China wähnt sich auf dem Weg zum Rechtsstaat und klagt einen Menschenrechtsanwalt an. Außerdem in der Presseschau: EU-Datenschutzreform vor Abschluss, Achtung vor Rechtsstaatlichkeit in Polen und falsche Ansprechpartner für ein Feuer.
Thema des Tages
China – Menschenrechte: Vor einem Gericht in Peking muss sich der prominente chinesische Menschenrechtsanwalt Pu Zhiqiang wegen "Aufruf zum ethnischem Hass" und "Störung der öffentlichen Ordnung" verantworten. Gegenständlich seien sieben von Pu verschickte Kurzmitteilungen, in denen sich der unter anderem als Vertreter von Ai Weiwei auch international bekanntgewordene Anwalt kritisch zur Politik in der Provinz Xinjiang geäußert und sich über einige Funktionäre lustig gemacht habe, schreibt die FAZ (Petra Kolonko). Ihm drohten bis zu acht Jahre Haft.
Das HBl (Stephan Scheuer) berichtet zu der von Präsident Xi Jinping eingeleiteten Kampagne gegen Korruption. Eine eigens eingerichtete Disziplinarkommission mit Wang Qishan an der Spitze habe Ermittlungen gegen eine halbe Million Parteifunktionäre eingeleitet und ihren Leiter zum zweitmächtigsten Mann des Landes werden lassen.
Nach dem Kommentar von Bernhard Zand (spiegel.de) steht das Verfahren gegen Anwalt Pu exemplarisch für die verschärfte Gangart des Regimes gegenüber Kritikern. Im Verlauf dieses Jahres, in dem China nach Aussage seiner politischen Führung zu einem Verfassungs- und Rechtsstaat werden sollte, wurden mehr als 300 Anwälte zumindest vorübergehend festgesetzt.
Rechtspolitik
EU-Datenschutz: Am heutigen Dienstag beraten EU-Mitgliedsstaaten, das EU-Parlament und die Europäische Kommission voraussichtlich die letzten strittigen Punkte eines europaweit einheitlichen Datenschutzrechts. Die SZ (Varinia Bernau/Thomas Kirchner) stellt Bußgelder, die an den globalen Jahresumsatz datenschutzverletzender Unternehmen gekoppelt sind, als den wichtigsten Punkt der geplanten Verordnung dar. Ebenfalls kodifiziert werden solle das Recht auf Vergessenwerden. Daneben steht eine Einigung zu anderen Punkten, etwa der Form einer notwendigen Nutzerzustimmung zur Datenverarbeitung noch aus, schreibt zeit.de (Friedhelm Greis). Dass die Reform nach jahrelangen Verhandlungen überhaupt zum Abschluss komme, sei vor allem den Enthüllungen Edward Snowdens zu verdanken.
Varinia Bernau (SZ) begrüßt die Regelungen in einem Kommentar als "überfällig". Neben dem Schutz der Privatsphäre Einzelner sei die Verordnung auch notwendig, um Europa nicht "zu einer Art digitaler Kolonie" US-amerikanischer Konzerne werden zu lassen.
Opferrechte: Am kommenden Freitag steht das 3. Opferrechtsreformgesetz vor seiner Billigung durch den Bundesrat. Rechtsprofessor Robert Esser stellt auf lto.de zentrale Bestimmungen des Entwurfs vor. Der Autor gibt zu bedenken, dass "die Einbeziehung von Opferinteressen ab einem bestimmten Maß jedenfalls nicht mehr zielführend, manchmal sogar schädlich" für den eigentlichen Zweck des Strafprozesses sei. Als "Korrektiv" sei in jedem Fall die qualitative Aufwertung von Beschuldigtenstandards, auch schon im Ermittlungsverfahren, angezeigt.
Diskriminierung: Durch eine Änderung des Gaststättengesetzes will die niedersächsische Landesregierung rassistische Diskriminierung beim verweigerten Einlass in Discos unterbinden. Abgewiesene sollen nicht mehr nur auf eigenes Risiko und eigene Kosten Diskriminierung nach den Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes rügen dürfen, so die SZ (Oliver Klasen/Michael Neudecker, Zusammenfassung). Vielmehr sollten nach dem Entwurf nun auch Ordnungsbehörden Sanktionen von Bußgeldern bis zu Gewerbeverboten aussprechen dürfen.
Flüchtlingspolitik: Reinhard Müller (FAZ) behauptet im Leitartikel der Zeitung, dass die "Kontrolle über die eigene Grenze, das Staatsgebiet und über die Zusammensetzung der hiesigen Bevölkerung" noch nicht "wiedergewonnen" sei. Die Annahme, nationale Grenzen seien bedeutungslos, "ist weder national noch europäisch, sondern gefährlich". Tatsächlich existiere Deutschland auch als Schutzraum für Flüchtlinge "nur, weil es Grenzen hat". Hierzu gehöre auch die Entscheidung, gegenüber wem sie geöffnet werden und verschlossen bleiben.
NS-Propaganda-Tourismus: Die Verwendung von NS-Kennzeichen und -Propagandasymbolen im Ausland soll nach dem Willen einer Hamburger Bundesratsinitiative unter Strafe gestellt werden, wenn der Täter seine Lebensgrundlage in Deutschland hat. Über das Vorhaben und dessen mutmaßlichen Anlass berichtet die taz (Christian Rath).
Klimaschutz: Rechtsprofessor Felix Ekardt fasst für lto.de die Ergebnisse der Pariser Klimakonferenz zusammen. Problematisch sei vor allem die fehlende Verbindlichkeit der getroffenen Vereinbarungen, sowohl bei der Verminderung von Emissionen als auch in Bezug auf in Aussicht gestellte Hilfen für ärmere Länder. In beiden Fällen habe sich die EU der ihr möglichen Vorreiterrolle verweigert.
Justiz
EuGH-Präsident: Die FAZ (Reinhard Müller) interviewt Koen Lenaerts, den belgischen Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs, zur Rolle des Gerichts bei der europäischen Integration und seinem Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht sowie zur angedachten Verdoppelung der Richterstellen am EuGH.
BGH – Internet-Bewertung: Am heutigen Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshof zur Klage eines Zahnarztes wegen eines unvorteilhaften Beitrags im Bewertungsportal Jameda. Während der Kläger behaupte, dass der Verfasser nie in seiner Praxis gewesen sei, weigere sich das beklagte Portal, dessen Identität offenzulegen, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). Weil es sich aber nicht anders gegen den Löschungsanspruch des Arztes zur Wehr setzen könne, sei eine Lockerung des Rechts auf Anonymität denkbar.
OLG München – NSU: Nach Einschätzung von spiegel.de (Wiebke Ramm) hat die Einlassung der Hauptangeklagten im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München das Ziel verfolgt, eine im psychologischen Sinne abhängige Persönlichkeit zu zeichnen. Die diesbezüglichen Behauptungen stünden jedoch im Widerspruch zu bisherigen Erkenntnissen aus dem Verfahren. Zschäpe sei durch die von ihrem Verteidiger vorgetragene Erklärung "genauso fremd geblieben wie vorher".
OLG Frankfurt zu Falschbegutachtung: Ein Gutachter, der vier hessischen Steuerfahndern "paranoid-querulatorische" Eigenschaften attestierte, muss den Begutachteten wegen dieser Einschätzung mehr als 200.000 Euro Schadensersatz zahlen. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. Über den jahrelangen Rechtsstreit und dessen Hintergründe – die nun erfolgreichen Kläger waren aufgrund der Begutachtung in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden – berichtet die SZ (Markus Zydra).
OLG Hamburg – Hausbesetzer: Über einen Schadensersatzprozess mit ungewöhnlicher Konstellation schreibt die taz-Nord (Kai von Appen). Der Eigentümer eines vormals besetzten Hauses verlangt von mehreren Besetzern Ersatz für die mutmaßliche Zerstörung einer wertvollen Eingangstür im Zuge der polizeilichen Räumung. Die beklagten Besetzer würden zumindest die vollständige Zerstörung der Tür bestreiten.
OVG B-B zu Menschen-Museum: In einem Kommentar bezeichnet Jost Müller-Neuhof (Tsp) die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur "Körperwelten"-Ausstellung Gunther von Hagens als "falsches Urteil". Dessen Ausstellungsobjekte mögen "nach den Buchstaben" des Bestattungsgesetzes zwar Leichen sein, als speziell präparierte "Kunststofffiguren in Menschenform" unterfielen sie jedoch nicht dem Regelungsgehalt dieses Gesetzes, das Gesundheitsgefahren vorbeugen soll. Hagens Schau mag unsittlich sein, Richter aber "sind keine Sittenwächter."
LG München I – Kindesmisshandlung: Vor dem Landgericht München I muss sich ein junger Mann wegen versuchten Mordes zum Nachteil seiner Tochter verantworten. Er soll das zur Tatzeit acht Wochen alte Kleinkind derart heftig geschüttelt haben, dass es bleibende Hirnschäden erlitt, schreibt die SZ (Christian Rost). Zum Prozessauftakt habe der Angeklagte ein Bild harmonischen Familienlebens gezeichnet.
LG Waldshut-Tiengen – Bayer: Die taz bringt ein Porträt einer jungen Frau, die nach Einnahme einer Antibabypille eine Embolie erlitt und unter dramatischen Umständen gerettet werden konnte. Als Klägerin vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen fordert sie vom Hersteller Bayer wegen mangelhafter Aufklärung über das mit Einnahme der Pille verbundene, erhöhte Thromboserisiko Schmerzensgeld und Schadensersatz, das Verfahren beginnt am kommenden Donnerstag.
Recht in der Welt
ICTR – Völkermord: Die Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (ICTR) hat zwei wegen Völkermord verurteilte Täter in die Freiheit entlassen. Beide Schuldsprüche würden aufrechterhalten, die Haftstrafen jedoch wegen Verfahrensverzögerungen, die "nicht vernünftig erklärt oder gerechtfertigt werden" können, so verringert, dass sie als verbüsst gelten. Über diese letzte Entscheidung des ICTR berichtet die taz (Dominic Johnson).
Polen – Staatsumbau: In ihrem Thema des Tages widmet die SZ den Vorgängen in Polen mehrere Beiträge. (Florian Hassel) schildert Vorhaben zur Kontrolle der Medienlandschaft. Hierzu gehöre der Versuch, ausländische Beteiligungen an Presseprodukten einzuschränken. Soweit dies mit EU-Recht kollidiere, würden gerichtliche Verfahren zur Beseitigung von Monopolen erwogen. Ein weiterer Beitrag (Florian Hassel) legt dar, dass der jetzige Konflikt mit dem Verfassungsgericht des Landes auf "alte Rechnungen" der Regierungspartei Pis zurückzuführen sei. Während deren erster Regierung habe das Gericht mehrere Gesetzesvorhaben kassiert. Weil der Umgang der Regierung mit dem Verfassungsgericht die in Artikel 2 des EU-Vertrages aufgeführte Achtung der Rechtsstaatlichkeit bedrohen könnte, sei ein vorübergehender Verlust des polnischen Stimmrechts auf europäischer Ebene denkbar, so schließlich (Daniel Brössler). Hierzu bedürfe es jedoch einer entsprechenden Feststellung durch eine Vier-Fünftel-Mehrheit des Europäischen Rates und der Zustimmung durch das EU-Parlament. Soweit sich Polen – wie angekündigt – nicht an die noch von der Vorgängerregierung vereinbarte Quote bei der Aufnahme von Flüchtlingen halten wolle, werde die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Diese Ankündigung des luxemburgischen EU-Ratspräsidenten Jean Asselbon gibt spiegel.de (Christoph Schult) wieder.
Schweden – Terrorismus: Weil sie bei einer Enthauptung in Syrien anwesend waren, hat ein schwedisches Gericht zwei Männer zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, meldet zeit.de. Ob die Verurteilten Mitglieder des IS gewesen seien, habe das Gericht nicht bestätigen wollen.
Griechenland – Fraport: Die griechische Luftfahrtgewerkschaft Osypa hat gegen die geplante Übernahme von 14 Regionalflughäfen des Landes durch den deutschen Betreiber Fraport Klage vor dem obersten Gericht erhoben. Ziel sei die Verhinderung der Transaktion, meldet die SZ (Jens Flottau).
USA - VW: zeit.de (Thorsten Schröder) stellt den US-amerikanischen Richter Charles Breyer vor, der in wenigen Wochen in San Francisco über die Zulassung mehrerer Hundert Klagen gegen VW in einem Sammelverfahren entscheiden wird. Der 74-Jährige gelte als extrem versiert und erfahren auch im Umgang mit Großverfahren.
Sonstiges
Kampfhunde: spiegel.de (Frank Patalong) erinnert an die öffentliche Aufregung zu tödlichen Übergriffen sogenannter Kampfhunde aus dem Jahr 2000 und stellt hierzu veränderte Rechtsvorschriften vor. Statistisch betrachtet hätten sich Bissattacken nicht verringert, dafür aber Anhebungen der auf Gemeindeebene erhobenen Hundesteuer die Haltung der mittlerweile als Listenhunde bezeichneten und besonders gefährlich eingeschätzten Rassen erheblich teurer gemacht.
Resozialisierung: Für die SZ bespricht Martin Hagenmaier "Das Knastdilemma. Wegsperren oder resozialisieren" von Bernd Maelicke. In dem "Motivationsbuch für eine rationale Kriminalpolitik" werde dargelegt, dass die Vermeidung von Rückfallen verurteilter Straftäter "ein Höchstmaß an Individualisierung aller stationären und ambulanten Maßnahmen erfordert".
Das Letzte zum Schluss
Freund und Helfer: Reisen mit Fernbussen sind gerade für kostenbewusste junge Menschen zu einer echten Alternative zu Zugfahrten geworden. Der Versuch eines Berliner, sich die wahrscheinlich doch etwas eintönige Fahrt nach München etwas bunter zu gestalten, dürfte dagegen teuer enden. Während einer Pause bat er auf einem Parkplatz um Feuer für die mitgebrachte "Sportzigarette". Die Angesprochenen entpuppten sich jedoch als Zivilfahnder der Verkehrspolizei Bayreuth mit wenig Verständnis für alternative Freizeitgestaltung. Den Polizeibericht zitiert lawblog.de (Udo Vetter).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. Dezember 2015: Anwalt vor Gericht / EU-Datenschutz / Staatsumbau in Polen . In: Legal Tribune Online, 15.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17858/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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