Die Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung mittels Bundestrojaner sollen eingeführt werden. Außerdem in der Presseschau: Rehabilitierung Homosexueller, EuGH zu Schleierfahndung, Verfassungsbeschwerde gegen Prostituiertenschutzgesetz
Thema des Tages
Staatstrojaner, Quellen-TKÜ, Online-Durchsuchung: Am heutigen Donnerstag soll im Bundestag die Einführung der Quellen-TKÜ und der Online-Dursuchung mittels Staatstrojanern beschlossen werden. Bei der Quellen-TKÜ geht es um das Ausspähen von Daten auf den Quell-Geräten, die bisher auch in der herkömmlichen Telekommunikationsüberwachung überwacht werden durften. Bei der Online-Durchsuchung werden die Daten zusätzlich an die Behörde weitergeleitet. Die Überwachung wird durch das Einschleusen von Software ermöglicht, die als Bundestrojaner bezeichnet wird. Die Bundesregierung wird dafür kritisiert, dass sie den Einsatz ohne öffentliche Debatte beschließen lassen möchte. Erst in dieser Woche ist bekannt geworden, dass entsprechende Paragrafen zusammen mit dem Gesetzentwurf zur Neuregelung des strafrechtlichen Fahrverbots verhandelt werden. Auch die massive Ausweitung des Anwendungsbereichs wird kritisiert. Zwar soll es einen Richtervorbehalt geben, doch ist der Einsatz anders als bisher nicht mehr nur zur Abwehr terroristischer Gefahren, sondern bei zahlreichen weiteren Delikten, etwa der gewerbsmäßigen Hehlerei, zulässig. Die SZ (Heribert Prantl), die taz (Christian Rath), die FAZ (Marlene Grunert) und netzpolitik.org (Markus Reuter) stellen den Vorstoß ausführlich dar.
Herbert Prantl (SZ) hält das Vorgehen der Bundesregierung für "eine derartige Dreistigkeit, dass einem die Spucke wegbleibt". Jost Müller-Neuhof (Tsp) möchte dagegen den Fokus auf die zu gewährleistende Kontrolle legen: "Darin liegt die Aufgabe, nicht im Widerstand gegen sinnvolle Gesetze."
Rechtspolitik
Parteienfinanzierung: Diesen Donnerstag soll die Änderung des Grundgesetzes im Bundestag beschlossen werden, durch die verfassungsfeindliche Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden können. Dies berichtet die FAZ (Robert Rossmann). Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, und die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast, (Grüne) kritisieren in der FAZ den Entwurf als "Änderung der Verfassung im Hauruckverfahren". Das Vorhaben diene lediglich der Ablenkung von den Versäumnissen im Kampf gegen Rechts.
Entschädigung Homosexueller: Heute wird auch das Gesetz verabschiedet, mit dem homosexuelle Männer rehabilitiert und entschädigt werden sollen, die nach § 175 StGB verurteilt worden waren, der bis 1994 galt. Die taz (Jan Feddersen) kritisiert, dass die Wiedergutmachung vergiftet sei, weil sie die Einschränkung enthalte, dass es sich dabei um keinen Beischlaf mit Personen unter 16 Jahren gehandelt haben darf. Dies impliziere das alte Vorurteil vom Päderasten und zwinge die Betroffen zu beweisen, dass sie keine seien. Zudem habe die Schutzgrenze für Heterosexuelle damals bei 14 Jahren gelegen.
NetzDG: Rechtsprofessor Rolf Schwartmann bespricht im Staat-und-Recht-Teil der FAZ die Neufassung des NetzDG. Er kritisiert insbesondere die kurzen Löschfristen und hohen Bußgelder, die gegen die Verfassung und EU-Recht verstießen. Zu klären bleibe das Verhältnis von Persönlichkeitsrechten und der freien Meinungsäußerung, die das Gesetz nicht regele. Die Frage, welche Inhalte zu löschen seien, unterfalle der Zuständigkeit der Länder, die bereits Erfahrungen mit der Selbstregulierung im Jugendmedienschutzstaatsvertrag gesammelt hätten.
Illegale Autorennen: Die Ahndung illegaler Autorennen soll verschärft werden, berichtet die FAZ (Christian Siedenbiedel). Die Organisation und Teilnahme an den verbotenen Rennen soll unter Strafe gestellt werden. Diskutiert werde noch, ob aus der Ordnungswidrigkeit eine Straftat gebildet werden und ob diese in das Strafgesetzbuch oder in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen werden soll.
Zwangsbehandlung: Die Zwangsbehandlung psychisch kranker Menschen wird ausgeweitet. An diesem Donnerstag soll ein Entwurf im Bundestag beschlossen werden, der die Zwangsbehandlung über die zwangsweise stationäre Unterbringung hinaus ermöglicht. Die Einschränkung besteht in einem Richtervorbehalt und dem Erfordernis einer Notwendigkeit für die Verhinderung erheblicher Gesundheitsschädigungen, stellt die taz (Christian Rath) dar.
EU-Asylpolitik: Rechtsprofessor Daniel Thym bespricht auf verfassungsblog.de die Vorschläge der EU-Kommission zur Neuregelung des Asylsystems. Dabei geht es insbesondere um die Reform der Aufnahme-Richtlinie sowie das Vorhaben für eine neue Verfahrens- und Qualifikation-Verordnung.
IMK: Der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer kommentiert in einem Gastbeitrag in der Zeit die Debatten und Ergebnisse der Innenministerkonferenz und kritisiert das Schüren von Ängsten vor steigender Kriminalität.
Justiz
EuGH zu Schleierfahndung: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass verdachtsunabhängige Kontrollen im Grenzraum sowie in Zügen und Bahnhöfen nur durchgeführt werden dürften, wenn Vorschriften sicherstellten, dass diese nicht flächendeckend und systematisch erfolgten. Aufgrund der Vorgaben des Schengener Grenzkodex dürften Kontrollen nur stichprobenartig erfolgen und nicht auf die Wiedereinführung von Grenzkontrollen durch die Hintertür hinauslaufen. Das vorlegende Amtsgericht Kehl muss nun entscheiden, ob weitere Normen bestehen, die eine solche einschränkende Ausübung der Kontrollen sicherstellen. Die SZ (Wolfgang Janisch) und lto.de (Maximilian Amos) erläutern die Entscheidung.
BVerfG – ProstSchG: Die taz (Simone Schmollack) stellt die Verfassungsbeschwerde gegen das neue Prostituiertenschutzgesetz vor, die mehrere Sexarbeiter, Bordellbetreiber und Freier am Mittwoch eingereicht haben. Die Beschwerdeführer machten geltend, dass die Anmeldepflicht, die Gesundheitsberatungspflicht und die Ausweispflicht unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit eingriffen, erklärt die taz (Christian Rath) in einem separaten Artikel.
Simone Schmollack (taz) warnt vor einer Abdrängung der Prostitution in die Illegalität: "Dann haben die Behörden erst recht keine Kontrolle über das, was im Rotlichtmilieu passiert."
BGH – Brustimplantate: Der Bundesgerichtshof verhandelt an diesem Donnerstag über die Schadensersatzklage einer Frau, der Brustimplantate aus gesundheitsgefährdendem Silikon eingesetzt worden waren. Da die Herstellerfirma insolvent ist, verlangt sie die Summe vom TÜV Rheinland. Wie die FAZ (Helene Bubrowski) erläutert, muss der BGH nach einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nun entscheiden, ob es besondere Hinweise gegeben hat, die den TÜV zu einer näheren Überprüfung des Herstellers hätten veranlassen müssen.
EuGH zu Produkthaftung: Der Europäische Gerichtshof hat Beweislasterleichterungen bei Haftungsklagen von Verbrauchern gegen Unternehmer erlaubt. Wie die FAZ (Marcus Jung) und das Hbl (Heike Anger) darstellen, hat das Gericht die französische Regel für europarechtskonform erklärt, die eine solche Erleichterung vorsah. Bereits ernsthafte, klare und übereinstimmende Indizien für die Ursächlichkeit des Produkts für die Verletzung sollen die Haftungsbegründung leisten.
EuGH – Fristen Dublin-Verordnung: Nun bespricht der wissenschaftliche Mitarbeiter Timo Tohidipur auf lto.de den Schlussantrag der Generalanwältin Eleanor Sharpston zu Fristen der Dublin-III-Verordnung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass sich Asylantragsteller auf den Ablauf von Fristen berufen können, die die Zuständigkeit für den Asylantrag auf einen anderen Staat übergehen lassen. Sollte der EUGH dem folgen, würde dies das Recht der Antragsteller auf internationalen Schutz immens stärken.
BVerfG zu Ehe für alle: Nun bespricht auch der Tsp (Jost Müller-Neuhof) den vor dem Bundesverfassungsgericht gescheiterten Versuch der Opposition, noch vor Ende der Legislaturperiode eine Entscheidung über die "Ehe für Alle" herbeizuführen. Das Gericht habe keine willkürliche Verschleppung erkennen können.
OLG Düsseldorf – Terrorprozess: Am Oberlandesgericht Düsseldorf hat der Prozess gegen einen ehemaligen IS-Agitator begonnen, berichtet focus.de (Axel Spilcker). Dem Mann wird Mitgliedschaft in einer ausländischen, terroristischen Vereinigung vorgeworfen, weil er in den Irak gereist und dort den IS unterstützt haben soll, bevor er in Deutschland Asyl beantragte.
LG Magdeburg – Justizbeeinflussung? Der Staatssekretär im Justizministerium von Sachsen-Anhalt, Hubert Böning (CDU), soll versucht haben, die Terminierung eines Strafverfahrens zu beeinflussen. Er soll bei Gericht angerufen und auf eine frühere Terminierung des Verfahrens gegen einen wegen Vergewaltigung Vorbestraften gedrängt haben, meldet lto.de.
Ausgaben für Justiz: Der Deutsche Anwaltverein hat Zahlen zu den Ausgaben der Bundesländer für Personal- und Sachkosten der Justiz vorgelegt. Kein Bundesland gebe auch nur fünf Prozent seines Haushalts für Kernaufgaben der Justiz aus, meldet spiegel.de. DAV-Präsident Ulrich Schellenberg habe die darin zum Ausdruck kommende Geringschätzung der Justiz kritisiert.
Recht in der Welt
Vereinigtes Königreich – Boris Becker: Ein britisches Gericht hat Boris Becker in einem Schadensersatzprozess für bankrott erklärt, berichtet die SZ (Björn Finke/Gerald Kleffmann). In dem Verfahren ging es um Schulden gegenüber einer britischen Bank in "substanzieller Höhe". Nun wird ein Insolvenzverwalter über Beckers Vermögen bestellt.
Ungarn – Tote Flüchtlinge: Wegen des Todes von 71 Flüchtlingen in einem Kühllaster, der medial für Aufsehen sorgte, beginnt in der ungarischen Stadt Kecskemét der Prozess gegen eine Gruppe von Männern. Ihnen wird vorgeworfen, den Lkw über die Grenze nach Österreich gefahren und dort abgestellt zu haben. Die SZ (Cathrin Kahlweit) und Welt (Boris Kálnoky) fassen den Fall und die Vorwürfe zusammen.
Sonstiges
Hans-Joachim Rehse: Die Zeit (Robert Pausch) widmet sich in einem ausführlichen Beitrag dem Prozess gegen Hans-Joachim Rehse, der als beisitzender Richter neben Roland Freisler an Todesurteilen zur NS-Zeit mitwirkte. Nachdem er zunächst wegen Rechtsbeugung verurteilt worden war, sprach ihn die nächste Instanz frei. Der Prozess steht exemplarisch für das Versagen der Nachkriegsjustiz in der Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Justiz.
Handbuch des Staatsrechts: Reinhard Müller (FAZ) bespricht das in dritter Auflage erschienene Handbuch des Staatsrechts, herausgegeben von Paul Kirchhof und Josef Isensee. Das Handbuch sei ein Porträt der deutschen Staatsrechtslehre und des Bundesverfassungsgerichts, es zeige "Kontinuität und Wandel und Wirrungen". Zudem greife das Werk das Verhältnis Deutschlands zur EU auf.
Innerparteiliche Demokratie: Die Rechtsprofessoren Schönberger und Schönberger befassen sich in einem Gastbeitrag in der FAZ mit der Sicherstellung innerparteilicher Demokratie bei der Aufstellung von Wahllisten für die Landtagswahlen. Die Listenaufstellung sollte im Wesentlichen denselben demokratischen Anforderungen wie der Wahlvorgang genügen, die durch einen Landeswahlleiter sicherzustellen seien. Anderenfalls verlören die Parteien an Glaubwürdigkeit.
NSU-U-Ausschuss: Am heutigen Donnerstag soll der Abschlussbericht des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag verabschiedet werden. Die taz (Konrad Litschko) erläutert den 1.000-seitigen Bericht. Kritisiert werden insbesondere der verantwortungslose Umgang mit V-Leuten, Ermittlungspannen sowie die zu enge Fokussierung auf das Trio, obwohl unübersehbare Hinweise auf die Beteiligung weiterer Personen bestünden. Die Linke habe einen neuen Untersuchungsausschuss zu Rechtsterrorismus und Geheimdiensten gefordert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. Juni 2017: Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung / EuGH zu Schleierfahndung / Bericht NSU-U-Ausschuss . In: Legal Tribune Online, 22.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23226/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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