Die Mutter eines "Kuckuckskindes" muss dem Scheinvater nicht mitteilen, wer der leibliche Vater sein könnte, hat das BVerfG entschieden. Außerdem in der Presseschau: Vorratsdatenspeicherung – herrscht anlasslose Aufregung? Der BGH stärkt Mieterrechte in Sachen Schönheitsreparaturen, das LG Frankfurt untersagt den Betrieb von Uber Pop und Frankreich beschließt ein Sterbehilfegesetz.
Thema des Tages
BVerfG zum Auskunftsanspruch von Scheinvätern: Um Unterhaltsregress gegenüber leiblichen Vätern geltend zu machen, können Scheinväter die Mütter von "Kuckuckskindern" fortan nicht mehr verpflichten, sie darüber aufzuklären, mit wem sie sexuelle Kontakte hatten. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Beschluss vom Februar entschieden. Das BVerfG erteilt damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Absage, der einen solchen Anspruch aus Treu und Glauben ableitet. Ein derartiger Auskunftsanspruch stellt nach Ansicht des BVerfG einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Mutter dar, der sich auf richterliche Rechtsfortbildung nicht stützen lässt. Allein der Gesetzgeber könne eine entsprechende Regelung schaffen. Die Entscheidung geht auf die Verfassungsbeschwerde einer Mutter zurück, die vom Oberlandesgericht Schleswig-Holstein zu einer Auskunft verpflichtet wurde. Die taz (Christian Rath) und lto.de berichten.
Constantin van Lijnden (lto.de) hält den Beschluss für eine Fehlentscheidung. Das BVerfG habe formalisiertes Gerechtigkeitsempfinden anstelle von Empathie walten lassen – indem es die Belange von Betrügerinnen in grotesker Weise überbetone.
Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) liest aus dem Beschluss des BVerfG die "Dekonstruktion der Abwägungskonstellation" des BGH heraus. Die Freiheit der Justiz, Generalklauseln kreativ auszulegen, habe nun eine klare Richtung: "Für Grundrechtssschutz dürfen sie ganz viel, gegen Grundrechtsschutz entsprechend wenig.
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Im Streit um die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung vergleicht die SZ (Heribert Prantl) die Situation des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) mit der Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers (FDP), die 1995 in ihrer ersten Periode als Justizministerin den Großen Lauschangriff nicht mittragen wollte und schließlich zurücktrat. Jetzt wie damals wolle eine Parteispitze die Umsetzung, und Ober steche Unter. Maas werde allerdings aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung einer Datenspeicherung nur bei ganz bestimmten Anlässen und Verdachtsmomenten zustimmen können.
Angesichts der engen Vorgaben einer möglichen Regelung ruft Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) zur Raison auf: Die Aufregung sei anlasslos, "weil das Datensammeln nach Urteilen des Verfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs in jeder Hinsicht domestiziert sein muss. Mit dem Großangriff auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht, als der es einst konzipiert war, wird es nichts mehr zu tun haben."
Bedenken zur Pkw-Maut: Hätte die Pkw-Maut vor dem Europäischen Gerichtshof Bestand? Nein, so die Äußerung des Rechtsprofessors Franz Mayer am gestrigen Mittwoch in der Anhörung des Bundestags-Verkehrsausschusses. Die Maut könnte schnell vom EuGH gekippt werden – im Eilverfahren sechs bis neun Monate nach Klageerhebung. Die Kopplung der Maut an die Entlastung bei der Kfz-Steuer für Inländer bedeute eine mittelbare Diskriminierung für Ausländer, so Mayer. Die FAZ (Kerstin Schwenn) berichtet.
Bedenken zum IT-Sicherheitsgesetz: Nach einem Bericht des Handelsblattes (Till Hoppe) stellt ein Gutachten die Verfassungsmäßigkeit des geplanten IT-Sicherheitsgesetzes in Frage. Zu bemängeln sei, dass die Betreiber kritischer Infrastrukturen vom Gesetz erfasst, staatliche Behörden aber ausgenommen und Hersteller von IT-Produkten nicht erfasst würden. Autor des Gutachtens ist der Anwalt Christoph Ahlhaus (CDU).
Justiz
BGH zu Schönheitsreparaturen: Der Bundesgerichtshof hat Mietern in Sachen Schönheitsreparaturen am gestrigen Mittwoch mit gleich drei Grundsatzurteilen den Rücken gestärkt. Unter anderem dürfen Mieter zu Schönheitsreparaturen nicht verpflichtet werden, wenn die Wohnung beim Einzug unrenoviert war: Eine Wohnung später in einem besseren Zustand zurückgeben zu müssen als bei Erhalt, sei eine unangemessene Benachteiligung von Mietern. Auch bei sogenannten Quotenabgeltungsklauseln gelten fortan strenge Maßstäbe. Mit seinen Urteilen korrigiere der BGH nun seine Rechtsprechung, die auf die späten Achtzigerjahre zurückgeht, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). lto.de zufolge könnte die Entscheidung jeden zweiten Mietvertrag betreffen.
LG Frankfurt zu Uber Pop: Das Landgericht Frankfurt hat den Fahrvermittlungsdienst Uber Pop am gestrigen Mittwoch im Hauptsachverfahren untersagt. Der Dienst sei wettbewerbswidrig, weil er Fahrer ohne Personenbeförderungserlaubnis zum Rechtsbruch anstifte. Uber darf somit keine Fahrten mehr anbieten, bei denen Fahrer nicht über eine Taxikonzession verfügen – was hierzulande das Aus für den Dienst bedeutet. lto.de, die taz (Christian Rath), die FAZ (Britta Beeger) und die SZ (Jan Willmroth) berichten.
NSU-Prozess – Hafterleichterung/Carsten S.: Beate Zschäpe sind im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München laut SZ (Annette Ramelsberger) Hafterleichterungen zugesprochen worden. Sie werde beim Betreten des Saales nun nicht mehr täglich von Kameras überwacht; außerdem würden die Prozesstage reduziert. Zschäpe habe das erste Mal mit den Richtern gesprochen. Carsten S., der im NSU-Prozess wegen mehrfacher Beihilfe zum Mord angeklagt ist, kann sich unterdessen Hoffnung auf eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht machen. Über den Fall Carsten S. schreibt auch spiegel.de (Julia Jüttner).
BAG zur Lohnfortzahlung bei Sucht: Muss ein Arbeitgeber auch dann die sechswöchige Lohnfortzahlung gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz leisten, wenn ein Arbeitnehmer wegen einer Sucht krankgeschrieben ist und einen Rückfall erleidet? Grundsätzlich ja, entschied das Bundesarbeitsgericht. Verschulden, das den Anspruch ausschließt, stellt einen Ausnahmefall dar. Das melden lto.de, die FAZ (Joachim Jahn) und die Welt.
LG Düsseldorf zu Friedhelm Adolfs: Das Landgericht Düsseldorf hat die Zwangsräumung der Wohnung des rauchenden Mieters Friedhelm Adolfs abgesagt. Eine Räumung wäre für ihn ein nicht zu ersetzender Nachteil, weil er für diese Miete in Düsseldorf keine vergleichbare Wohnung finden würde, so das Gericht. Zunächst müsse die Entscheidung im Berufungsverfahren abgewartet werden, wie lto.de berichtet.
AG Augsburg zu Georg Schmid: Das Amtsgericht Augsburg hat den wegen Steuerhinterziehung und Sozialbetrugs angeklagten ehemaligen CSU-Fraktionschef Georg Schmid zu einer Freiheitstrafe von 16 Monaten auf Bewährung verurteilt, berichten lto.de und die taz (Lisa Schnell).
Duisburger Love Parade und Zivilprozesse: Zivilprozesse, die Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen aus der Love Parade-Katastrophe 2010 betreffen, könnten bald beginnen. Das meldet spiegel.de. Einzelne Kammern beim Landgericht Duisburg möchten offenbar nicht, wie sonst üblich, den Ausgang eines Strafprozesses zur Katastrophe abwarten – dessen Beginn sei noch nicht einmal absehbar.
Weitere Stimme zum Kopftuch-Beschluss: Heinrich Wefing (Zeit) stellt sich nach dem Kopftuch-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts die Frage, wann nun eigentlich der Schulfrieden gestört und ein Kopftuchverbot im Einzelfall gerechtfertigt sei. Deutliche Kritik klingt an: Das BVerfG habe hierzu kaum Ausführungen gemacht und die Verantwortung letztlich den Schulen überlassen. Das Gericht sei in der Frage um das Thema Kopftuch schließlich zerstritten wie – wenn überhaupt – in kaum einer anderen Frage.
Recht in der Welt
Frankreich – Sterbehilfegesetz: Frankreich hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, der todkranken Menschen die Möglichkeit gibt, sich in Tiefschlaf versetzen zu lassen, bis der Tod eintritt. Das Gesetz soll ein Recht auf "tiefe und kontinuierliche Sedierung" verschaffen. Dazu schreibt die FAZ (Michaela Wiegel) und nennt kritische Stimmen.
Pakistan – Hinrichtungen: Ende des letzten Jahres ist in Pakistan das Moratorium zur Vollstreckung der Todesstrafe aufgehoben worden. Seitdem wurden 48 Menschen hingerichtet – davon kürzlich neun verurteile Straftäter in Folge, schreibt spiegel.de.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. März 2015: BVerfG zu Kuckuckskindern – Schönheitsreparaturen: BGH stärkt Mieter – Uber Pop ist verboten . In: Legal Tribune Online, 19.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14992/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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