Innen- und Justizministerium haben sich auf eine Verschärfung bei der Ausweisung Straffälliger geeinigt. Außerdem in der Presseschau: Überwachungsbändiger EGMR, opt-out-Einwilligung bei Cookies erlaubt und der Renner in der UN-Bibliothek.
Thema des Tages
Ausweisung Straffälliger: Innen- und Justizministerium haben sich auf einen Vorschlag zur Reform des Ausweisungsrechts geeinigt. Bei Begehung bestimmter Delikte (gegen Leib, Leben oder Eigentum und Widerstand gegen Polizisten, die gewalttätig oder mit Gewaltdrohung oder List begangen sind), sollen anerkannte Flüchtlinge und Asylantragsteller nicht mehr wie bisher ab dreijähriger, sondern bereits bei einjähriger Haftstrafe ausgewiesen werden können. In der Einzelfallabwägung nach dem übrigen Ausweisungsrecht soll anstelle einer einjährigen nun jede Haftstrafe ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen, berichtet die taz (Christian Rath). Dass jeweils auch Bewährungsstrafen genügen sollen, verstoße bei Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Danach sei der Ausweisungsschutz nur bei einer Gefahr für die Allgemeinheit durchbrochen, die bei Strafaussetzung zur Bewährung aber gerade verneint werde.
Reinhard Müller (FAZ) hält das für einen guten Schritt, betont aber die Bedeutung effektiver Grenzsicherung für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und der sozialen Ordnung in Deutschland.
Rechtspolitik
Sexuelle Übergriffe im öffentlichen Raum: Assistant Professor Ulrike Lembke schreibt auf verfassungsblog.de zur Rechtslage bei sexuellen Übergriffen im öffentlichen Raum und zeigt Reformbedarf und mögliche Ansätze auf, nicht nur im Strafrecht. Die taz (Christian Rath) zeigt Strafbarkeitslücken bei kurzem "Angrapschen" auf.
Investitionsgerichtsbarkeit: Mit dem EU-Vorschlag eines stärker verstaatlichten Gerichtssystems für Investitionsstreitigkeiten befassen sich die Rechtsanwälte Alexandra Diehl und Heiko Heppner auf lto.de. Transparenz und Konsistenz in der materiellen Rechtsprechung seien Vorteile, Nachteile seien jedoch die staatliche – also geringe und damit korruptionsanfällige – Bezahlung und, dass Richter nicht mehr nach besonderer Qualifikation für einen bestimmten Fall ausgewählt werden können. Die Autoren schlagen eine Kombination aus erstinstanzlicher Schiedsgerichtsbarkeit und einem staatlichen Gerichtshof in zweiter Instanz vor. Außerdem sei eine einheitliche, dem Beitritt weiterer Staaten offen stehende Gerichtsbarkeit den bisher geplanten bilateralen Gerichten vorzuziehen.
Sozialleistungen an EU-Bürger: Rechtsprofessor Gregor Thüsing schreibt in der FAZ, dass das Urteil des Bundessozialgerichts nach geltendem Recht zwar stimmig sei, für eine Gesetzesänderung aber Raum bleibe. Wie das Asylbewerberleistungsgesetz zeige, ergebe sich aus der Menschenwürde keine den Gesetzgeber bindende Leistungspflicht. Es sei an der Zeit Sozialgesetzbuch und Asylbewerberleistungsgesetz auf ein einheitliches Niveau zu bringen. Es könnten auch die Kriterien für eine hinreichende Verfestigung des Aufenthalts per Gesetz strenger als im Urteil gefasst werden, denn auch diese seien nicht logisch zwingend.
Wissenschaftsurheberrecht: Rolf Schwartmann, Rechtsprofessor, und Christian-Henner Hentsch, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, schreiben in der FAZ zur geplanten Vereinheitlichung des Wissenschaftsurheberrechts. Sie betrachten die aktuelle Rechtsprechung und weitere Rechtsentwicklungen im Urheberrecht. Die Rechte von Verlagen und Verwertern stünden nicht hoch im Kurs, sie seien aber von maßgeblicher Bedeutung gerade für die ohnehin schwierige Publikation wissenschaftlicher Werke und für ihre faire Vergütung sei daher in der Reform dringend Sorge zu tragen.
Verfassungsrichter zur Flüchtlingspolitik: Zum Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo Di Fabio zu einem Verfassungsverstoß durch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung schreiben nun auch SZ (Wolfgang Janisch/Daniela Kuhr), Welt (Peter Issig) und FAZ (Reinhard Müller). Das Gutachten bestätige die bayerische Kritik und biete insofern die Grundlage einer Verfassungsklage, es spreche dem Bund jedoch einen weiten Gestaltungsspielraum zur Lösung der bestehenden Probleme zu.
Wolfgang Janisch (SZ) betont, dass sich aus der Verfassung keine konkreten Handlungsvorgaben ergäben. Gerade wer sonst die Politiklastigkeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kritisiere, dürfe es nun nicht mit einer Klagedrohung für politische Zwecke missbrauchen. Auch im Hinblick auf die Äußerungen des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier im HBl, betont Heike Anger (HBl), dass es den Verfassungsrechtlern nicht nur um neue Gesetze gehe, sondern gerade auch um die konsequente Anwendung geltenden Rechts.
Justiz
EGMR zu Überwachung: Mit zwei Entscheidungen ("Sacharow v. Russland" vor wenigen Wochen und "Szabó v. Ungarn" vom gestrigen Dienstag) äußert sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu ausufernden Überwachungsrechten des Staates. Klagebefugt sei "buchstäblich jeder", wenn nach dem Gesetz "buchstäblich jeder" überwacht werden könne, schreibt verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis). Ein rechtmäßiges Gesetz bedürfe jedoch eines "individuellen Verdachts" als Anknüpfungspunkt. Außerdem weist der Beitrag auf die Probleme des EGMR hin, wenn seine Urteile – wie etwa von Russland – nur noch nach staatlichem Gutdünken befolgt werden. Auch lto.de schreibt zur gestrigen Entscheidung.
BVerfG – Oppositionsrechte: Was passiert, wenn die Opposition so klein ist, dass sie die Quoren zur Wahrnehmung ihrer Rechte nicht erreicht? In der derzeitigen 18. Wahlperiode – mit einer Opposition von nur etwa 20 Prozent der Mandate – wurde diese Frage praktisch relevant. Die Sonderregelung in § 126a Geschäftsordnung des Bundestages sollte dem Problem begegnen, sie geht der Fraktion Die Linke jedoch nicht weit genug. Ihre Klage verhandelt das Bundesverfassungsgericht am heutigen Mittwoch. Dazu schreibt die Jurastudentin Melina Lehrian auf verfassungsblog.de.
OLG Frankfurt zu Erlaubnis für Cookies: Die nach Unionsrecht erforderliche Erlaubnis des Nutzers, Cookies auf seinem Rechner zu platzieren, darf auch als opt-out-Lösung gefasst sein. Es stehe im Einklang mit dem Bundesdatenschutz- und dem Telemediengesetz, wenn der Nutzer die voreingestellte Erlaubnis wegklicken müsse, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt laut FAZ (Joachim Jahn).
OLG München – NSU-Prozess: Die für den gestrigen Dienstag erwarteten Antworten Beate Zschäpes auf Fragen des Gerichts werden wohl erst nächste Woche kommen. Bis dahin macht das Oberlandesgericht München mit der Befragung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben weiter, meldet die taz. zeit.de (Tom Sundermann) befasst sich mit dem wichtigen V-Mann "Tarif", den nun auch das Gericht nicht hören will.
FG Bln-Bbrg zu Reichsbürgern: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat sich geweigert, sich bei der Klage eines sogenannten Reichsbürgers langwierig mit den einzelnen Argumenten auseinander zu setzen. Die Entscheidung für eine weitgehende Unzulässigkeit der Klage begründete es damit, dass es sich um "absurde rechtspolitische Ausführungen" handele, meldet die FAZ (Joachim Jahn).
LG Karlsruhe – Mord ohne Leiche? Vor dem Landgericht Karlsruhe muss sich ein Mann verantworten, dem vorgeworfen wird, seine Frau getötet zu haben, deren Leiche jedoch bisher nicht gefunden wurde. Die SZ (Hans Holzhaider) zeigt an Beispielen auf, dass Verurteilungen ohne Leiche zwar möglich, aber gerade Mordmerkmale schwer nachzuweisen sind.
LG Bonn – Teldafax: Im Strafprozess um den Bankrott von Teldafax wegen Insolvenzverschleppung hat sich die im Ermittlungsverfahren lückenlose Beweiskette der Staatsanwaltschaft vor Gericht nicht aufrecht erhalten lassen. Experten, die seinerzeit noch die Bankrottreife des Unternehmens bescheinigten, blieben nicht bei ihrer Einschätzung. Die Staatsanwaltschaft zeige Zustimmungsbereitschaft zum gerichtlichen Angebot von Bewährungsstrafen, die Angeklagten setzen nun jedoch auf Freispruch, berichtet das Hbl (J. Flaugner/S. Iwersen/V. Votsmeier).
LG München I – Deutsche-Bank Prozess: Im Prozess gegen (ehemalige) Manager der Deutschen Bank wegen versuchten Prozessbetrugs im Schadensersatzstreit um die Kirch-Pleite ist das Urteil erneut verschoben. Aufgrund weiterer Beweisanträge der Staatsanwaltschaft ist das Ende wohl erst Mitte März zu erwarten. Die Ausrichtung des Gerichts nur auf mögliche Unwahrheiten zu dem Zeitungsinterview, mit dem möglicherweise Druck auf Kirch ausgeübt werden sollte, hält die Staatsanwaltschaft für zu eng. Es sei zu klären, ob "wozu auch immer" falsch ausgesagt worden sei, berichtet die SZ (Stephan Radomsky).
ArbG Frankfurt zu Commerzbank: Weil es die New Yorker Bankenaufsicht in der Einigung mit der Commerzbank im Streit um zu laxe Geldwäschekontrollen so verlangte, kündigte die Bank denjenigen Angestellten, die dabei eine zentrale Rolle spielten. Das Arbeitsgericht Frankfurt entschied nun, dass eine echte Druckkündigung vorliege, deren Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt seien, berichtet das HBl (Yasmin Osman).
AG Köln zu illegalem Autorennen: Wegen eines spontan entstandenes Autorennens, bei dem der Fahrgast eines gerammten Taxis getötet und vier Passanten verletzt wurden, verurteilte das Amtsgericht Köln zwei 20-Jährige unter anderem wegen fahrlässiger Tötung nach Jugendstrafrecht zu Bewährungsstrafen. Es habe sich um eine "absolut jugendtypische Tat" gehandelt, zitiert die SZ das Gericht. Die Verurteilten hätten über die Folgen nicht nachgedacht.
StA Halle – Höcke: Die Staatsanwaltschaft Halle hat das Verfahren gegen Björn Höcke wegen dessen Äußerungen zum Reproduktionsverhalten von Afrikanern eingestellt, da kein Anfangsverdacht der Volksverhetzung gegeben sein. Ein Verfahren wegen mutmaßlicher Abrechnung von Scheingehältern für Mitarbeiter sei jedoch noch nicht abgeschlossen, melden FAZ und spiegel.de.
Recht in der Welt
EU – Rechtsstaat Polen: Polen hat die Briefe der EU-Kommission beantwortet und fasst den Brief als "Versuch von Druck auf ein demokratisch gewähltes Parlament und die Regierung" auf, schreibt die FAZ (Helene Bubrowski) und weist auf die am heutigen Mittwoch anstehende Debatte der EU-Kommission hin. Die Briefe könnten zum erstmaligen Einsatz des EU-Rechtsstaatsmechanismus führen.
Türkei – EGMR zu DTP-Verbot: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass das vom türkischen Verfassungsgericht 2009 ausgesprochene Verbot der "Partei der demokratischen Gesellschaft" (DTP) – sie sei der politische Arm der PKK und DTP-Politiker weigerten sich die PKK als Terrororganisation zu bezeichnen – rechtswidrig war. Der EGMR konnte keine direkte oder indirekte Unterstützung der PKK oder ihres Anführers Öcalans erkennen und das Parteiprogramm lehne jede Gewalt ab und strebe eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen Kurden und türkischer Regierung an. Für ein Parteiverbot bedürfe es "sehr schwerwiegender Grundrechtsverletzungen", etwa "einer Bedrohung des politischen Pluralismus" oder "grundlegender Prinzipien der Demokratie", betonte der EGMR laut lto.de. Einige der klagenden Politiker bekamen überdies Schadensersatz zugesprochen.
USA – VW: Nach US-Recht kann die Umweltbehörde das Bußgeld für VW nicht selbst festlegen. Das Justizministerium muss sich vielmehr zivilrechtlichen Klagen anschließen, damit privat- und verwaltungsrechtliche Fragen in einem Prozess geklärt und Bußgeld und Schadensersatzforderungen abgestimmt werden können, um ein Über- oder Untermaß an Sanktionen zu verhindern, erklärt Rechtsprofessor Gerhard Wagner in der FAZ. Daneben sei noch die Strafverfolgung möglich, nach US-Recht auch gegen das Unternehmen selbst.
Juristische Ausbilsung
Refugee Law Clinics: Vor dem Hintergrund der Frage "Refugee Law Clinics: Soziales Engagement als praktische Kritik ander universitären Juristenausbildung?" erscheint eine Interviewreihe auf juwiss.de mit den Law Clinics Gießen, Berlin, Köln und Leipzig. Den Anfang machen die Jurastudentinnen Lisa vom Felde und Laura Hilb aus Gießen im Interview mit juwiss.de (Tina Winter).
Sonstiges
Fischer zu Reaktionen auf Köln: In seiner Kolumne setzt sich Bundesrichter Thomas Fischer auf zeit.de mit den Reaktionen auf die Vorfälle in der Silvesternacht auseinander.
Edeka-Tengelmann-Fusion: Per Ministererlaubnis hat Wirtschaftsminister Gabriel dem Zusammenschluss von Edeka und Tengelmann den Weg bereitet, nachdem das Bundeskartellamt ihn untersagte und die Monopolkommission schwere Bedenken äußerte, schreiben taz, HBl (D. Heide/F. Kolf), SZ (Michael Bauchmüller) und FAZ (Andreas Mihm). Bedingung sei zwar, dass 97 Prozent der Arbeitsplätze für fünf Jahre bei Tariflohn erhalten blieben, aufgrund der weiter erhöhten Marktmacht von Edeka kritisieren NGOs und die Monopolkommission die Entscheidung dennoch scharf. Akzeptieren die Unternehmen die Bedingung, können Konkurrenten noch Klage gegen die selten genutzte Ministererlaubnis erheben.
Das Letzte zum Schluss
Beliebtes Buch: Die SZ (Charlotte Theile) interviewt die Autorin des meist ausgeliehenen Buches der UN-Bibiothek von 2015. Es handelt sich um eine Dissertation über die Immunität von Diktatoren. Wer ihre Dissertation ausgeliehen habe wisse die Autorin nicht, Diktatoren, die auf positive Nachrichten zu ihrer Immunität hofften, seien jedoch enttäuscht worden. Für Strafverfolger sei es dagegen eher eine Freude.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. Januar 2016: Ausweisung Straffälliger / EGMR zügelt Überwachung / opt-out bei Cookies . In: Legal Tribune Online, 13.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18121/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag