Sind tödliche Medikamente für den eigenen Suizid zu genehmigen? Das BVerwG eröffnet einen Zugang in Extremfällen. Außerdem in der Presseschau: Vorabmeldungen zum Schlecker-Verfahren und die Absage von Auftritten türkischer Politiker.
Thema des Tages
BVerwG zu Selbsttötung: In extremen Einzelfällen, in denen Betroffene einer unerträglichen Leidenssituation ausgesetzt sind und eine zumutbare Alternative nicht besteht, kann der Zugang zu einem tödlichen Betäubungsmittel, das eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, staatlicherseits nicht verwehrt werden. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht unter Berufung auf das grundgesetzliche allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die taz (Christian Rath) stellt die Entscheidung und den zugrunde liegenden Fall vor. Die Ehefrau des jetzigen Klägers hatte sich nach einem schweren Unfall vor nunmehr zwölf Jahren in der Schweiz das Leben genommen. Bislang erfolglos hatte der Kläger die Feststellung begehrt, dass die damalige Verweigerung der Medikation durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte rechtswidrig gewesen sei. Der Bericht von lto.de zeichnet den Verfahrensgang nach.
Daniel Deckers (FAZ) kritisiert das Urteil in scharfen Worten. Zwar zähle das "Recht auf Selbstbestimmung zu den fundamentalen Menschenrechten". Hieraus könne jedoch kein Recht abgeleitet werden, den Staat "zum Handlanger beim Suizid" zu machen. Indem die Entscheidung mit der Wertordnung des Grundgesetzes breche, werde geltendes Recht durch Richterrecht pervertiert.
Rechtspolitik
Strafvollzug: In einem Gastbeitrag für die SZ zieht Bernd Maelicke, Honorarprofessor, eine kritische Zwischenbilanz zu der durch die Föderalismusreform formulierten Zuständigkeit der Länder für den Strafvollzug. Der frühere Beamte im schleswig-holsteinischen Justizministerium zeigt sich besorgt über den geschaffenen Flickenteppich an Regelungen, die sich allerdings höchstens in Detailfragen unterschieden. Der Bund müsse sich fragen, ob er zur Sicherung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und der Einheit des Rechtsstaats Kompetenzen für den Betrieb "von Einrichtungen für Sicherheit und Resozialisierung" nicht wieder an sich ziehen sollte.
Abschiebungen: Über den von EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos vorgestellten Aktionsplan zur Flüchtlingspolitik berichtet unter anderem die Welt (Andre Tauber). Neben einer fairen Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsstaaten enthalte der Plan auch Vorgaben zur schnelleren und effizienteren Abschiebung "irregulärer" Migranten. Nikolaus Busse (FAZ) begrüßt diese Absicht. "Nicht zuletzt in Deutschland" würde "immer wieder so getan", als ob es europäische Standards verletze, wenn abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Dabei könne das Asylrecht "nur dann politischen Bestand haben, wenn die Bevölkerung das Gefühl hat, dass es korrekt angewandt wird".
Managergehälter: In einem Kommentar bezweifelt Karl-Heinz Büschemann (SZ) den Nutzen gesetzlicher Beschränkungen von Managergehältern. Zwar würden neue Paragrafen als "Arbeitsnachweis für Volksvertreter" gelten, "schäbiges Handeln" könne es aber auch "innerhalb des rechtlich Möglichen" geben.
Dienstleistungsfreiheit: In einem dem Hbl (Till Hoppe/Frank Specht) vorliegenden Papier üben die Regierungsparteien "ungewöhnlich scharfe Kritik" an Plänen der EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska zur Beseitigung von Beschränkungen des Binnenmarkts für Dienstleistungen. Gerügt werde etwa eine Verletzung des Demokratieprinzips durch eine Vorlagepflicht nationaler Vorschriften zum Dienstleistungssektor.
Justiz
EuGH zu 0180-Nummern: Für Verbraucher kostenpflichtige 0180-Nummern verstoßen zumindest dann gegen Unionsrecht, wenn die eingerichteten Service-Hotlines der Bearbeitung von Kundenanliegen zu bereits geschlossenen Verträgen dienen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof in einem Urteil, über das Andreas Brommer auf lto.de berichtet. Der Rechtsanwalt stellt die Argumentation der auf Vorlage des Landgerichts Stuttgart ergangenen Entscheidung und ihre Ausnahmen vor. Der Verfahrensgang ist auch Thema des Berichts der BadZ (Christian Rath). Hendrik Wieduwilt (FAZ) macht in einem Kommentar auf die wirtschaftlichen Folgen aufmerksam. Kompetenter und freundlicher Service koste, weil Preissteigerungen aber "angesichts der deutschen Schnäppchenmentalität und Preistransparenz im Netz indiskutabel" seien, könnten sich derartige Angebote künftig nur noch Marktgiganten wie Amazon leisten.
BVerfG – BND-Überwachung: Die Organisation Reporter ohne Grenzen legt eine Verfassungsbeschwerde gegen die strategische Fernmeldeüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst ein. Die Journalisten rügen die Erfassung zahlreicher E-Mails der Organisation und die Unverhältnismäßigkeit dieser Praxis, die zudem gegen die Bestimmungen des G-10-Gesetzes verstoße. netzpolitik.org (Lennart Mühlenmeier) berichtet.
KG Berlin zu Kriegsverbrechen: Wegen Kriegsverbrechen hat das Berliner Kammergericht einen irakischen Flüchtling zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Als Mitglied einer regulären Militäreinheit hatte der Verurteilte mit den Köpfen zweier bereits zuvor getöteter IS-Kämpfer posiert. Nach dem Bericht der taz (Gabriela Keller) beweise das Verfahren, wie schwer es sei, Taten in fernen Krisenregionen aufzuklären.
LG Stuttgart – Schlecker: Ab dem kommenden Montag muss sich Firmengründer Anton Schlecker gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Kindern vor dem Landgericht Stuttgart unter anderem wegen eines besonders schweren Falls des Bankrotts verantworten. Den Angeklagten wird vorgeworfen, angesichts der absehbaren Insolvenz des Unternehmens Vermögenswerte beiseite geschafft zu haben, erläutert das Hbl (Martin Buchenau/Volker Votsmeier) in einem ausführlichen Bericht, der die Angeklagten, ihre Verteidiger, den Insolvenzverwalter, aber auch den Umgang der Heimatgemeinde des Unternehmens mit dessen schwierigen Erbe vorstellt. Der Vorbericht der SZ (Klaus Ott) konzentriert sich auf einen Privatkredit von 30 Millionen Euro, der Schlecker vom Lidl-Gründer Dieter Schwarz kurz vor der Pleite der Drogerie-Kette gewährt wurde.
LG Arnsberg zu Gewinnspiel: Das Landgericht Arnsberg hat den Streit ehemaliger Freunde über Anteile an einem Gewinn durch Urteil beendet. Bei einem feuchtfröhlichen Wochenende hatte der nun beklagte ehemalige Freund über ein Kronkorken-Los einen Neuwagen gewonnen, teilen wollte er ihn aber nicht. Weil er hierdurch gegen die Rechte der Miteigentümer, jener Freunde, die das Bier mitfinanziert hatten, verstoßen hat, muss er einer klagenden früheren Freundin einen Anteil erstatten. Die FAZ (Timo Frasch) berichtet.
LG Berlin – Selbstjustiz: Wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge muss sich ein Supermarktleiter vor dem Landgericht Berlin verantworten. Aus Ärger über einen Ladendiebstahl hatte der Angeklagte einen Obdachlosen verprügelt. Ob dessen späterer Tod auf die Schläge zurückzuführen ist, wird das Gericht herausfinden müssen. Es berichten SZ (Verena Mayer) und spiegel.de (Julia Jüttner).
Fluggastrechte: Stellt es einen außergewöhnlichen Umstand dar, wenn wie im letzten Herbst bei TUI Flüge ausfallen, weil sich zahlreiche Mitarbeiter krankmelden? Wäre dies so, dann könnten sich Fluggesellschaften gegenüber Ersatzansprüchen von Verbrauchern nach der Fluggastrechte-Verordnung exkulpieren. Nach ersten Urteilen des mit Ersatzansprüchen befassten Amtsgerichts Hannover ist die Frage zu verneinen, informiert Rechtsanwalt Marcus Scholz auf lto.de in einer Übersicht zur Rechtsproblematik. Es entspreche gefestigter Rechtsprechung, dass die Erkrankung von Mitarbeitern in die Risikosphäre des Arbeitgebers falle.
GBA – Kriegsverbrechen: Die beim Generalbundesanwalt erstattete Anzeige gegen syrische Militärs wegen systematischer Folter von Regimegegnern thematisiert nun auch die taz (Christoph Kürbel).
Mark K. Binz: In einem ausführlichen Porträt stellt das Hbl (Tanja Kewes) Mark K. Binz vor. Dem "Familienanwalt deutscher Mittelständler", dem eine "legendäre" Eitelkeit attestiert wird, wurde jüngst durch Robert Tönnies das Mandat entzogen, er bereite sich aber aktuell auf eine neue spektakuläre Vertretung vor. Die Erbin des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer wolle mit seiner Hilfe ihren Anteil der ungeteilten Erbengemeinschaft durchsetzen.
Recht in der Welt
EGMR – Straffreiheit: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Italien zu einem Schadensersatz verurteilt, weil Behörden des Landes ihrer Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit einer misshandelten Frau und ihrer Kinder nicht Genüge getan haben. Die Frau hatte sich wegen Übergriffen ihres Partners mehrmals an die Polizei gewandt, war dort aber vertröstet worden, berichtet die FAZ (Helene Bubrowski). Hierdurch sei ein Klima der Straffreiheit geschaffen worden, das schließlich die Tötung des Sohnes begünstigt habe.
EU – Marine Le Pen: Das Europäische Parlament hat auf Antrag einer französischen Staatsanwaltschaft die Immunität der Abgeordneten Marine Le Pen aufgehoben und damit ein Verfahren wegen "Verbreitung gewaltsamer Bilder" ermöglicht. Die Präsidentschaftskandidatin hatte Propagandabilder des IS veröffentlicht, schreibt zeit.de (Georg Blume).
Polen – Oberstes Gericht: Nach Bericht der FAZ (Konrad Schuller) hat eine Gruppe von Abgeordneten der Regierungspartei PiS beim polnischen Verfassungsgericht die Amtsenthebung der Vorsitzenden des Obersten Gerichts, der zweithöchsten Kammer des Landes, beantragt. Begründet werde der Vorstoß mit einem formellen Ernennungsfehler. Die betreffende Richterin Małgorzata Gersdorf gilt als Kritikerin der gegenwärtigen Justizreformpläne.
Österreich – Gruppenvergewaltigung: Wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung einer deutschen Touristin hat das Wiener Landesgericht für Strafsachen acht aus dem Irak stammende Männer zu jeweils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Über das Urteil schreiben SZ (Cathrin Kahlweit) und FAZ (Stephan Löwenstein).
Ägypten – Hosni Mubarak: Den früheren ägyptischen Machthaber Hosni Mubarak hat der Kassationsgerichtshof des Landes letztinstanzlich vom Vorwurf freigesprochen, für die Tötung von Demonstranten vor sechs Jahren verantwortlich zu sein. Gleichzeitig wurden Anträge von Hinterbliebenen, Mubarak wegen der Tötungen zivilrechtlich in Anspruch nehmen zu können, abgewiesen, so die SZ (Paul-Anton Krüger).
USA – Justizminister: Die US-amerikanischen Untersuchungen zu russischen Einmischungsversuchen in die letzte Präsidentschaftswahl werden ohne Beteiligung von Justizminister Jeff Sessions stattfinden. Diese Konsequenz zog der Minister nach Vorwürfen, er habe in einer Senatsanhörung zu Kontakten mit russischen Regierungsanhörungen die Unwahrheit gesagt. Es berichten SZ (Hubert Wetzel) und spiegel.de.
Sonstiges
Türkische Minister in Deutschland: Die Städte Gaggenau und Köln haben geplante Auftritte türkischer Minister, bei denen für das kommende Verfassungsreferendum in der Türkei geworben werden sollte, abgesagt. Als Konsequenz sagte der türkische Justizminister Bekir Bozdag sein Treffen mit seinem deutschen Kollegen Heiko Maas (SPD) ab. Es berichtet unter anderem die SZ (Josef Kelnberger u.a.). Bekir Bozdag wird von spiegel.de und FAZ (Christian Meier) vorgestellt. Im Leitartikel begrüßt Reinhard Müller (FAZ) die Absage. Zwar könne ein Rechtsstaat mit Zumutungen umgehen und besitze sogar die Pflicht, den Grundrechten von Veranstaltern Geltung zu verschaffen. Auch sei es nicht verkehrt, gegenüber einem autoritären Regime diplomatische Kanäle offenzuhalten. Gleichwohl müssten Grenzen gesetzt werden, wenn diesem Regime hierzulande die Gelegenheit gegeben werde, "Gegner zu verfolgen und Anhänger aufzustacheln".
Sicherheit: Für das Hbl bespricht Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, "Allein unter Feinden?", ein "starkes Debattenbuch" des Handelsblatt-Redakteurs Thomas Sigmund. Auch wenn man dem Autor nicht bei jeder seiner im Buch vertretenen Thesen zur Wiederherstellung verlorengegangener Sicherheit folgen müsse, bringe das Werk "den gesellschaftlichen Diskurs voran".
Berlin Legal Tech: community.beck.de (Stephan Breidenbach) bringt einen Überblick zu den Themen der Berlin Legal Tech-Konferenz.
Das Letzte zum Schluss
Rache: Sein pfälzischer Dialekt wurde einem Mann zum Verhängnis, der dem neuen Liebhaber seiner ehemaligen Freundin in Schwaben eins auswischen wollte. Die SZ schreibt, dass der Verlassene sich mit einem heißen Tipp über Drogenverkäufe des neuen Partners anonym an die Polizei wandte. Diese fand die Mundart des Anrufers merkwürdig und konnte den Fall aufklären. Demnächst wird die Staatsanwaltschaft, unter anderem wegen falscher Verdächtigung, aktiv.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. März 2017: Suizid ermöglicht / Schlecker angeklagt / Auftritte abgesagt . In: Legal Tribune Online, 03.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21701/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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