Überzogene Einmischung? Oder unliebsame Entscheidungen? Unionspolitiker kritisieren das Bundesverfassungsgericht, stoßen aber nicht überall auf Beifall. Außerdem in der Presseschau vom Wochenende: Debatte um Sterbehilfe, Führerscheinentzug als Strafe, Prozess gegen Auschwitz-Wachmann, US-Drohnenangriffe, Betreuungsgeld und eine Nacht in einer englischen Zelle.
Thema des Tages
Union kritisiert BVerfG: In der Union herrscht Unmut über Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Laut WamS (Susanne Gaschke/Thorsten Jungholt/Thomas Vitzthum u.a..) kritisieren Unionspolitiker, dass die Verfassungsrichter sich mit ihren Entscheidungen zu stark in die Politik einmischen – so etwa beim Kopftuchbeschluss, bei der Verhandlung um das Betreuungsgeld und bei der Aufhebung der Drei- bzw. Fünf-Prozent-Hürden bei Kommunal- und Europawahlen. Zitiert werden Gerda Hasselfeldt (CSU), Elmar Brok (CDU) und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Im Kanzleramt halte man sich zwar mit Kritik am Verfassungsgericht "strikt zurück", aber das sei ein "dröhnendes Schweigen". Die Montags-SZ (wiw/fmue) greift die Berichterstattung auf. Die Montags-Welt (Thomas Jungholt) schildert erneut ausführlich die Kritik der Unionspolitiker, zitiert aber zudem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der die Verfassungsrichter verteidigt.
Thorsten Krauel (Montags-Welt) findet, in den pauschalen Vorwürfen stecke ein "wahrer Kern", die Politik könne die "praktische Wirklichkeit" besser einschätzen als das Gericht. Wolfgang Janisch (Montags-SZ) hält die Argumente der Union für "dünn" und kritisiert, dass sie schon seit Jahren "mit strategischer Kühle" versuche, das Gericht zu diskreditieren. Christian Rath (Montags-taz) schreibt, die Kritik sei "ungerecht". Das Gericht habe Verfassungsfragen unvoreingenommen geprüft und werde das auch beim Betreuungsgeld tun – wobei es für die Union schlecht aussehe.
Rechtspolitik
Sterbehilfe und Suizidhilfe: Der Rechtsanwalt und Publizist Oliver Tolmein kritisiert in der Samstags-FAZ den Aufruf zahlreicher Strafrechtler gegen eine "Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe". Die Strafrechtler – darunter Bundesrichter Thomas Fischer – ließen es an "wissenschaftlicher Genauigkeit und Differenziertheit der Argumente" fehlen. Bei aktuellen Gesetzesvorhaben gehe es keinesfalls darum, Sterbehilfe im eigentlichen Sinne, etwa in der Palliativmedizin, einzuschränken, sondern um organisierte und geschäftsmäßige Suizidhilfe.
Schutz von Kleinanlegern: Nach Informationen der Samstags-Welt (Karsten Seibel) soll der Gesetzentwurf zum Schutz von Kleinanlegern deutlich entschärft werden. Um Start-Ups und Crowdfunding-Projekte nicht unnötig zu belasten, solle erst ab 2,5 Millionen Euro ein umfassender Wertpapierprospekt Pflicht werden. Auch auf ein weitreichendes Werbeverbot werde verzichtet. Stattdessen sollten Warnhinweise und ein Widerrufsrecht die Anleger schützen.
Führerscheinentzug als Strafe: Führerschein weg – auch wenn es nicht um Verkehrsdelikte geht? Laut Rheinischer Post (Eva Quadbeck) wollen Union und SPD den Führerscheinentzug künftig auch bei anderen Straftaten einsetzen. Das soll Straftäter treffen, für die eine Geldstrafe kein "fühlbares Übel" darstellt, etwa Steuerbetrüger. Bundesjustizminister Heiko Maas solle in der zweiten Jahreshälfte einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.
Nudging: Auf verfassungsblog.de wird die Diskussion um "Nudging" weitergeführt. Sabine Junginger versteht Recht und Politik als "Design", Christopher Unseld sieht die Debatte als Herausforderung, die typische deutsche "Rechtsbrille" abzulegen und Niels Petersen erklärt, warum sich Juristen – und nicht nur Sozialwissenschaftler – mit Nudging beschäftigen sollten.
EU-Flüchtlingspolitik: Schon bevor in der Nacht zum Sonntag erneut ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer sank, hatte Heribert Prantl (Samstags-SZ) angesichts der vielen Toten seit Beginn des Jahres in scharfen Worten die EU-Grenzpolitik kritisiert und legale Einreisemöglichkeiten gefordert. Auch Hans-Jürgen Schlamp (spiegel.de) hält ein Einwanderungsgesetz für notwendig: Selbst eine "brutale Zuwanderungsregelung", die sich allein an den ökonomischen Interessen der Aufnahmeländer orientiert, sei besser als die derzeitige Situation.
Justiz
LG Hamburg – Wölbern-Prozess: Das Landgericht Hamburg will am Montag sein Urteil im Prozess gegen den Geschäftsführer der Wölbern Invest, Heinrich Maria Schulte, verkünden. Schulte wird gewerbsmäßige Untreue in 360 Fällen vorgeworfen, er soll insgesamt 147 Millionen Euro aus dem Fondsvermögen abgeschöpft haben. Die Samstags-Welt berichtet knapp vorab.
LG Lüneburg – Prozess gegen Auschwitz-Wachmann: Am Dienstag beginnt vor dem Landgericht Lüneburg der Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Oskar Gröning, der in Auschwitz als Buchhalter eingesetzt war. Er war von September 1942 bis Oktober 1944 dafür zuständig, Wertsachen von 425.000 Juden zu registrieren und muss sich wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen verantworten. Gröning will vor Gericht aussagen. Es berichten die Samstags-SZ (Peter Burghardt), der Spiegel (Jörg Diehl), die Montags-taz-nord (Andreas Speit) und die Montags-Welt (Per Hinrichs).
OLG-Müchen – 200 Tage NSU-Prozess: Der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München steht kurz vor dem 200. Verhandlungstag. Göran Schattauer (Focus) fordert, das Gericht müsse "endlich ein Urteil fällen". Je länger das Verfahren dauere, desto "obskurer und bedeutungsärmer" würden die Zeugenaussagen.
Erbschaftsstreit bei Dussmanns: Ein Erbschaftsstreit in der Berliner Unternehmerfamilie Dussmann wird wohl in den kommenden Monaten das Landgericht Berlin beschäftigen. Die Witwe und die Tochter von Peter Dussmann streiten sich um die Macht im Unternehmen und um Millionenbeträge, so spiegel.de (Jürgen Dahlkamp).
BVerfG – Betreuungsgeld: Die FAS (Florentine Fritzen) legt dar, dass bereits bei der Einführung des Betreuungsgeldes 2012 in der damaligen schwarz-gelben Koalition verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich der Gesetzgebungskompetenz geäußert wurden. Horst Seehofer als CSU-Vorsitzender habe das Betreuungsgeld jedoch unbedingt durchsetzen wollen. Die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, das in der vergangenen Woche Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes durchblicken ließ, erörtern Greta Böckmann, Sandra Isbarn und Vera Möller ausführlich auf juwiss.de.
BGH zu Bushido: internet-law.de (Thomas Stadler) erklärt, warum sich das Bushido-Urteil des Bundesgerichtshofs vom "Metall auf Metall"-Urteil unterscheidet. Bushido hatte in seinen Songs kurze Musiksequenzen einer anderen Band verwendet, die Komponisten sahen darin eine Verletzung ihres Urheberrechts. Nun verlangte der BGH vom Oberlandesgericht Hamburg, zu prüfen, ob diese Sequenzen soviel "schöpferische Eigentümlichkeit" aufweisen, dass sie urheberrechtlich geschützt sind. Im "Metall auf Metall"-Fall ging es zwar ebenfalls um Sound-Sampling, geklagt hatten jedoch die Tonträgerhersteller unter Berufung auf ihr Leistungsschutzrecht – und das umfasst nach Ansicht des BGH bereits "kleinste Tonfetzen".
BGH zu Buchscanns: Der Rechtsprofessor André Niedostadek erläutert auf lto.de das Urteil des Bundesgerichtshofes, das digitale Leseplätze in Bibliotheken erlaubt.
BSG zu Querulant: Auch wenn der Kläger "querulatorische Züge" aufweist, hätte das Landessozialgericht Baden-Württenberg seine Entschädigungsklagen nicht einfach ignorieren dürfen, so das Bundessozialgericht. Hintergrund ist der Fall eines Strafgefangenen, der mehrere Hundert Verfahren bei den Sozialgerichten geführt und schließlich in 138 Fällen Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer verlangt hatte. Diese Entschädigungsklagen muss das LSG nun erneut prüfen. lto.de berichtet.
OLG München zu Kundenbewertung: Kunden, die Produkte auf Internetseiten kritisch bewerten, müssen in der Regel nicht für Geschäftseinbußen der Verkäufer haften. Das OLG München wies die Klage eines Ebay-Verkäufers ab, der 70.000 Euro Schadensersatz verlangt hatte, weil ein Kunde ein Fliegengitter negativ bewertet habe. Kundenbewertungen seien eher als Meinungsäußerungen denn als Tatsachenbehauptungen zu verstehen, erklärt lawblog.de (Udo Vetter).
Anwaltsportal: Die Montags-FAZ (Ulla Fölsing) stellt das Berliner Start-Up Advo-Assist vor. Damit können Rechtsanwälte über das Internet etwa Kollegen für eine Terminvertretung beauftragen.
Recht in der Welt
Südchinesische See – Streit um Inseln: Die Montags-SZ (Stefan Kornelius) widmet das Tagesthema dem Streit zwischen China und den von den G7-Staaten unterstützen südostasiatischen Anrainerstaaten um unbewohnte Inseln im südchinesischen Meer. Der Konflikt lasse sich bisher nicht völkerrechtlich lösen. Zwar haben die Philippinen das Ständige Schiedsgericht der Vereinten Nationen angerufen, allerdings verweigert China die Teilnahme an dem Verfahren.
Griechenland – Prozess gegen "Goldene Morgenröte": In Griechenland beginnt der Prozess gegen 69 Mitglieder der Neonazi-Partei "Goldene Morgenröte" wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Montags-taz (Jannis Papadimitriou) berichtet aus Athen, außerdem spiegel.de.
Sonstiges
US-Drohnenangriffe: Laut Spiegel (Bartsch/Baumgärtner/Blome u.a.) beweisen geheime Dokumente aus US-Geheimdienstkreisen, dass "praktisch alle" Drohenangriffe des US-Militärs über die Air Base Ramstein in der Pfalz abgewickelt werden, indem von dort aus Signale zur Steuerung gesendet werden. Die Bundesregierung vermeide eine Auseinandersetzung mit den USA und täusche Ahnungslosigkeit vor. Angesichts der Enthüllungen fordern Grünen-Politiker und Völkerrechtler gegenüber spiegel.de Ermittlungen des Generalbundesanwalts.
Zockerei bei der Deutschen Bank: Das Focus-Titelthema sind Zockereien der Deutschen Bank. Axel Spilcker schildert den Handel mit EU-Emmissionszertifikaten im Jahr 2009, bei dem die Deutsche Bank offenbar in ein Umsatzsteuerkarussel verwickelt war. Es laufen Verfahren gegen 26 (teils ehemalige) Banker wegen Steuerbetrugs, Strafvereitelung und Geldwäsche. In Deutschland und im Ausland, insbesondere in den USA, beschäftigen die Bank weitere Verfahren etwa wegen Absprachen beim Libor-Zins, mutmaßlichen Falschaussagen im Kirch-Prozess und drohende Strafen wegen Embargoverstößen und Marktmanipulation. Wolfgang Reuter kommentiert, der ehemalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann habe als Aufsichtsrat bei Siemens hart durchgegriffen, als Skandale bekannt wurden, versuche nun aber, von seiner Verantwortung bei der Deutschen Bank abzulenken.
BACDJ-Kongress zum Strafrecht: Der Bundesarbeitskreis Christlich Demokratischer Juristen befasste sich auf seinem Kongress am Wochenende mit der Frage "Ist unser Strafrecht zukunftsfähig?" Dabei ging es insbesondere um die Überlastung der Justiz, so die Montags-FAZ (Reinhard Müller). Entlastungen im Strafprozessrecht würden jedoch wenig helfen, wenn das materielle Strafrecht zugleich ständig ausgeweitet werde.
Das Letzte zum Schluss
Ausflug in die Zelle: Die Samstags-Welt (Guido Bellberg) schildert die abstruse Geschichte eines deutschen Autokäufers, der in England einen Porsche abholen wollte – aber für knapp 24 Stunden in einer Polizeizelle landete, weil er angeblich kein Bahnticket besaß. Tatsächlich hatte er die Zugfahrt sogar zweimal bezahlt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. bis 20. April 2015: Union kritisiert BVerfG – Auschwitz-Wachmann will aussagen – Enthüllungen zu US-Drohnen . In: Legal Tribune Online, 20.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15277/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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