Der EGMR hat die Klage einer Toten wegen Missbrauchs abgewiesen. Außerdem in der Presseschau: Der Soli kann auch nach 2019 verfassungskonform erhalten werden, Linke will vor dem BVerfG die Oppositionsrechte stärken, Mützenpflicht nur für Männer verstößt gegen betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und an wen man sich zur Erweiterung seiner Pornosammlung wenden sollte.
Thema des Tages
Den EGMR missbraucht? Eine Schweizerin wollte sterben, sie war zwar gesund, aber altersschwach. Man wollte ihr das tödliche Medikament nicht geben und sie klagte sich durch alle Instanzen. Anschließend zog sie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Nach der Kammerentscheidung der ersten Instanz waren die schweizerischen Regeln zur Sterbehilfe zu unklar, hatten der Klägerin seelische Not verursacht und ihr Recht auf Privatleben verletzt. Erst als die Schweiz in die zweite Instanz ging, wurde bekannt, dass die Klägerin bereits kurz nach Klageerhebung verstorben war. Sie hatte es wohl so eingerichtet, dass ihr Rechtsanwalt nur Kontakt zu einem Seelsorger und keine Kenntnis vom Tod seiner Mandantin hatte, um das Verfahren weiterlaufen zu lassen. Der EGMR entschied daraufhin, dass das Verfahren wegen Missbrauchs unzulässig sei und wies die Klage ab, berichten SZ (Wolfgang Janisch) und spiegel.de (ulz). Aber mit nur neun zu acht Stimmen fiel die Entscheidung denkbar knapp aus.
Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) setzt sich mit der Entscheidung und den abweichenden Voten auseinander. Danach sei Missbrauch nur bei Verschwendung von Gerichtsressourcen anzunehmen, welche jedoch nicht vorliege angesichts der weiterhin realen und dringlichen Menschenrechtsprobleme der Sterbehilfe in der Schweiz. Steinbeis weist auch auf die politische und rechtsgestaltende Rolle des Gerichts hin, der es mit dieser Entscheidung nicht gerecht geworden sei.
Rechtspolitik
Erstausbildung im Steuerrecht: Nach einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung bedarf eine Erstausbildung einer formalen Regelung, muss mindestens 18 Monate dauern und selbst bezahlt werden. Rechtsprofessor Dennis Klein stellt auf lto.de den Entwurf vor und erklärt die Auseinandersetzung zwischen Bundesfinanzhof und Gesetzgeber zur steuerlichen Einordnung von Erst- und Zweitausbildung, die Anlass für den Entwurf ist. So habe sich der Gesetzgeber zunächst damit durchgesetzt, dass die Erstausbildung steuerlich später nicht absetzbar ist, die Zweitausbildung aber schon. Jedoch genügt es nach der Rechtsprechung des BFH, einen Yogalehrerkurs vor dem teuren Jurastudium zu machen, um dieses in den ersten Berufsjahren als Werbungskosten absetzen zu können. Das will die Bundesregierung nun verhindern.
Soli nach 2019: Nach einem Rechtsgutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages verliert der Solidaritätszuschlag nicht zwingend mit Auslaufen des Solidarpakt II seine Legitimation, wie die SZ (Claus Hulverscheidt) schreibt. Sollte auch nach 2019 Aufbaubedarf bestehen, könne die Abgabe unverändert weiter eingefordert werden. Andernfalls bedürfe es lediglich einer Umwidmung für neue Finanzierungsaufgaben. Auch auf das Argument der Schuldenlast des Bundes aufgrund der Wiedervereinigung wird Bezug genommen, jedoch gelte dies nur, wenn der Anteil wiedervereinigungsbedingter Lasten an der Staatsschuld bezifferbar sei und ein Tilgungsplan erstellt werde.
Managerhaftung nicht entschärfen: Laut FAZ (Joachim Jahn) wenden sich die Rechtswissenschaftler Marcus Lutter und Walter Bayer gegen den Vorschlag des Deutschen Juristentages, die Managerhaftung zu entschärfen. Bei Beschränkung auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz sei ein Nachweis noch schwieriger zu führen und damit blieben zu viele Haftungsfälle ungeahndet. Auch eine Änderung der Beweislast lehnen sie ab, sie trage dem überlegenen Wissen der Vorstände um das Geschehene Rechnung. Der Gegenvorschlag der Wissenschaftler: Eine Haftungsobergrenze einführen und der verbleibenden Haftung die Deckung durch die Berufshaftpflichtversicherung versagen.
Karenzzeit: Der Fall Daniel Bahr hat die Diskussion um die Karenzzeit wieder entfacht. Auf den Gesetzesentwurf wird laut zeit.de (Katharina Schuler) weiter gewartet. Eine längere Wartefrist als ein Jahr wird wohl nicht zu erwarten sein, obwohl in zwei Bundesländern bereits längere Fristen bestehen und auch EU-Kommissare 18 Monate warten müssen. Thomas Sigmund (Handelsblatt) spricht sich für eine baldige Regelung aus, um dem Vorurteil, ein solcher Wechsel sei prinzipiell etwas Anrüchiges, entgegen zu wirken. Er weist auch auf den Corporate Governance Kodex hin, wonach beim Wechsel von Vorstand zu Aufsichtsrat eine zweijährige Wartezeit vorgesehen sei.
Flüchtlingsschutz als Gemeinschaftsaufgabe: Zur deutschen Flüchtlingspolitik meint Heribert Prantl (SZ), sie sei "auch deswegen ein Fiasko, weil es eine gemeinsame Flüchtlingspolitik nicht gibt". Auf Bundesebene werde sich auf die Abwehr konzentriert und das Abwälzen der Schutzaufgabe auf die Länder und Gemeinden. Flüchtlingsschutz müsse jedoch eine grundgesetzliche "Gemeinschaftsaufgabe" sein: "Man plant gemeinsam, finanziert gemeinsam und trägt miteinander Verantwortung".
Investitionsschutz: Dorothea Siems (Welt) geht mit der ablehnenden Haltung des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) gegenüber den Investitionsschutzklauseln im TTIP ins Gericht. Dabei weist sie auch darauf hin, dass Umwelt- und Verbraucherschutzregeln durch die Klauseln gar nicht gefährdet seien, da gegen solche Bereiche gar nicht vor Schiedsgerichten geklagt werden dürfe.
Suizidhilfe: Eine Gruppe aus den SPD-Fraktionsvizes Carola Reimann und Karl Lauterbach, dem SPD-Rechtspolitiker Burkhard Lischka sowie Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) hat laut Welt (Matthias Kamann) einen Entwurf zur Regelung der Sterbehilfe gefertigt. Er weicht im Wesentlichen nur darin von dem der Ethiker-Gruppe um Jochen Taupitz ab, dass die Ausnahme für legale Suizidhilfe durch Ärzte im Bürgerlichen Gesetzbuch und nicht im Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll.
Justiz
BVerfG – Oppositionsrechte: Mit einer am Dienstag dem Bundesverfassungsgericht zugestellten Klage will die Linkspartei eine Stärkung der Oppositionsrechte erreichen, meldet spiegel.de. Insbesondere soll das erforderliche Quorum von 25 Prozent des Bundestages für einen Normenkontrollantrag dahingehend geändert werden, dass unabhängig von der Größe die nicht der Regierung angehörenden Fraktionen ausreichen.
BAG zu Gleichbehandlung: Die Lufthansa darf nicht ausschließlich ihre männlichen Piloten verpflichten, während der Arbeit eine "Cockpit-Mütze" zu tragen. Das verstoße gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, entschied das Bundesarbeitsgericht laut lawblog.de (Udo Vetter) und taz (Christian Rath). Ob auch eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vorlag, ließ das Gericht offen.
BGH zu Speers E-Mails: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es dem Springer Konzern wegen überwiegenden öffentlichen Interesses nicht versagt werden durfte, private E-Mails des ehemaligen brandenburgischen Innenministers Rainer Speer (SPD) zu zitieren, meldet internet-law.de (Thomas Stadler). Speer hatte für seine außereheliche Tochter keinen Unterhalt gezahlt, die Mutter hatte ihn pflichtwidrig nicht als Vater angegeben und so musste die Staatskasse für den Unterhalt aufkommen.
BVerfG – Altersvorsorge von Syndikusanwälten: Gegen zwei der drei Entscheidungen des Bundessozialgerichts, mit welchen Syndikusanwälten die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht versagt wurde, haben zwei Anwaltskanzleien Verfassungsbeschwerde eingereicht, meldet die FAZ.
BGH – Gaspreiserhöhung: Mit der Frage, ob ein Energieversorger ohne entsprechende Vertragsklausel Gaspreise erhöhen darf, beschäftigt sich laut FAZ seit vergangener Woche der Bundesgerichtshof. Die Entscheidung könnte Grundsatzqualität haben und soll am 3. Dezember verkündet werden.
FG Rheinland-Pfalz zu Gewerbesteuer: Fußballschiedsrichter müssen auf ihre Aufwandsentschädigung keine Gewerbesteuer zahlen, entschied das Finanzgericht Reinland-Pfalz laut lto.de am 18. Juli. Die dafür vorausgesetzte Tätigkeit am Markt liege nicht vor, da die von den Fußballverbänden für ihre Tätigkeit ausgewählten Unparteiischen keine im Wettbewerb stehenden Abnehmer hätten, um diesen ihre Leistung anzubieten. Auch könnten sie nicht, wie am Markt üblich, ihre Aufwandsentschädigung aushandeln.
OLG München – NSU-Prozess: Bei ihrer Vernehmung am Dienstag konnten sich die zwei V-Mann-Führer von Tino Brandt an nichts erinnern, was nicht bereits erwiesen war, berichtet die taz (Andreas Speit). spiegel.de (Gisela Friedrichsen) geht insgesamt auf die Rolle Brandts und die Aussagen der V-Mann-Führer in diesem Zusammenhang ein.
LG Frankfurt zu psychiatrischem Gutachten: Vier hessische Steuerfahnder hatten wiederholt auf Missstände aufmerksam gemacht und waren ihrem Dienstherrn lästig geworden. In einem psychiatrischen Gutachten erklärte ein Sachverständiger die Fahnder für paranoid querulatorisch, bescheinigte ihnen Realitätsverlust und damit die Dienstunfähigkeit. Das Landgericht Frankfurt/Main hat hat den Gutachter nun zu 200.000 Euro Schadensersatz für drei der ehemaligen Steuerfahnder verurteilt, berichtet spiegel.de (Matthias Bartsch).
VGH Baden-Württemberg-Urteil ignoriert: Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatte entschieden, dass die Landesregierung Sicherungskopien von E-Mails des ehemaligen Landeschefs Stefan Mappus (CDU) löschen muss oder dem Landesarchiv übergeben. Nun forderte der Untersuchungsausschuss zum "Schwarzen Donnerstag" die E-Mails an und die Landesregierung hat laut SZ beschlossen die Löschungsanordnung vorerst zu ignorieren. Josef Kelnberger (SZ) sieht eine politische Motivation darin, dass der Widerstand gegen Stuttgart 21 der Regierung zum Wahlsieg verholfen habe.
Recht in der Welt
Abkommen mit Afghanistan: Die afghanische Regierung hat nun die Sicherheitsabkommen mit den USA und der Nato unterschrieben. Damit ist der Weg freigemacht für einen über den Jahreswechsel hinaus andauernden Militäreinsatz, welcher unter die Bedingung gestellt war, dass ausländische Soldaten Immunität vor der afghanischen Rechtsprechung genießen. Nach den Abkommen sollen sie nun in ihren Heimatländern vor Gericht gestellt werden, meldet die FAZ (ausführlicher online).
Sonstiges
Besonderes elektronisches Anwaltspostfach: Ab dem 1. Januar 2016 müssen Rechtsanwälte ihren Postzugang über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) sicherstellen. Der Auftrag der Bundesrechtsanwaltskammer zur Realisierung des beA ging nun laut lto.de an die französische IT-Firma Atos. Antworten auf die Kritik an der Intransparenz hinsichtlich der technischen Anforderungen, der Pläne zur Integration des beA in bestehende Anwaltssoftware und der Rolle des herstellenden IT-Dienstleisters stehen noch aus.
Bezahlen mit dem Handy: Rechtsanwalt Philipp Becker setzt sich in der FAZ mit den rechtlichen Fragen auseinander, die sich hinsichtlich des in Fachkreisen seit einigen Jahren geplanten bargeldlosen Bezahlens mit dem Mobiltelefon stellen. Dabei geht er auf bestehende Regeln zum bargeldlosen Zahlungsverkehr und ihre Übertragbarkeit ein, insbesondere in Bezug auf Haftungsfragen. Es würden wohl neue Aufsichtsregeln erforderlich, da die bestehenden sich an Finanzdienstleister richteten. In Bezug auf den Datenschutz stellten sich wohl keine ungeklärten Fragen, das Thema sei jedoch für die Entwicklung des Projektes besonderes zu beachten.
Kopftuch bei konfessionellem Arbeitgeber: Rechtsanwalt Maximilian Baur auf blog.handelsblatt.com, setzt sich mit dem kürzlich ergangenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Tragen des muslimischen Kopftuchs bei einem konfessionellen Arbeitgeber auseinander. Er setzt das Urteil auch in den Kontext anderer ergangener und zu erwartender Entscheidung zur Frage des Kopftuchs bei der Arbeit und weist darauf hin, dass die Kirchen in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber neben dem Staat sind.
Googles Algorithmus: Die Rechtsanwälte Christoph Peter und Andreas Lober schreiben in der FAZ, es sei nicht ausgeschlossen, dass eine Offenlegung von Googles Algorithmus gefordert werden könnte, etwa durch die EU-Kommission bei Kartellrechtsverstößen, deren Nachweis aber fraglich erscheint. Die Autoren halten die Offenlegung jedoch aus anderen Gründen nicht für hilfreich. Zum einen, weil der Algorithmus so häufig geändert werde, dass eine Auswertung kaum möglich sei. Zum Anderen, weil wettbewerbsrechtlich eher die Ausweitung des Angebots auf das Auswerfen von konkreten Angeboten und nicht nur das Aufzeigen von Links problematisch sei. Dabei sei jedoch der Algorithmus ohne Einfluss.
Canabis-Legalisierung? Mit den rechtlichen Rahmenbedingungen einer Legalisierung von Canabis setzt sich neue-juristische-zeitung.blogspot (wijnrijk) auseinander. Dabei wird die derzeitige Rechtslage in Deutschland dargestellt sowie die Voraussetzungen einer Rechtsänderung. Es wird auf Legalisierungshürden durch völkerrechtliche Verträge hingewiesen und die Unmöglichkeit einer gänzlichen Freiverkäuflichkeit. Auch die Rechtslage in den Niederlanden wird vorgestellt und eine Übertragung des amerikanischen Modells nicht für gangbar gehalten. Eine Liberalisierung durch den Bundesgesetzgeber nach einem eigenen deutschen Modell sei jedoch möglich.
Das Letzte zum Schluss
Pornosammelfreiheit: Auf die Klage eines privaten Pornosammlers entschied das Verwaltungsgericht Köln, dass er einen Anspruch auf Erstellung und Herausgabe einer Kopie eines Pornofilmes gegen die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien habe, berichtet justillon.de. Der Film sei eine "amtliche Information", die "zu amtlichen Zwecken aufbewahrt" sei, womit ein Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes bestehe. Da lediglich an einen erwachsenen Privatsammler herausgegeben werde, das Werk seit mehr als zwei Jahren vergriffen sei und ausschließlich analoge Nutzung stattfinde, stünden auch keine Belange des Jugend- oder Urheberrechtsschutzes entgegen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 01. Oktober 2014: Die Klage einer Toten – Die Mütze des Piloten – Pornosammeln leicht gemacht . In: Legal Tribune Online, 01.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13357/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag