Auch mit der europäischen Menschenrechtskonvention können die Briten nicht mehr viel anfangen. Nach der nächsten Wahl 2015 wollen die britischen Konservativen aussteigen. Außerdem in der Presseschau: Rechtsprofessor Kreß kritisiert Gesetzgebung durch den UN-Sicherheitsrat, Amtseinführung von BGH-Präsidentin Limperg, bald Prozesbeginn wegen Mord an kroatischem Exilanten, Hilfe des BND für die NSA - und was die Folge einer Mahnung in Reimform war.
Thema des Tages
Großbritannien und der EGMR: Die britischen Konservativen wollen, dass Großbritannien sich nicht mehr an Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte halten muss. Die Straßburger Urteile sollen nur noch als unverbindliche Empfehlungen betrachtet werden. Das kündigte Justizminister Chris Grayling laut zeit.de an. Britische Gerichte sollen sich an einer noch zu schaffenden britischen Bill of Rights orientieren. Die Pläne sollen erst nach einem Wahlsieg 2015 realisiert werden, da der aktuelle Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, deutlich europafreundlicher sind.
Rechtspolitik
UN-Resolution zur Terrorbekämpfung: Rechtsprofessor Claus Kreß kritisiert im Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp) die Resolution des UN-Sicherheitsrats zur Terrorbekämpfung: "Der Sicherheitsrat, in dem 15 Staaten sitzen, schwingt sich hier zum Weltgesetzgeber auf - eine Rolle, die ihm im System der Uno so eigentlich nicht zukommt." Die Resolution zwinge Deutschland zu problematischen Nachbesserungen des Strafrechts, insbesondere wenn eine Ausbildung in einem Terrorcamp ohne festen Anschlags-Entschluss absolviert wird. Dabei gehe man "ganz hart an die Grenzen, die unser Grundgesetz dem Strafrecht setzt - oder schon darüber hinaus."
Asylverfahren: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) fordert im Interview mit der Samstags-SZ (Heribert Prantl) ein "sehr beschleunigtes Asylverfahren für Menschen aus den extrem unsicheren Herkunftsländern – für die Flüchtlinge aus Syrien oder dem Nordirak zum Beispiel". Er sieht dies als Gegenstück zur Einstufung der Westbalkanländer als sichere Herkunftsstaaten, die er befürwortet hatte.
Justiz
BGH-Präsidentin Limperg: Mit einem Festakt wurde Bettina Limperg, die neue Präsidentin des Bundesgerichtshofs, in ihr Amt eingeführt. In ihrer Rede kritisierte sie die private Paralleljustiz durch Schiedsgerichte. Justizminister Heiko Maas (SPD) verlor in seiner Rede kein Wort über die jüngsten Konflikte am BGH, meldet lto.de (Pia Lorenz). Ausführlich schildert aber die Montags-Welt (Hannolore Crolly) den Streit zwischen dem alten BGH-Präsidenten Klaus Tolksdorf und dem Richter Thomas Fischer über dessen Ernennung zum Vorsitzenden des 2. Strafsenats. Limperg müsse als "Trümmerfrau" nun die Scherben wegräumen.
EuGH zum Passrecht: Der Geburtsname muss künftig in deutschen Pässen so dargestellt werden, dass dies im Ausland nicht zu Missverständnissen über den aktuellen Nachnamen führen kann. Das entschied der Europäische Gerichtshof laut lto.de. Die Montags-FAZ (Carsten Germis) beschreibt an Beispielen aus Japan die praktischen Probleme, die entstehen können, wenn Behörden einfach den scheinbaren Namen (inklusive "geb." und Geburtsnamen) aus dem Pass übernehmen.
BVerfG zur Meinungsfreiheit: Das Bundesverfassungsgericht beanstandete die Verurteilung eines Mannes wegen Beleidigung, der in einer Dienstaufsichtsbeschwerde die Bestrafung einer Richterin gefordert hatte, damit sie "nicht auf eine schiefe Bahn gerät." Karlsruhe sah darin noch keine Schmähkritik, weil die Auseinandersetzung in der Sache noch im Vordergrund stehe, meldet internet-law.de (Thomas Stadler).
BVerwG zur Pressefreiheit: Anwalt Martin W. Huff bespricht auf lto.de ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Danach dürfen Gerichte, wenn sie Urteile an Journalisten herausgeben, nicht die Namen der Richter, Schöffen, Staatsanwälte und Verteidiger schwärzen. Nur der Name der Urkundsbeamten darf anonymisiert werden. Huff leitet aus der Entscheidung auch den Anspruch auf Übersendung des Urteils ab, eine mündliche Auskunft durch die Pressestelle des Gerichts genüge nicht.
BVerwG - Elbvertiefung: Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren um die Vertiefung der Unterelbe zwischen Nordsee und Hamburger Hafen ausgesetzt, bis der EuGH in einem Parallelverfahren wasserrechtliche Grundsatzfragen geklärt hat. Als Ergebnis der fünftägigen Anhörung haben die Richter einige naturschutzrechtliche Kritik an der Planfeststellung geäußert. Die Mängel seien aber heilbar. Den Beschluss erläutert taz.de (Christian Rath).
LG Dortmund zum Totschlag durch Hebamme: Das Landgericht Dortmund hat eine freiberufliche Hebamme zu sechs Jahren und neun Monaten Haft wegen Totschlags durch Unterlassen plus lebenslangem Berufsverbot verurteilt. Die Hebamme habe bei einer Risikoschwangerschaft trotz zahlreicher Indizien für eine Gefahr darauf verzichtet, die Mutter ins Krankenhaus zu bringen, weshalb das Kind starb. Die Geburtshelferin habe ihre Ideologie, dass Hausgeburten besser sind, rücksichtlos durchsetzen wollen. Der Spiegel (Beate Lakotta) schildert ausführlich den Prozess und die "verstörende" Solidarität, die die Angeklagte bei Berufskolleginnen fand.
LG Berlin zum Mord an einem Steuerberater: Das Landgericht Berlin verurteilte den damals 16-jährigen Sohn eines Steuerberaters wegen Mordes an seinem Vater zu einer achtjährigen Jugendstrafe. Der Sohn wurde aufgrund von Indizien überführt, das Motiv habe wohl mit der vom Vater betriebenen Scheidung der Eltern zu tun, berichtet der Samstags-Tagesspiegel (Kerstin Gehrke).
AG Bonn zu Mietrecht und Geruch: Das Amtsgericht hat der Räumungsklage einer Vermieterin stattgegeben, die einem 83-jährigen Mieter gekündigt hatte. Grund war die Geruchsbelästigung der übrigen Hausbewohner durch einen süßen, modrigen Geruch, der durch eine Mischung aus Pferdesalbe, altem Schuhputzzeug und Reinigungsmitteln entstand. Wegen seines Alters erhielt der Mann eine Räumungsfrist von einem Jahr, meldet spiegel.de.
OLG München - Mord an kroatischem Exilant: Am 17. Oktober beginnt am Oberlandesgericht München der Prozess gegen zwei hochrangige kroatische Geheimdienstler. Sie sollen 1983 den Mord an dem kroatischen Exilanten Stjepan Durekovic in Auftrag gegeben haben. Die Montags-SZ (Frederik Obermaier/Philipp Grüll) schildern in einer Seite-3-Reportage die Konflikte der Zeit, die Mordserie an kroatischen Exilanten und die Ermittlungen, die nun doch noch zu einem Prozess führten.
LG Hamburg - Suizidhilfe und Totschlag: Roger Kusch, der Vorsitzende des Vereins "Sterbehilfe Deutschland" und ehemaliger Hamburger Justizsenator, ist wegen Totschlags angeklagt, die Anklage ist aber noch nicht zugelassen. Kusch soll den Tod zweier Frauen verursacht haben, indem er sie nicht über Alternativen zum Selbstmord aufklärte und entgegen der Satzung des Vereins nicht auf einer "hoffnungslosen Diagnose" bestand. Ziel sei gewesen, einen Musterfall zur Frage zu schaffen, ob während einer Selbstötung die Tatherrschaft auf den anwesenden Suizidhelfer übergeht, weshalb dieser sich strafbar mache. Die Samstags-SZ (Marc Widmann/Ralf Wiegand) schildert den Fall und die Hintergründe Kuschs in einer Seite 3-Reportage.
Prozesse um Studienplätze: Die Montags-SZ (Yannik Buhl) beschreibt, wie zahlreiche Universitäten in den letzten Jahren dazu übergingen, Prozesse um die Zulassung zu Studienplätzen und die Kapazität der Hochschule nicht mehr von ihren Justiziariaten führen zu lassen, sondern von speziellen Anwaltskanzleien. Dies habe dazu geführt, dass viel weniger Prozesse verloren werden und die Universitäten deshalb weniger neue Studienplätze einrichten müssen.
Recht in der Welt
Türkei - Internetkontrolle: Auf Klage der Oppositionspartei CHP hat das türkische Verfassungsgericht ein neues Gesetz zur Internetkontrolle aufgehoben, meldet spiegel.de. Die türkische Telekombehörde darf keine Informationen über die Surfgewohnheiten der Bevölkerung mehr sammeln. Außerdem können Webseiten nicht mehr so einfach ohne Gerichtsbeschluss gesperrt werden.
USA - Reproduktionsmedizin: Eine weiße lesbische Frau hatte ein farbiges Baby geboren, weil die Samenbank Sperma-Spenden vertauscht hatte. Die Frau und ihre Partnerin verklagen jetzt die Samenbank auf Schadensersatz, denn es sei Stress in einer intoleranten Gesellschaft als Weiße ein schwarzes Kind groß zu ziehen, berichtete bild.de.
Sonstiges
BND hilft NSA: Der Bundesnachrichtendienst hat von 2004 bis 2008 Rohdaten aus der strategischen Fernmeldeüberwachung an den US-Geheimdienst NSA übermittelt. Zwar wurde versucht, die Daten von Deutschen vor der Übermittlung herauszufiltern, jedoch war der Filter nicht leistungsfähig genug, berichtet die Samstags-SZ (Georg Mascolo/Hans Leyendecker/John Goetz). In der Montags-taz (Christian Rath) kommt ergänzend Bertold Huber, der stellvertretende Vorsitzende der G-10-Kommission des Bundestags zu Wort. Er hält die Weitergabe der Daten unabhängig von der Funktionsfähigkeit des Filters für rechtswidrig, weil keine gesetzliche Grundlage besteht.
Heribert Prantl (Samstags-SZ) hält das G-10-Gesetz, das den Geheimdiensten bestimmte Formen der Telekommunikations- und Postkontrolle erlaubt, für verfassungswidrig, weil sich laufend zeige, "dass die von der Verfassung gebotene rechtsstaatliche Kontrolle praktisch nicht existiert". Christian Rath (Montags-taz) erinnert an die politische Verantwortlicheit des damaligen Kanzleramts-Chefs Frank-Walter Steinmeier (SPD).
Das Letzte zum Schluss
Justiz in Reimform: Nachdem ein Makler den säumigen Käufer einer Wohnung wegen des noch ausstehenden Maklerlohns in Reimform abgemahnt hat, landet der Streit vor Gericht. Das Landgericht verurteilt den abwesenden Kläger nun auch in Reimform, um damit der "bisherigen Verfahrenssprache" treu zu bleiben, wie justillon.de (Stefan Maier) feinsinnig formuliert. Das dargestellt Urteil stammt allerdings schon von 1982.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. bis 6. Oktober 2014: Briten wollen unverbindlichen EGMR – UN-Sicherheitsrat als Weltgesetzgeber – BND hilft NSA . In: Legal Tribune Online, 06.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13392/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
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