Titisee-Neustadt sieht seine kommunale Selbstverwaltung vom Kartellamt bedroht. Außerdem in der Presseschau: Angriff auf das Kirchenasyl, kein laufender Auskunftsanspruch über nichtöffentliche Ausschusssitzungen und warum Händewaschen die Staatsanwaltschaft fernhalten kann.
Thema des Tages
Ökonomie über alles? Was bei einer Ausschreibung das "beste Angebot" ist, ist rein wirtschaftlich zu bestimmen, bescheinigte das Kartellamt der Stadt Titisee-Neustadt. Diese hatte bei Ausschreibung und Vergabe ihres Strom- und Gasnetzes auf bürgernahe ökologische Energieversorgung gesetzt und den Stadtwerken, wegen Mitbeteiligung einer Bürgergenossenschaft, den Zuschlag erteilt. "Missbräuchlich" und "diskriminierend" habe die Gemeinde ihre marktbeherrschende Stellung ausgenutzt, sagt das Kartellamt laut Montags-taz (Bernward Janzing) und fordert eine Neuausschreibung. Das Argument, Energieversorgung als Daseinsvorsorge müsse nicht allein an Wirtschaftlichkeit ausgerichtet sein, lässt die Behörde nicht gelten. Die Gemeinde hat Kommunalverfassungsbeschwerde eingereicht, bei welcher die Entscheidung noch aussteht.
Rechtspolitik
Ceta, TTIP – Schiedsgerichte: Die Badische Zeitung (Christian Rath) sieht sich den Investitionsschutz durch Schiedsgerichte, den der bereits fertige Ceta-Entwurf enthält und der ähnlich auch für TTIP zu erwarten ist, genauer an. Problematisch sei die Besetzung der Gerichte mit Anwälten, wegen des Interesses an häufigen Prozessen.
In Abgrenzung dazu geht die Badische Zeitung (Christian Rath) in einem weiteren Beitrag, am Beispiel des Schiedsverfahrens Vattenfall gegen Deutschland, auf die bestehende Investitionsschutzregelung der Energiecharta ein.
Kirchenasyl: Durch Verfügung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge werden Flüchtlinge im Kirchenasyl jetzt, trotz bekannten Aufenthaltsortes, als "untergetaucht" betrachtet und können so achtzehn statt sechs Monate nach Dublin III-Verordnung ins europäische Ausland zurückgeschoben werden, berichtet die Samstags-SZ (Heribert Prantl). Sie müssen entsprechend länger ausharren, um ein Asylverfahren in Deutschland zu erhalten. Auf der Meinungsseite kritisiert Prantl den Versuch, sich der Mahnung durch das Kirchenasyl – dem "Regulativ des Rechtsstaats auf der Suche nach Gerechtigkeit" – zu entledigen. Laut Spiegel rügte Innenminister Thomas de Maizière, dass sich die Kirchen eigenmächtig über bestehende Gesetze hinwegsetzten.
Promillegrenze für Radfahrer: Im Interview mit lto.de (Anne-Christine Herr) erklärt Rechtsprofessor Uwe Scheffler, warum er eine bußgeldbewehrte Promille-Grenze von 1,1 für Radfahrer ablehnt. Im Interview mit der Samstags-taz (Richard Rother) erklärt ADFC-Sprecher René Filippek, warum er sie befürwortet.
Reform des Vergewaltigungsparagrafen: Bundesjustizminister Heiko Maas hat die Länder aufgefordert, Beispiele aus der Praxis zu benennen, die für vorhandene Schutzlücken sprechen. Die dabei nun angegebenen Fallgruppen belegen laut Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof) kein Reformbedürfnis.
Präventivstrafrecht: Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) kritisiert die zunehmend präventive Nutzung des Strafrechts im "Kampf gegen Feinde". Es gehe um präventive Zugriffe aufgrund von potentieller zukünftiger Straftatbegehung, festgestellt nach Kriterien, die dem Einfluss von Vorurteilen viel Raum lassen.
Erbschaftsteuerrecht: Verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) bespricht eine Veranstaltung zum Erbschaftsteuer-Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit den Rechtsprofessoren Paul Kirchhof und Oliver Lepsius. Letzterer sehe die Aufhebung von Teilen des Steuerrechts durch das BVerfG als Beitrag zur andauernd erforderlichen Kontrolle von dessen Zeitgemäßheit. Steuerrecht mit dauerhaftem Gütesiegel gebe es nicht. Kirchhof aber will es für die Erbschaftsteuer gefunden haben: einen für alle gleichen Erschaftsteuer-Prozentsatz und eine zinslose Stundung bei Unternehmenserbschaft.
Das Handelsblatt (Donata Riedel) stellt einen Vorschlag der Stiftung Familienunternehmen zur Vermeidung von Bedürfnisprüfungen bei Großunternehmen vor. Das Verwaltungsvermögen sei wenig manipulierbar zu gestalten und zur Zahlung der Erbschaftsteuer – für Verwaltungs- und Betriebsvermögen – heranzuziehen. Wenn es nicht reicht, solle Stundung helfen.
Kameras vor Gericht: Die Samstags-taz (Christian Rath) beschreibt ausführlich die Reformüberlegungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform von § 169 Gerichtsverfassungsgesetz. Konkret geht es um die Übertragung von Gerichtsverhandlungen in einen Pressearbeitsraum, die Lockerung des Verbots von Fernsehberichten aus der Gerichtsverhandlung sowie dokumentarische Aufnahmen für die Zeitgeschichte.
Steuerbetrug an Bargeldkassen: Der Spiegel (Michael Fröhlingsdorf) beschreibt, wie an Bargeldkassen die Einnahmen frisiert werden, um Steuer- und Sozialabgabenbelastung zu senken. Technische Mittel dagegen gebe es bereits – ein Test in Hamburger Taxis habe eine "Umsatzsteigerung" von 50 Prozent ergeben. Bundeswirtschafts- und -finanzministerium lehnen entsprechende Vorschläge der Länder ab und verweisen auf Bürokratieaufwand für die Wirtschaft und europarechtliche Probleme. Beispiele aus anderen EU-Staaten und die simplen technischen Lösungen sprächen jedoch gegen diese Argumente.
Verkehrsgerichtstag: Die Berliner Zeitung (Christian Bommarius) schreibt über die Bedeutung, die vergangene Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages für die Gesetzgebung hatten. Er habe insgesamt "durchaus eine Erfolgsgeschichte geschrieben".
Justiz
OVG Berlin-Brandenburg zu nichtöffentlichen Ausschusssitzungen: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass über den Inhalt nichtöffentlicher Ausschusssitzungen nicht laufend informiert werden muss. Die Parlamentsautonomie gehe dem Informationsinteresse der Presse vor und in Sitzungsprotokolle könne nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahren oder der Legislaturperiode Einsicht genommen werden, berichtet der Tagesspiegel (Jost Müller Neuhof).
OVG Berlin-Brandenburg zu Sprachnachweis bei Familiennachzug: Die 2007 ins Aufenthaltsgesetz eingefügten ausnahmslosen Sprachanforderungen beim Familiennachzug verstoßen laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Juli 2014 gegen das Stillhalteabkommen von 1980. Eine Nichtanwendung der Regelung gegenüber Türken wollte das Auswärtige Amt durch Einzel- und Härtefallprüfungen qua Ministerialerlass vermeiden. Dieser kann das Gesetz jedoch nicht dem Abkommen konform machen, entschied am Freitag das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg laut Rechtsindex und ließ die Regel unangewendet.
LAG Düsseldorf zu Unternehmenskartellbußen: Ein Unternehmen kann Geldbußen, die es für Kartellrechtsverstöße auferlegt bekommen hat, nicht auf einen am Verstoß beteiligten Mitarbeiter abwälzen. Die Buße ist dem Unternehmen auferlegt, für den Mitarbeiter gibt es eigene Regeln, hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf am 20. Januar entschieden. Der Anwalt für Arbeitsrecht Tim Wybitul macht in der Samstags-FAZ darauf Aufmerksam, dass diese Argumentation auch auf Verbandsbußen übertragen werden könnte.
BGH zu Urheberrecht und Internet: Nach einer nun veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. September 2014 gilt die Urhebervermutung auch für Bilder im Internet, denen ein Hinweis auf den Urheber beigefügt ist. Auch der Besitz einer Datei mit höherer Auflösung als ein im Internet eingestelltes Bild spreche für die Urheberschaft. Außerdem können sich Unterlassungserklärungen, auch ohne dies ausdrücklich zu tun, auf die Verbreitung im Internet beziehen, wenn eine solche den ursprüngliche Verstoß bildete. Es berichtet internet-law.de (Thomas Stadler).
AG München – ADAC e.V.? Zu der vom Amtsgericht München zu beantwortenden Frage, ob der ADAC weiterhin den Titel "eingetragenen Verein" tragen darf, äußert sich Rechtsprofessor Lars Leuschner in der Montags-SZ. Springender Punkt sei, ob die Pannendienstleistung gegen Mitgliedsbeiträge sich als unzulässige wirtschaftliche Betätigung durch eine Art Versicherungsleistung darstelle. Aufgrund des eher geringen Insolvenzrisikos könne die Aberkennung des Vereinsstatus allerdings unverhältnismäßig sein.
LG München I – Bankmanager-Prozesse: Nach Information des Spiegel wird Richter Peter Noll jedenfalls noch so lange am Landgericht München bleiben, bis er – wohl noch in diesem Frühjahr – über die Zulassung der Anklage gegen Jürgen Fitschen u.a. entschieden hat. Im Verfahren gegen Ex-Vorstände der Hypo-Real-Estate wird diese Entscheidung wohl durch einen Nachfolger getroffen, wegen englischer Angeschuldigter muss die Anklageschrift erst noch übersetzt werden.
AG Essen zu Volksverhetzung: "Tod und Hass den Zionisten" auf einer Demonstration gegen Israel zu rufen, sei gegen Juden gerichtet und damit Volksverhetzung, entschied das Amtsgericht Essen laut Samstags-Welt (Stefan Laurin).
LG Frankfurt – Selbstjustiz? Die FAS (Katharina Iskandar) schreibt zu dem derzeit vor dem Landgericht Frankfurt verhandelten Verfahren gegen Hamayon S., der dort im Januar 2014 die beiden Männer getötet haben soll, die wegen der Tötung seines Bruders vor Gericht standen. In dem Fall, der die Debatte um Selbstjustiz in Parallelgesellschaften beflügelte, ging es wohl weniger um Rache aus kulturell geprägtem Gerechtigkeitsverständnis als um Angeklagte, die die Familie des damaligen Zeugen und heutigen Angeklagten bedrohten – was ein Video beweisen soll.
Anwaltsgericht Köln zu Werbung mit Pin-Ups: Das Anwaltsgericht bestätigte Mitte Januar die Rüge der Rechtsanwaltskammer Köln gegenüber einem Anwalt, der Pin-Up-Kalender mit aufgedruckter Kanzleianschrift als Werbegeschenke an Klienten verschickt hatte. Die Kalender unterfallen dem Verbot, allein auf Effekthascherei ausgerichteter Werbung, meldet Rechtsanwalt Frank Weiß (jurablogs.com).
Recht in der Welt
IStGJ – Srebrenica: Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien hat am vergangenen Freitag fünf serbische Offiziere wegen ihrer Beteiligung am Massaker in Srebenica nun endgültig zu teils lebenslanger Haft verurteilt. Dies meldet spiegel.de.
Frankreich – Dominique Stauss-Kahn: Am heutigen Montag beginnt in Lille der Prozess gegen Dominique Stauss-Kahn wegen "Zuhälterei". Wusste Strauss-Kahn, dass er es mit Prostituierten zu tun hatte oder glaubte er an gemeinsame Sexpartys? Samstags-SZ (Leo Klimm) und Montags-FAZ (Michaela Wiegel) berichten über den Vorwurf und davon, wie der Prozess zum Kampf um Freiheit gegen rigide Moral stilisiert werde, bis hin zur Frage "Was ist Ihnen lieber: DSK oder der Islamische Staat".
Sonstiges
Facebook-Nutzungsbedingungen: Die Rechtsanwälte Michael Terhaag und Christian Schwarz besprechen auf lto.de die Änderung der Nutzungsbedingungen von Facebook, die am Freitag in Kraft trat. Es werden mehr Daten in die Personalisierung von Werbung einfließen – wie Standortbestimmung und Daten anderer Websites – und für Facebook genüge weiterhin die Nutzung in Kenntnis der neuen Nutzungsbedingungen als Zustimmung im Sinne des § 4 Datenschutzgesetz.
Eben dies kritisiert Bundesjustizminister Heiko Maas laut spiegel.de, er fordere ein Widerspruchsrecht und konkretere Informationen. Auch die FAS (Dennis Kremer) berichtet, mit Hinweisen für größtmöglichen Schutz ohne den Account zu löschen. Die Montags-FAZ druckt die Bedingungen in Auszügen ab.
V-Leute-Register: Die Montags-taz (Christian Rath) stellt Geschichte, Aufgaben und Probleme des beim Bundesamt für Verfassungsschutz geplanten V-Leute-Registers dar. Im Frühjahr soll es seine Arbeit aufnehmen.
"Mediale Vorverurteilung": Warum das Argument, wegen "medialer Vorverurteilung" sei kein faires Verfahren mehr möglich und der Prozess einzustellen, in der Regel nicht greift, erläutert die Montags-FAZ (Helene Bubrowski). Das Strafverfahren sei auf Öffentlichkeit ausgelegt und seine Fairness durch die rechtsstaatliche Prozessordnung gesichert. Selbst wenn die Presse gegen ihre Verpflichtung zur Achtung der Unschuldsvermutung verstoße, sei von Richtern und Staatsanwälten solches nicht zu erwarten.
Das Letzte zum Schluss
Händewaschen nicht vergessen: Extra scharfe Chilis kann man mögen, wenn man sie aber anfasst, sollte Mann keines Falls anschließend gedankenlos raus gehen, und ein Bierchen am Fluss trinken. Wenn Mann das Bier nämlich jetzt wieder loswerden will und dabei dort hin fasst, wo extra scharfe Chilis nichts zu suchen haben, können die verzweifelten Versuche den Schmerz loszuwerden in einer Anklage wegen Exibitionismus enden. Wer Glück hat, dem glaubt das Gericht die Geschichte, wie das Amtsgericht Recklinghausen vergangene Woche dem dort Angeklagten. Dies berichtet Justillon.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 31. Januar – 2. Februar 2015: Kommunale Marktbeherrschung – nichtöffentlich ist nicht öffentlich – Vorsicht mit Chili . In: Legal Tribune Online, 02.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14537/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag