Bundesverfassungsgerichtspräsident Voßkuhle spricht über die wenig gestalterische Rolle eines Verfassungsrichter und die Theorie-Müdigkeit am Gericht. Außerdem in der Presseschau: BVerfG entscheidet zu Luftsicherheitsgesetz, Religionsunterricht fürs Kindeswohl und warum man lieber nicht verrät, welche Titel einem die eigenen Kinder verleihen.
Voßkuhle-Interview: Der JuWiss-Blog (Stefan Martini/Tina Winter) spricht mit Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle in einem breit angelegten Interview über den "Bericht des Wissenschaftsrates und die Perspektiven des Öffentlichen Rechts". Dabei äußert Voßkuhle sich etwa zur Rolle eines (Verfassungs-) Richters: Es handele sich um eine "traditionelle juristische Perspektive", die Rolle des Juristen als aktiver Rechtsgestalter komme dabei jedenfalls kaum zum Tragen. Gleichwohl sei die "Konkretisierung von Verfassungsrecht besonders wertungsanfällig". Mit Blick auf die Forderungen des Rates meint Voßkuhle, Rechtsvergleichung und Interdisziplinarität spielten am BVerfG eine große Rolle, "Theoriediskussionen" würden indes eher vermieden.
Weitere Themen – Rechtspolitik
Keine gesetzliche Frauenquote: U.a. die FR berichtet über die mehrheitliche Ablehnung der Einführung einer gesetzlichen Frauenquote für Aufsichtsräte im Bundestag.
Zypern-Hilfen: Zu den vom Bundestag beschlossenen Finanzhilfen für Zypern kommentiert Reinhard Müller (FAZ), wie "alternativlos Deutschland ist": Merkel fehle eine Kanzlermehrheit bei der Währungspolitik und das Bundesverfassungsgericht habe das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Abmahn-Gesetz: Über die Beratung des Bundestags zum Regierungsentwurf zur Bekämpfung unseriöser Geschäftspraktiken berichtet netzpolitik.org (Andre Meister). Nach erneuten Verhandlungen über den "ohnehin untauglichen Gesetzestext", bleibe die "Abmahn-Industrie", so netzpolitik.org, im neuen Entwurf unangetastet.
Internet-Enquete-Kommission: Mit den im Bundestag vorgestellten Ergebnissen der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" befasst sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in einem Gastbeitrag für spiegel.de und beschreibt die "Rahmenbedingungen" der aktiven Gestaltung der Digitalisierung.
Aus dem Bundestag berichtete live und ausführlich Markus Beckedahl (netzpolitik.org) und verlinkt die Berichte der Kommission.
Weitere Themen – Justiz
BVerfG zu LuftsicherheitsG: Wie u.a. lto.de meldet, hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nach einer Klage von Hessen und Bayern § 13 Abs. 3 S. 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes für nichtig erklärt. Im überregionalen Katastrophenfall dürfe der Bundesverteidigungsminister auch nicht im Eilfall allein über einen Einsatz der Bundeswehr im Inland entscheiden. Das Grundgesetz verlange eine Entscheidung der gesamten Bundesregierung.
Die SZ (Wolfgang Janisch) findet den Beschluss wenig überraschendend: Bereits in der Plenums-Entscheidung des BVerfG im August 2012 waren die Grenzen des Innen-Einsatzes vorgezeichnet worden. Im Jahr 2006 habe der erste Senat geurteilt, dass der Abschuss von Flugzeugen mit unschuldigen Entführungsopfern verfassungswidrig sei. Einen Bundeswehreinsatz im Inneren habe er nur als eine "Art Ersatzpolizei" als erlaubt erachtet. zeit.de berichtet ebenfalls und verweist auf Art. 35 Grundgesetz, der zur Entscheidung über die Eilkompetenz herangezogen wurde.
Wolfgang Janisch (SZ) kommentiert etwas resigniert: Die Entscheidung werde mit Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen, verschwinde im "schwarzen Loch des Desinteresses", nachdem 2005 noch eine "aufwühlende Diskussion" wogte, was die Bundeswehr darf und was nicht.
BGH zu Kartell-Bußgeldern: Das Handelsblatt (Dieter Fockebrock) informiert über eine "Grundsatzentscheidung" des Bundesgerichtshofes zu Bußgeldern in Kartellverfahren. Er habe die "millionenschweren" Bußgelder des Bundeskartellamtes bestätigt und einen neuen Maßstab für die Bußgeldberechnung aufgezeigt: Der Gesamtumsatz des betroffenen Unternehmens, nicht wie bislang der Umsatz der betroffenen Branche, sei maßgeblich. Danach müssten Unternehmen mit höheren Strafen rechnen, so das Handelsblatt.
BGH – Video-Embedding: Am Donnerstag hat der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes zum sogenannten "Embedding" oder "Framing", also der Einbettung von zum Beispiel YouTube-Videos auf anderen Websites, verhandelt. Die SZ (Wolfgang Janisch/Johannes Boie) berichtet. Fraglich sei, ob in dem Vorgehen ein "öffentliches Zugänglichmachen" liege, das rechtswidrig wäre. Konkret habe ein Unternehmen einen kurzen Film eines Konkurrenten zu einem Wasserfiltersystem auf der eigenen Seite eingebettet. Der BGH halte ausweislich einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 Verlinkungen grundsätzlich zwar für urheberrechtlich unbedenklich. In der gestrigen Verhandlung habe der Senatsvorsitzende aber zu erkennen gegeben, dass er das "Embedding" für etwas anderes halte. Ein Urteil solle am 16. Mai verkündet werden, möglicherweise rufe das Gericht aber den Europäischen Gerichtshof an.
Verfassungsklage gegen Übersichtaufnahmen: Wie lto.de knapp meldet, erwägt die Fraktion der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus eine Verfassungsklage gegen ein geplantes Gesetz zu polizeilichen Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen. Sie sähen darin eine Verletzung der grundgesetzlichen Versammlungsfreiheit, so lto.de.
BVerfG zu Stichtagsregelung für Erbfälle: Notar und Rechtswissenschaftler Herbert Grziwotz stellt für lto.de nach dem nun veröffentlichen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur erbrechtlichen Stichtagsregelung für nichteheliche Kinder die Rechtslage vor und nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Mai 2009 dar. Dieses lag der erfolglos beanstandeten Regelung zugrunde. Weiter schildert er die Hintergründe der aktuellen Entscheidung und weist auf Probleme mit abweichenden Regelungen aus dem DDR-Recht nach der Wiedervereinigung hin.
OLG Frankfurt zu Zusatzgebühr bei vorzeitiger Darlehenstilgung: Die FR (Ursula Knapp) berichtet über eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom Mittwoch zur Unzulässigkeit hoher "zusätzlicher Gebühren bei der vorzeitigen Rückzahlung eines Immobiliendarlehens". Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg habe eine Musterklage gegen die Commerzbank angestrengt, die bei vorzeitiger Darlehenstilgung eine Gebühr von 300 Euro für die Berechnung der sogenannten Vorfälligkeitszinsen verlangte. Das OLG habe die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, so die FR weiter.
OLG Köln zu Reli-Unterricht für Kindeswohl: Das Oberlandesgericht Köln entschied, dass zwei Sechsjährige weiterhin gegen ihren Willen und den der konfessionslosen Mutter am katholischen Religionsunterricht in ihrer Schule teilnehmen müssen. Dies diene laut Gericht, so die taz (Anja Kürger), dem Kindeswohl. Das Amtsgericht Monschau habe dem konfessionslosen Ex-Ehemann das alleinige Recht zugesprochen, über die Teilnahme am Religionsunterricht zu entscheiden. Dieser befürchtete eine Ausgrenzung seiner Kinder aus dem Klassenverband, würden sie dem Unterricht fernbleiben. Die Möglichkeit der vom OLG zugelassen Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof wolle die Mutter nutzen, so die taz.
Plätze NSU-Prozess: Mit der umstrittenen Sitzplatzvergabe an Journalisten im NSU-Prozess befasst sich auf der Staat und Recht- Seite der FAZ der Rechtsprofessor Günter Frankenberg: Beim Losverfahren regiere der "blinde Zufall", "am Ende entscheide das Glück". Beim Windhund-Prinzip aber "ersetzten mehrere Zufälle den einen der Auslosung" und man stelle sich blind gegenüber unterschiedlichen Informationsinteressen. In der neuen Verteilungsrunde könnten "Pools" gebildet werden - "national, international und Herkunftsländer der Opfer". Die Kontingente der Pools könnten dann "nach dem in Justizkreisen offensichtlich geschätzten Windhund-Rennen" verteilt werden.
UNO zu Sarrazin: Die erfolgreiche Individualbeschwerde des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg vor dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der rassischen Diskriminierung stellt für den Verfassungsblog der Rechtswissenschaftler Cengiz Barskanmaz umfassend dar. Der Ausschuss werfe Deutschland vor, seinen Verpflichtungen aus den Artikel 4 und 6 des UN-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von rassischer Diskriminierung im Fall Thilo Sarrazin nicht nachgekommen zu sein. Nach "Strafanzeigen wegen Volksverhetzung und Strafanträgen wegen Beleidigung" als Reaktion auf Sarrazins Äußerungen über Türken und Araber in zwei Publikationen habe die Staatsanwaltschaft Berlin sich geweigert, ein Verfahren zu eröffnen. Weiter stelle der Bericht fest, dass die fraglichen Äußerungen nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fielen, sondern "rassistische Hassrede" nach Artikel 4 des Übereinkommens darstellten, der jedoch, so Barskanmaz, nicht identisch sei mit § 130 des deutschen Strafgesetzbuches. Mit der Rüge befasst sich auch spiegel.de.
Rechtswidriger Steuer-CD-Ankauf?: Nach Informationen der taz (Christian Rath) will die Staatsanwaltschaft Düsseldorf nicht wegen des Ankaufs illegal kopierter Steuer-Daten-CDs durch das Land NRW ermitteln. Gegen den NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) seien deswegen vergangenes Jahr Strafanzeigen wegen Veruntreuung von Landesgeldern sowie Verstoßes gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) erstattet worden. Einen UWG-Verstoß hätten die Anzeigenden, darunter der Rechtsanwalt Udo Vetter, "zumindest" in einer "Beihilfe zur unbefugten Verwertung von unbefugt erlangten Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen" erblickt. Die Staatsanwaltschaft sehe indes weder einen Anfangsverdacht mit Blick auf das UWG, das Land handele nicht aus Eigennutz oder um der Bank zu schaden. Noch liege Untreue vor, da ein Ankauf von CDs in der Regel zu Steuernachforderungen führe.
Generalsekretariat DIS: Auf der Staat und Recht- Seite der FAZ stellt Helene Bubrowski die künftige Generalsekretärin der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) in Köln vor: Francesca Mazza, Italienerin mit zwei deutschen juristischen Staatsexamina und Doktorarbeit, habe bald die Aufgabe, Deutschland als Standort für Schiedsverfahren eine verstärkte Rolle zukommen zu lassen. Bereits neun Jahre habe sie beim Internationalen Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer in Paris gearbeitet. Zur Kritik an fehlender demokratischer Legitimation von Schiedsgerichten meine sie, wichtiger sei die "individuelle Legitimation" durch die beteiligten Parteien.
Karrieren in internationalen Großkanzleien: Unter dem Titel "Partner auf Abwegen" befasst sich das Handelsblatt (Stefanie Hergert) mit dem Verhältnis des traditionellen Großkanzlei-Prinzip "Up-or-Out", also Aufsteigen oder Aussteigen", zu den immer stärker nachgefragten neuen Karrierewegen und besserer Work-Life-Balance. So gebe es zwar neue Geschäftsmodelle wie den Status des Counsel, der zwischen Associate und Partner liege. Solche Ansätze könnten die Kanzlei-Kultur "radikal verändern"; zu viele Counsels dürften es daher wohl nicht werden, glaube etwa Clifford-Chance-Personalchef Wolf Kahles.
Weitere Themen – Recht im Ausland
Türkei – Haft für Autor Akhanli?: Die taz (Jürgen Gottschlich) berichtet über die Aufhebung des Freispruchs für den in Köln lebenden deutsch-türkischen Schriftsteller Dogan Akhanli durch das höchste türkische Berufungsgericht und die Hintergründe des Falles. Wegen des Vorwurfs des Raubmordes fordere das Gericht nun eine lebenslange Freiheitsstrafe. In einem Prozess um den Überfall auf ein Geschäft sei er bereits im Jahr 2011 von allen Zeugen "vollständig entlastet" und freigesprochen worden. Belastet hatte ihn ein gefolterter Verhafteter, der später ausgesagt habe, Akhanlis Namen nur genannt zu haben, weil er diesen im Ausland wusste.
Mit der SZ (Tim Neshitov) spricht Akhanli über seine Flucht aus der Türkei 1991 und die Zeit als linker Aktivist, die Untersuchungshaft vor dem Prozess 2011 und seine bis heute andauernde Verfolgung in der Türkei als Mitglied einer Terrororganisation.
USA – Supreme Court zu Klagen gegen ausländische Unternehmen: Im Wirtschaftsteil der FAZ (Corinna Budras) findet sich der Bericht über ein Grundsatzurteil des Supreme Court vom Mittwoch zur Beschränkung der Reichweite des Alien Tort Act. Das Gesetz über unerlaubte Handlungen im Ausland bot zwar die Grundlage für die Klage, das Gericht sehe die Regelung jedoch "im Wesentlichen" für rechtswidrige Handlungen von Piraten auf hoher See geltend. Dies schränke die Möglichkeit, ausländische Unternehmen in den USA zu verklagen, erheblich ein. Konkret habe eine afrikanische Volksgruppe den niederländischen Ölkonzern Shell verklagt, so die FAZ.
Sonstiges
Verbraucherrechte und Google-Brillen: Anlässlich der Aufregung um Googles Verbot, eine erworbene Datenbrille weiterzuverkaufen oder zu verleihen, befasst sich spiegel.de (Christian Stöcker) mit der (europäischen) Lage zu Verbraucherrechten. So könne in Deutschland ein Urheberrechtsverstoß darin liegen, eine Spielkonsole so umzubauen, dass sie selbst programmiert werden kann. Der Europäische Gerichtshof habe wiederum im Jahr 2012 entschieden, dass gebrauchte Software, "durchaus weiterverkauft werden darf", so spiegel.de.
Merkel-Chat: Im Interview mit lto.de (Claudia Kornmeier) meint Hans Hege, Direktor der Medienanstalt Berlin Brandenburg, Bundeskanzlerin Merkel (CDU) könne ihren Google-Hangout-Chat problemlos veranstalten, es handele sich nicht um Rundfunk. Weiter spricht Hege über die " juristisch wenig" bearbeitete Grenze staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und seine Forderung, "die Rundfunkordnung zu einer Medienordnung weiterzuentwickeln".
Bilanz Informationsfreiheit: Eine schlechte Bilanz zum seit 2006 bestehenden Informationsfreiheitsgesetz (IFG) liefert heute auch zeit.de (Kai Biermann/Martin Kotynek). Weiter spricht der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar mit zeit.de (Kai Biermann/Martin Kotynek) über das Gesetz, die zu vielen Ausnahmen des IFG und seinen Verdacht, Beamte nutzten womöglich die Kostenpflicht für Bürger dazu, "der Flut der Anträge Herr zu werden". Weiter meint Schaar, "proaktives Informieren" der Behörden könnte eine Vielzahl von Anfragen überflüssig machen; hier "schwächele" die Informationsfreiheit aber noch.
Das Letzte zum Schluss
Aus Spaß wird unverhältnismäßiger Ernst?: Die Staatsanwaltschaft Lübeck ließ die Wittener Wohnung sowie die Dortmunder Geschäftsräume der Bloggerin Eva Ihnenfeldt wegen des Verdachts auf Titelmißbrauch durchsuchen. Tatsächlich, so spiegel.de (Oliver Trenkamp), hatte sie sich auf ihrem Blog als "Dr. h.c. of Ministry" bezeichnet. Der Grund: Sie habe im fraglichen Beitrag das Kaufen von "Scherzartikel-Titeln" thematisiert, nachdem ihre Kinder ihr den genannten Titel zum Geburtstag schenkten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in den heutigen Printausgaben oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 19. April 2013: Voßkuhle zu Wissenschaftsrat – BVerfG zu LuftSiG – Neue Karrieren in Großkanzleien . In: Legal Tribune Online, 19.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8564/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag