Energiekonzerne klagen nach dem Urteil des BVerfG weiter. Außerdem in der Presseschau: Gutachten hält die Privatisierung von Autobahnen für verfassungskonform und Muslimin darf Schwimmunterricht nicht aus religiösen Gründen verweigern.
Thema des Tages
Entschädigung wegen Atomausstiegs: Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Atomausstieg von 2011 für überwiegend verfassungskonform erklärte, wollen die Energiekonzerne anderweitig anhängige Klagen gleichwohl weiter verfolgen. So wird beim Washingtoner Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) noch über eine Klage Vattenfalls verhandelt, in der sich der Konzern auf die Energiecharta von 1994 beruft. Nach diesem völkerrechtlichen Vertrag soll ausländischen Investoren eine "faire und gerechte Behandlung" und Schutz vor "unangemessenen und diskriminierenden Maßnahmen" garantiert werden. Dabei gibt es mehrere Ansatzpunkte, wonach Vattenfall hier auf eine höhere Entschädigung als auf Grundlage des BVerfG-Urteils hoffen kann, berichtet die taz (Christian Rath). Zudem sind beim Bundesverwaltungsgericht noch sechs Klagen anhängig, mit denen die Energiekonzerne Auskunft in die Dokumente erzwingen wollen, die der Atomausstiegsentscheidung vorangegangen sind, wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) schreibt.
Das BVerfG hatte am Dienstag geurteilt, dass der Bund die Energiekonzerne nur teilweise für Verluste aufgrund der Laufzeitverkürzungen für Atomkraftwerke entschädigen und der Gesetzgeber hierfür bis Mitte 2018 entsprechende Regelungen schaffen muss. Zu dem Urteil berichten nun auch lto.de (Michael Reissenberger) in einem Audio-Bericht und der swr.de RadioReport Recht (Bernd Wolf), zur Grundrechtsberechtigung ausländischer Staatsunternehmen nun auch juwiss.de (Frederik Ferrau).
Rechtspolitik
Doppelte Staatsbürgerschaft: Der CDU-Parteitag hat beschlossen, die die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder von Einwanderern abschaffen zu wollen – gegen den erklärten Willen von Parteichefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Erst 2014 hatte es hierzu einen Kompromiss zur Gesetzänderung gegeben, um die Doppelstaatlichkeit in bestimmten Fällen zuzulassen, wie spiegel.de und lto.de erläutern.
Musterklagen: Zu den von Bundesjustizminister Heiko Maas geplanten Musterfeststellungsklagen schreibt die Zeit (Marcus Rohwetter), diese seien eine begrüßenswerte Anpassung der Justiz an die Schutzbedürfnisse der Verbraucher in Zeiten der Massenproduktion. Denn die Prozesse funktionierten derzeit noch genau gegenteilig zur Verantwortungsverteilung im wirtschaftlichen Bereich, weil der einzelne Verbraucher das Prozessrisiko alleine tragen müsse.
Privatisierung von Autobahnen: Im Streit um die Privatisierungsmöglichkeiten von Autobahnen hält ein neues Gutachten solche nach einer geplanten Änderung von Artikel 90 Grundgesetz für verfassungsrechtlich zulässig, schreibt spiegel.de. Heribert Prantl (SZ) bezeichnet diese Verfassungsänderung als "unredlich" und ein "Täuschungsmanöver".
Strafbare Inhalte bei Facebook: Reinhard Müller (FAZ) unterstreicht, der Social-Media-Konzern Facebook könne sich nicht aussuchen, ob er sich an geltendes Recht halte. Er stehe gesetzlich in der Pflicht, strafbare Beiträge zu entfernen – mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung sei es nicht getan.
Wohnraumpolitik: Der Mieterbund kritisiert die aktuellen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt scharf. Der soziale Wohnungsbau werde weiterhin vernachlässigt und die Mietpreisbremse sei wirkungslos, schreiben die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und die Welt (Michael Fabricius).
Justiz
BVerfG zu Schwimmunterricht für Muslimin: Eine muslimische Schülerin kann nicht aus religiösen Gründen die Teilnahme am schulischen Schwimmunterricht verweigern, entschied das Bundesverfassungsgericht und wies die Verfassungsbeschwerde einer elfjährigen Gymnasiastin ab. Der Islam enthalte keine verbindlichen Regelungen zur Badebekleidung, daher sei das Tragen eines Burkinis zumutbar, berichtet die SZ.
OLG Saarbrücken – Nennung von Facebook-Namen: In einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken steht derzeit zu klären, ob eine Zeitung den Facebook-Namen abdrucken darf, unter dem ein Mordaufruf veröffentlicht wurde. Der Kläger hatte die "taz" verklagt und behauptet, ein Dritter habe sein Profil benutzt. In erster Instanz hatte er Recht bekommen, nun zeichnet sich eine andere Entscheidung ab, berichtet die taz (Christoph Schmidt-Lunau) in eigener Sache.
KG Berlin zu Gegendarstellungsanspruch: Auch gegenüber dem Betreiber eines privaten Blogs, der nur unregelmäßig und nicht professionell journalistisch betrieben wird, kann ein Anspruch auf Gegendarstellung nach § 56 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) bestehen, bestätigte nun das Kammergericht Berlin eine Entscheidung der Vorinstanz. Die herrschende Ansicht in der Literatur beurteile diese Frage anders, erläutert internet-law.de (Thomas Stadler).
LG Bamberg: Die Welt (Gisela Friedrichsen) berichtet über den Prozessbeginn gegen einen 54-Jährigen, der zu Silvester 2015 eine Elfjährige erschossen haben soll, weil er sich von den Feuerwerksgeräuschen gestört fühlte.
LG Berlin – Mordprozess wegen illegalen Autorennens: Die Zeit (Fritz Zimmermann) berichtet ausführlich über das Verfahren vor dem Landgericht Berlin gegen zwei junge Männer, die wegen Mordes angeklagt sind, nachdem bei einem illegalen Autorennen ein Unbeteiligter starb. Der Prozess habe wegweisende Wirkung, weil bislang bei derartigen Taten keine Verurteilungen wegen vorsätzlicher Tötung ergingen, sondern lediglich wegen fahrlässiger Verletzung von Leib und Leben.
LG Krefeld – Strafprozess gegen Anwalt: Die SZ (Hans Leyendecker) berichtet über den turbulenten Strafprozess gegen den niederrheinischen Anwalt Lothar Vauth, der wegen Veruntreuung von Mandantengeldern sowie Untreue gegenüber seiner Sozietät angeklagt ist. Mehrere Gutachter befanden ihn bereits für längerfristig vernehmungsunfähig, denn er habe Herzprobleme und diverse psychische Erkrankungen. Die zuständige Kammer hält das für falsch und hat gegen zwei Gutachter Strafverfahren wegen Strafvereitlung eingeleitet.
LG Mannheim zu unwirksamer Kündigung: Die Zeit (Fritz Zimmermann) schildert den Fall eines Mannheimers, der sich erfolgreich gegen die Kündigung seiner Wohnung zur Wehr setzte, dem dann jedoch das Wohnhaus kurzerhand ohne vorherige Räumung abgerissen wurde. Der Vermieter behauptet ein Versehen, der Mieter vermutet, dass es dem Vermieter um die rücksichtslose Durchsetzung eines kostspieligen Bauvorhabens ging.
Einstiegsgehalt bei Anwälten: Im Zusammenhang mit Meldungen zu einem Einstiegsgehalt von 140.000 Uhr in einer internationalen Wirtschaftskanzlei erläutert spiegel.de die derzeit üblichen Gehälter für Absolventen juristischer Studiengänge.
Recht in der Welt
Großbritannien – Brexit: Nachdem der britische High Court entschieden hatte, dass die Regierung für das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU die Zustimmung des Parlaments benötigt, muss hierüber nun der britische Supreme Court urteilen. Die SZ (Alexander Menden) erläutert Stellung und Kompetenzen des obersten Gerichts.
UN-Tribunal – Ratko Mladic: Der Chefankläger des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien fordert lebenslange Haft für den bosnisch-serbischen General Ratko Mladic, wie spiegel.de berichtet. Ihm werden Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
Polen – Verfassungsgericht: Andrzej Rzepliński, noch Präsident des polnischen Verfassungsgerichts, scheidet aus und geht in den Ruhestand. Die Zeit (Heinrich Wefing) berichtet von seinem Widerstand gegen die zahlreichen Gesetzesänderungen der PiS-Regierungsmehrheit seit Oktober 2015, die in ihrem Zusammenspiel die Macht des Gerichts nachhaltig verringert haben.
Sonstiges
Menschenrechtslage in Deutschland: Im seinem aktuellen Bericht zu Deutschland kritisiert das Deutsche Institut für Menschenrechte Mängel im Asylbereich, unter anderem die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte oder mangelnden Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften, meldet die SZ (Christoph Dorner).
Zu viele Rechte? – Rechtsprofessor Karl-Heinz Ladeur kritisiert in einem Gastbeitrag in der FAZ, dass immer mehr individuelle, festgeschriebene Rechte den staatlichen Handlungsspielraum einengten, sie führten zur "Blockierung politischer Alternativenbildung". Als Beispiele führt er etwa die Flüchtlingspolitik, die Familienpolitik und die Schulpolitik in Verbindung mit der Glaubensfreiheit an, in denen subjektive (Grund)rechte stets Vorrang vor potentiell begrenzenden Institutionen hätten. Damit werde die "Entwicklung eines auf die Bewältigung der neuen Risiken eingestellten (objektiven) Rechts" verhindert.
CETA/Außenpolitische Befugnisse der EU: Mit Blick auf den Abschluss des CETA-Abkommens beschäftigt sich der wissenschaftliche Mitarbeiter Thomas Verellen auf verfassungsblog.de in einem englischsprachigen Artikel mit den außenpolitischen Kompetenzen der EU.
Inklusive Sprache: In einem Gastbeitrag in der FAZ schreibt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Judith Froese, dass eine auf Inklusion von Frauen und weiteren Geschlechtern ausgelegte Sprache die Exklusion von Menschen mit Behinderungen begünstige, weil sie die Sprache verkompliziere. Sie fordert daher eine "ein Rückbesinnen auf diskriminierungsfreie gesetzliche Inhalte statt sprachlicher Correctness."
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lil
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. Dezember 2016: Atomkonzerne klagen weiter / Doch private Autobahnen? / Schwimmunterricht ist Pflicht . In: Legal Tribune Online, 08.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21391/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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