Ein Staatsanwalt hat Weisung, Klage gegen Gregor Gysi zu erheben - weigert sich aber. Außerdem in der Presseschau: Meinungen zur Tarifeinheit, Deutsche Bank-Prozess wackelt, Buback-Ermittlung eingestellt und Organklage zum Oktoberfestattentat.
Thema des Tages
Ein StA weigert sich, Gregor Gysi anzuklagen: Hat sich Gregor Gysi (Die Linke) im Zusammenhang mit Stasivorwürfen wegen falscher Versicherung an Eides statt strafbar gemacht? Seit Jahren ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft, und kürzlich hat der Generalstaatsanwalt den zuständigen Dezernenten angewiesen, eine Anklage zu fertigen. Der Dezernent weigert sich aber, denn er sieht keinen hinreichenden Tatverdacht. Der Generalstaatsanwalt wolle die Anklage erzwingen; der Dezernent hingegen habe beim Hamburger Justizsenator remonstriert, weil er die Weisung für rechtswidrig halte. Von einem "in der deutschen Justizgeschichte einmaligen Eklat", spricht die SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo). Auch welt.de (Sven Felix Kellerhoff/Uwe Müller) berichtet.
Die SZ (Heribert Prantl) klärt außerdem kurz über die Weisungsgebundenheit von Staatsanwälten auf.
Rechtspolitik
Tarifeinheit: Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit wird in den Augen Detlef Esslingers (SZ) keinen Frieden zwischen EVG und GDL bringen, "sondern nur Wirrwarr und neuen Streit": Entweder die Bahn verhandle unter Berufung auf das Gesetz Tarifverträge nur mit der größeren EVG, dann sei der Betriebsfrieden mit den in der GDL organisierten Lokführern dahin. Oder die Bahn wende das Gesetz aus diesem Grund nicht an – dann brauche es auch niemand. Auch Christian Rath (Badische Zeitung) zeichnet am Ende seiner ausführlichen Einschätzung eine "paradoxe" Konstellation, in der man auf das Gesetz auch hätte verzichten können: Je weniger Wirkung es habe, desto eher werde es als verfassungskonform durchgehen. Und sollte die Bahn mithilfe des Gesetzes ein Streikverbot vor Arbeitsgerichten erwirken, könnte die GDL mit einem Eilantrag vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Insgesamt sei völlig offen, ob es wirklich zu dem erwarteten Streikverbot für Kleingewerkschaften kommt.
Die FAZ (Joachim Jahn) schließlich weist auf die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grenzen des Streikrechts hin – zu Gunsten des Allgemeinwohls und mit weitem Handlungsspielraum für den Bundestag.
Polizeigewalt gegen Flüchtlinge: Jörg Diehl (spiegel.de) unterstützt nach der jüngst bekannt gewordenen Polizeigewalt gegen Flüchtlinge die Forderung nach Polizeibeauftragten und sieht "derartige Entgleisungen" als Folge eines "Code of Silence", also eines "angepassten Mitmachens aus Sorge davor, ausgegrenzt und gemieden zu werden". Der Wunsch, zu einer Gruppe zu gehören, werde zum Skandal, "wenn sich damit ausgerechnet die über das Gesetz erheben, die es zu schützen geschworen haben und denen wir Bürger deswegen das Gewaltmonopol überantwortet haben".
Datenhehlerei: Der kürzlich publik gewordene Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zur Vorratsdatenspeicherung sieht auch einen neuen Straftatbestand der Datenhehlerei vor (§ 202d StGB-E). telemedicus.info (Sebastian Golla/Nicolas von zur Mühlen) bewertet den Entwurf: Der geplante Straftatbestand sei zu unbestimmt, im Hinblick auf seine Auswirkungen auf Presse- und Informationsfreiheit problematisch und im derzeitigen System des Informationsstrafrechts "nach wie vor nicht notwendig".
Mietspiegel: Mieter- und Vermieterlobbyisten fordern konkretere Vorgaben für wissenschaftliche Kriterien von Mietspiegeln, nachdem das Amtsgericht Charlottenburg den Berliner Mietspiegel von 2013 vergangene Woche für unwissenschaftlich und damit nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend erklärt hat. Auch Die Zeit (Kolja Rudzio) schreibt darüber. Mit der ab Juni geltenden Mietpreisbremse bekomme der Mietspiegel mehr Bedeutung.
Suizidhilfe: Die Zeit (Elisabeth Niejahr) stellt den Gesetzentwurf des hessischen CDU-Politikers Michael Brand vor, nach dem Suizidhilfe nur noch straffrei bleiben soll, wenn Helfer und Sterbewilliger "sich sehr nahegestanden haben" – etwa als Eheleute oder Mitbewohner. Strafbewehrt soll nach dem Entwurf die "geschäftsmäßige" Suizidhilfe sein, die nicht zwingend ein Honorar voraussetzt. Brands Vorschlag habe gute Chancen, Ende dieses Jahres Gesetz zu werden.
EU-Bürokratieabbau: Zum geplanten EU-Bürokratieabbau stellt nun auch lto.de Stimmen von Kritikern vor. Gewerkschaften und Verbraucherschützern befürchten den Abbau von Mindeststandards im Arbeitsrecht, in der Sozial- und Umweltpolitik sowie im Verbraucherschutz. Der nationale Normenkontrollrat hingegen begrüße die Pläne.
Justiz
BVerfG – Organklage zum Oktoberfestattentat: Im Zusammenhang mit den derzeitigen Ermittlungen zum Oktoberfestattentat vor 35 Jahren haben die Bundestagsfraktionen von Grünen und Linken Organklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um die Regierung zur Herausgabe von Erkenntnissen, unter anderem über mögliche V-Leute in der rechtsradikalen "Wehrsportgruppe Hoffmann", zu zwingen. Der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) berichtet.
BAW stellt Buback-Ermittlung ein: Die Bundesanwaltschaft hat die im vergangenen Herbst aufgenommenen Ermittlungen gegen sechs ehemalige RAF-Terroristen wegen des Mordes an Siegfried Buback eingestellt. Grund laut BAW: Sämtliche Beschuldigte hätten "wegen vereinigungsbezogener Straftaten" bereits langjährige Freiheitsstrafen verbüßt, wie die SZ meldet.
Heribert Prantl (SZ) bilanziert: "Der Versuch, Details der Wahrheit mit den Mitteln der Strafjustiz zu klären, wurde jetzt wohl endgültig beendet." Die Justiz sei zudem keine ewige Wahrheitskommission.
LG München I – Deutsche Bank-Prozess: Die SZ (Klaus Ott) zufolge steht der Deutsche Bank-Prozess möglicherweise auf der Kippe. So tauchen immer mehr nicht ausgewertetes Material aus weiteren Ermittlungen auf – ein ordnungsgemäßes Verfahren sei nur noch schwer vorstellbar. Es könnte nun zu einem Aussetzungsantrag durch einen der Angeklagten kommen.
BVerfG zum Umgangsrecht: lto.de berichtet über einen im April ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge ein gerichtlich angeordneter befristeter Umgangsausschluss gegen einen Vater rechtens war. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte entschieden, dass der Mann seinem elfjährigen Sohn nur einmal im Monat einen Brief schicken und ihn im Übrigen nicht sehen darf. Das Kind lehnt den Kontakt zum Vater ausdrücklich ab – ausschlaggebend für die Beurteilung des Kindeswohls durch das BVerfG.
Der Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) weist zudem auf die eher väterfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und seine Rolle als "Erfinder des modernen Umgangsrechts" hin. Im selben Fall hatte der EGMR in einer früheren Phase bereits die Dauer des Verfahrens gerügt. EGMR und BVerfG hätten gegensätzliche Meinungen zur Frage, wie der "gordische Knoten des Elternstreits zu zerschlagen" sei, so die SZ. Der EGMR halte Zwang für angezeigt, das BVerfG warne eher davor.
OLG München – NSU-Prozess: Der Zeuge Marcel D. bestreitet im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München, als V-Mann gearbeitet zu haben – obwohl D. im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses als solcher genannt ist. Die Bundesanwaltschaft will die Aussage prüfen lassen, berichtet spiegel.de (Björn Hengst). D. soll sich Ende der neunziger Jahre an einen Neonazi gewandt und eine Spende für das NSU-Trio angeboten haben.
Recht in der Welt
Russland – Gesetz zu "unerwünschten Organisationen": Ein neues, vage formuliertes Gesetz soll dem russischen Staat ohne gerichtliche Entscheidung erlauben, ausländische Organisationen für "unerwünscht" zu erklären und russischen Unternehmen und Personen den Umgang mit ihnen zu verbieten. Das Gesetz weite die Möglichkeiten des Staates, gegen Kritiker vorzugehen, deutlich aus, so die SZ (Julian Hans). Es fehlt zum Inkrafttreten nur noch Putins Unterschrift – und die gelte als sicher. Auch die taz (Klaus-Helge Donath) berichtet.
Argentinien – Vergewaltigungsurteil: Die taz (Jürgen Vogt) berichtet über ein Urteil, das für heftige Empörung sorgt: Das Kassationsgericht der Provinz Buenos Aires hat das Strafmaß für einen verurteilten Mann, der einen sechsjährigen Jungen vergewaltigt hatte, von sechs auf dreieinhalb Jahre reduziert. Der strafschärfende Tatbestand einer "schweren Persönlichkeitsverletzung" sei nicht gegeben. Als Begründung ließ das Gericht dem Verurteilten zum Vorteil gereichen, dass der Junge bereits zuvor von seinem Vater missbraucht worden und zudem "homosexuell veranlagt" sei.
Sonstiges
Vorratsdatenspeicherung und Hotspots: Werden nicht nur große Netzbetreiber, sondern auch kleine Anbieter von WLAN-Hotspots Verbindungsdaten speichern müssen, sobald die Vorratsdatenspeicherung kommt? Nach dem Referentenentwurf wird es darauf ankommen, wer "Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste" ist. offenenetze.de (Reto Mantz) gibt vorsichtig Entwarnung: Die Bundesnetzagentur – sie wird auf die Durchsetzung der VDS achten – stufe Hotspot-Betreiber einer Mitteilung zufolge zukünftig nicht mehr als "Erbringer", sondern lediglich als "Mitwirkende" von TK-Diensten ein.
Vertragsverletzung wegen Mindestlohnbestimmungen: Der Mindestlohn gilt auch für ausländische Lkw-Fahrer, sofern sie auf deutschen Straßen unterwegs sind. Wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Dienstleistungs- und Warenfreiheit hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Von Kritik gegen das Verfahren und einem befürchteten "Kuhhandel" zwischen Arbeitsministerium und Brüssel berichtet das Handelsblatt (Frank Specht).
Fahrgastrechte: Zum neuerlichen Streik der GDL bringt lto.de noch einmal eine Übersicht zu Fahrgastrechten von Juraprofessor Ernst Führich. Der Beitrag behandelt die Rechtsquellen im Reiserecht, Entschädigungs- und Erstattungsfragen sowie Folgekosten etwa für ein Hotel oder verpasste Flüge.
Das Letzte zum Schluss
Blutwurst-Gate: Schmerzensgeld und Schadensersatz will ein Kölner Anwalt, weil er beim Genuss einer Blutwurst auf einen Schweinezahn biss. Der Schneidezahn des Anwalts war dahin, der Schock war groß – pathologisch gar, meint der Anwalt. Das Amtsgericht Köln befasst sich mit der Wurst, Gutachter sind eingeschaltet. "Naturbelassen" soll die Wurst gewesen sein, schreibt justillon.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. Mai 2015: Staatsanwalt weigert sich – Tarifeinheit unnütz? – Organklage zum Oktoberfestattentat . In: Legal Tribune Online, 21.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15605/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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