Horst Seehofer wirft der Bundesregierung in der Asylpolitik eine "Herrschaft des Unrechts" vor. Außerdem in der Presseschau: Die Angaben von Asylsuchenden helfen der GBA bei Syrien-Ermittlungen und Fischer beklagt die Inkompetenz von Justizreportern.
Thema des Tages
Grenze und Unrecht: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) griff die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung in bisher unerreichter Schärfe an: "Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung", klagte Seehofer, "es ist eine Herrschaft des Unrechts." Solche Formulierungen verwendete die CSU bislang eher für Diktaturen. Konkret kritisiert Seehofer, dass Flüchtlinge und Migranten ohne gültige Dokumente ungehindert ins Land einreisen dürfen. Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio hatte in einem Gutachten für die bayerische Staatsregierung darin einen Rechtsbruch gesehen. Seehofer will die angedrohte bayerische Verfassungsklage eventuell noch vor den Landtagswahlen im März einreichen, so die SZ (Nico Fried/Robert Probst).
Nico Fried (SZ) kommentiert, der Begriff "Herrschaft des Unrechts" sei sehr nahe am Begriff des "Unrechtsstaats". Verdeckt handele es sich also um eine böswillige Anspielung auf Merkels Herkunft aus der DDR.
Familiennachzug: Im Streit um den laut Asylpaket II für zwei Jahre auszusetzenden Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz hat SPD-Chef Sigmar Gabriel einen Kompromissvorschlag gemacht. Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen könne über den Familiennachzug in einer Einzelfallprüfung entschieden werden. Grundlage könnte § 22 Aufenthaltsgesetz sein, so die SZ (Constanze von Bullion).
Rechtspolitik
Maas und de Maizière: Die FAZ (Eckart Lohse) beschreibt, wie Justizminister Maas (SPD) und Innenminister de Maizière (CDU) immer mehr zur "Schlichtungsstelle" der Koalition werden. Exemplarisch schildert er die schnelle Einigung auf eine relativ gemäßigte Verschärfung des Ausweisungsrechts nach den Kölner Silvester-Übergriffen. Beiden sei "Verlässlichkeit" sehr wichtig.
Fitness-Tracker: Justizminister Maas überlegt, den Krankenkassen Rabatttarife zu verbieten, die an die Nutzung der Daten von Fitness-Armbändern gebunden sind, berichtet zeit.de. Niemand dürfe durch Rabatte "faktisch dazu gezwungen werden, so intime Daten wie die Herzfrequenz, die Geschwindigkeit beim Joggen oder die Häufigkeit des Trainings im Fitnessstudio zu veröffentlichen". Anja Stehle (Hbl) lobt: "Es ist richtig, dass der Justizminister in diese Diskussion eingestiegen ist. Nun kommt es darauf an, unsolidarische Geschäftsmodelle zu unterbinden."
Urheberrecht: Der Deutsche Anwaltverein hat sich gegen die von Justizminister Maas geplante Reform des Urhebervertragsrechts ausgesprochen, meldet die FAZ (Joachim Jahn). Das geplante Recht etwa von Schriftstellern, das Nutzungsrecht ihres Verlags nach fünf Jahren zurückzurufen, untergrabe die Partnerschaft von Urhebern und Verwertern.
Widerrufsjoker: Der Anwalt Johannes Flötotto kritisiert auf lto.de die von der Bundesregierung geplante Abschaffung des "ewigen Widerrufsrecht" bei Immobillienkreditverträgen ohne korrekte Widerrufsbelehrung. Die geplante Höchstfrist für den Widerruf von einem Jahr und 14 Tagen sei überflüssig, weil eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung jederzeit nachgeholt werden kann. Mögliche Rechtsunsicherheiten könnten die Banken also selbst beseitigen.
Bargeld: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat angedeutet, dass die geplante Obergrenze für Bargeld-Transaktionen auch überschritten werden könne, wenn die Teilnehmer eindeutig identifiziert seien. Das berichtet die FAZ (Christian Schubert), die auch weitere deutsch-französische Stimmen zur Bargeld-Diskussion referiert. Manfred Schäfers (FAZ) kritisiert, eine europäische Obergrenze für Bargeldzahlungen werde "weniger die Wege von Kriminellen als die der normalen Bürger beschränken".
TTIP: Die SZ (Michael Bauchmüller) schildert das Dilemma von Abgeordneten, die aktuelle Entwürfe des Handelsvertrags TTIP in einem Leseraum des Wirtschaftsministeriums studieren. Da sie sich zur Geheimhaltung verpflichten mussten, könnten sie nicht einmal darüber sprechen, wenn sich ihre bereits bestehenden Bedenken bestätigen.
Steuervermeidung: Der Anwalt Björn Demuth stellt auf lto.de geplante Maßnahmen der EU vor, mit denen die Steuervermeidung internationaler Unternehmen erschwert werden soll. So solle die Steuerberechnung vereinheitlicht werden, das Verschieben von Gewinnen und Zinsen soll ebenso unterbunden werden wie Steuer-Vereinbarungen mit einzelnen Staaten.
Justiz
VG Augsburg - Hausverbot für Petry: Am heutigen Mittwoch entscheidet das Verwaltungsgericht Augsburg über das Hausverbot des Augsburger Oberbürgermeisters gegen die AfD-Vorsitzende Frauke Petry. Patrick Bahners (FAZ) kritisiert im Feuilleton das Hausverbot. Die Mehrheitsparteien betrieben hier die Eskalation, die sie sonst der AfD vorwerfen.
BGH zu Mietnebenkosten: Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zur Abrechnung von Mietnebenkosten geändert, meldet die FAZ (Joachim Jahn). Es soll künftig genügen, wenn der Immobilieneigner je Betriebskostenart den Gesamtbetrag angibt, den er auf die Wohnungsmieter verschiedener Häuser umlegt. Die einzelnen Rechenschritte beim Abzug von Kostenanteilen, die nicht umgelegt werden, müsse er nicht erklären.
BGH zu Treuhandkonten: Rechtsanwaltsgesellschaften dürfen Treuhandkonten führen, ohne dass ein Gesetz dies ausdrücklich gestattet. Dies hat nach knappen Angaben der FAZ (Joachim Jahn) nun der Bundesgerichtshof entschieden.
LG Hamburg zu Facebook-Kommentar: Auf Antrag der ZDF-Moderatorin Dunja Hayali hat das Landgericht Hamburg einem Facebook-Nutzer per einstweiliger Verfügung verboten, weitere Hasskommentare auf der Facebook-Seite Hayalis zu posten. Bei Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro, meldet lto.de.
LG Berlin zu Facebook-Erbe: Nun bespricht auch der Anwalt Peter Bräutigam in der FAZ das Urteil des Landgerichts Berlin von Anfang Januar, wonach Eltern Anspruch auf die Facebook-Zugangsdaten ihrer gestorbenen 15-jährigen Tochter haben. Damit habe sich das Erbrecht gegen das Telekommunikationsgeheimnis und den Datenschutz durchgesetzt. Facebook hat allerdings Berufung eingelegt.
OLG Hamm zu Presseauskünften: Auch eine Aktiengesellschaft muss Presseauskünfte beantworten, wenn sie mehrheitlich der öffentlichen Hand gehört und Aufgaben der Daseinsvorsorge übernimmt. Das entschied das Oberlandesgericht Hamm im Fall eines Energie- und Wasserversorgers, der im Verdacht stand, verdeckte Wahlkampffinanzierung betrieben zu haben, so lto.de.
LG Aachen - Mord wegen Pädophilieverdacht: Am Landgericht Aachen hat der Prozess gegen drei Personen begonnen, die gemeinschaftlich einen 29-jährigen geistig Behinderten ermordet haben sollen, den sie wohl irrtümlich für einen Pädophilen hielten. Es berichten die SZ (Kristiana Ludwig) und spiegel.de (Gesa Mayr).
LG Hannover - Anschlag auf Asylheim: Am heutigen Mittwoch beginnt am Landgericht Hannover der Prozess gegen drei Personen, die im August einen Molotow-Cocktail in eine Asylunterkunft in Salzhemmendorf geworfen haben sollen. Ihnen wird versuchter Mord und gefährliche Brandstiftung vorgeworfen. Die SZ (Peter Burghardt) schildert den Fall.
GBA - Syrien: Durch freiwillige Angaben von Asylsuchenden hat das Bundeskriminalamt 2.149 Hinweise auf Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Irak und vor allem in Syrien erhalten, berichtet die SZ (Lena Kampf). Der Generalbundesanwalt führe zwei Strukturverfahren und zehn personenbezogenen Ermittlungsverfahren. In zwei Fällen gab es bereits Haftbefehle.
Recht in der Welt
Frankreich - Conseil Constitutionel: An diesem Mittwoch soll der bisherige französische Außenminister Laurent Fabius (SP) von Präsident François Hollande zum neuen Präsidenten des "Conseil Constitutionnel" (Verfassungsrat) ernannt werden. Eine juristische Ausbildung ist hierfür laut FAZ (Michaela Wiegel) nicht erforderlich.
Großbritannien - EU-Zugeständnisse: Der Student Luigi Lonardo argumentiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache), dass Zugeständnisse der EU an Großbritannien nicht grundsätzlich abzulehnen seien. Die EU-Integration verlaufe nicht linear, sondern in Rhythmen der Zentralisierung und Dezentralisierung. Wenn die EU zusammenbleibe, sei auch dies ein Erfolg.
Sonstiges
Presse und Strafrecht: Bundesrichter Thomas Fischer kritisiert in seiner zeit.de-Kolumne das niedrige Niveau der Justizberichterstattung. "Was wir lesen ist: Einfach die pure, vollständige Unkenntnis des Gegenstands, über den man schreibt." Er fordert die Leser auf, den Journalisten "nicht so viel durchgehen zu lassen."
Gemischte Abkommen: Rechtsprofessor Christian Tietje beschreibt auf verfassungsblog.de, wann der Bundestag gemischten völkerrechtlichen Abkommen der EU zustimmen muss. Diese seien in der Regel insgesamt nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG zustimmungspflichtig. Die Zustimmung durch die gesetzgebenden Körperschaften begrenze sich zwar inhaltlich auf die Sachbereiche, die nicht EU-Kompetenz sind, die Intention der Abgeordneten beim Abstimmen sei aber nicht zu kontrollieren.
Das Letzte zum Schluss
Alles anzünden: Wer derzeit ein Haus baut oder renoviert, läuft Gefahr, dass es sofort abgebrannt wird, weil besorgte Bürger befürchten, dass dort eine Flüchtlingsunterkunft entsteht. Wie Bild berichtet, wurde in Langenapel (Sachsen-Anhalt) ein frisch saniertes Wohnhaus angezündet und mit ausländerfeindlichen Parolen beschmiert - obwohl dort gar keine Flüchtlinge einziehen sollten.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. Februar 2016: "Herrschaft des Unrechts" / GBA ermittelt zu Syrien / Thomas Fischer über Journalisten . In: Legal Tribune Online, 10.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18411/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
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