EuGH klärt Haftung von Prüfstellen für Medizinprodukte. Außerdem in der Presseschau: Erneuter Tadel für Pkw-Maut, Zschäpe spricht doch mit Psychiater und Befragung der Bundeskanzlerin vor dem NSA-Untersuchungsausschuss.
Thema des Tages
EuGH zu Brustimplantate/TÜV: Prüfstellen wie der TÜV tragen keine generelle Pflicht, Medizinprodukte selbst zu überprüfen oder unangekündigte Kontrollen bei den Herstellern durchzuführen. Nur bei Hinweisen auf Mängel müssen sie "alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen", um die Qualität zu sichern. Dies entschied der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bundesgerichtshofs. Eine Haftung gegenüber den Patienten sei allerdings möglich, wenn die Prüfstelle eine Pflicht zur Produktsicherheit schuldhaft verletzt habe. Dies hätten nationale Gerichte aufgrund von nationalem Recht festzustellen. Im vorliegenden Fall hatte eine Frau den TÜV Rheinland auf Schadensersatz verklagt, weil ihre Brustimplantate des französischen Unternehmens PIP zwar mit TÜV-Siegel versehen, aber mangelhaft waren. Die FAZ (Helene Bubrowski), die taz (Christian Rath) und die Welt (Claudia Ehrenstein) schildern den Fall. Der Rechtsanwalt Florian Niermeier analysiert für lto.de insbesondere die Folgen der Entscheidung im konkreten Fall, aber auch für Prüfstellen allgemein.
Christian Rath (taz) findet es unbefriedigend, dass die Luxemburger Richter unangemeldete Kontrollen bei den Herstellern nur in Ausnahmefällen für zwingend erachten. Allerdings sieht die kommende Reform der EU-Medizinprodukte-Verordnung eine solche Pflicht vor. Rath sieht hier aber noch weiteren Regelungsbedarf: Hersteller von Medizinprodukten sollten dazu verpflichtet werden, eine Haftpflichtversicherung für Schäden in unbegrenzter Höhe abzuschließen.
Rechtspolitik
Rechtswidrige Pkw-Maut: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hält auch den Kompromiss zur Pkw-Maut für unionsrechtswidrig. Die Regelungen diskriminierten EU-Ausländer, die nicht in Deutschland steuerpflichtig sind, mittelbar wegen ihrer Staatsangehörigkeit. Der Wissenschaftliche Dienst sieht auch keine unionsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgründe für die Diskriminierung. Das Gutachten liegt der FAZ (Henrike Roßbach/Hendrick Kafsack) vor.
Henrike Roßbach (FAZ) empfindet es als Trauerspiel, wie schwer Berlin sich damit tue, das ganz richtige Prinzip "wer die Straße nutzt, soll dafür bezahlen" umzusetzen.
Anti-Terrorismus-Richtlinie: Das Europaparlament hat die Anti-Terrorismus-Richtlinie verabschiedet. Die Mitgliedsstaaten sollen unter anderem die Ausbildung von Terroristen, die Finanzierung von Anschlägen sowie Reisen zu terroristischen Zwecken unter Strafe stellen. Dafür haben sie 18 Monate Zeit. Wie zeit.de anmerkt, werde sich für Deutschland durch die Richtlinie nicht viel ändern, nachdem das deutsche Strafrecht entsprechende Regelungen bereits umfasst.
Tomas Rudl (netzpolitik.org) hebt erneut die Kritik an der Richtlinie hervor: So könnten unscharfe Formulierungen dazu führen, dass die Regelungen sich auch auf nicht-terroristische Bereiche erstreckten und so etwa politische Aktivisten treffen. Bewegungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit seien gefährdet.
EU-Außengrenzkontrollen: Ein- und Ausreisende – aus Dritt- und EU-Staaten – sollen künftig an den EU-Außengrenzen systematisch überprüft werden. Dies sieht eine neue Verordnung vor, über die das EU-Parlament diskutiert hat, wie die Welt meldet.
Schleierverbot: Das Bundesjustizministerium mache verfassungsrechtliche Bedenken gegen das geplante pauschale Schleierverbot für Beamtinnen, Soldatinnen und Richterinnen geltend, wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) aus einem internen Schreiben an das Bundesinnenministerium erfahren hat. Das Verbot greife in das Grundrecht auf Glaubensfreiheit von Frauen ein, die sich aus "verpflichtend empfundenen religiösen Gründen" verschleierten. Ein verfassungsrechtliches Risiko schließe Maas' Ministerium aus, wenn das Verbot auf eine "konkrete Gefahr für den Dienstbetrieb" abstelle.
Neues BKA-Gesetz: Unter dem Titel "Noch ein bisschen die Würde verletzen" stellt Ronen Steinke (SZ) konsterniert fest, dass sich das Bundesinnenministerium in Sachen Reform des BKA-Gesetzes "wie ein Chaot, der jede Deadline schon aus Prinzip bis zur letzten Minute ausreizt", vorwärts bewege. Der neue Entwurf sieht vor, dass die vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Korrekturen der Ermittlungsbefugnisse zur Terrorbekämpfung zum 25. Mai 2018 in Kraft treten – die Frist läuft bis zum 1. Juni 2018.
Justiz
OLG München – NSU: Beate Zschäpes Verteidiger Grasel hat beantragt, dass sie mit dem Freiburger Psychiater Joachim Bauer vertraulich sprechen und sich möglicherweise untersuchen lassen kann. Nachdem Gutacher Henning Saß ihre Schuldfähigkeit festgestellt hatte, wolle Zschäpe nun eine zweite, wissenschaftlich fundierte Meinung einholen, schreiben spiegel.de (Björn Hengst) und die SZ (Wiebke Ramm). tagesschau.de (Thies Marsen) hält fest, Richter Götzl könne dem Antrag seine Zustimmung nicht verweigern.
AG Augsburg zu abgewimmeltem Notruf: Das Amtsgericht Augsburg hat einen Polizisten wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Amt durch Unterlassen zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt, nachdem er den Notruf eines Jugendlichen nicht ernst genommen hatte und dieser schließlich zusammengeschlagen wurde, meldet lto.de.
StA Berlin – Angriff auf Obdachlosen: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat gegen sechs Jugendliche und junge Männer, die an Weihnachten einen Obdachlosen angezündet haben sollen, Anklage wegen versuchten Mordes erhoben, meldet spiegel.de. Sie sollen billigend in Kauf genommen haben, dass das schlafende Opfer stirbt.
StA Frankfurt/Main – Insiderhandel an Frankfurter Börse: "Ich bin sicher, dass sich die Vorwürfe nach eingehender Prüfung als unbegründet erweisen werden", meint der Vorstandsvorsitzende der deutschen Börse Carsten Kengeter. Bei der Bilanzpressekonferenz hat er sich kurz zu den Ermittlungen gegen ihn wegen Insiderhandels geäußert. Die SZ (Jan Willmroth) erläutert den Vorgang.
BAW – Ditib: Der türkische Justizminister Bekir Bozdag moniert, die Durchsuchungen bei Ditib-Imamen in Deutschland verstießen gegen internationale Abkommen und griffen unzulässig in die Glaubens- und Religionsfreiheit ein. Er wirft deutschen Behörden indirekt vor, unter dem Einfluss der Gülen-Bewegung zu handeln, notiert die FAZ (Rainer Hermann/Reiner Burger).
Recht in der Welt
Amtsenthebung des US-Präsidenten: Wenn der US-amerikanische Vizepräsident und eine Mehrheit im Kabinett in einer Erklärung an den Kongress bekunden, der Präsident sei untauglich, die Befugnisse und Pflichten seines Amtes zu versehen, wird der Vizepräsident automatisch zum amtierenden Präsident. Dies sieht der 25. Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung vor, dessen Voraussetzungen der Harvard-Professor für Verfassungsrecht Mark Tushnet auf verfassungsblog.de erläutert.
EuGH zu Radio und TV im Hotelzimmer: Sendeunternehmen dürfen für Radio und Fernsehen auf Hotelzimmern keine Gebühren verlangen; die Wiedergabe erfolge nicht öffentlich und gegen Eintrittsgeld. Dies entschied der Europäische Gerichtshof. Die Rechtsanwälte Nils Rauer und Eva Vonau legen auf lto.de die Entscheidung dar.
Österreich – Vorgehen gegen Airbus: Die österreichische Regierung geht zivil- und strafrechtlich gegen zwei Airbus-Unternehmen vor. Sie fordert Schadensersatz in Höhe von 1,1 Milliarden Euro, unter anderem weil Airbus für den Kauf von Eurofighter-Kampfflugzeugen 183,4 Millionen Euro zu viel berechnet und auch für kriminelle Geschäfte genutzt habe. Zudem erstattete sie Anzeige wegen Betrugs bei der Staatsanwaltschaft Wien, so das Hbl (Markus Fasse/H.-P. Siebenhaar). Airbus zeigt sich verwundert über die Anschuldigungen.
Sonstiges
Merkel im NSA-U-Ausschuss: Wusste die Bundeskanzlerin etwas darüber, dass der Bundesnachrichtendienst Daten von Partnerstaaten ausspäht? Oder darüber, dass es kein No-Spy-Abkommen mit den USA geben würde? Diese Fragen beantwortete Angela Merkel (CDU) als Zeugin im NSA-Untersuchungsausschuss mit Nein. Sie räumte ein, der BND habe gegen ihre Vorgaben verstoßen. In Sachen Abkommen habe es ernsthafte Bemühungen gegeben. Unter anderem SZ (Nico Fried) und FAZ (Eckart Lohse) berichten über die Befragung der Kanzlerin.
Heribert Prantl (SZ) hält der "gretchenhaften" Unschuld der Kanzlerin entgegen, dass die Regierung nichts getan habe, "um diese grundrechtsbrechenden Aktionen aufzuklären". Vielmehr habe sie rund um den Skandal "geschwindelt, getrickst, getäuscht und gelogen". Das neue BND-Gesetz habe die illegalen Praktiken nun noch legalisiert – das Grundgesetz stehe jetzt ziemlich im Abseits. Wolfgang Gast (taz) erzählt von der Affäre aus seiner Sicht: "Derjenige (das Kanzleramt), der das Ziel der elektronischen Aufklärung vorgibt, kümmert sich nicht darum, wie das erreicht wird. Und der Auftragnehmer (der BND) ist so rücksichtsvoll, nichts darüber zu verraten, wie er die Ziele erreicht."
spiegel.de erinnert an die wichtigsten Punkt der NSA-Affäre. Die taz (Patricia Hecht) interviewt den netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl zum NSA-Skandal. Er spricht über die Reform des BND-Gesetzes, mutmaßliche Lügen der Kanzlerin, die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses und gesellschaftliches Bewusstsein für Datenschutz.
V-Mann "Tarif" im NSU-U-Ausschuss: Der NSU-Untersuchungsausschuss hat erstmals einen V-Mann befragt. Michael von Dolsperg alias "Tarif" hat erneut seinen Vorwurf wiederholt, er hätte dem Bundesverfassungsschutz mitgeteilt, das NSU-Trio kurz nach dem Untertauchen auffliegen lassen zu können. Die Behörde gibt an, diese Meldung nicht erhalten zu haben, die Akte ist allerdings vernichtet worden. Die Ausschussmitglieder halten die Aussage von Dolspergs für glaubwürdig, so die taz (Konrad Litschko).
Souveränität im Völkerrecht: Der Völkerrechtler Ralph Janik zeichnet auf juwiss.de anhand bedeutender Ereignisse nach, wie sich das Völkerrecht und mit ihm die staatliche Souveränität entwickelt hat. Der Amtsantritt Donald Trumps habe eine erneute Veränderung angestoßen. Janik mahnt: "Das Denken vom 'Recht auf Demokratie' und die Förderung der Menschenrechte werden immer stärker von geo- und realpolitischen Überlegungen verdrängt." Dies stärke das klassische, souveränitätsbezogene Völkerrecht.
Das Letzte zum Schluss
Blick in die Vergangenheit: "Ein Hausknecht der betrunken nach Hause kam, ist, wahrscheinlich vom Schlage gerührt, todt im Bette gefunden." So klingt eine Polizeimeldung aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die Berliner Polizei hat sich auf die Spuren ihrer vor 200 Jahren tätigen Kollegen begeben und alt mit neu verknüpft: Sie twitterte eine Stunde lang Originalmeldungen. Dies wiederum meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 17. Februar 2017: Prüfpflichten des TÜV / Spricht Zschäpe mit Psychiater? / Kanzlerin vor U-Ausschuss . In: Legal Tribune Online, 17.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22086/ (abgerufen am: 28.04.2024 )
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