Beate Zschäpes Aussage wird wegen des Urlaubs ihres neuen Verteidigers nicht vor Dezember stattfinden. Außerdem in der Presseschau: Stuttgart 21-Gegner mit guten Aussichten, BVerfG-Präsident Voßkuhle im Gespräch und geduldetes Stehpinkeln.
Thema des Tages
OLG München – NSU: Die jüngsten Entwicklungen im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München stellt der Spiegel (Wiebke Ramm) dar. So sei die angekündigte Aussage der Hauptangeklagten der Beginn einer bereits seit Monaten vorbereiteten "Verteidigungsoffensive", die maßgeblich von dem bereits seit August 2014 als Wahlverteidiger tätigen Hermann Borchert mitgeplant worden sei. Die planmäßige Verlesung der Einlassung durch den Anwalt Matthias Grasel werde dabei nicht vor dem 8. Dezember stattfinden, schreibt die SZ (Annette Ramelsberger/Tanjev Schultz). Zuvor stehe ein "längst gebuchter" Urlaub Borcherts, dessen bisherige anwaltliche Tätigkeit vorgestellt wird, an. lto.de fasst weitere Berichte zusammen, nach denen der mitangeklagte Ralf Wohlleben ebenfalls eine Einlassung plane. Somit bliebe nach Carsten G., der zu Beginn des Verfahrens Waffenbeschaffung gestanden hat, und Holger G., der gleichfalls zu Beginn des Prozesses, eine Erklärung verlas, nur noch Andre E. beim selbstverordneten Schweigen. Der Prozess wird am kommenden Dienstag mit einer Entscheidung über einen Befangenheitsantrag Wohllebens fortgesetzt.
Rechtspolitik
Justizministerkonferenz: Auf der Justizministerkonferenz scheiterte ein Hamburger Antrag, die nach dem Aufenthaltsgesetz strafbare Einreise ohne Visum bei bestehender Visumspflicht zu entkriminalisieren. Obwohl die übergroße Mehrheit der hierzu eingeleiteten Ermittlungsverfahren eingestellt und die geltende Regelung wohl auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoße, habe das Thema nach dem Bericht der taz (Christian Rath) für die Bundesregierung gegenwärtig "keine Priorität". Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet ebenfalls. Weitere Empfehlungen der Konferenz hätten die konsequente Bekämpfung strafrechtlich relevanter Hasskommentare in sozialen Netzwerken, die Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu Asylverfahren sowie eine zügige Regelung zu Schmerzensgeldansprüchen Hinterbliebener von Unglücken wie dem Germanwings-Absturz behandelt.
Suizidhilfe: In der vergangenen Woche beschloss der Bundestag das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Den hierdurch neugefassten § 217 des Strafgesetzbuches unterzieht Rechtsprofessor Eric Hilgendorf auf lto.de einer gründlichen dogmatischen Analyse. Der Autor prophezeit, dass die neue Norm nicht nur Gerichte, "sondern auch die Strafrechtswissenschaft wohl noch intensiv beschäftigen wird."
Antidopinggesetz: Am heutigen Freitag wird aller Voraussicht nach der Bundestag ein Antidopinggesetz verabschieden. Im Gespräch mit der taz (Markus Völker) erläutert der Abgeordnete Özcan Mutlu (Grüne) seine Kritik am Entwurf.
Justiz
EGMR zu Unschuldsvermutung: lto.de berichtet zu einer erfolgreichen Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Bundesrepublik muss nach der Entscheidung wegen des unrechtmäßigen Widerrufs einer Strafaussetzung durch das Landgericht Essen dem Beschwerdeführer Schadensersatz leisten. In der beanstandeten Entscheidung war dem wegen einer anderen Sache in Untersuchungshaft sitzenden Jugendlichen aufgrund eines – später wiederrufenden – Geständnisses die zuvor gewährte Strafaussetzung auf Bewährung verweigert und die – alte – Haftstrafe vollstreckt worden. Hierdurch habe das LG die Unschuldsvermutung und damit das Recht auf ein faires Verfahren verletzt.
EuGH zu Verwertungsgesellschaften: Der Europäische Gerichtshof hat Teile der bisherigen Verteilungspraxis von Verwertungsgesellschaften für rechtswidrig erklärt. Nach dem Bericht von spiegel.de hat der auf ein belgisches Verfahren zurückgehende Fall auch Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland. Eine beim Bundesgerichtshof anhängige Klage des Urheberrechtsexperten Martin Vogel gegen die VG Wort sei dort mit Blick auf die jetzt gefällte EuGH-Entscheidung ausgesetzt worden.
EuGH zu Umweltklagen: Ein Urteil des Europäische Gerichtshofs vom letzten Monat erweiterte das Klagerecht von Bürgern und Umweltverbänden. Die dabei vor allem gegen Bestimmungen des deutschen Verwaltungsprozessrechts behandelten Rügen der EU-Kommission und ihre Auswirkungen sind Thema einer ausführlichen Besprechung auf jurop.org (Jörn Bringewat/Johannes Schulte).
OLG Celle zu Blitzer-Apps: Das Oberlandesgericht Celle hat in einem Beschluss aus der vergangenen Woche entschieden, dass sogenannte Blitzer-Apps als im Sinne der Straßenverkehrsordnung verbotene Geräte zu verstehen und also bußgeldbewehrt sind. Nach Udo Vetter (lawblog.de) "darf man getrost bezweifeln", dass die Entscheidung "im Ergebnis so richtig ist." Der Autor erläutert, worauf "mögliche Nutzer einer Blitzer-App" zu achten hätten.
LG Würzburg – Bandidos/LKA: Ab dem kommenden Montag wird vor dem Landgericht Würzburg erneut gegen eine ehemalige Bandidos-Größe verhandelt. Bei dessen Verurteilung wegen Drogendelikten vor drei Jahren sei seinen Einlassungen, zahlreiche Taten in Kenntnis und auf Veranlassung des Landeskriminalamts, das ihn als V-Mann führte, begangen zu haben, nicht geglaubt worden, schreibt der Spiegel (Maik Baumgärtner/Jörg Schindler). Mittlerweile hätten jedoch Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth und Kripo Nürnberg Anhaltspunkte für Strafvereitelung im Amt durch betroffene LKA-Stellen ergeben. Auf den Freistaat rolle nun "der nächste Justizskandal zu".
LG Bonn – Teldafax: Im Strafprozess gegen drei frühere Vorstände des insolventen Stromanbieters Teldafax vor dem Landgericht Bonn deuten sich nach Meldung des Handelsblatts (Jürgen Flauger/Sönke Iwersen) Bewährungsstrafen für die Angeklagten an. Der Vorsitzende Richter habe vorgeschlagen, die meisten Anklagepunkte einzustellen, die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung hierzu signalisiert.
LG Bochum – Schienenkartell: Über den Fortgang des Strafverfahrens gegen zwei früherer Bereichsvorstände von Thyssen-Krupp wegen Schaffung und Aufrechterhaltung eines Schienenkartells berichtet das Handelsblatt (Martin Murphy). Die Verteidigungsstrategie der Angeklagten bestehe darin, ihre Geschäftshandlungen als Teil einer allgemeinen Firmenstrategie darzustellen, zu diesem Zweck sollen zahlreiche prominente Manager, unter anderem der frühere Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, als Zeugen geladen werden. Ein Urteil werde nicht vor Mitte 2016 erwartet.
LG Stuttgart – Wendelin Wiedeking: Der Prozess gegen die früheren Porsche-Vorstände Wendelin Wiedeking und Holger Härter vor dem Landgericht Stuttgart wurde mit der Vernehmung "eines zentralen Beraters im Porsche-Poker um VW" fortgesetzt. Der von seiner Schweigepflicht entbundene Anwalt Christoph von Bülow habe ein gespanntes Verhältnis Wiedekings zum damaligen VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piech beschrieben, berichtet die FAZ (Susanne Preuß). Über Anträge der Staatsanwaltschaft, Anleger zu hören, die sich von den verfahrensgegenständlichen Porsche-Pressemitteilungen haben beeinflussen lassen, habe das Gericht zunächst nicht entschieden.
LG Frankfurt – Fraport-Korruption: Über "ein Stück aus dem Tollhaus" am Landgericht Frankfurt/M. berichtet die FAZ (Corinna Budras). Seit zehn Monaten müssen sich unter anderem die Investoren Ardi Goldmann und Jürgen Harder wegen mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen an einen Mitarbeiter des Fraport-Konzerns verantworten. Nach dem Unfalltod des Hauptangeklagten und den jetzt erfolgten Plädoyers sei immer noch nicht absehbar, wie das in zwei Wochen erwartete Urteil ausfallen wird.
VG Stuttgart – Stuttgart 21: Die am Verwaltungsgericht Stuttgart anhängig gemachte Klage mehrerer Demonstranten gegen die Rechtmäßigkeit des als Schwarzer Donnerstag bekanntgewordenen Polizeieinsatzes gegen Stuttgart 21-Gegner wird aller Voraussicht nach Erfolg haben. Wie die SZ (Josef Kelnberger) schreibt, habe es sich nach Ansicht des Gerichts bei der Protestaktion im September 2010 um eine Versammlung gehandelt, welche die Polizei nicht ohne weiteres habe auflösen dürfen. Auch seien die hierzu eingesetzten Mittel unverhältnismäßig gewesen.
VG Köln zu Auskunftsanspruch: zeit.de berichtet zu einem von einem Autor der Zeitung erstrittenen Urteil des Verwaltungsgerichts Köln. Nach der Entscheidung muss das Bundesamt für Verfassungsschutz Journalisten eine begehrte Auskunft zu einem Disziplinarverfahren im Zusammenhang der Vernichtung von Akten zum sogenannten NSU erteilen. Nach Ansicht des Gerichts bestünde ein "überragendes Interessen der Öffentlichkeit" an den begehrten Informationen.
AG Köln zu SEK-Einsatz: Vor dem Amtsgericht Köln ist das Land Nordrhein-Westfalen mit dem Versuch gescheitert, den durch einen Schusswaffeneinsatz bei einem SEK-Zugriff verursachten Schaden von dem damals Verdächtigen zurückzuerlangen. Nach dem Bericht von focus.de (Axel Splicker) habe das Gericht die klägerische Behauptung einer Notwehrhandlung nicht nachvollziehen können.
AG Hamburg zu Volksverhetzung: Das Amtsgericht Hamburg hat eine 87-Jährige wegen der in mehreren Interviews geäußerten Ansicht, der Holocaust sei "die größte und nachhaltigste Lüge der Geschichte", zu einer zehnmonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Über die Verhandlung gegen die einschlägig vorbestrafte "Grande Dame der Holocaustleugnerszene" berichtet die taz (Andreas Speit).
Andreas Voßkuhle: Der Spiegel (Dietmar Hipp u.a.) interviewt den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, zur Arbeitsweise am und den Aufgaben des Gerichts. Voßkuhle nimmt zudem Stellung zu Vorwürfen politischer Einflussnahme durch die Verfassungsrichter und einem gespannten Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof.
Ufo-Streik: Im Gespräch mit der BadZ (Christian Rath) erläutert Rechtsprofessor Manfred Löwisch die Gründe für die Mehrzahl der zum Teil widersprüchlichen arbeitsgerichtlichen Verfahren zur Frage der Rechtmäßigkeit des Streiks der Flugbegleiter-Gewerkschaft Ufo.
Recht in der Welt
EuGH – Entlassung: Liegt bei einer Gehaltskürzung durch den Arbeitgeber und der darauffolgenden Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmerin zu einem Aufhebungsvertrag eine Entlassung vor? Hierüber hatte der Europäische Gerichtshof in einem in Spanien angesiedelten Fall zu befinden. Bedeutung hatte die – bejahte – Frage, weil von ihr die Erreichung eines Schwellenwerts für die Einschlägigkeit der EU-Massenentlassungs-Richtlinie aus dem Jahr 1998 und daraus folgenden Anzeigepflichten abhing, erklären Rechtsanwältin Kara Preedy und Verena Oechslen auf lto.de. Der Beitrag geht auch auf für deutsche Arbeitgeber beachtliche Konsequenzen ein.
USA – Diskriminierung: In einem Beitrag über die Diskussion geschlechtsspezifischer Gehaltsunterschiede in den USA geht die FAZ (Winand von Petersdorff) im Wirtschafts-Teil ausführlich auf eine jüngst veröffentlichte Studie zur Einkommenssituation US-amerikanischer Anwälte ein. In dieser Langzeitstudie hätten sich "klare Beweise für Leistungsunterschiede" männlicher und weiblicher Anwälte nach den für die Bezahlung maßgeblichen Kriterien, in Rechnung gestellte Stunden sowie Mandatsakquise, ergeben. Die Autorinnen der Studie führten die ermittelten Ergebnisse auf zuvörderst Frauen obliegenden Erziehungsaufgaben sowie geringeren Ehrgeiz, Partnerpositionen in Kanzleien erreichen zu wollen, zurück.
Sonstiges
NSA-Ausschuss: Die im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages geplante Video-Vernehmung von Edward Snowden ist erneut gescheitert. Snowdens deutscher Anwalt Wolfgang Kaleck erklärte, dass der Whistleblower für eine Video-Vernehmung "nach wie vor nicht zur Verfügung" stehe, dagegen aber grundsätzlich aussagebereit sei, schreibt die taz (Konrad Litschko). Snowdens sicheres Geleit nach Deutschland wolle die Opposition notfalls gerichtlich erzwingen. Zur stattgefunden Vernehmung von Gabriele Löwnau, Referatsleiterin beim Bundesdatenschutzbeauftragten, berichtet zeit.de (Lisa Caspari). Die Zeugin beschrieb einen von ihrem Amt unternommenen Kontrollbesuch der Abhörstation des Bundesnachrichtendienstes in Bad Aibling.
Das Letzte zum Schluss
Macht der Gewohnheit: Eine eher unfeine Angewohnheit männlicher Toilettenbenutzer kann bis auf weiteres fortgesetzt werden. Wie schon die Vorinstanz entschied nun auch das Landgericht Düsseldorf, dass durch Urinspritzer bewirkte Beschädigungen eines Marmorbodens den Delinquenten nicht in jedem Fall schadensersatzpflichtig machen. Der habe schließlich nichts von der Empfindlichkeit des Bodens gewusst und außerdem sei "das Urinieren in einer aufrechten Körperhaltung bei männlichen Personen nicht unüblich". focus.de berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. November 2015: Urlaub vor Aussage / Stuttgart 21-Gegner vor Sieg / Voßkuhle im Gespräch . In: Legal Tribune Online, 13.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17535/ (abgerufen am: 29.04.2024 )
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