Im Jugendarrest kommt man nur in falsche Kreise. Der Strafverteidigertag fordert deshalb die Abschaffung des Arrests. Außerdem in der Presseschau: Verwirrung um neue Vorratsdatenspeicherung, Richterwahlausschuss wählt Teilzeitrichterin, die NSU-Angeklagte Beate Zschäpe wird vom Gericht geschont, Mannheimer Master-Studiengang für Juristen und warum ein Düsseldorfer Autofahrer 630 Monate Fahrverbot erhielt.
Thema des Tages
Strafverteidiger gegen Jugendarrest: Der Strafverteidigertag, der am Wochenende in Lübeck tagte, hat sich für die Abschaffung des Arrests im Jugendstrafrecht ausgesprochen, berichtet die Montags-FAZ (Helene Bubrowski). Positive Wirkungen des Jugendarrests seien nicht belegbar. Jugendliche kämen in Kontakt zu kriminellen Gruppen oder würden Opfer von Übergriffen. Das Jugendgerichtsgesetz lasse den Richtern schon jetzt viel Freiheit bei der Auswahl geeigneterer Sanktion.
Strafverteidiger und richterliche Vorurteile: Ebenfalls auf dem Strafverteidigertag wurde darüber diskutiert, dass "Richter qua Gesetz gleichsam zum Vor-Urteil gezwungen sind." Denn: "Bevor ein Prozess überhaupt beginnt, muss die Strafkammer über die Zulassung der Anklage entscheiden". Der Eröffnungsbeschluss werde leicht zur selbsterfüllenden Prophezeihung. Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) berichtete vorab auf der Titelseite.
Rechtspolitik
Gott in der Verfassung: Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tsp) kritisiert eine überparteiliche Initiative, die "Gott" in der schleswig-holsteinischen Landesverfassung verankern will. Er sieht darin keinen traditionellen Verfassungsinhalt. Auch die Integrationswirkung eines Gottesbezugs sei begrenzt. Müller-Neuhof stellt die Formel auf: "Steht er drin, eint er. Soll er erst noch hineingeschrieben werden, spaltet er."
EU-Datenschutz-GrundVO: Der Spiegel (Sven Becker) schildert, wie eng sich das Bundesinnenministerium bei den Verhandlungen zur geplanten EU-Datenschutz-Grundverordnung mit deutschen Branchenverbänden und Unternehmen abstimmt, um das Datenschutz-Niveau zu begrenzen und zu senken.
Vorratsdatenspeicherung: Der Spiegel (Maik Baumgärtner u.a. - spiegel.de-Zusammenfassung) will erfahren haben, dass die Bundesregierung die Vorratsdatenspeicherung jetzt auch ohne neue EU-Richtlinie einführen will. Justizminister Heiko Maas dementiert dies allerdings gegenüber der Montags-SZ (Heribert Prantl). Die Montags-taz (Christian Rath) schildert den Hintergrund der Diskussion.
Heribert Prantl (Montags-SZ) kritisiert in einem separaten Kommentar: "Seitdem die Nachrichten über NSA und Co wieder leiser geworden sind, werden die Rufe nach der Vorratsdatenspeicherung wieder lauter." Christian Rath (Montags-taz) wirft der SPD in dieser Frage Profillosigkeit vor: "Stets hängt sie ihr Fähnchen in den Wind, reagiert auf Ereignisse oder versteckt sich hinter Gerichtsurteilen, die dann doch nicht so eindeutig sind wie behauptet."
Kartellrecht: Die Bundesregierung will verhindern, dass Unternehmen durch eine Umstrukturierung kartellrechtlichen Bußgeldern entgehen können. Eine entsprechende Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sei geplant, meldet der Spiegel (Melanie Amann/Simone Salden).
CETA/TTIP: Juniorprofessor Steffen Hindelang schlägt in einem englischsprachigen Beitrag für verfassungsblog.de vor, das ausverhandelte europäisch-kanadische CETA-Abkommen wieder aufzuschnüren und zunächst nur die Freihandelsinhalte in Kraft zu setzen. Der Investorenschutz könne später trilateral mit den USA im Rahmen der TTIP-Verhandlungen zu Ende verhandelt werden. Der Transformationsforscher Holger Janusch beschrieb in der Samstags-FAZ, wie die USA in ihren Freihandelsabkommen zunehmend Arbeitnehmerrechte aufnimmt und durchsetzt.
Islamgesetz: Der von der Türkei finanzierte Moscheenverband Ditib kritisiert die Diskussion über ein deutsches Islamgesetz. Ein derartiges Gesetz wäre ein "verfassungswidriges Sondergesetz, das in die Lehre und Glaubenspraxis von religiösen Minderheiten eingreift", berichtet die Montags-taz (Daniel Bax). Beanstandet werden insbesondere eine mögliche Pflicht, auf deutsch zu predigen, und ein mögliches Verbot, Zuschüsse aus dem Ausland zu erhalten.
Richterwahlen: Die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) macht darauf aufmerksam, dass der Richterwahlausschuss am Donnerstag erstmals eine Teilzeit-Richterin zur BGH-Richterin gemacht hatte. Dies sei ein Signal und zugleich die Folge einer immer weiblicheren Justiz.
Gesellschaftsrecht: Der Anwalt Robert Peres kritisiert auf lto.de das gesellschaftsrechtliche Spruchkammerverfahren zur Festlegung des Unternehmenswerts. Die Sachverständigen seien oft nicht neutral, die Verfahren dauerten zu lang. Minderheitsaktionäre sollten beim Delisting wieder ein Barabfindungsangebot bekommen.
Justiz
EuGH zu E-Books: Auf elektronische Bücher darf nicht der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Bücher angewandt werden. Das entschied am Donnerstag laut Samstags-FAZ (Jürg Altwegg) und Samstags-taz (Sonja Vogel) der Europäische Gerichtshof. Literatur ohne physische Träger sei eine Dienstleistung.
EuGH - Facebook: Der Syndikusanwalt Oliver Stutz beschreibt auf dem Blog www.datenschutz-notizen.de, welche Fragen der Europäische Gerichtshof am 24. März im so genannten Facebook-Prozess verhandeln wird. Im Kern geht es um die Frage, ob die USA datenschutzrechtlich zurecht als "safe harbour" eingestuft werden. Das Verfahren wird abgegrenzt von einem anderen Prozess, den der Kläger Max Schrems (und viele andere) am Landesgericht Wien gegen Facebooks Datenschutzrichtlinien führt.
LG Verden zu Edathy: Strafverteidiger Werner Leitner vollzieht im Interview mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) die Einstellung des Kinderpornografie-Verfahrens gegen Sebastian Edathy am Landgericht Verden und dessen Geständnis nach: "Mit einem Geständnis räumt man nur den sogenannten Sachverhalt ein, hier also, dass Herr Edathy die betreffenden Dateien selbst heruntergeladen und angeschaut hat (...) eine rechtliche Bewertung kann man nicht 'gestehen'".
LG Saarbrücken zu Gutachterin: Das Landgericht Saarbrücken hat im Dezember eine Gerichtspsychiaterin dazu verurteilt, 50.000 Euro Schmerzensgeld an einen Mann zu zahlen, der einst aufgrund eines von ihr erstatteten Glaubhaftigkeitsgutachten wegen sexuellen Missbrauchs eines Pflegekindes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Das strafrechtliche Verfahren war nach Verbüßung der Strafe wiederaufgenommen worden und führte dann zu einem Freispruch. Die Montags-SZ (Hans Holzhaider) schildert in einer Seite-3-Reportage den Fall.
OLG München - NSU: zeit.de (Frank Jansen) beschreibt, wie das Oberlandesgericht München die angeschlagene Angeklagte Beate Zschäpe vor Fotografenrummel schützt und das Prozesstempo verlangsamt. Annette Ramelsberger (Samstags-SZ) kommentiert: "Dass der Prozess sich nun stark verzögert, ist nicht zu erwarten. Man kann verdichten, die Tage sinnvoller füllen. Am wichtigsten ist: Beate Zschäpe verhandlungsfähig zu halten."
Gisela Friedrichsen (Spiegel) kritisiert, dass sich das Gericht immer wieder mit "Verschwörungstheorien" und "Komplottgespinsten" auseinandersetzen müsse, etwa im Zusammenhang mit dem hessischen Verfassungsschützer, der während des Kasseler NSU-Mordes anwesend war.
AG München - Vertriebene: Die Sudetendeutsche Landsmannschaft hat ihre Vereinssatzung entschärft und fordert kein "Recht auf Rückgabe" mehr. Gegen die Satzungsänderung, die das Amtsgericht München noch genehmigen muss, haben rechte Gruppen aus der Landsmannschaft Widerspruch eingelegt. Es geht um die Frage, ob die laut Bürgerlichem Gesetzbuch erforderliche 3/4-Mehrheit auch hier notwendig war. Die Samstags-SZ (Kim Björn Becker) schildert den Konflikt.
LG Duisburg - Loveparade: Die Montags-FAZ (Reiner Burger) gibt einen überblick über das Strafverfahren gegen Verantwortliche für die Toten bei der Loveparade 2010. Das Landgericht prüfe bereits über ein Jahr die Anklage, habe im Februar aber 75 neue Fragen an den maßgeblichen Sachverständigen, einen britischen Massenforscher gestellt.
LG Frankfurt/Main - Anlegerschutz: Die Kanzlei Rotter hat am Landgericht Frankfurt/Main eine Pilotklage gegen die Schweizer Privatbank Sarasin eingereicht. Ein Ehepaar, dem die Bank zum Kauf von Anleihen der Windpartplaner Windreich riet, machte damit rund 50.000 Euro Verlust, weil das Unternehmen pleite ging. Der Bank wird vorgeworfen, sie habe über ihr bekannte Risiken nicht richtig informiert, weil sie in einem verschwiegenen Interessenskonflikt agierte. Sie habe Windreich einen Großkredit gegeben und von Windreich versteckte Provisionen für den Vertrieb der Anleihen erhalten. Die Montags-SZ (Markus Balser/Klaus Ott) schildert die Klage.
Atomausstieg: Die Montags-SZ (Markus Balser/Michael Bauchmüller) versucht einen Überblick über die rund 30 Klagen zu geben, mit denen Energieversorger gegen das 2011 nach Fukushima verkündete Atommoratorium und den anschließend beschlossenen beschleunigten Atomausstieg angestrengt haben.
Recht in der Welt
USA - ObamaCare: Der US-Supreme Court verhandelte vorige Woche über Klagen gegen die Krankenkassenreform von Präsident Obama. Nachdem die Reform 2012 vom Supreme Court als grundsätzlich verfassungskonform bewertet wurde, geht es diesmal um die Frage, ob das Gesetz den Kauf von subventionierten Krankenversicherungspolicen auf einem Portal der US-Bundesregierung erlaubte. Dies wäre nur dann der Fall, wenn das Wort "state" im Gesetz auch den Bundesstaat umfassen würde, erläutert zeit.de.
Juristische Ausbildung
Master in Jura: Die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) beschreibt in ihrem Campus-Teil die Jura-Master-Ausbildung an der Uni Mannheim. Dort werden Wirtschaftsjuristen ausgebildet, die zwar nicht Richter oder Anwalt werden können, aber gute Chancen als Unternehmensjurist, Wirtschaftsprüfer, Steuer- und Unternehmensberater oder bei Verbänden haben.
Sonstiges
Verbot von Moscheevereinen: Rechtsprofessor Ulrich Battis beschreibt auf lto.de die Voraussetzungen für ein Vereinsverbot. Es müsse nachgewiesen werden, das es beim Verbot um die Verletzung von Strafgesetzen, der verfassungsmäßigen Ordnung oder um Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung geht. "Merkwürdige" Predigten zur Stellung der Frau genügten in der Regel nicht.
Kinderschutz: Die Samstags-BadZ (Christian Rath) berichtet über eine Veranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer zum Kinderschutz. Es ging um die Frage, ob Jugendämter zu früh oder eher zu spät in Familien eingreifen.
EU-Erbrecht: Für Todesfälle ab dem 17. August 2015 gilt die EU-Erbrechtsverordnung. Die Montags-Welt (Berit Gräber) warnt, dass Berliner Testamente zum Schutz des später sterbenden Ehegatten in Ländern wie Spanien, Frankreich und Italien im Prinzip nicht anerkannt werden. Stattdessen müsse, wenn das Ehepaar zum Beispiel auf Mallorca lebt, handschriftlich die Anwendung deutschen Erbrechts vereinbart werden.
Kündigung und Twitter: spiegel.de (Isabell Prophet) zeigt auf, wie schnell eine ehrenrührige Twitter-Aussage über den eigenen Arbeitgeber zu einer Abmahnung oder einer Kündigung führen kann.
Kündigungsschutz und Sozialauswahl: Das Handelsblatt (Eva-Maria Hommel) berichtet über eine Studie, die versucht, eine gerechtere Punktetabelle für die Sozialauswahl im Kündigungsrecht zu entwickeln. Untersucht wurde, welche Eigenschaften in der Praxis zu welchen Problemen bei der Suche nach einem neuen Job führen.
Das Letzte zum Schluss
630 Monate Fahrverbot: Das Amtsgericht Düsseldorf hatte beim Tippen eines Strafbefehls nicht aufgepasst und dem Autofahrer, dem Fahrerflucht vorgeworfen wurde, statt sechs Monaten rekordverdächtige 630 Monate Fahrverbot aufgebrummt. Der Mann legte erfolgreich Widerspruch ein, wie spw.de berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. bis 9. März 2015: Strafverteidiger gegen Jugendarrest – BGH-Richterin in Teilzeit – Schonung für Zschäpe . In: Legal Tribune Online, 09.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14881/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag