Neue Regeln gegen Regelungswahn: Unter Präsident Jean-Claude Juncker will die EU-Kommission ihre Gesetzgebung verbessern. Außerdem in der Presseschau: Udo Di Fabios Gutachten zur Erbschaftsteuer, Makler-Tricks, Urheberrechte im Hintergrund, NPD-V-Leute, verfassungswidrige Gefahrengebiete, Streikbrecher bei der Post und was passiert, wenn die Gema die Oma ärgert.
Thema des Tages
EU-Bürokratieabbau: Die Europäische Kommission will mit einer besseren Gesetzgebung auf anhaltende Kritik an der EU-Bürokratie reagieren. Laut FAZ (Hendrik Kafsack) stellt Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans nächste Woche einen Entwurf für eine entsprechende Vereinbarung zwischen Kommission, Europaparlament und Ministerrat vor. So sollen wichtige Regeln nach fünf Jahren überprüft oder mit einem "Verfallsdatum" versehen werden. Wenn das Parlament Kommissionsvorschläge ändern will, soll es Folgen für die Wirtschaft stärker beachten. Außerdem sollen es die Mitgliedstaaten kennzeichnen, wenn sie bei der Umsetzung von EU-Recht über Vorgaben hinaus gehen.
Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: Der Welt (Martin Greive) liegt ein Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio vor, der im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen die Reformpläne zur Erbschaftsteuer bewertet. Di Fabio sieht verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere weil das Privatvermögen von Unternehmenserben mit einbezogen werden soll und weil die Erbschaftsteuer mit Tricksereien von Betriebserben umgangen werden könnte.
Mietpreisbremse: Joachim Jahn (FAZ) kritisiert das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg, das den Berliner Mietspiegel gekippt hat und die Pläne der SPD für eine schärfere Mietpreisbremse. Mietspiegel müssten rechtssicherer werden, die Mietpreisbremse dürfe nicht weiter verschärft werden.
Makler-Tricks: Ab 1. Juni gilt das Bestellerprinzip: Wer einen Makler bestellt, der muss ihn bezahlen. Die SZ (Christopher Eichfelder) erklärt, mit welchen Tricks Makler und Vermieter versuchen könnten, die Kosten dennoch auf den Mieter abzuwälzen: Etwa mit nachträglichen Aufträgen, überhöhten Ablösezahlungen oder versteckten Angeboten.
Kopftuchverbot: Der Vizepräsident des nordrhein-westfälischen Landtags, Gerhard Papke (FDP) kritisiert in einem Gastkommentar für die FAZ den Gesetzentwurf von CDU, SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen, mit dem das Kopftuchverbot für Lehrerinnen aufgehoben werden soll. Das Bundesverfassungsgericht hatte ein generelles Kopftuchverbot für verfassungswidrig erklärt. Papke hält es für möglich, das Verbot dennoch aufrecht zu erhalten, indem in den Schulgesetzen "Kleidungsstücke" untersagt werden, "die als Ausdruck einer nicht verfassungskonformen Haltung verstanden werden können."
Justiz: Abzug von NPD-V-Leuten, BGH zu Hintergrundbildern, OVG Hamburg zu Gefahrengebiet
Justiz
BVerfG – NPD-Verbotsverfahren: Die FAZ (Helene Bubrowski) beschreibt, wie die Bundesländer im NPD-Verbotsverfahren vor dem Verfassungsgericht beweisen wollen, dass sie alle V-Leute abgeschaltet haben. Nach Informationen der Zeitung soll unter anderem eine Liste vorgelegt werden, aus der hervorgeht, wie viele V-Leute sich am 1. Dezember 2011 noch in der NPD-Parteispitze befanden; auch interne Vermerke und Weisungen zur Abschaltung sollen zum Beweis dienen.
BGH zu Fotos im Hintergrund: Darf ein Möbelhaus, das in seinen Geschäftsräumen Kunst ausstellt, seine Möbel vor diesem Hintergrund fotografieren und die Fotos zu Werbezwecken veröffentlichen – oder verstößt das gegen das Urheberrecht des Künstlers? Das Landgericht und das Oberlandesgericht Köln hielten das für zulässig, der Bundesgerichtshof hat die Entscheidungen aufgehoben und zurückverwiesen. Wie internet-law.de (Thomas Stadler) erklärt, geht es vor allem um die Frage, ob ein Hintergrundbild nur "unwesentliches Beiwerk" ist. Der BGH fordert dabei eine strengere Auslegung.
BGH zu getöteter Studentin: Totschlag, nicht Mord – das Urteil im Prozess um die 2013 auf Juist getötete Studentin Alexandra Wehrmann, ist rechtskräftig. Das Landgericht Aurich hatte den Aushilfskellner Patrick S. im März 2014 wegen Totschlags zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Sein Verteidiger ging in Revision, um ein niedrigeres Strafmaß zu erreichen. Die Familie Wehrmann wollte eine Verurteilung wegen Mordes erreichen. Der Bundesgerichtshof wies beide Anträge ab. spiegel.de (Benjamin Schulz) schildert den Fall.
BAG zu Mindestlohn bei Krankheit: Auch die Krankengeldzahlung muss sich nach dem Mindestlohn richten. Das entschied das Bundesarbeitsgericht und gab damit drei Beschäftigten eines Unternehmens im Bildungsbereich Recht. Die Entscheidung bezog sich auf einen Tarifvertrag für pädagogisches Personal von 2011, dürfte aber auch für andere Fälle richtungsweisend sein. Das berichtet die taz (Christian Rath). Im Detail erläutert der Rechtsanwalt Ulrich Sittard auf lto.de, inwiefern die Entscheidung auf das neue Mindestlohngesetz übertragbar ist. Der Rechtsprofessor Markus Stoffels berichtet auf blog.beck.de.
OVG Hamburg zu Gefahrengebiet: Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hält die "Gefahrengebiete" für verfassungswidrig. Die Regelung sollte der Polizei ermöglichen, Personen ohne Anlass zu kontrollieren. Eine Bewohnerin des Schanzenviertels hatte gegen eine solche Kontrolle geklagt und Recht bekommen. Wie die taz (Viktoria Morasch/Christian Rath) erklärt, kam es im konkreten Fall zwar nicht auf die Verfassungswidrigkeit an, trotzdem betonte das Gericht, dass § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei verfassungswidrig sei. Ein weiterer Bericht der taz (Christian Rath) erläutert die Begründung des Gerichts: Die Regelung verstoße gegen das rechtsstaatliche Bestimmheitsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
LG Lüneburg – Gröning-Prozess: Die taz (Andreas Speit) berichtet von dem Prozess gegen den SS-Unterscharführer Oskar Gröning vor dem Landgericht Lüneburg. Als letzte der Zeugen und Zeuginnen, die Auschwitz überlebt hatten, sagte nun die 84-jährige Susan Pollack aus.
Kunduz-Fall: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Philipp Stöckle schreibt auf juwiss.de über den Staatshaftungsprozess um den ISAF-Angriff bei Kunduz im September 2009, bei dem Zivilisten getötet wurden. Das Landgericht Bonn und das Oberlandesgericht Köln erklärten zwar, der Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 BGB iVm Art. 34 S. 1 GG sei grundsätzlich auch auf Militärhandlungen anwendbar, verneinten aber eine Völkerrechtsverletzung. Eine Verurteilung Deutschlands sei auch vor dem Bundesgerichtshof nicht zu erwarten – der Prozess zeige aber, dass Haftungsansprüche von Opfern bewaffneter Konflikte "handhabbare Realität" geworden seien.
Welt & Weiteres: Neue Bill of Rights?, Streikbrecher bei der Post, Oma streitet mit Gema.
Recht in der Welt
UK – Bill of Rights: Der Europarechtler Tobias Lock schreibt in einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de über die Pläne der britischen Konservativen, den Human Rights Act von 1998 durch einen neue "British Bill of Rights" zu ersetzen und möglicherweise auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention auszutreten.
USA – Unschuldiger kommt frei: Im US-Bundesstaat Virgina ist ein Gefangener entlassen worden, der 29 Jahre unschuldig in Haft saß. Michael Kenneth McAlister war wegen einer Vergewaltigung veruteilt worden – der eigentliche Täter hat inzwischen gestanden. Er sah McAlister außergewöhnlich ähnlich, so spiegel.de. Udo Vetter (lawblog.de) kommentiert, solche Fälle zeigten, wie wichtig die Aufgabe des Strafverteidigers sei, alle Indizien in Frage zu stellen. Das falle leichter, wenn der Angeklagte auch gegenüber seinem Anwalt kein Geständnis ablege.
Syrien – Beweismaterial gegen Assad: Internationale Ermittler haben eine umfangreiche Dokumentation zusammen gestellt, um den syrischen Machthaber Baschar al Assad und 24 weitere Funktionäre wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen. Die FAZ (Markus Bickel) berichtet. Trotz des umfassenden Materials gelte eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof als ausgeschlossen, weil Russland und China ein Veto einlegen würden.
Sonstiges
Streikbrecher bei der Post?: Nach Informationen der SZ (Detlef Esslinger) hat die Post bei Warnstreiks im April Beamte als Streikbrecher eingesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte das grundsätzlich für unzulässig erklärt. Die Post habe ihr Vorgehen allgemein verteidigt, auf konkrete Nachfragen aber ausweichend geantwortet.
BND-Spionage: Mehr pfingstlichen Aufklärungsgeist wünscht sich Heribert Prantl (SZ) von der Bundesregierung. Das Staatswohl werde nicht dadurch gefährdet, dass Informationen über NSA- und BND-Spionage veröffentlicht wurden, sondern dadurch, dass "Angela Merkel und ihr Bundeskanzleramt seit zwei Jahren nichts zur Aufklärung dieser Abhörskandale getan haben."
Suchmaschinen und "Recht auf Vergessen": Vor einem Jahr entschied der Europäische Gerichtshof, dass Suchmaschinen Suchergebnisse löschen müssen, wenn damit Persönlichkeitsrechte verletzt werden. lto.de (Anne-Christine Herr) spricht mit dem Rechtsprofessor Hannes Rösler über die Umsetzung des Urteils. Rösler hält es zwar für praktikabel, aber dennoch problematisch, dass Google selbst für die Bearbeitung von Löschanträgen verantwortlich ist. Die NDR-Verwaltungsrätin Dagmar Gräfin Kerssenbrock fordert im Interview mit telemdicus.info (Fabian Rack) eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine.
Das Letzte zum Schluss
Oma gegen Gema: Ist ein Senioren-Singkreis ein Fall für die Gema? Helga von Assel (77) wunderte sich jedenfalls, als sie eine Rechnung von der Verwertungsgesellschaft bekam und gebeten wurde, eine Liste mit dem Liedgut vorzulegen. Nach einigem Hin und Her erkannte die Gema den Irrtum: Es handele sich wohl doch nicht um eine öffentliche musikalische Veranstaltung. Die betagten Damen und Herren bleiben verschont und erhalten Aufmerksamkeit und Solidarität der Medien, etwa der taz (est).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. Mai 2015: Bessere EU-Bürokratie – Bild im Hintergrund – Verfassungswidrige Gefahrengebiete . In: Legal Tribune Online, 15.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15549/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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