In Berlin bleibt Cannabis vorerst weiter illegal. Außerdem in der Presseschau: Hans-Jürgen Papier zur Wohnraumbeschlagnahmung, dem NSU-Nebenklägeranwalt Ralph Wilms droht standesrechtliches Ungemach und ein Sitzstreik als Kündigungsgrund.
Thema des Tages
Coffeeshops in Kreuzberg: Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird es vorerst keine Verkaufsstellen für Cannabis unter staatlicher Aufsicht geben. Ein vom Bezirk beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gestellter Genehmigungsantrag ist nun abschlägig beschieden worden, schreibt die SZ (Jens Schneider). Nach Auffassung des Amtes sei die Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken nicht mit dem Schutzzweck des Betäubungsmittelgesetzes vereinbar. Für dessen Änderung sei der Gesetzgeber zuständig. Ob der Bezirk einen Widerspruch gegen den Bescheid einlege, werde gegenwärtig geprüft, schreibt die taz-Berlin (Plutonia Plarre) in ihrem Bericht, der auch Einzelheiten des beantragten Konzepts vorstellt. bild.de (Olaf Wedekind) und FAZ (Mechthild Küpper) berichten ebenfalls.
Dass die Entscheidung zu erwarten war, meint Claudius Prößer (taz) in einem Kommentar. Unabhängig hiervon hätte auch eine Ausnahmegenehmigung nichts an den ursprünglichen Problemen, vor allem der gesunkenen Aufenthaltsqualität im überregional bekannten Drogenumschlagplatz Görlitzer Park verändert worden. Antje Lang-Lendorff (taz) dagegen begrüßt die Initiative. "Endlich mal" sei "durchdekliniert" worden, wie ein legales Verkaufsmodell, dass sich zudem als Ziel gesetzt habe, Missbrauch zu verhindern, aussehen könne. Letztlich gehöre Drogenpolitik zu den Aufgaben des Bundes, die Freigabe von Cannabis könne also auch nur dort erstritten werden.
Rechtspolitik
Asylrecht: Nach dem Willen der Bundesregierung soll das neue Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz bereits zum Beginn des kommenden Monats in Kraft treten. Die SZ (Jan Bielecki) gibt einen Überblick über geplante Neuerungen. Politische Forderungen nach strengeren Grenzkontrollen unterzieht focus.de einer rechtlichen Prüfung.
Torsten Krauel (Welt) fordert im Leitartikel des Blattes angesichts der aktuellen und der noch zu erwartenden Situation ein Umdenken sowohl in Deutschland als auch der EU. Neue Richtlinien und Gesetze, im Bedarfsfall wieder zu ändern, würden nicht weiterhelfen. Vielmehr sei die Durchsetzung geltenden Rechts auch gegen politische Widerstände nötig. Statt eines Integrationsgesetzes etwa sei die konsequente Befolgung der Genfer Flüchtlingskonvention angezeigt. In deren Art. 2 sei festgelegt, dass Flüchtlinge im Aufnahmeland "Recht und Gesetz des Gastlandes zu beachten und zu befolgen" hätten.
Reinhard Müller (FAZ) zieht Parallelen zwischen dem Grundrecht auf Asyl und dem für Deutsche geltenden Grundrecht auf Freizügigkeit. Der beim Letzteren im Verfassungstext vorgesehene Schrankenvorbehalt sei von der Bundesregierung 1950 angesichts "vieler Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone" tatsächlich ausgeübt worden. Diese Beschränkungen hätten die Billigung des Bundesverfassungsgerichts gefunden, nach dem eine Grundrechtseinschränkung auch "volle Abweisung", sogar gegenüber politisch "Deutschen aus der SBZ" bedeuten könne. Dass eine schrankenlose Aufnahme "anarchische Züge" trage, sei auch bei der aktuellen Debatte über die Ausgestaltung des Asylrechts von Bedeutung.
Wohnraumbeschlagnahmung: Einen Überblick zur aktuellen Diskussion über die Beschlagnahmung von Wohnraum zur Unterbringung von Flüchtlingen bringt lto.de. Das Handelsblatt (Heike Anger u.a.) widmet dem Thema einen mehrseitigen Themenschwerpunkt und befragt (Heike Anger) hierbei auch Rechtsprofessor Joachim Wieland.
Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, erörtert in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt die rechtlichen Voraussetzungen hoheitlicher Zugriffe auf das Eigentumsrecht. Diese Möglichkeiten wüchsen, je stärker der soziale Bezug des Eigentumsobjekts sei. Hiervon abzukoppeln sei jedoch die Frage der politischen Zweckmäßigkeit.
Steuervermeidung: Die Industrieländerorganisation OECD hat einen 15-Punkte-Plan gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen vorgestellt, über den am kommenden Donnerstag die Finanzminister der G20-Staaten beraten wollen. Unter anderem solle es transnationalen Konzernen erschwert werden, Steuerlasten etwa über Tochtergesellschaften in Steueroasen zu verringern, so die FAZ (Manfred Schäfers) in einer ausführlichen Darstellung.
TTIP: In einem Gastbeitrag für die FAZ spricht sich Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, dafür aus, die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP als Chance zu begreifen, "faire Regeln für den Welthandel aufzustellen". Das Europäische Parlament habe mit seinem Eintreten für einen Schiedsgerichtshof bereits verdeutlicht, dass "private, intransparente und undemokratische Schiedsstellen" der Vergangenheit angehörten.
Sportwettbetrug: Auch das Handelsblatt (Heike Anger) berichtet nun zur geplanten Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von Sportwettbewerben. Ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums sieht entsprechende Änderungen des Strafgesetzbuches vor.
Justiz
EuGH – Facebook: Im Verfahren "Schrems vs. Facebook" fällt der Europäische Gerichtshof am heutigen Dienstag sein Urteil. Er wird dabei die vom vorlegenden irischen Gericht aufgeworfene Frage beantworten müssen, ob nationalen Datenschutzbehörden wegen des Safe Harbor-Abkommens der EU-Kommission mit der USA ein Einschreiten gegen datenübermittelnde Unternehmen tatsächlich nicht möglich ist. Rechtsanwältin Sylle Schreyer-Bestmann stellt für lto.de das Abkommen und mögliche Auswirkungen der Entscheidung vor.
Die SZ (Wolfgang Janisch) porträtiert Europarichter Thomas von Danwitz, der als Berichterstatter am Verfahren beteiligt ist. Als "Vertreter einer dezidiert europäischen Perspektive" sei der Kammerpräsident mitverantwortlich für die Wandlung des EuGH von einem "Hort der Marktfreiheit" hin zu einem europäischen Grundrechtegericht, die zukünftig noch für Spannungen zum deutschen Verfassungsgericht sorgen dürfte.
EuGH – Steuerberater: Nun berichtet auch das Handelsblatt (Donata Riedel) zum drohenden Verlust des Monopols deutscher Steuerberater für die Beratung in Deutschland. In der dem Europäischen Gerichtshof vom Bundesfinanzhof vorgelegten Frage hatte sich der Generalanwalt für einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit ausgesprochen. Dies stoße nun auf Kritik sowohl der Bundessteuerberaterkammer als auch der Bundesregierung.
BGH – Pressegrosso: Am heutigen Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshof zu einer Klage des Bauer-Verlags gegen den Bundesverband Pressegrosso. Erstrebt werde die Möglichkeit, "leistungsgerechte Handelsspannen" gegenüber dem Zentralverband verhandeln zu dürfen, so die SZ (Wolfgang Janisch) im Medien-Teil. In den unteren Instanzen hatte der Verlag obsiegt.
OLG München – NSU: Die SZ (Annette Ramelsberger) fasst die Erkenntnisse zu der offenbar nicht existierenden Nebenklägerin Meral Keskin im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München zusammen. Deren vormaliger Anwalt Ralph Wilms hat das Mandat, für dessen Vermittlung er angeblich eine Provision bezahlte, mittlerweile niedergelegt. Eine ausführliche Darstellung von lto.de (Pia Lorenz) befasst sich mit den standesrechtlichen Aspekten einer solchen Zahlung und legt dar, welche strafrechtlichen Konsequenzen der Fall für den Anwalt haben könnte. Nach Einschätzung des Gerichts habe die Entwicklung keine "revisionsrechtlichen Auswirkungen". Dies meldet die FAZ (Karin Truscheit, Online-Version).
Für Tanjev Schultz (SZ) handelt es sich bei der Angelegenheit "nicht etwa um eine juristische Posse – sondern um eine Schande", über der das Institut der Nebenklage in Verruf zu geraten drohe. Justiz und der Gesetzgeber seien aufgerufen, zu prüfen, ob bessere Kontrollen der Missbrauchsgefahr vorbeugen würden. Dabei dürfe aber auch nicht aus dem Blick geraten, dass etliche Nebenklage-Anwälte im NSU-Verfahren "Großartiges" leisten würden.
LG Frankfurt – Kunstfehler: Vor dem Landgericht Frankfurt/M. muss sich ein Chirurg wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen verantworten. Dem Mediziner wird vorgeworfen, sich nicht ordnungsgemäß um die Nachsorge einer Patientin gekümmert zu haben, die wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert und dabei unerkannt an der Halsschlagader verletzt wurde. jusatpublicum.com (Liz Collet) stellt den Fall dar.
LG Frankfurt – Messe: Vor dem Landgericht Frankfurt/M. streiten derzeit der Messeveranstalter Demat und die Messe Frankfurt. Verfahrensgegenständlich ist eine Kündigung der Messe Frankfurt wegen behaupteter Mietrückstände der Demat, so die Welt (Carsten Dierig). Auf Antrag der Demat hat das Gericht den Versuch der vormaligen Vermieterin, eine eigene Konkurrenzveranstaltung ins Leben zu rufen, mit einer einstweiligen Verfügung vorläufig gestoppt.
VW: Mögliche Konsequenzen der Abgas-Affäre bei VW fasst SZ (Thomas Fromm) in Frage-und-Antwort-Form zusammen. Besonderes Augenmerk verdienten Sammelklagen in den USA. Daneben seien aber auch mögliche Subventionsrückforderungen in europäischen Nachbarländern beachtlich. In Deutschland müsse sich der Konzern auf "eine Flut von Anleger-Klagen einstellen".
Fluggastrechte: bild.de erklärt anhand mehrerer Gerichtsentscheidungen, unter welchen Voraussetzungen Flugäste Entschädigungsansprüche gegen Flugveranstalter geltend machen können.
Sonstiges
Abschiebehaft: Die FAZ (Reiner Burger) stattet der zentralen Abschiebehaftanstalt Nordrhein-Westfalens in Detmold einen Besuch ab. Seit Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom Juli 2014 zur einzuhaltenden Trennung von Straf- und Abschiebehaft sei man in der ehemaligen JVA mit Umbauarbeiten beschäftigt. Die Landesregierung arbeite derweil am Entwurf eines Abschiebehaftvollzugsgesetzes, durch das die aktuellen, vorläufigen Regelungen zur Durchsetzung des Trennungsgebotes genauer gefasst werden sollen.
IT-Sicherheit: Die FAZ bringt ein mehrseitiges Verlagsspezial zum Thema IT-Sicherheit, in dessen Rahmen Rechtsprofessor Dirk Heckmann Einzelheiten des im Juli in Kraft getretenen Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) vorstellt.
Cornelius Gurlitt: Am Berliner Renaissance Theater wurde am Sonntag das Stück "Entartete Kunst. Der Fall Cornelius Gurlitt" des britischen Dramatikers Ronald Harwood aufgeführt. Bestenfalls zurückhaltende Besprechungen bringen SZ (Lothar Müller), Welt (Marcus Woeller), taz (Katrin Bettina Müller) und FAZ (Julia Voss). Letzterer Beitrag weiß zu berichten, dass das Oberlandesgericht München demnächst zur Frage Stellung nehmen muss, ob sich Gurlitt bei der Abfassung seines Testaments im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befand.
Haftung für Gäste: Wer seine Wohnung über Plattformen wie Airbnb auch unbekannten Gästen öffnet, sollte sich am besten im Voraus mit seiner Versicherung darüber absprechen, wer für eintretende Schäden haftet. Die eigene Hausratversicherung greift bei entgeltlicher Weitervermietung nicht, so die SZ (Anne-Christin Gröger). Auch die Nutzungsbedingungen des Marktführers Airbnb böten keinen ausreichenden Schutz, Ansprüche gegen die Plattform müssten zudem in Irland gerichtshängig gemacht werden.
Aussageanalyse: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für die Anwaltspraxis (ZAP) stellt Rechtsanwalt Andreas Geipel in seiner Kolumne Überlegungen zum praktischen Nutzen der Aussageanalyse an. Aufhänger sind die medial übermittelten Aussagen von Generalbundesanwalt a.D. Harald Range und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Rechtsausschuss des Bundestages zur Klärung der "netzpolitik.org-Affäre".
Erbrechtsverordnung: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt erinnert Rechtsanwalt Niels George an die seit dem 17. August in Kraft befindliche EU-Erbrechtsverordnung und die daraus erwachsende Notwendigkeit entsprechender Vorsorge.
Gerichtsreportage: sz.de (Hans Holzhaider) entwirft einen Abriss zum Genre der Gerichtsreportage. Neben Nennung herausragender Vertreter dieser Gattung des Journalismus geht der erste überregionale Gerichtsreporter des Blattes auch auf aktuelle, durch eine veränderte Medienlandschaft geprägte Probleme ein.
Das Letzte zum Schluss
Sitzstreik: Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hatte im Mai zu einer Kündigungsschutzklage mit ungewöhnlichem Sachverhalt zu entscheiden. Wie beck.blog.de (Christian Rolfs) schreibt, wollte die Klägerin eine Beförderung mit einem Sitzstreik im Büro ihres Vorgesetzten erreichen. Nach mehreren Stunden und einer mündlich ausgesprochenen Abmahnung konnte sie erst die herbeigerufene Polizei zum Verlassen von Büro und Betriebsgelände bewegen. Nachdem sie am Folgetag einen Rundbrief mit ihrer Darstellung des Geschehens an zahlreiche Mitarbeiter versandte, erhielt sie die Kündigung. Zumindest in der hilfsweisen Variante einer ordentlichen Kündigung war diese nach Ansicht des Gerichts wirksam, denn "das Vertrauensverhältnis war durch das hartnäckige Verhalten der Klägerin nachhaltig und unwiederbringlich zerstört".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. Oktober 2015: Keine Coffeeshops in Kreuzberg - Papier zur Wohnraumbeschlagnahmung - Ärger für NSU-Nebenklägeranwalt . In: Legal Tribune Online, 06.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17107/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag