Das OLG Celle hat eine 16-jährige Islamistin wegen Mordversuchs verurteilt. Außerdem in der Presseschau: Heribert Prantl kritisiert den Gesetzentwurf zum automatisierten Fahren und die türkischen Klagen am Straßburger Gerichtshof nehmen zu.
Thema des Tages
OLC Celle verurteilt Safia S.: Das Oberlandesgericht Celle hat die 16-jährige Safia S. wegen versuchten Mordes und Unterstützung der terroristischen Vereinigung IS zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Sie hatte bei einer provozierten Polizeikontrolle einem Polizisten ein Messer in den Hals gerammt. Prozess und Urteilsbegründung fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In der Berichterstattung – u.a. von FAZ (Reinhard Bingener), SZ (Wiebke Ramm) und taz (Andreas Wyputta) – spielt die Frage eine große Rolle, ob die Tat vermeidbar gewesen wäre, wenn die Polizei ein beschlagnahmtes Handy der Täterin schneller ausgewertet hätte. Der Anwalt des Mädchens hat Revision angekündigt.
Annette Ramelsberger (SZ) sieht die Haftstrafe für Safia S. als "Chance", wenn sie im Gefängnis vom Einfluss von Islamisten abgeschirmt werde.
Rechtspolitik
Automatisiertes Fahren: In Fragen und Antworten stellt nun auch die SZ (Joachim Becker) den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu den rechtlichen Rahmenbedingungen automatisierten Fahrens dar. Heribert Prantl (SZ) kritisiert den Entwurf im Wirtschafts-Leitartikel als "gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr". Gesetze seien nicht dazu da, eine unausgereifte Technik zum Ruhme eines Ministers auf dem Markt zu etablieren. Der Entwurf sei auch eine Zumutung für die Käufer und Fahrer solcher Autos, weil auf sie alle Risiken abgewälzt würden.
Fahrverbot: Der Präsident des Verkehrsgerichtstags, Kay Nehm, hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des Fahrverbots als Sanktion für Delikte aller Art kritisiert. Dies sei überflüssig, weil es bereits genug Sanktionsmöglichkeiten gebe, und ungerecht, weil Autofahrer durch ein Fahrverbot unterschiedlich getroffen würden. Automobilverbände teilen die Kritik, so lto.de.
Opferschutz: Das Opferentschädigungsgesetz soll künftig auch für Straftaten gelten, bei denen ein Kraftfahrzeug als Waffe eingesetzt wurde. Das fordern die Grünen in einem Gesetzentwurf, der am heutigen Freitag im Bundestag in erster Lesung beraten wird, so die FAZ (Helene Bubrowski).
Kartellrecht: netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) berichtet über die Anhörung des Bundestags zur Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Die erweiterten Prüfmöglichkeiten des Bundeskartellamts, insbesondere in der Internet-Branche, wurden von den Sachverständigen begrüßt.
Partei-Diskriminierung: Der Habilitand Sebastian Roßner lehnt auf lto.de den Fingerzeig des Bundesverfassungsgerichts ab, wonach verfassungswidrigen Parteien nach einer Grundgesetzänderung die Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung gestrichen werden könnte. Dies schaffe nur unnötig Märtyrer.
SIS: netzpolitik.org (Matthias Monroy) stellt den Vorschlag der EU-Kommission zur Erweiterung des Schengen-Informations-Systems vor: "Neue Personenkreise sollen erfasst, neue Funktionen bereitgestellt und der Kreis der Zugriffsberechtigten erweitert werden."
Justiz
BGH zu ARD-Zeitschriften: Die ARD darf die Markenrechte an eigenen Sendungen nicht in Kooperationen mit privaten Zeitschriften-Verlagen einbringen, entschied der Bundesgerichtshof. Dies wird als unlauterer Wettbewerb eingestuft, weil die ARD hierbei Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrags missachte. Konkret ging es um das "ARD Buffet Magazin", das der Burda-Verlag herausbringt, berichten die SZ (Karoline Meta Beisel) und lto.de.
BVerwG zu Führerscheinentzug: Die Fahrerlaubnis eines Autofahrers mit 9 Punkten in der Flensburger Kartei kann auch dann entzogen werden, wenn er für den vorletzten Verkehrsverstoß erst nach dem letzten Verkehrsverstoß verwarnt wurde. Die Warnung habe ihn dann zwar nicht rechtzeitig erreicht, aber die Sicherheit des Verkehrs gehe nach einer Neuregelung von 2014 vor, so das Bundesverwaltungsgericht laut lto.de.
BVerwG zum Rundfunkbeitrag: Nun berichten auch die taz (Christian Rath) und lto.de über ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Mittwoch. Wer in zwei Ein-Personen-Haushalten lebt, muss zweimal Rundfunkbeitrag bezahlen, auch wenn er gleichzeitig nur in der einen oder anderen Wohnung fernsehen kann. Dies sei im Rahmen einer "Typisierung" hinzunehmen.
EuGH – Mitbestimmung: Die SZ (Franziska Augstein) berichtet über die mündliche Verhandlung des Europäischen Gerichtshofs im TUI-Fall vom Dienstag. Überraschend halte nun auch die Kommission die deutsche Rechtslage zur Wahl von Arbeitnehmer-Aufsichtsräten für vereinbar mit EU-Recht. Ähnlich argumentierten auch Österreich, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande. Nur der Kläger im Ausgangsverfahren und Norwegen kritisierten, dass Arbeitnehmer, die in ausländischen TUI-Niederlassungen arbeiten, nicht wählen dürfen.
OLG München – NSU: Die SZ (Annette Ramelsberger) schildert auf Seite 3 ausführlich die Befragung des psychiatrischen Sachverständigen Henning Saß durch Hermann Borchert, den Anwalt der Angeklagten Beate Zschäpe. Saß blieb dabei: "Es gibt kein Anzeichen für Bewegtheit, Erschütterung, Anteilnahme." Wer sich als "Meisterin" bezeichne, sei keine unterwürfige Mitläuferin. Am Rande wurde bekannt, dass der Prozess möglicherweise noch bis Anfang 2018 dauern könnte.
LG Berlin – Autorennen: Im Prozess am Landgericht Berlin gegen zwei Raser, denen Mord an einem totgefahrenen Rentner vorgeworfen wird, stellte eine Verkehrspsychologin ihr Gutachten über den Angeklagten Hamdi H. vor. Er habe eine "extreme kriminelle Energie". Er sei ein typischer Vertreter der Raser-Szene: "jung, männlich, geringes Selbstwertgefühl, keine Perspektive". Nur zu seinem Auto habe er eine Beziehung gehabt wie eine Mutter zu ihrem Kind. Die Gutachterin wunderte sich, dass es trotz 22 vorheriger Verkehrsverstöße kaum spürbare Sanktionen gab. Es berichteten die SZ (Verena Mayer) und spiegel.de (Uta Eisenhardt).
OLG Hamm – Klima: Der peruanische Bergbauer, der bislang erfolglos gegen RWE klagte, weil der Energiekonzern am Ausstoß von klimaschädlichen Schadstoffen beteiligt ist, legte beim Oberlandesgericht Hamm Berufung ein, meldet die taz.
LG Frankfurt/M. – S&K: Im Strafprozess vor dem Landgericht Frankfurt gegen die Führungsriege der Immobilienfirma S&K finden derzeit Gespräch zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigern über eine Absprache statt, berichtet die FAZ (Marcus Jung). Die Staatsanwaltschaft würde die Anklage auf Untreue beschränken, weil hier die Beweisaufnahme abgeschlossen ist, und den Vorwurf des Betruges fallen lassen. Die bisher noch nicht geständigen Angeklagten seien jetzt auch hierzu bereit.
Recht in der Welt
EGMR – Türkei: Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat die Zahl der Beschwerden aus der Türkei im Vorjahr um 276 Prozent zugenommen. Mehr als 5.000 Verfahren, etwa die Hälfte der türkischen Neueingänge, betreffen Maßnahmen der Türkei nach dem Putschversuch im Juli, meldet sueddeutsche.de.
EGMR – Schweiz: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz wegen Verletzung des Folterverbots gerügt, weil sie vor der Abschiebung eines Tamilen nach Sri Lanka nicht genug dessen dortige Gefährdung geprüft habe, berichtet die Basler Zeitung. Das ehemalige Mitglied der Organisation Tamil Tigers war dort sofort inhaftiert worden.
Griechenland – Auslieferung: Das oberste Gericht Griechenlands hat die Auslieferung von acht türkischen Soldaten, die nach dem Putschversuch vom Juli ins Nachbarland geflohen waren, abgelehnt, weil in der Türkei kein fairer Prozess gewährleistet sei, berichtet die taz (Jannis Papadimitriou).
Italien – Wahlrecht: Das italienische Verfassungsgericht hat die Reform des Wahlgesetzes zum Abgeordnetenhaus beanstandet. Vorgesehen war eine Stichwahl der beiden stärksten Parteien, wenn keine von ihnen mehr als 40 Prozent erreicht. Dies sei verfassungswidrig. Die Berichterstattung – u.a. FAZ (Jörg Bremer) und taz (Michael Braun) beschäftigt sich vor allem mit den Folgen des Urteils und ob nun baldige Neuwahlen zu erwarten seien.
Russland – Yukos: In einem englischsprachigen Beitrag beschäftigt sich Maxim Timofeyev auf verfassungsblog.de mit einem Urteil des russischen Verfassungsgerichts vom Dezember. Danach kann ein EGMR-Urteil von 2014, das den Aktionären des zerschlagenen Ölkonzerns Yukos 1,9 Mrd. Euro Schadensersatz zuspricht, nicht umgesetzt werden, weil es der russischen Verfassung widerspreche. Das Urteil sei schlecht begründet und könne den Konflikt zwischen Russland und Straßburg weiter eskalieren lassen, meint Timofeyev.
Großbritannien – Brexit: Der Dozent Paul Kragl stellt auf juwiss.de die Entscheidung des englischen Supreme Courts vom Dienstag vor, wonach das englische Parlament über das Stellen eines EU-Austritts-Antrags abstimmen müsse. Das Urteil kläre, dass die durchaus umfangreiche außenpolitische Regierungskompetenz des "königlichen Vorrechts" auf unionsrechtlicher Ebene stark eingeschränkt ist.
Sonstiges
VW – Hohmann-Dennhardt: Nach nur einem Jahr verlässt die ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt den Vorstand von VW. Sie war einst von Daimler abgeworben worden, um den Diesel-Skandal aufzuarbeiten. Es heißt, sie habe den Machtkampf mit Manfred Döss, dem Leiter des Rechtswesens bei VW, verloren, weil sie sich für strengere Aufklärung eingesetzt habe. Es berichten u.a. die SZ (Klaus Ott u.a.), die Welt (Philipp Vetter) und das Handelsblatt (Volker Votsmeier u.a.).
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. Januar 2017: Teenager als Terroristin verurteilt / Gesetzentwurf als Verkehrsgefährdung / Straßburg als Hoffnung . In: Legal Tribune Online, 27.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21913/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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