Vor drei Jahren starben die männlichen Mitglieder des NSU-Trios. Wie steht es mit der Aufklärung der Taten der Terrorgruppe? Außerdem in der Presseschau: Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten, Unterstützung für Madeleine Schickedanz, DDR-Vermögen in der Schweiz und Aus für Geschwindigkeitsbegrenzung.
Thema des Tages
NSU: Vor exakt drei Jahren markierte der Selbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in einem Campingwagen in Eisenach das Ende des terroristischen Wirken des NSU. Aus diesem Anlass fasst die FAZ in insgesamt neun Kurz-Beiträgen offene Fragen und "Merkwürdigkeiten" zu den Taten der Gruppe zusammen. So beschreiben etwa Helene Bubrowski die Strategie der Verteidiger von Beate Zschäpe und Katrin Truscheit die Bewertung der gerichtlichen Aufklärung durch Opferangehörige. Eckart Lohse zählt demgegenüber Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen auf, die sich auch nach Abschluss des Untersuchungsausschusses zur Klärung neu auftretender Fragen treffen. Für Clemens Binninger (CDU) etwa sei noch immer offen, ob der NSU tatsächlich nur aus drei Personen bestanden habe.
Auch die taz (Andreas Speit) bringt eine längere Analyse, in der eine bei den Sicherheitsbehörden unterschiedslos verwendete Extremismustheorie für das Versagen der Ermittlungsbehörden verantwortlich gemacht wird. Dieser analytische Ansatz habe die rechtzeitige Wahrnehmung eines Terrorismus von rechts verhindert. Auch im jetzigen Verfahren vor dem Oberlandesgericht München würden entsprechende Nachfragen von Nebenklagevertretern, etwa zu Unterstützungshandlungen des Netzwerks "Blood & Honour" von der Bundesanwaltschaft immer wieder behindert.
Der Prozess in München wird am heutigen Dienstag mit der Vernehmung des früheren V-Manns "Piato" fortgesetzt. Spiegel.de (Björn Hengst) schreibt über die schillernde Vergangenheit des wegen versuchten Mordes Verurteilten, der bereits kurz nach dem Untertauchen des Trios Hinweise auf dessen Verbleib gegeben haben soll. Ein weiterer Beitrag von spiegel.de (Jörg Diehl) fasst Erkenntnisse und Verschwörungstheorien zur Tötung der Polizistin Michele Kiesewetter zusammen.
Rechtspolitik
Bundespräsident: Mehrere Kommentare befassen sich mit der Frage der Zulässigkeit der jüngsten Äußerungen von Bundespräsident Joachim Gauck zu einer von der Linken angeführten Landesregierung in Thüringen. Während Gauck nach Ludwig Greven (zeit.de) in Wahrnehmung seines Amtes "geradezu die Pflicht" habe, politische Debatten anzustoßen, ist es nach Christian Bommarius (berliner-zeitung.de) "ein Fehler, möglicherweise gravierend, in jedem Fall ärgerlich", wenn das Staatsoberhaupt sich in den Parteienkampf stürze.
Ersatzpersonalausweis: Sogenannte Terror-Touristen sollen nach Plänen der Bundesregierung bei Verdacht einer Ausreise mit einem Ersatzpersonalausweis ausgestattet werden. Für lto.de gelangt Rechtsprofessor Gerrit Hornung zu der Einschätzung, dass wegen der Funktion des Ausweises als Legitimationspapier auch im privaten Bereich für Betroffene ein Stigmatisierungseffekt eintreten könne. Verfassungsrechtlich könne dieser nur bei strengen Voraussetzungen gerechtfertigt werden.
Frauenquote: Das Handelsblatt-Rechtsboard (Ulrich Noack) berichtet über ein von der Stiftung Familienunternehmen vorgelegtes Gutachten des Rechtsprofessors Kay Windthorst, nach dem die geplante Frauenquote in ihrer starren Ausgestaltung unangemessen sei und gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen könne.
PKW-Maut: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat nach einer Meldung von lto.de auf strikten datenschutzrechtlichen Vorgaben bei der geplanten PKW-Maut bestanden. Demgegenüber hält der schleswig-holsteinische Datenschützer Thilo Weichert nach dem Bericht der taz (Svenja Bergt) das Vorhaben für eine "klassische Vorratsdatenspeicherung". Sollten die Pläne umgesetzt werden, würde nach den Worten des Leiters des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein "anonymes Fahren" nicht mehr möglich sein.
Tarifeinheit: Das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) berichtet über Kritik an dem von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf zur Tarifeinheit. Kleinere Gewerkschaften sähen durch das Vorhaben das Streikrecht verletzt und hätten daher bereits den Gang vor das Bundesverfassungsgericht angekündigt.
Bürokratieabbau: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) beabsichtigt eine "Anti-Bürokratie-Offensive", durch die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessert werden sollen. Nach dem der FAZ (Henrike Roßbach) vorliegenden Papier bestünden etwa im Steuer- und Bilanzrecht Entlastungspotenziale. Hier sollten Umsatz- und Gewinngrenzen, ab denen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten bestehen, angehoben werden.
Justiz
EuGH – Tabakrichtlinie: Ein britisches Gericht hat nach Darstellung von spiegel.de (Claus Hecking) eine Klage des Zigarettenherstellers Philip Morris gegen die EU-Tabakrichtlinie für zulässig erklärt und damit den Weg für eine umfassende Prüfung durch den Europäischen Gerichtshofs bereitet. Das Unternehmen bemängele vor allem die nach der Richtlinie spätestens 2017 geplante Einführung einer Einheitsverpackung für Zigaretten. Hierdurch würden "ernsthafte Fragen über die freie Verbraucherwahl, den freien Warenverkehr und Wettbewerb" aufgeworfen, zitiert der Bericht einen Firmenvertreter.
VerfGH Bayern - Labor-Affäre: Seit Mitte des Jahres befasst sich ein Untersuchungsausschuss in Bayern mit der Aufklärung der sogenannten Labor-Affäre, bei der tausende Ärzte betrügerisch Laborleistungen abgerechnet haben sollen und die ermittelnde Staatsanwaltschaft nahezu alle Verfahren sehenden Auges verjähren ließ. Einem Mitglied des Ausschusses gegenüber soll sich nach Darstellung des Handelsblatts (Sönke Iwersen/Jan Keuchel) nun Karl Huber, Vorsitzender des bayerischen Verfassungsgerichtshofes, abfällig über zwei Zeugen geäußert haben, denen von ihrer Behörde weitere Ermittlungen in der Sache untersagt wurden. Der mutmaßliche Vorgang erhält durch den Umstand Brisanz, dass Verfassungsrichter Huber demnächst über eine Verfassungsbeschwerde des Laborbetreibers gegen den Ausschuss zu entscheiden hat. Ein Befangenheitsantrag gegen Richter Huber sei anhängig. Dieser stütze sich auf das frühere Amt des Richters. Als Generalstaatsanwalt soll er aufsichtsrechtlich die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen den damaligen Laborbetreiber mitverantwortet haben.
LG Köln – Madeleine Schickedanz: Der Schadensersatz-Prozess der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz wurde vor dem Landgericht Köln mit der Vernehmung des früheren Arcandor-Vorstandsvorsitzenden Thomas Middelhoff fortgesetzt. Übereinstimmend berichten SZ (Uwe Ritzer) und Welt (Carsten Dierig), dass der Zeuge dabei die Behauptung der Klägerin, sie sei 2005 unter anderem von der beklagten Bank Sal. Oppenheim dazu gedrängt worden, ihre Anteile am Karstadt-Konzern zu erhöhen, weitgehend gestützt habe. Schickedanz sei bei der Vereinbarung die Rolle einer "Strohfrau" zugewiesen worden.
LG Berlin – Rocker: Wegen gemeinschaftlichen Mordes müssen sich ab dem heutigen Dienstag insgesamt elf Angeklagte vor dem Landgericht Berlin verantworten. Spiegel.de (Thomas Heise/Claas Meyer-Heuer) bringt einen längeren Bericht zur Tat, die "in ihrer Brutalität selbst für Berlins Kriminalgeschichte ziemlich eigenartig ist" und den Beteiligten, von denen die meisten dem Rocker-Milieu der Hauptstadt angehören.
AG Laufen – Kollegah: Vor dem Amtsgericht Laufen muss sich Felix Blume, bekannter unter dem Rapper-Pseudonym Kollegah und im Zivilleben Jurastudent, wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verantworten. Über den Prozessauftakt berichtet die SZ (Heiner Effern).
AG München zu NS-Devotionalien: In einem Hintergrundbericht zum Diebstahl des Eingangsgitters des Konzentrationslagers Dachau beschreibt die SZ (Tanjev Schultz) den nach wie vor schwunghaften Handel mit nationalsozialistischen Devotionalien. Vor kurzem wurde ein Mann wegen des Verwendens von Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen vom Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, nachdem er unter anderem eine Büste von Adolf Hitler auf einem Flohmarkt angeboten habe.
StA Köln – Sarasin: Nach Bericht der SZ (Klaus Ott) hat die Kölner Staatsanwaltschaft den mutmaßlichen Erpresser der Schweizer Privatbank Sarasin im letzten Monat in Untersuchungshaft gesetzt. Der Mann habe gedroht, seine Kenntnis von illegalen Aktiengeschäften den Behörden zu offenbaren. Die Ermittlungen gegen Bank-Manager wegen dieser Geschäfte liefen weiter.
Uli Hoeneß/Urteilsveröffentlichungen: Die nun doch erfolgte Veröffentlichung des Urteils des Landgerichts München II in der Steuerstrafsache Uli Hoeneß ist auch Thema einer Besprechung von lto.de (Martin W. Huff). Der Autor vertritt die Ansicht, das Gesetzeslage und Rechtsprechung speziell des Bundesverwaltungsgerichts journalistische Auskunftsrechte soweit stärken, dass zumindest bei einer Medienanfrage ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht. Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten ließen sich demgegenüber – wie auch bei Hoeneß – durch Anonymisierung wahren.
Recht in der Welt
Schweiz – DDR-Vermögen: In zwei Beiträgen im Wirtschafts-Teil befasst sich die SZ (Steffen Uhlmann) mit der wirtschaftlichen Hinterlassenschaft der DDR. Ein Artikel beleuchtet die Tätigkeit der Treuhand-Nachfolgegesellschaft Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), die unter anderem in der Schweiz nach verschwundenem DDR-Staatsvermögen fahndet. Im vergangenen Jahr endete dort ein gegen die Bank Austria geführter Rechtsstreit erfolgreich, die beklagte Bank musste der deutschen Staatskasse 254 Millionen Euro erstatten.
Philippinen/USA – Strafgerichtsbarkeit: In einer längeren Reportage berichtet die FAZ (Till Fähnders) über einen aufsehenerregenden Mordfall im philippinischen Rotlichtmilieu. Ein dort stationierter US-amerikanischer Soldat soll eine Transsexuelle getötet haben, philippinische Ermittler hätten aber bislang keinen Zugriff auf den Verdächtigen erhalten. Nach Bestimmungen eines erst kürzlich abgeschlossenen Militär-Abkommens unterliegen amerikanische Soldaten zwar der Landesgerichtsbarkeit, können aber auf eigenen Wunsch "bis zur Beendigung des gesamten juristischen Prozesses" unter Aufsicht ihrer Streitkräfte verbleiben. Kritiker, unter ihnen der deutsche Lebensgefährte des Opfers, befürchteten nun, dass sich der mutmaßliche Täter einer Bestrafung entziehen werde.
Namibia – Zwangssterilisation: Drei HIV-positiven Frauen, die unmittelbar vor ihren Entbindungen zu Zwangssterilisationen gezwungen wurden, hat der Oberste Gerichtshof in Namibia nun erstmals wegen Verletzung ihrer Persönlichkeits- und Menschenrechte einen Schadensersatz zuerkannt. Dies meldet zeit.de.
Sonstiges
Mindestlohn: Über branchenübergreifende Versuche von Arbeitgebern, den ab dem kommenden Jahr geltenden Mindestlohn zu umgehen, berichtet die SZ (Thomas Öchsner). Offenbar können die betroffenen Arbeitgeber sich hierbei auch auf kompetenten Rat verlassen. So werbe ein namentlich ungenannter Fachanwalt für Arbeitsrecht in seinem Online-Auftritt für "Strategien zur Umgehung des Mindestlohngesetzes 2015".
Asylbewerber: Nach einem Bericht von bild.de (Dirk Hoeren) haben Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in einer Stellungnahme für eine Anhörung im Sozialausschuss des Bundestages eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012 für den "sprunghaften" Anstieg von Asylbewerbern aus dem West-Balkan verantwortlich gemacht. Das Gericht hatte damals entschieden, dass Leistungssätze für Bewerber zu gering seien.
Das Letzte zum Schluss
Ausgeblitzt: Viele Autofahrer beklagen, dass zahlreiche Tempobegrenzungen weniger der Verkehrslenkung als der finanziellen Bilanz der jeweiligen Kommune dienen. Wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet, hat sich ein Betroffener vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf zwar nicht mit dieser Argumentation durchgesetzt, aber dennoch für die Abschaltung eines besonders berüchtigten Blitzers gesorgt. Der Mann hatte moniert, dass die Stadt Düsseldorf die Absenkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf einer vielbefahrenen Autobahnbrücke in der Stadt auch nach Beendigung von Bauarbeiten einschließlich der extra installierten Blitzersäulen beibehielt. Weil für die Geschwindigkeitsbegrenzung auch nach Ansicht des Gerichts kein sachlicher Grund mehr bestanden habe, wurde das Tempolimit nun kassiert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. November 2014: Drei Jahre NSU-Aufklärung – Befangenheit in Labor-Affäre – Middelhoff stützt Schickedanz . In: Legal Tribune Online, 04.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13691/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag