Paukenschlag im Sportrecht: Das OLG München stellt die Sportgerichtsbarkeit grundlegend infrage. Außerdem in der Presseschau: Ein AfD-Landesvorsitzender muss sich als Halunke schimpfen lassen, ein Bundestagsabgeordneter wirft Dresdner Ermittlern Strafvereitelung vor, Irakeinsatz der Bundeswehr möglicherweise verfassungswidrig und wie ein bisschen Marihuana per Drohne ins Gefängnis flog.
Thema des Tages
OLG München zur Sportgerichtsbarkeit: Das Oberlandesgericht München hat eine Schadensersatzklage der Eisläuferin Claudia Pechstein gegen den Sportverband ISU per Zwischenurteil für zulässig erklärt – und damit die Schiedsklauseln für unwirksam befunden, die Pechstein untersagt hatten, im Streitfall vor Zivilgerichte zu ziehen. Sportverbände missbrauchen nach Ansicht des OLG mit solchen Schiedsklauseln ihre Monopolstellung; sie seien daher kartellrechtswidrig. Das Gericht hat außerdem ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes Cas nicht anerkannt, wonach Pechstein wegen auffälliger Blutwerte gesperrt worden war. ISU hat Revision zum Bundesgerichtshof angekündigt. Es berichten u.a. SZ (Johannes Aumüller), taz (Johannes Kopp) und lto.de.
Claudio Catuogno (SZ) erwartet, dass der Sport "sich jetzt zu grundlegenden Reformen seiner Sportjustiz gezwungen sieht". Die Welt zitiert den Kartellrechtler Mark Orth: "Die Verfahren des Cas sind mit dem heutigen Tage wertlos geworden. Weit über den Dopingfall hinaus macht der Entscheid Sportlern Mut, sich gegen die Sportverbände durchzusetzen, die oft nicht die Interessen der Sportler verfolgen."
Der Bericht der FAZ (Christoph Becker) lässt Experten zu Wort kommen, die sich zum geplanten Anti-Doping-Gesetz äußern. Dort sei zwar vorgesehen, die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen wie im Fall Pechstein gesetzlich klarzustellen. Diese Klarstellung sei nun überholt, weil sich die Kartellrechtswidrigkeit aus höherrangigem europäischen Recht ergebe. Im Interview mit der FAZ (Christoph Becker) äußert Juraprofessor Peter W. Heermann schließlich, das Anti-Doping-Gesetz sei zur Regelung der Sportsgerichtsbarkeit ein "definitiv ungeeigneter Ort" (weiterführend: ein umfassender Gastbeitrag Heermanns bei faz.net).
Rechtspolitik
Vorratsdatenspeicherung: Der Forderung einer (Wieder)Einführung der Vorratsdatenspeicherung hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am gestrigen Donnerstag angeschlossen: Sobald die EU-Kommission die überarbeitete Richtlinie vorlege – der Europäische Gerichtshof hatte sie 2014 gekippt –, solle sie in deutsches Recht umgesetzt werden. Die taz (Tobias Schulze) berichtet.
Reinhard Müller (FAZ) meint, die Koalition könne auch jetzt schon ein Gesetz zu Vorratsdatenspeicherung verabschieden, und zwar nach den engen Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs. Es sei das altbekannte Berliner Spiel: "Warten auf Brüssel, Warten auf Karlsruhe, Warten auf Luxemburg, Warten auf den Weihnachtsmann." Torsten Krauel (Die Welt) beklagt: Bei Finanzvergehen sei die Vorratsdatenspeicherung die Regel, während sie beim Kampf gegen Terror angeblich die Freiheit gefährde. Das sei "unlogisch und fahrlässig".
V-Leute und Straftaten: Sollen V-Leute im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung zukünftig selbst Straftaten begehen dürfen? Nein, findet Heribert Prantl (SZ): "Ein Rechtsstaat ist kein Agentenabenteuer. Deutschland ist kein 007-Staat."
Blasphemieverbot: Gehört das Blasphemieverbot nach § 166 Strafgesetzbuch abgeschafft? Auch die FAZ (Reinhard Bingener/Helene Bubrowski) befasst sich nun mit dem Thema, das seit dem Charlie Hebdo-Attentat wieder auflebt. Der Beitrag skizziert Rechtsgeschichte und Schutzzweck der Norm – und den aktuellen Diskurs um ihre Abschaffung.
Justiz
EGMR zum Umgangsrecht: Können leibliche Väter ihr Umgangsrecht in Deutschland ausreichend durchsetzen? Nein, befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Fall, in dem die Mutter jahrelang ein Treffen zwischen Vater und Kind verhindert hatte: Gesetzgeber und Justiz müssten effektivere Rechtsmittel und schnellere Verfahren bereithalten bzw. umsetzen. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet.
EuGH zur Flugbuchung: Fluggesellschaften müssen Kunden bei Online-Buchungen von Anfang an den Endpreis inklusive Steuern und Gebühren angeben. Unzulässig ist es, erst kurz vor Buchung den tatsächlichen Endpreis anzuzeigen. Das hat der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bundesgerichtshofes entschieden, wie lto.de und die taz (Hannes Koch) berichten.
OLG Karlsruhe zur Meinungsfreiheit: Der baden-württembergische Vorsitzende der AfD muss die Bezeichnung als "Betrüger", "Halunke" und "Gauner" hinnehmen – sofern sie im Rahmen des politischen Meinungskampfes fällt. Das hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden. Ein ehemaliges Parteimitglied hatte den Landesvorsitzenden in einer parteiinternen E-Mail einschlägig bezeichnet. Das OLG nahm keine Schmähung an, da diese nur vorliege, wenn eine persönliche Kränkung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund dränge. Die Badische Zeitung (Stefan Hupka) und urheberrecht.org berichten.
VGH Hessen – Atomklage: Einen jetzt öffentlich gewordenen "rätselhaften Brief" nimmt die SZ (Markus Balser/Michael Bauchmüller) zum Anlass, die Erfolgsaussichten der Schadensersatzklage vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof gegen das Atommoratorium 2011 anzuzweifeln: Ex-RWE-Chef Jürgen Großmann könnte sich "die Grundlagen seiner Klage am Ende selbst beschafft" haben, indem er Hessens Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) um ein Schreiben bat, einen eventuellen Wiederbetrieb von Biblis B zu verhindern.
LG Stuttgart – "Autonome Nationalisten": Zum Prozessauftakt gegen Mitglieder der verbotenen Göttinger Gruppierung "Autonomer Nationalisten" berichtet die SZ (Josef Kelnberger). Vier Männern wird vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, "um das demokratische System zu stürzen und den Nationalsozialismus wieder einzuführen". Außerdem gehe es um Körperverletzung, Bedrohung, Sachbeschädigung "und vieles mehr".
StA Dresden – Strafvereitelung: Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck hat Strafanzeige gegen die Dresdner Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft wegen möglicher Strafvereitelung im Amt gestellt. Beck wirft ihnen nach dem gewaltsamen Tod eines 20-jährigen Asylbewerbers in Dresden "nachlässiges Vorgehen" vor. Das meldet spiegel.de. Der taz (Erik Peter) zufolge ließ die Polizei nach dem Tod des Mannes viel Zeit verstreichen und sicherte Spuren erst am Folgetag.
Dass die Dresdner Polizei jetzt dem Vorwurf der Strafvereitelung ausgesetzt ist, habe sie sich selbst zuzuschreiben, meint Christian Bommarius (Berliner Zeitung).
AG Hameln – Fluchtversuch und Tumulte: Während eines Hafttermins vor dem Amtsgericht Hameln in Niedersachsen ist ein 26-jähriger Mann aus einem Fenster im siebten Stock gestürzt. Der mutmaßliche Tankstellenräuber hatte einen Fluchtversuch unternommen. Er starb im Krankenhaus, vor dem es dann zu heftigen Tumulte zwischen Familienangehörigen und der Polizei kam, so spiegel.de.
Recht in der Welt
Saudi-Arabien – Peitschenhiebe: Nachdem der saudi-arabische Blogger Raif Badawi wegen "Beleidigung des Islam" zu 1.000 Peitschenhieben verurteilt worden ist (fünfzig pro Woche), fordern Menschenrechtsorganisationen König Abdullah auf, Badawi zu begnadigen. Über den Fall schreiben die taz (Karim El-Gawhary) und spiegel.de.
Sonstiges
Gutachten zum Irakeinsatz: Der möglicherweise anstehende Irakeinsatz, bei dem Bundeswehrsoldaten kurdische Soldaten im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat ausbilden sollen, steht ohne Auftrag der UN oder der Nato auf verfassungsrechtlich wackligen Beinen: In einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages heißt es, der Einsatz habe "keine verfassungsrechtliche Grundlage". Denkbar sei aber eine weite Auslegung des Verteidigungsbegriffs in Art. 87a des Grundgesetzes, so SZ und lto.de.
Selbstanzeigen: Im Jahr 2014 haben sich in Deutschland und der Schweiz so viele Steuerhinterzieher selbst angezeigt wie noch nie zuvor, berichtet das Handelsblatt (Holger Alich u.a.). Jede vierte deutsche Selbstanzeige stamme aus Baden-Württemberg; Steuerhinterziehung sei nach wie vor ein "westdeutsches Phänomen".
Mietspiegel: In Mietstreitigkeiten half bislang der Mietspiegel, gerechte Urteile zu fällen. Nun gebe es Zweifel an dem Instrument, schreibt das Handelsblatt (Massimo Bognanni/Simon Book).
Das Letzte zum Schluss
Drogenlieferung per Drohne: Den Vorzug von Drohnen im Kuriergewerbe haben offenbar auch Drogenschmuggler entdeckt: Im Bremer Gefängnis Oslebshausen haben Unbekannte Marihuana auf dem Luftweg eingeschmuggelt. Doch der Coup scheiterte: Laut weser-kurier.de stürzte die Drohne über dem Innenhof ab und wurde samt Fracht von Beamten aufgesammelt.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 16. Januar 2015: Sportgerichtsbarkeit bröckelt – AfD-Mann als Halunke – Dresdner Ermittler angezeigt . In: Legal Tribune Online, 16.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14390/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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