Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen die Blogger von Netzpolitik.org – ein historischer Vorgang von der Kategorie Spiegel-Affäre? Außerdem in der Presseschau: BGH verhandelt zur Providerhaftung und US-Polizist wegen Mordes angeklagt.
Thema des Tages
Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Blogger: Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen Verantwortliche des Blogs Netzpolitik.org wegen des Verdachts auf Landesverrat. Wie netzpolitik.org gestern selbst bekanntgegeben hat, wirft der Generalbundesanwalt den Bloggern vor, Dokumente aus dem Verfassungsschutz veröffentlicht zu haben, darunter einen geheimen Haushaltsplan. Vergleichbare Ermittlungen gegen Journalisten in Deutschland liegen nun schon Jahrzehnte zurück. Der ausführliche Bericht der SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) wirft die Frage auf, warum die Bundesanwaltschaft sich in Sachen NSA klein macht und versteckt, im Falle Netzpolitik.org aber den starken Staat gibt.
Constantin van Lijnden (lto.de) spricht von einem "historischen Vorgang", geht davon aus, dass die Bundesanwaltschaft Anklage erheben wird, zweifelt aber an einer Strafbarkeit.
Geffcken, Spiegel, Konkret – in einem separaten Beitrag zeichnet die SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) die Geschichte des Landesverrats im Zusammenhang mit Presseveröffentlichungen nach.
Rechtspolitik
Wiederaufnahme trotz Rechtskraft: Eine Online-Petition mit mittlerweile 35.000 Unterstützern fordert, dass ein Strafverfahren bei Morddelikten nach rechtskräftigem Freispruch bei neuer, erdrückender Beweislage wiederaufgenommen werden kann. Die SZ (Wolfgang Janisch) stellt den Initiator der Petition vor, der den Mord an seiner Tochter in den 1980er Jahren angesichts neuer DNA-Beweise gesühnt sehen will, der Bestrafung des früheren Angeklagten aber ein rechtskräftiger Freispruch entgegensteht.
Informationsfreiheitsgesetz B-W: Die FAZ (Rüdiger Soldt) stellt das kürzlich vom baden-württembergischen Ministerrat verabschiedete Informationsfreiheitsgesetz vor. Danach werden Bürger gegenüber "informationspflichtigen Stellen" (Ministerien, Landesbehörden, Rathäuser) einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen haben. Das Gesetz fordert Behörden außerdem auf, von vornherein "möglichst viele zur Veröffentlichung geeignete amtliche Informationen" im Internet zu veröffentlichen.
Justiz
BGH – Haftung von Access-Providern: Der Bundesgerichtshof hat am gestrigen Donnerstag zum Thema Haftung von Access-Providern mündlich verhandelt. Um einen Präzedenzfall zu schaffen, will die GEMA die Telekom als Netzbetreiberin dafür haftbar machen, den Zugang zu einem Webportal mit Links zu rechtswidrig hochgeladener Musik nicht unterbunden zu haben. Dem Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) zufolge wird der BGH im Ergebnis wohl am gesetzlichen Providerprivileg festhalten. Die taz (Christian Rath) nimmt aus der Verhandlung mit, dass der BGH wohl ein Grundsatzurteil für eine subsidiäre Haftung schaffen werde. Danach könnten Provider dann als Störer haften, wenn die Akteure nicht erreichbar sind, die der Urheberrechtsverletzung näher stehen (Seitenbetreiber, Hostprovider). Die Welt Welt (Benedikt Fuest) erinnert in ihrem Bericht auch an das frühere Zugangserschwerungsgesetz, das zu Netzsperren ermächtigte, aber – weil technisch unsinnig – nie zur Anwendung kam. Das Urteil wird für den 26. November erwartet.
VG Köln zur Abschiebung nach Ungarn: Das Verwaltungsgericht Köln hat laut lto.de Mitte Juli der Klage eines Irakers gegen seine Abschiebung nach Ungarn stattgegeben. Einer Überstellung des Asylsuchenden nach Ungarn stünden systemische Mängel des dortigen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen entgegen: Die Zustände dort seien erniedrigend, Asylsuchende würden flächendeckend inhaftiert und sogar angeleint.
BGH zu Flugbuchungen: Bei Flugbuchungen im Internet müssen die Buchungsportale von vornherein den Endpreis mit Steuern und Gebühren anzeigen. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden und damit ein Urteil des Europäischen Gerichtshof umgesetzt, wie lto.de meldet.
LG Magdeburg zu Rollsplitt: Stellt eine Verkehrsbehörde bei Rollsplitt in einer Kurve ein Warnschild auf, genügt das Land seinen Verkehrssicherungspflichten. Das hat das Landgericht Magdeburg laut lto.de entschieden und damit die Klage eines Motorradfahrers abgewiesen, der bei Rollsplitt gestürzt war und Schadensersatz begehrte.
BFH-Vize Hermann-Ulrich Viskorf: Die SZ (kala) stellt den kurz vor Ruhestand stehenden Vizepräsidenten des Bundesfinanzhofs Hermann-Ulrich Viskorf vor. Viskorf habe die Rechtsprechung des Schenkungs- und Erbschaftsteuerrechts entscheidend geprägt.
BGH zu Anwaltsbriefen: Der Bundesgerichtshof hat laut Meldung der FAZ (Joachim Jahn) entschieden, dass Rechtsanwälte anwaltlich vertretene Gegner in einem Rechtsstreit auch dann nicht direkt anschreiben dürfen, wenn sie Forderungen als Insolvenzverwalter erheben. Das sogenannte Umgehungsverbot ziele vor allem auf den Schutz des gegnerischen Mandanten vor Überrumpelung.
Elektronischer Rechtsverkehr am VerfGH Rheinland-Pfalz: Mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs können beim Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz ab August Klagen, Anträge und sonstige Schriftstücke rechtswirksam auf elektronischem Wege eingereicht werden. Das meldet lto.de.
Recht in der Welt
Tribunal zu MH 17-Abschuss In der Affäre um den Abschuss des malaysischen Flugzeugs MH 17 lehnt Russland ein UN-Tribunal ab. Moskau rechtfertigte sein Veto damit, dass der Resolutionsentwurf voreilig eingebracht worden sei, weil die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien. Darüber berichtet die SZ (nien/Ronen Steinke).
Griechenland – Yanis Varoufakis: Wie unter anderem die taz meldet, könnte der angebliche Geheimplan des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis über die Einführung einer griechische Parallelwährung eine Anklage wegen Hochverrats nach sich ziehen.
USA – Klage gegen Magazin: Wegen Verleumdung haben drei Uni-Absolventen aus Virginia Schadensersatzklage gegen das US-Magazin "Rolling Stone" eingereicht. Anlass war ein Bericht über eine angebliche Gruppenvergewaltigung. Der Bericht lasse auf die Identität der Kläger schließen und hätte verheerende Auswirkungen auf ihren Ruf, so der Vorwurf. spiegel.de und die SZ (Viola Schenz, Ressort Medien) berichten.
USA – Mordanklage gegen Polizisten: Ein weißer Polizist, der einen Afroamerikaner bei einer Verkehrskontrolle Mitte Juli erschossen hat, ist im US-Bundesstaat Ohio wegen Mordes angeklagt. Die Welt (Clemens Wergin) schreibt über den Fall.
Das Letzte zum Schluss
Anwälte sollen draußen bleiben: Vier Minuten vor der Verhandlung, Rechtsanwalt Udo Vetter (lawblog.de) will seinen Platz im Saal einnehmen – und wird von der Protokollführerin hinausgebeten. Die habe ungestört einen Plausch mit dem Staatsanwalt halten wollen: Am Amtsgericht sei es doch Sitte, dass Anwälte erst beim Aufruf der Sache den Saal betreten, musste Vetter sich belehren lassen. Er habe sich dann aber doch durchsetzen und in Ruhe Laptop, Gesetzbücher und Akte herrichten können.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. Juli 2015: Ermittlungen gegen Netzpolitik.org – Haftung von Access-Providern – Mordanklage gegen US-Polihttps://www.lto.de/persistent/a_id/16452/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag