Ein Untersuchungsausschuss soll Behördenversagen im Fall Amri aufklären. Außerdem in der Presseschau: Das BVerfG entscheidet am Dienstag im NPD-Verbotsverfahren sowie Datenhehlerei-Verbot und Pressefreiheit.
Thema des Tages
U-Ausschuss im Fall Amri: Ein Untersuchungsausschuss soll im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri Fehler der Behörden aufarbeiten, dafür haben sich am Wochenende der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) ausgesprochen, wie die Montags-FAZ (Heike Schmoll), die Montags-SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) und die Montags-taz (Konrad Litschko) berichten. Amri habe, wie nun bekannt wurde, Kontakte zu einem V-Mann des Landeskriminalamtes Düsseldorf gehabt. Insbesondere solle nun geprüft werden, ob die Behörden die Informationsbeschaffung aus der Islamistenszene über die Gefahrenabwehr gestellt hätten.
Julian Staib (FAZ) spricht sich für Ermittlungen durch einen unabhängigen Sonderermittler aus, der raschere und eindeutigere Ergebnisse liefern könne als das langwierige Prozedere eines Untersuchungsausschusses.
Berlin-Attentat: Bundesjustizminister Heiko Maas räumte im Umgang mit dem "Weihnachtsmarktsmarkt-Attentäter" Behördenfehler ein. Es solle geprüft werden, weshalb der Anschlag nicht verhindert werden konnte, obgleich Anis Amri den Behörden bekannt war, wie u.a. lto.de meldet. Ein ausführlicher Bericht über die Arbeit und das mögliche Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall Anis Amri findet sich in der Samstags-FAZ (Reiner Burger).
Rechtspolitik
Hinterbliebenengeld: Auf lto.de befasst sich Rechtsprofessor Roland Schimmel mit dem "Entwurf zur Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld". Nach diesem soll in § 844 Bürgerliches Gesetzbuch ein neuer Absatz eingefügt werden, der Hinterbliebenen, die zur Zeit der Verletzung mit dem Getöteten in einem "persönlichen Näheverhältnis" standen, ein Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einräumt. Schimmel begrüßt den Gesetzentwurf, schreibt ihm aber vor allem "symbolische Funktion" zu.
Autonomes Fahren: Der Rechtsanwalt Malte Grützmacher beschäftigt sich auf lto.de ausführlich mit dem Entwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und erklärt, weshalb dieser "die Tür in Richtung autonomes Fahren" aufstoße.
Abschiebungsanordnung: Der Spiegel (Dietmar Hipp u.a.) befasst sich mit § 58a Aufenthaltsgesetz, der vorsieht, dass ein Landesinnenminister oder in besonderen Fällen der Bundesinnenminister selbst eine Abschiebung anordnen kann und damit für die erleichterte Abschiebung von Ausländern, von denen eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe, sorgen solle. Die Regelung wurde seit ihrer Einführung vor 15 Jahren nur einmal angewendet und sei praxisuntauglich.
Desinformation und Abschiebungen: Bundesjustizminister Heiko Maas spricht im Interview mit der WamS (Manuel Bewader u.a.) über die Gefahren von Desinformationskampagnen im kommenden Wahlkampf und über Abschiebungen von "Gefährdern". Das größte Hindernis bei Abschiebungen stelle der Widerstand der Herkunftsstaaten dar, die Ausreisepflichtigen wieder aufzunehmen. Deutschland solle aber nicht nur als "reiner Bittsteller" auftreten, sondern den Druck auf diese Staaten erhöhen, so Maas.
Elektronische Fußfessel: Der Spiegel (Martin Knobbe u.a.) beschäftigt sich mit der Wirksamkeit des Einsatzes einer elektronischen Fußfessel für nicht verurteilte "Gefährder" und den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen dieses Vorgehen. Im Leitartikel schreibt Martin Knobbe (Spiegel), dass die elektronische Fußfessel eine vorweggenommene Strafe darstelle, die mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar sei. Auch Thomas Darnstädt (spiegel.de) sieht in der Fußfessel für "Gefährder" keine rechtsstaatliche Methode, insbesondere gebe es keine stichhaltige juristische Definition für das Vorliegen der Gefährdereigenschaft.
Justiz
BVerfG zu Enteignungen vor Rohrleitungsbau: Das Bundesverfassungsgericht wies eine Richtervorlage des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, das eine Enteignungsregelung im Zusammenhang mit dem Bau einer Rohrleitungsanlage vom rheinischen Dormagen nach Krefeld für verfassungswidrig hielt, ab. Zur Begründung hieß es, dass OVG habe sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit nicht sorgfältig geprüft. Grundstückseigentümer entlang der Trasse der geplanten Rohrleitung wehrten sich gegen den entsprechenden Planfeststellungsbeschluss. Dabei spielte auch das "Gesetz über die Errichtung und den Betrieb einer Rohrleitungsanlage zwischen Dormagen und Krefeld-Uerdingen" (RohrlG) eine Rolle, das Enteignungen zu Gunsten privater Wirtschaftsunternehmen unter bestimmten Bedingungen ermöglichen soll, wie lto.de und KStA (Christian Rath) schreiben.
BFH zu betrieblicher Altersvorsorge: Eine aktuelle Entscheidung des Bundesfinanzhofs stellt die bisherigen Steuervorteile für die betriebliche Altersvorsorge in Frage, berichtet die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt). Eine Ruheständlerin, die über Arbeitgeberbeiträge in die Pensionskasse eingezahlt hatte, entschied sich für die Auszahlung der gesamten Summe (Kapitalwahlrecht) und machte hierfür den ermäßigten Steuersatz – die sogenannte Fünftelregelung – geltend. Diese versagte der Bundesfinanzhof mit der Begründung, Einkünfte im Kapitalwahlrecht seien nicht "außerordentlich".
BGH zum WEG-Recht: Möchte ein altersbedingt gehbehinderter Wohnungseigentümer auf eigene Kosten einen Aufzug in das Wohnhaus einbauen, müssen erst alle anderen Wohnungseigentümer zugestimmt haben, entschied der Bundesgerichtshof, wie die Samstags-FAZ (Marcus Jung) und die Samstags-Welt (Michael Fabricius) berichten. Der Einbau eines Aufzugs stelle einen Eingriff in das Gemeinschaftseigentum dar. Außerdem habe sich nur das Risiko verwirklicht, das der Kläger eingegangen sei, als er sich eine Wohnung im fünften Stock kaufte, weshalb er durch das Urteil auch nicht benachteiligt sei. Auf lto.de setzt sich der Notar Herbert Grziwotz ausführlich mit den rechtlichen Hintergründen der Entscheidung auseinander.
LG Hildesheim zu Reiseversicherung: Das Landgericht Hildesheim entschied, dass der Verlust von Reisedokumenten und Pässen aufgrund eines Vermögensdeliktes im Ausland nicht von der Reiseversicherung gedeckt sei, da hierin kein erheblicher Schaden unmittelbar am Eigentum selbst vorliege, wie lto.de meldet.
BVerfG – Datenhehlerei: Ein Zusammenschluss von Juristen, Journalisten und Internetaktivisten hat gegen den vor einem Jahr neu eingeführten § 202d Strafgesetzbuch, der "Datenhehlerei" unter Strafe stellt, Verfassungsbeschwerde eingelegt, wie die Samstags-SZ (Christian Endt), die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) und netzpolitik.org (Markus Reuter) berichten. Die Regelung stelle für investigativen Journalismus ein "strafrechtliches Minenfeld" dar und schränke damit die Pressefreiheit ein. Zwar sei die Ausnahme "der Erfüllung beruflicher Pflichten" vorgesehen, nebenberufliche Journalisten, Blogger und IT-Fachleute, die bei der Auswertung von Daten helfen, seien hiervon aber nicht erfasst.
BVerfG – NPD-Verbot: Am morgigen Dienstag entscheidet das Bundesverfassungsgericht über ein Verbot der NPD. Die Welt (Thorsten Jungholt) und spiegel.de (Peter Maxwill) prognostizieren, dass kein Verbot der NPD durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen werde. Scheitern könne das NPD-Verbotsverfahren an der geringen gesellschaftlichen Bedeutung der Partei, insbesondere gegenüber der AfD und Pegida, wie die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) und die Samstags-taz (Konrad Litschko) schildern. Auf verfassungsblog.de nimmt der Chefredakteur des German Law Journal Russel Miller (in englischer Sprache) eine "amerikanische Perspektive" auf das NPD-Verbotsverfahren ein.
Im Interview mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) spricht sich Steffen Kailitz, Extremismusforscher und Gutachter im NPD-Verbotsverfahren, für ein Verbot der NPD aus. Die gesellschaftliche Bedeutung einer Partei könne nicht allein an der Anzahl der Landtagsmandate, sondern an ihrer politischen Wirkung festgestellt werden. Die "Gefährlichkeit" der NPD liege in ihrer an die "Rassegesetzgebung" der NS-Zeit angelehnten Parteiprogrammatik begründet.
OLG Köln – Presserecht: Der Spiegel (Alexander Kühn) berichtet über den Fall der Kabarettistin Carolin Kebekus, die ihre Privatsphäre durch das Onlineportal "Köln Reporter" verletzt sieht, das behauptet hatte, sie habe mit dem Schriftsteller und Kabarettisten Serdar Somuncu ein Verhältnis. Nachdem sie vor dem Landgericht Köln zunächst Erfolg hatte, wird sich das Oberlandesgericht Köln am 2. Februar 2017 mit der Berufung beschäftigen.
LG Frankfurt am Main – Anlagebetrug: Vor dem Landgericht Frankfurt am Main wird seit 18 Monaten gegen fünf Männer wegen des Vorwurfs des bandenmäßigen Anlagebetrugs mit Immobiliengeschäften verhandelt. In dem Verfahren wurde nun als Zeuge der Kriminalbeamte Andreas S. gehört, der unter anderem mit den Ermittlungen gegen die Unternehmen der S&K-Gruppe betraut war, schreibt Montags-taz (Christoph Schmidt-Lunau).
Koedukativer Schwimmunterricht: Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte befasst sich nun auch die FAS (Daniela Gassmann/Michaela Schwinn) mit der Teilnahme muslimischer Mädchen am koedukativen Schwimmunterricht und stellt hierzu die Rechtsprechung in Deutschland dar.
Kopftuch vor Gericht: Auf verfassungsblog.de setzt sich Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle mit der Frage nach einem rechtlichen Verbot für das Kopftuchtragen von Richterinnen vor deutschen Gerichten auseinander. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat sei es Aufgabe der Gerichte, Konflikte zu lösen. Sie könnten diese Aufgabe nur dann wahrnehmen, wenn ihre Entscheidungen auf eine breite Akzeptanz stießen und Vertrauen in die Justiz bestehe. Trügen Richter religiöse Symbole, könnte dieses Vertrauen erschüttert werden.
Recht in der Welt
USA – VW-Abgasskandal: Der VW-Manager Oliver Schmidt, dem eine aktive Rolle bei der Manipulation der Software von Dieselautos vorgeworfen wird, muss weiter in Haft bleiben, wie die Samstags-FAZ (Carsten Germis) schreibt. Es bestehe die Gefahr einer Flucht nach Deutschland, womit der Manager keine Auslieferung zu befürchten habe, so der zuständige Richter. Die FAS (Corinna Budras) berichtet ausführlich über die Hintergründe und die aktuellen Ereignisse im Strafverfahren der US-amerikanischen Justiz gegen das Unternehmen VW und einzelne Manager.
Frankreich – Dieselskandal: Die Pariser Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen den Autohersteller Renault aufgenommen, berichtet das Hbl (Thomas Hanke). Bei Abgastests, die das Umweltministerium im Jahr 2015 unmittelbar nach Bekanntwerden des VW-Abgasskandals anordnete, seien Unregelmäßigkeiten festgestellt worden.
Türkei – Verfassungsreform: In der Türkei stimmte die erforderliche Mehrheit des Parlaments für die umstrittene Verfassungsreform, die ein Präsidialsystem einführen soll, wie zeit.de meldet.
Sonstiges
Recht und Religion: Im Ressort Zeitgeschehen berichtet die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) über die 60. Bitburger Gespräche zur Rechtspolitik in Trier, die rechtspolitische Herausforderungen des Verhältnisses zwischen Staat und Religion behandelten. Thematisiert wurde die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Thema Religionsfreiheit.
Steuerlich absetzbar? Volkswagen muss 4,3 Milliarden Dollar Strafe wegen manipulierter Abgassoftware entrichten. Sind diese Strafzahlungen steuerlich absetzbar? Dieser Frage geht die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) auf den Grund. Zwar seien Strafzahlungen nach dem deutschen Steuerrecht nicht absetzbar, allerdings könne die "Gewinnabschöpfung", bei welcher der Staat den Tätern entziehe, was diese unerlaubt erwirtschaftet hatten, steuerlich geltend gemacht werden.
Illegale Autorennen: Die Samstags-taz (Christian Rath) erklärt die Rechtslage zu illegalen Autorennen und Rasen auf öffentlichen Straßen. Es sei ein "Trend" der Justiz zu erkennen, bei Todesfällen auf Grund derartiger Rasereien von vorsätzlichen Tötungsdelikten auszugehen und nicht mehr nur von fahrlässigen Tötungen.
Sexualstrafrecht: Der Spiegel (Laura Backes) befasst sich mit der Strafverfolgung von Sexualdelikten und geht insbesondere der Frage nach, warum von den ohnehin nur wenig angezeigten Vergewaltigungen nur etwa acht Prozent der Fälle in einer Verurteilung mündeten.
Juristenstellen im Inkassowesen: Die Unternehmen in der Inkassobranche benötigten immer mehr qualifizierte Juristen, etwa in doppelter Stärke als noch im Jahr 2012, berichtet die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt). Grund dafür sei eine verstärkte Regulierung, beispielsweise durch das "Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken".
Präventivgewahrsam: Philip Schulte kritisiert auf juwiss.de den Beitrag des Kölner Strafrechtsprofessors Michael Kubiciel auf lto.de, in dem dieser sich für die Einführung eines polizeilichen Präventivgewahrsams auch für inländische "Gefährder" zur Terrorabwehr durch die Neufassung des § 20p BKA-Gesetz ausgesprochen hatte. Nicht nur erinnere ein solcher vorbeugender Gewahrsam an die "Schutzhaft" aus nationalsozialistischen Zeiten, die Argumente des "Erst-recht"-Schlusses und der Loyalitätspflicht von Staatsbürgern gegenüber dem Staat, mit denen Kubiciel einen solchen Präventivgewahrsam zu begründen versuche, seien rechtsdogmatisch nicht haltbar.
Geschichte deutscher Staatsverschuldung: Der Rechtsprofessor Richard Buxbaum von der Berkeley University behandelte in seinem Aufsatz "Sovereign Debtors Before Greece: The Case of Germany" die Geschichte deutscher Staatsverschuldung beginnend beim Versailler Vertrag nach dem ersten Weltkrieg bis zur Londoner Schuldenkonferenz von 1953. Er griff dabei auch "juristische Nachspiele" der Gegenwart auf. Im Sonntags-Feuilleton skizziert lto.de (Martin Rath) diese Geschichte der Staatsschulden, wie sie vom Aufsatz thematisiert wird, nach.
"Fake News": Falschmeldungen gefährdeten die Demokratie. Sie würden das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Frage stellen und bildeten eine Gefahr für rechtmäßige Wahlen. In einem Gastbeitrag für die Montags-FAZ analysiert Rechtsprofessor Rolf Schwartmann die Kooperation von Facebook mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum "Correctiv" mit dem Ziel, gegen "Fake News" vorzugehen – er hält das Einschalten des Presserates für notwendig – und fragt, welche weiteren Schritte die Bundesregierung gehen könnte. Schwartmann hält fest, dass es sich bei Maßnahmen im Kampf gegen Desinformation nicht um Zensur handele.
Das Letzte zum Schluss
Schmusekatzen: In den Vereinigten Arabischen Emiraten gilt das Halten von Raubkatzen als Statussymbol für Reiche. Das "Gassi"-Gehen mit den Schmusekatzen in der Öffentlichkeit soll nun durch ein neues Tierschutzgesetz mit Geld- und sogar Freiheitsstrafe geahndet werden können, schreibt die Montags-SZ (Sonja Zekri).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lz
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. bis 16. Januar 2017: U-Ausschuss im Fall Amri / Verbot der NPD? / Verfassungsbeschwerde gegen Datenhehlerei-Paragraphen . In: Legal Tribune Online, 16.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21773/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag