Der türkischen Journalistin Asli Erdogan droht lebenslange Haft. Außerdem in der Presseschau: Das LG Kiel muss die Gefährlichkeit eines Landwirts beurteilen und Bundesrichter Fischer kritisiert Rainer Wendt.
Thema des Tages
Türkei – Prozess gegen Journalistin: Heute beginnt der Prozess gegen die türkische Autorin Asli Erdogan und acht weitere Angeklagte. Der Schriftstellerin wird vorgeworfen, Mitglied in der als terroristisch eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK ("Partiya Karkerên Kurdistanê") zu sein. Erdogan hat für die inzwischen eingestellte pro-kurdische Zeitung "Özgür Gündem" gearbeitet. Jetzt droht ihr lebenslange Haft. Menschenrechtsorganisationen und Juristen kritisieren das Verfahren. Ein im Auftrag einer Gruppe um den türkischen Schauspieler und Regisseur Mehmet Atak erstelltes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Inhaftierung Erdogans ein Verstoß gegen die türkische Verfassung und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sei. Über das Verfahren berichten die FAZ (Karen Krüger) und lto.de.
Rechtspolitik
Beschäftigtendatenschutz: Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt vor einer Lockerung des Beschäftigtendatenschutzes durch die EU-Datenschutzgrundverordnung, so die FAZ (Hendrik Wieduwilt). Die Grundverordnung würde zwar unmittelbar gelten, jedoch habe der Gesetzgeber Spielräume. Der derzeit diskutierte Gesetzentwurf würde den hohen Schutz von Beschäftigten vor Überwachung nicht übernehmen.
Freiwillige Ausreisen: Die Zahl der abgelehnten Asylbewerber, die "freiwillig ausreisen", ist deutlich gestiegen. Sie erhalten dafür vom Staat eine finanzielle Starthilfe, wie zeit.de ( Katharina Schuler/Zacharias Zacharakis) berichtet. Für Christian Bommarius (BerlZ) ist dies sowohl für die Betroffenen als auch für die Bundesrepublik eine akzeptable Lösung.
Sicherheitsdebatte: Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz und dem Angriff auf einen Obdachlosen hält die Debatte um Änderungen in der Innenpolitik an. Während die CSU mehr Überwachung und eine härtere Gangart bei Abschiebungen fordert, warnt die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl davor, Flüchtlinge in Mithaftung zu nehmen, wie die taz (Patricia Hecht) berichtet.
Laut Daniel Deckers (FAZ) offenbart der Fall Amri Mängel in der europäischen Sicherheitsarchitektur, die eine unabhängige Untersuchungskommission nötig machten. Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin zeigt sich im Interview mit deutschlandfunk.de (Christine Heuer) skeptisch, ob Videoüberwachung geeignet ist, Straftaten zu verhindern.
spiegel.de (Max Holscher) beantwortet die wichtigsten Fragen zur Videoüberwachung, auch zu den rechtlichen Grundlagen.
CSU zu Integration: In einem Papier fordert die CSU von Bund und Ländern Änderungen in der Integrationspolitik. Unter anderem sollten das Tragen von Vollverschleierung vor Gericht untersagt und Flüchtlinge auf eine "Leitkultur" verpflichtet werden. Außerdem werde eine Einschränkung des Versammlungsrechts angedeutet, so die Welt (Thomas Vitzthum).
Einwanderungspolitik: Anlässlich der Gewalttaten in Berlin macht sich Jochen Bittner (Zeit) Gedanken über die rechtlichen und ethischen Verpflichtungen gegenüber Einwanderern. Es sei "legitim, Kriminelle und Islamisten entschlossener, und das heißt: schneller und unkomplizierter, abzuweisen". Besser sei es jedoch, Asylanträge schon vor der Einreise nach Europa zu prüfen.
Sozialkassen des Baugewerbes: Detlef Esslinger (SZ) kommentiert nun die Pläne von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, die Sozialkassen des Baugewerbes per Gesetz zu retten. Das Gesetz sei nicht nur die "Abwendung einer Katastrophe", sondern auch "eine tückische Erfindung": Tarifverträge, die von einem Minister für opportun gehalten werden, könnten zum Gesetz erhoben werden. Ursprünglich war die Einrichtung per Tarifvertrag vom Arbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt worden. Dies war aber nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom September rechtswidrig. Jetzt soll ein Gesetz abhelfen.
Justiz
BVerfG zu Stasi-Renten: Das Bundesverfassungsgericht hat nach einer Meldung von lto.de Verfassungsbeschwerden gegen die Begrenzung von Rentenansprüchen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter nicht zur Entscheidung angenommen. Durch das Anwartschaftsüberführungsgesetz waren die Rentenüberführungen beschränkt worden. Die Regelung wurde bereits 1999 vom Verfassungsgericht beanstandet, jedoch nicht im Hinblick auf den jetzt zugrunde liegenden Sachverhalt. Da auch keine neuen Tatsachen vorgebracht wurden, sei eine erneute verfassungsrechtliche Prüfung nicht gerechtfertigt.
LSG Niedersachsen-Bremen zu WC-Unfall: Ein Feuerwehrmann, der auf der Toilette bei einer Feier gestürzt war, hatte damit keinen Arbeitsunfall erlitten. Das hat das Landessozialgericht Niedersachsen entschieden, wie lto.de meldet. Die betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung sei mit der Siegerehrung des Feuerwehr-Wettbewerbs beendet gewesen. Zudem sei die Verrichtung der Notdurft selbst nicht von der Unfallversicherung erfasst.
LG Kiel – gefährlicher Bauer: Ein Landwirt muss sich vor dem Landgericht Kiel wegen eines Angriffs auf Tierärzte, Beamte des Kreisveterinäramts, und Polizisten verantworten. Als diese zu seinem Hof kamen, um die Rinder mit den gesetzlich vorgeschriebenen Ohrmarken zu versehen, ging der Bauer mit seinem Traktor auf sie los. Die Staatsanwaltschaft hält den Mann für schuldunfähig, will ihn aber in einer psychiatrischen Klinik unterbringen, weil von ihm eine Gefahr ausgehe. spiegel.de (Benjamin Schulz) beschreibt den bisherigen Verlauf des Prozesses, bei dem der Angeklagte entgegen dem Anraten seines Verteidigers umfassend die Zeugen befragt.
LG Bielefeld zu Polizei-Zeugen: ungereimtheiten.wordpress.com (Werner Siebers) weist auf einen Beschluss des Landgerichts Bielefeld hin, nach dem ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn dem Angeklagten eine Straftat gegen einen Polizisten zur Last gelegt wird und alle Zeugen Polizisten sind. In diesem Fall könne eine sachgerechte Verteidigung nur durch Kenntnis des gesamten Akteninhaltes gewährleistet werden.
Recht in der Welt
USA – Sammelklagen gegen Daimler: Daimler wehrt sich mit allen Mitteln gegen Sammelklagen in den USA. Das geht aus einem Schreiben des Konzerns an das Bundeskanzleramt von April dieses Jahres hervor, das der SZ (Claus Hulverscheidt u.a.) nun vorliegt. Anders als VW habe Daimler keine Schadstoffmessungen manipuliert. Anwälte wollten sich bereichern, kritisiert der Konzern.
USA – Jason Greenblatt: Die FAZ (Roland Lindner) stellt Donald Trumps langjährigen Anwalt Jason Greenblatt vor, der nun als künftiger Sonderbeauftragter für internationale Verhandlungen benannt wurde. Die Ernennung wird als Zeichen für eine Wende in der Nahostpolitik gewertet.
Verbot von Atomwaffen: In einem Gastbeitrag für die Zeit befassen sich die Wissenschaftler Oliver Meier, Harald Müller und Götz Neuneck mit den anstehenden Verhandlungen über einen Vertrag für ein Verbot von Atomwaffen. Die Bundesregierung solle sich an den Verhandlungen beteiligen und Wert auf eine möglichst enge Verflechtung mit dem bereits bestehenden Atomwaffensperrvertrag legen, um einen etwaigen Schaden von diesem abzuwenden.
Sonstiges
Fischer über Wendt: Bundesrichter Thomas Fischer rezensiert in der Zeit das Buch "Deutschland in Gefahr" von Rainer Wendt, dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft. Das Buch enthalte wenig Fakten und verstärke Ängste und Vorurteile. Die Sicherheitslage werde auf ein "befremdliches Gegenüber von 'wir' und 'ihr' reduziert". Für Wissenschaft und Justiz habe Wendt nur Hohn übrig. Dennoch empfiehlt der Rezensent das Buch. Es gebe "Einblick in Niveau, Tendenz und Aufgeregtheit der aktuellen Diskussion".
Akademie demokratischer Rechtsstaatlichkeit: Der Berliner Rechtsprofessor Christoph Möllers schlägt in der Zeit (zeit.de-Vorabmeldung) vor, dass in das neue Humboldt-Forum eine "Akademie demokratischer Rechtsstaatlichkeit" einziehen könnte, in der "deutsche und ausländische Wissenschaftler Konstitutionalismus erforschen und lehren und über Formen des seit Langem von der Bundesregierung betriebenen deutschen Rechtsexports nachdenken".
Opferentschädigung nach Berlin-Anschlag: Über die Unklarheiten bei der Anwendung des Opferentschädigungsgesetzes auf die Opfer des Anschlags auf dem Breitscheidplatz berichtet jetzt auch die BerlZ (Christian Bommarius). Sollte das Opferentschädigungsgesetz nicht noch geändert werden, würde eine finanzielle Obergrenze von insgesamt 7,5 Millionen Euro gelten. Daneben könnten jedoch Härteleistungen beantragt werden.
Consumer-Algorithmen: Der Rechtsanwalt Christian Lange-Hausstein erläutert auf lto.de, wie Algorithmen bei der Einwilligung in Datenschutzerklärungen und AGB helfen können. Das System müsste mit Informationen über die Bedürfnisse und Interessen des Verbrauchers gefüttert werden und könne dann die Erklärungen für diesen lesen.
Abmahnbeantworter: Die SZ (Jannis Brühl) befasst sich mit dem Online-Abmahnbeantworter, der beim Jahreskongress des Chaos Computer Clubs vorgestellt wurde. Das Online-Tool erstellt Antwortschreiben, die gegen standardisierte Abmahnungen von Anwaltskanzleien wegen behaupteter Urheberrechtsverletzungen helfen sollen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. Dezember 2016: Türkischer Journalistin droht Haftstrafe / Gefährlicher Landwirt / Wendt-Buch wird verrissen . In: Legal Tribune Online, 29.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21607/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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