die Zusammenarbeit mit deutschen Gerichten und Staatsanwaltschaften zunächst nicht berührt. Im Einzelfall könnte sich die deutsche Justiz einer Zusammenarbeit bei Europäischem Haftbefehl und Europäischer Ermittlungsanordnung verweigern.
BSG – Ehrenamt und Sozialbeiträge: Die gesetzliche Sozialversicherung darf für eine für ein Ehrenamt gezahlte pauschale Aufwandsentschädigung keine Beiträge erheben. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden, wie die SZ meldet. Dies gelte auch dann, wenn Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, solange diese im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ehrenamt stehen. Im zugrunde liegenden Fall ging es um einen ehrenamtlichen Kreishandwerksmeister, der eine jährliche Aufwandsentschädigung von 6.500 Euro erhielt. Eine Erwerbsabsicht habe er mit seiner Tätigkeit trotz der Höhe der Entschädigung nicht verfolgt, urteilte das Gericht.
Recht in der Welt
Afghanistan – Versammlungsgesetz: Ein Gesetzentwurf der afghanischen Regierung sieht weitreichende Einschränkungen des Versammlungsrechtes vor. Hierüber berichtet die taz (Ehsan Qaane/Thomas Ruttig). Künftig sollen nur noch Versammlungen mit "reformerischer Absicht" zulässig sein, nicht jedoch solche, die lediglich ethnische, religiöse oder regionale Anliegen vertreten. Überdies sollen die Organisatoren für alle im Verlauf der Demonstration von Teilnehmern begangenen gesetzwidrigen Handlungen persönlich haften. Auch soll die Polizei umfangreiche Befugnisse zur Auflösung von Versammlungen erhalten. Menschenrechtsorganisationen kritisieren den Gesetzentwurf als verfassungswidrig.
Belgien – Rituelles Schlachten: In einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de befasst sich Rechtsprofessor Gerhard van der Schyff mit einem im Juni vom Regionalparlament Flanderns erlassenen gesetzlichen Verbot des rituellen Schlachtens. Er sieht durch das Gesetz die in Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte Religionsfreiheit der Juden und Muslime verletzt, die das Schächten praktizieren. Insbesondere der pauschale Verweis in der Gesetzesbegründung auf die Möglichkeit, nach religiösem Ritus hergestelltes Fleisch zu importieren, werde der Bedeutung der Religionsfreiheit nicht gerecht.
Kenia – Wahlanfechtung: Der bei der Präsidentenwahl in Kenia unterlegene Oppositionspolitiker Raila Odinga hat angekündigt, das Ergebnis der Wahl vor dem Verfassungsgericht anzufechten, wie die FAZ und das Hbl melden. Bei der Abstimmung seien Computer der Wahlkommission gehackt worden. Die Wahlkommission selbst bestreitet dies.
Sonstiges
Strafbare Gewaltaufrufe: Der Habilitand Alexander Heinze befasst sich in der FAZ mit der Strafbarkeit von Akteuren, die im Vorfeld gewalttätiger Demonstrationen über soziale Netzwerke Gewaltaufrufe an unüberschaubare Personengruppen senden. So käme etwa eine Strafbarkeit nach § 111 Strafgesetzbuch wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in Betracht. Das größere Problem sei indes, die Verantwortlichen überhaupt ausfindig zu machen.
Das Letzte zum Schluss
Gestohlene Klausuren: Wer fremdes Gut bei sich trägt, sollte besonders vorsichtig sein. Dies hat kürzlich ein Professor an der Hochschule Emden/Leer besonders zu spüren bekommen, dem im Zug ein Koffer mit 60 unkorrigierten Klausuren gestohlen wurde. Wie das Hbl meldet, müssen die Studierenden die Arbeit zum bilanziellen Rechnungswesen nun wiederholen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. August 2017: Warnruf aus der Justiz / BVerfG zu Zwangsbehandlungen / Schweizer Spion angeklagt . In: Legal Tribune Online, 17.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23985/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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