Das deutsche Mitbestimmungsrecht ist mit dem EU-Recht vereinbar. Außerdem in der Presseschau: Das Bundesverfassungsgericht entschied zu Auskunftsansprüchen über V-Mann-Einsatz und im NSU-Prozess sollen die Abschlussvorträge beginnen.
Thema des Tages
EuGH zu Mitbestimmung: Das deutsche Mitbestimmungsrecht ist mit dem EU-Recht vereinbar, wie der Europäische Gerichtshof nach einer Vorlage des Berliner Kammergerichtes entschieden hat. Dies berichten SZ (Detlef Esslinger), FAZ und taz (Christian Rath). In der Sache ging es um den Aufsichtsrat von TUI, der nach dem deutschen Mitbestimmungsgesetz zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern besteht, die von den 10.000 TUI-Mitarbeitern in Deutschland gewählt werden. Der Aktionär Konrad Erzberger hatte im Ausschluss der im Ausland Beschäftigten vom Wahlrecht eine Verletzung der Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV und des Diskriminierungsverbotes nach Art. 18 AEUV gesehen. Der EuGH trat dem entgegen, prüfte die Sache allerdings nur am Maßstab der Freizügigkeit, der ein speziellerer Diskriminierungsschutz der Beschäftigten sei. Hinsichtlich der im Ausland tätigen TUI-Angestellten fehle es bereits am grenzüberschreitenden Sachverhalt, da diese von ihrer Freizügigkeit gar keinen Gebrauch gemacht hätten. Eine Verletzung der Freizügigkeit käme allenfalls im Falle eines Umzuges in einen anderen EU-Mitgliedsstaat in Frage. Das EU-Recht gewährleiste jedoch nicht, dass ein Umzug "in sozialer Hinsicht neutral" sei, vielmehr seien die Mitbestimmungsregeln in den Mitgliedstaaten durchaus unterschiedlich und nicht EU-weit harmonisiert.
Rechtsprofessor Friedemann Kainer kritisiert in einer Stellungnahme gegenüber der FAZ, der EuGH habe sich unzureichend mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV auseinandergesetzt. Rechtsanwalt Thomas Gennert begrüßt demgegenüber das Urteil auf lto.de und widmet sich seinen Auswirkungen. Es stelle sich nun die Frage, ob ausländische Mitarbeiter eines Unternehmens bei der Frage mitzuzählen seien, ob die gesetzliche Mindestzahl an Arbeitnehmern für die Gewährleistung von Unternehmensmitbestimmung erreicht sei. Das Urteil des EuGH lege nahe, dass allein die Zahl der inländischen Arbeitnehmer maßgeblich sei.
Rechtspolitik
Sexualstrafrecht: Eine von Bundesjustizminister Maas im Jahr 2015 einberufene Kommission zum Sexualstrafrecht hat nach der umfangreichen Reform des vergangenen Jahres ihren Abschlussbericht vorgestellt. Diesen bespricht die SZ (Wolfgang Janisch). Der novellierte Vergewaltigungsparagraph habe zwar teilweise Schutzlücken geschlossen, etwa bezüglich sexueller Übergriffe, die in einem "Klima der Gewalt" stattfänden, er sei jedoch insgesamt "überfrachtet“. Die Einführung der Strafbarkeit der sexuellen Belästigung sei positiv zu bewerten, die nach der Kölner Silvesternacht eingeführte Vorschrift zur Strafbarkeit von Handlungen aus Gruppen hingegen bloßes Symbolstrafrecht. Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern empfiehlt die Kommission, am Schutzalter von 14 Jahren festzuhalten. Zuletzt rät sie, eine Strafbarkeit von Freiern einzuführen, die billigend in Kauf nehmen, dass Prostituierte zu sexuellen Dienstleistungen gezwungen werden.
Versammlungsfreiheit: In der Diskussion um ein Rechtsrock-Konzert im thüringischen Themar kritisiert Heribert Prantl in der SZ die Entscheidung der Gerichte, das Konzert als geschützte Versammlung anzusehen. Zwar umfasse der verfassungsrechtliche Versammlungsbegriff eine Vielzahl auch ungewöhnlicher Aktionen, jedoch müssten kommerzielle Angebote aus dem Schutzbereich herausfallen.
Justiz
BVerfG zu Informationsanspruch bei V-Leuten: Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung verpflichtet, Informationen über eine mögliche Verwicklung von V-Leuten in das Oktoberfestattentat im Jahr 1980 herauszugeben. Dies berichten SZ (Anette Rammelsberger), taz (Christian Rath), swr.de (Klaus Hempel) und Tsp (Jost Müller-Neuhof). Die Bundesregierung hatte ein entsprechendes Verlangen der Fraktionen der Grünen und der Linken mit dem Verweis auf Geheimhaltungsinteressen verweigert. Grüne und Linke hatten daraufhin Organklage erhoben und eine Verletzung ihres parlamentarischen Informationsrechtes geltend gemacht. Das Gericht gab der Klage statt. Zwar könne das Staatswohl einer Herausgabepflicht grundsätzlich entgegenstehen, wenn die Enttarnung oder Racheakte an V-Leuten zu befürchten sei. Im Fall des womöglichen V-Mannes Heinz Lembke, der bereits 1981 Selbstmord beging, bestünde jedoch keine entsprechende Gefahr.
OLG München – Plädoyers im NSU-Prozess: Das Oberlandesgericht München hat nach gut vier Jahren die Beweisaufnahme im NSU-Verfahren geschlossen und den Beginn der Plädoyers für den heutigen Mittwoch terminiert. Dies berichten SZ (Wiebke Ramm) und spiegel.de. Die Bundesanwaltschaft kündigte an, für ihren Schlussvortrag etwa 22 Stunden und damit fünf Verhandlungstage zu brauchen. Die Verteidiger aller Angeklagten beantragten, den Vortrag auf Tonband aufzunehmen. Nach der Sommerpause sollen sich dann die Plädoyers der Nebenklage und jene der Verteidigung anschließen.
LG Düsseldorf – Gillette vs. Wilkinson: Das Landgericht Düsseldorf hat dem Rasierklingenhersteller Wilkinson untersagt, in Deutschland Rasierklingen zu vertreiben, die auf das Modell "Mach 3" des Konkurrenten Gillette passen. Dies berichten SZ (Hans von der Hagen), Welt (Carsten Dierig) und lto.de. Wilkinson habe ein Patent von Gillette über die Verbindung von Griff und Klingeneinheit kopiert. Wilkinson hatte sein Modell zu einem Preis von etwa 30 Prozent unter dem des Originals vertrieben.
EuGH zum Zugang zu Verfahrensdokumenten: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass der Öffentlichkeit in Ausnahmefällen ein Anspruch auf Zugang zu Dokumenten aus Verfahren vor dem EuGH zustehen kann. Dies meldet lto.de. Es bestehe allerdings eine allgemeine Vermutung, dass die Verbreitung von Schriftsätzen aus laufenden Prozessen den Schutz von Gerichtsverfahren beeinträchtigen könne. Ein Zugriffsanspruch bestehe daher regelmäßig erst nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens. Im konkreten Fall ging es um das Auskunftsverlangen des "Piraten"-Politikers Patrick Breyer bezüglich der Dokumente, die Österreich in einem Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie im Jahr 2006 eingereicht hatte.
Rechtsprofessor Bernhard Wegener erläutert das Urteil auf verfassungsblog.de und übt dabei scharfe Kritik. Indem der Eropäische Gerichtshof laufende Verfahren aus der Herausgabepflicht ausnehme, schaffe er Intransparenz und untergrabe damit seine Legitimation.
VG Stuttgart – Fahrverbote: Vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart wird am Mittwoch über die mögliche Einführung von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge verhandelt. Hierüber berichtet nun auch die FAZ (Rüdiger Soldt). Die Klägerin "Deutsche Umwelthilfe" (DUH) möchte die grün-schwarze Landesregierung Baden-Württembergs verpflichtet sehen, auf diese Weise die Einhaltung der in der EU-Luftqualitäts-Richtlinie von 2010 vorgesehenen Schadstoff-Grenzwerte zu gewährleisten. Die Landesregierung hält dem unter Berufung auf eine Rechtsauffassung von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) entgegen, dass die einzelnen Verbotsstrecken in der Gesamtschau eine Fahrverbotszone ergäben. Für die Errichtung einer solchen Verbotszone sei jedoch ausschließlich die Bundesregierung zuständig. Die Landesregierung versucht daher, die Grenzwerte durch Nachrüstung von Euro-5-Dieseln zu erreichen.
EuGH – Kirchliches Selbstbestimmungsrecht: Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag über die Frage verhandelt, ob Kirchen die Religionszugehörigkeit eines Bewerbers zu einer Einstellungsvoraussetzung machen können. Fraglich ist insbesondere, ob der kirchliche Arbeitgeber ein Selbstbestimmungsrecht nach § 9 Absatz 1 Alt. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend machen kann. Vorgelegt hatte die Sache das Bundesarbeitsgericht. Die Rechtsanwälte Burkard Göpfert und Sina Pfister erläutern den Fall auf lto.de.
LG Paderborn – Höxter-Prozess: Im Prozess um das sogenannte Horrorhaus von Höxter ist die Staatsanwaltschaft auch im Fall des zweiten Todesopfers vom Anklagevorwurf des vollendeten Mordes durch Unterlassen abgerückt. Dies meldet spiegel.de. Es lasse sich keine sichere Aussage zur Todesursache der Frau machen, weshalb nur eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht komme. In dem Prozess geht es um ein ehemaliges Ehepaar, das Frauen in das Haus gelockt und dort misshandelt haben soll.
Recht in der Welt
Polen – Justizreform: Fünf ehemalige Präsidenten des polnischen Verfassungsgerichts haben sich gegen das geplante Gesetz über die Reform des Obersten Gerichtes gewendet und dieses als verfassungswidrig bezeichnet. Dies berichten SZ (Florian Hassel) und FAZ (Konrad Schuller). Auch die amtierende Präsidentin des Obersten Gerichtes, Małgorzata Gersdorf, nannte das Gesetz in einer Rede vor dem polnischen Parlament eine "Liquidierung" ihres Gerichtes. Der Entwurf sieht die Entlassung aller Richter des Obersten Gerichtes vor und soll es der Kontrolle von Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Zoboro unterstellen. Rechtsprofessor Maciej Kisilowski erläutert den Gesetzentwurf in der Welt.
Spanien – katalanisches Unabhängigkeitsreferendum: In einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de erläutert Rechtsprofessor José Luis Martí einen Gesetzentwurf über ein katalanisches Unabhängigkeitsreferendum, das am 1. Oktober stattfinden soll. Der Entwurf sei unzweifelhaft verfassungswidrig, da die spanische Verfassung ein Unabhängigkeitsreferendum – wenn überhaupt – nur mit Zustimmung des Ministerpräsidenten vorsehe, die der amtierende Mariano Rajoy nicht erteilen werde. Die Initiatoren des Referendums seien jedoch gewillt, es dessen ungeachtet durchzuführen. Über die Verfassungswidrigkeit hinaus habe der Gesetzentwurf eine Vielzahl weiterer Schwächen, da er etwa kein Mindestquorum enthalte und die katalanische Regierung nicht im Besitz eines Wählerverzeichnisses sei.
Österreich – "Staatsfeindliche Bewegung": Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Martin Traußnigg erläutert auf juwiss.de den neu geschaffenen Straftatbestand "Staatsfeindliche Bewegung" in § 247a des österreichischen Strafgesetzbuches. Der Tatbestand sei Ausdruck eines Gesinnungsstrafrechts, da er weit im Vorfeld einer tatsächlichen Gefährlichkeit eingreife und maßgeblich an eine bestimmte Denkweise anknüpfe. Darüber hinaus sei er zu unbestimmt und insgesamt unverhältnismäßig.
Philippinen – Kriegsrecht: Der philippinische Staatspräsident Rodrigo Duterte hat angekündigt, das Kriegsrecht im Süden des Landes bis zum Jahresende zu verlängern, meldet zeit.de. Die Region wird von dschihadistischen Kämpfern bedroht. Der Kongress muss der Verlängerung noch zustimmen.
Türkei – Deniz Yücel: Im Fall des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel hat die WeltN24 GmbH Verfassungsbeschwerde beim türkischen Verfassungsgericht in Ankara erhoben. Dies meldet die Welt in eigener Sache. In der fortdauernden Inhaftierung des Journalisten liege eine Verletzung der Pressefreiheit des Verlags.
Das Letzte zum Schluss
Jagd auf Käse-Dieb: Der Sieg bei einem Käse-Wettbewerb auf einer Landwirtschaftsmesse in England wurde dem Hersteller des preisgekrönten Cheddars zum Verhängnis. Wie spiegel.de meldet, stahlen Diebe den erst- sowie den zweitplatzierten Käse mit einem Wert von jeweils bis zu 1.000 Britischen Pfund. Hersteller Rich Clothier gehe von einem von langer Hand geplanten Coup aus. Ein Finderlohn von 500 Pfund soll nun helfen, den Käse wieder zu erlangen.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mps
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. Juli 2017: Mitbestimmungsrecht vor dem EuGH / Sexualstrafrecht auf dem Prüfstand / Auskunft über V-Leute . In: Legal Tribune Online, 19.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23496/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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