Friedhelm Adolfs, der wegen Zigarettenqualms im Hausflur gekündigte Mieter, hat einen Etappensieg vor dem BGH errungen. Außerdem in der Presseschau: Dashcam-Beweis ist im Zivilprozess nicht verwertbar, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußert sich zum Google-Löschbeirat, die Affäre um verkaufte Juraklausuren in Niedersachsen und was sich das AG Reutlingen zur Verhältnismäßigkeit eines Fahrverbots einfallen ließ.
Thema des Tages
Etappensieg für rauchenden Mieter am BGH: Im Fall des 2013 wegen Zigarettenrauchs im Hausflur fristlos gekündigten Mieters Friedhelm Adolfs hat der Bundesgerichtshof am gestrigen Mittwoch den Fall ans Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen. Das LG habe lückenhaft Beweis erhoben – nun muss es die erforderlichen Feststellungen nachholen. Zwar könne die Geruchsbelästigung der Mitmieter durch Zigarettenrauch grundsätzlich das Gebot der Rücksichtsnahme verletzen und einen Kündigungsgrund darstellen, so der BGH. Doch sei mangels ausreichender Feststellungen des LG die rechtliche Beurteilung nicht möglich gewesen, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen einer fristlosen – oder auch nur eine ordentlichen – Kündigung vorlagen. Zum Beispiel habe sich die Notwendigkeit eines Ortstermins aufgedrängt. Die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Reiner Burger), der Kölner Stadtanzeiger (Christian Rath) und lto.de (Pia Lorenz) berichten.
Rechtspolitik
Tarifeinheit: Das Gesetz zur Tarifeinheit, kürzlich von der großen Koalition auf den Weg gebracht, werde kaum für weniger Streiks bei Bahn oder Lufthansa sorgen, befürchtet Kerstin Bund (Die Zeit) – und erachtet es für sinnvoll, einem Expertenvorschlag zu folgen, der das Streikrecht bei der Daseinsvorsorge begrenzt, ohne die Koalitionsfreiheit zu gefährden: durch eine Ankündigungspflicht und die Gewährleistung von Notbetrieben.
Unternehmensstrafrecht: Die rechtspolitischen Erwägungen des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD) zum Unternehmensstrafrecht fasst die Badische Zeitung (Christian Rath) zusammen. Maas wolle zunächst das Ordnungswidrigkeitenrecht verschärfen – und etwa die derzeitige Grenze von zehn Millionen Euro Bußgeld erhöhen und "innovative Ansätze" wie den Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen schaffen. Erst wenn das nicht greife, wolle Maas ein Unternehmensstrafrecht einführen.
Alternative Streitbeilegung: Das Justizministerium hat als Umsetzung einer EU-Richtlinie Ende 2014 den Entwurf eines "Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes" vorgelegt, das Verbrauchern ein flächendeckendes "alternatives Rechtsbehelfsverfahren" an die Hand gibt. Präsident des Bundesgerichtshofs a. D. Günter Hirsch diskutiert in der FAZ das "umfassende Paralleluniversum des alternativen Rechtsschutzes" und hält dessen rechtssoziologische und gesellschaftliche Auswirkungen für noch "in keiner Weise absehbar". Doch stehe die Möglichkeit der alternativen Streitbeilegung nicht in Konkurrenz zur gerichtlichen Streitentscheidung, sondern sie komplettiere den Rechtsschutz durch die Gerichte.
Erbschaftsteuerreform: Nach Informationen der FAZ (Manfred Schäfers) stehen die Kernpunkte für die Erbschaftsteuerreform des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) fest. Der wichtigste Punkt: Auch das private Vermögen der Erben oder Beschenkten werde künftig bei der Frage berücksichtigt, ob ein Unternehmen von der Steuerzahlung befreit werden muss, um die Beschäftigung zu sichern. Das Handelsblatt (Jan Hildebrand) berichtet ebenfalls.
Kritik am Mindestlohngesetz: Zum Mindestlohngesetz äußert sich Heike Göbel (FAZ) kritisch: Die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) habe "wahre Haftungskaskaden" geschaffen. Unternehmen würden auch für die Einhaltung des Mindestlohnes haften bei Firmen, an die sie Aufträge vergeben. Die Bestimmungen seien zudem unklar formuliert. Missstände und Forderungen, die an den Gesetzgeber adressiert werden, fasst die FAZ (Kerstin Schwenn) zusammen.
Steuervorteile für Konzerne: Die EU-Kommission will laut Handelsblatt (Ruth Berschens) im März einen Gesetzentwurf vorlegen, nach dem die europäische Bemessungsgrundlage für Steuern vereinheitlicht werden soll. Ziel ist es, die zum Teil massiven Steuervorteile für internationale Konzerne abzuschaffen.
Justiz
BFH zu Fahrtkosten von Selbständigen: Fahrtkosten selbstständig tätiger Personen für Fahrten zu ständig wechselnden Betriebsstätten, von denen keine besonders wichtig ist, sind mit den tatsächlichen Kosten abzugsfähig – und nicht nur mit der Entfernungspauschale. Das hat der Bundesfinanzhof in einem nun bekannt gewordenen Urteil entschieden und damit der Klage einer freiberuflich tätigen Musiklehrerin stattgegeben. lto.de berichtet.
BAG zu "Busengrapscher"-Fall: Nach dem "Busengrapscher"-Urteil des Bundesarbeitsgerichts mahnt der Anwalt Thomas Gennert auf blog.handelsblatt.com zur Ruhe: Das Urteil folge bekannten Pfaden der Rechtsprechung zur fristlosen Kündigung: "Obwohl vordergründig ein schwerwiegender Pflichtverstoß des Arbeitnehmers vorliegt, kann die Interessenabwägung im Einzelfall gleichwohl dazu führen, dass der Arbeitnehmer zunächst abzumahnen ist, bevor eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zulässig ist."
Kosten des NSU-Prozesses: Berge von Akten, 80 Nebenkläger, viele Zeugen: Der NSU-Prozess hat bereits 30 Millionen Euro gekostet, wie lto.de meldet. Jeder Prozesstag koste 150.000 Euro, Termine sind bis Januar 2016 anberaumt. Genannt werden außerdem Forderungen, die Zahl der Nebenklägervertreter gesetzlich zu begrenzen.
Möglicher Verstoß gegen Neutralitätspflicht von Richtern: Zwei Gerichtspräsidenten aus Schleswig-Holstein müssen offenbar mit Disziplinarverfahren rechnen. Ihnen wird vorgeworfen, eine Solidaritätsbekundung gegenüber der Schleswig-Holsteinischen Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) geplant zu haben – ein Verstoß gegen die im Richtergesetz vorgeschriebene politische Neutralität steht im Raum. Anstoß der geplanten Solidaritätsbekundungen sollen eine Geiselnahme in der Justizvollzugsanstalt Lübeck und die daran anschließende Amtsenthebung der JVA-Leiterin gewesen sein. Die FAZ (Frank Pergande) und lto.de berichten.
LG Heidelberg zu Dashcam-Aufzeichnungen: Das Landgericht Heidelberg hat laut internet-law.de (Thomas Stadler) entschieden, dass Aufnahmen von Dashcams im Zivilprozess nicht als Beweismittel zum Hergang eines Unfalls verwertet werden können. Die Aufzeichnung von Personen mittels Dashcam stelle eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar, die auch nicht durch das Interesse an der Erlangung eines Beweismittels gerechtfertigt sei.
LG München I – "Baal"-Inszenierung: Muss der Plagiator Bertolt Brecht vom Urheberrecht geschützt werden?, so der Aufmacher der Meldung auf deutschlandradiokultur.de über den Prozess des Suhrkamp-Verlages, der im Auftrag der Brecht-Erben gegen das Münchner Residenztheater vor dem Landgericht München I klagt. Vorwurf: Eine Inszenierung von Brechts "Baal" sei eine nicht-autorisierte Bearbeitung, weil sie sich nicht an den Originaltext halte. Laut SZ (etho) schlug das Gericht am gestrigen Mittwoch einen Vergleich vor, auf den sich die Kläger aber nicht einlassen wollten.
LG Oldenburg – Niels H.: In einem ausführlichen Dossier widmet sich die Zeit (Daniel Müller) dem Prozess gegen den vor dem Landgericht Oldenburg wegen mehrfachen Mordes und Mordversuchs an Patienten angeklagten ehemaligen Krankenpfleger Niels H. Es bleibe der fahle Beigeschmack, dass ein Straftäter – bereits verurteilt – "sich jahrelang frei bewegen und auch noch eine neue Stelle antreten konnte, in der er wieder Macht über hilflose Personen erhielt". Dies hätte verhindert werden können durch umfangreichere Ermittlungen und ein revisionsfestes Urteil im ersten Prozess.
AG Dresden zu Sitzblockade: Das Amtsgericht Dresden hat das Verfahren gegen die Bundestagsabgeordnete Caren Lay (Linke) eingstellt. Die Schuld der Angeklagten Lay habe das AG im Falle der Sitzblockade gegen eine Neonazi-Demo im Jahr 2011 als gering eingestuft, meldet die SZ.
Deals im Strafprozess: Im Interview mit der SZ (Wolfgang Janisch) äußert sich der Anwalt und Revisionsexperte Ali B. Norouzi zum Stand der Absprachen im Strafprozess im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In den Augen Norouzis ist zwar die Neigung der Gerichte, in Sachen Deals sauber zu arbeiten, spürbar größer geworden. Doch sei es die Quadratur des Kreises, im Strafprozess mit dem Deal als "Kind des Pragmatismus" das Informelle zu formalisieren.
Recht in der Welt
USA – Einwanderungsreform: Ein US-Bundesgericht in Texas hat am vergangenen Dienstag die jüngste US-Einwanderungsreform vorerst gestoppt: Die Klage dagegen sei "begründet genug", um die Reform auszusetzen. US-Präsident Obama hatte sie per Dekret erlassen, was verfassungsrechtlich umstritten war. Darüber schreibt das Handelsblatt (Moritz Koch).
Schweiz – Verfahren gegen HSBC: Wegen des Verdachts der Geldwäsche hat die Staatsanwaltschaft in Genf ein Verfahren gegen die HSBC-Bank eröffnet. Am Mittwoch habe es bei Genf eine Hausdurchsuchung gegeben. Die SZ (Christoph Giesen/Charlotte Theile) berichtet.
Juristische Ausbildung
Verkaufte Juraklausuren: Über die Affäre um verkaufte Juraklausuren in Niedersachsen bringt die Zeit (Nadine Ahr u.a.) ein ausführliches Stück im Ressort "Chancen". Es offenbare sich ein fragwürdiges System, und angeklagt sei auch das Jurastudium, "das junge Menschen derart unter Druck setzt" sowie das Staatsexamen, "das Prüfer zu allmächtigen Autoritäten macht". Die "Verschränkung von Prüfungstätigkeit und Kursvorbereitung" wie bei Jörg L. sei in anderen Bundesländern nicht erlaubt.
Sonstiges
Reparationen an Griechenland: Katrin Fenrich befasst sich auf lto.de mit den von der neuen griechischen Regierung gegenüber Deutschland geforderten Reparationszahlungen für Zwangskredite aus dem Zweiten Weltkrieg. Der "juristisch vielschichtige" Sachverhalt sei nicht so eindeutig wie die Bundesregierung ihn mit Verweis auf den Zwei-Plus-Vier-Vertrag darstelle. Insgesamt stehe die griechische Forderung aber auf schwachen juristischen Füßen.
Leutheusser-Schnarrenberger zum Google-Löschbeirat: Im Interview mit der FAZ (Uwe Ebbinghaus) spricht die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) über den Google-Löschbeirat, der über Löschansprüche aus dem vom Europäischen Gerichtshof postulierten "Recht auf Vergessenwerden" wacht und Empfehlungen dazu ausspricht. Leutheusser-Schnarrenberger, selbst Löschbeirätin, spricht sich im Gegensatz zur Mehrheit des Beirats dafür aus, Domains nicht nur EU-weit, sondern global zu berücksichtigen. Außerdem seien bald die ersten Gerichtsentscheidungen zu Löschansprüchen zu erwarten.
Kritik an Fusionskontrolle beim BKartA: Im Zuge der Diskussion um die Fusion Edeka-Tengelmann fasst das Handelsblatt (Christoph Schlautmann) generelle Kritik an der Fusionskontrolle des Bundeskartellamtes zusammen. Entscheidungen einzelner Beschlussabteilungen seien "immer häufiger kaum nachvollziehbar".
Maut-Berechnung: Nachdem das Verwaltungsgericht Berlin das Bundesverkehrsministerium auf Antrag der Zeit kürzlich per einstweiliger Anordnung verpflichtet hatte, die Berechnungen zur Pkw-Maut offenzulegen, ziert sich das Ministerium damit offenbar weiter. Die Zeit hat das Ministerium nun aufgefordert, bis Freitag dieser Woche zu antworten, so die Zeit (FR) selbst.
Das Letzte zum Schluss
Zur Verhältnismäßigkeit eines Fahrverbots: Welche Argumente bleiben einem Gericht, wenn der von einem Fahrverbot Betroffene vorträgt, sein Arbeitsplatz sei durch das Fahrverbot ernsthaft gefährdet, weil er seinen Arbeitsplatz nicht mehr erreicht? Das Amtsgericht Reutlingen hat blog.beck.de (Carsten Krumm) zufolge den Betroffenen auf den Campingplatz nahe der Arbeitsstelle in Tübingen verwiesen: "Eine vorübergehende Unterkunft in der dortigen Jugendherberge oder auf einem Campingplatz erscheinen nicht unzumutbar."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. Februar 2015: Etappensieg für rauchenden Mieter – Dashcam-Beweis – Affäre um verkaufte Juraklausuren . In: Legal Tribune Online, 19.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14733/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag