BVerfG-Richter Masing hat gegenüber Politik und Datenschützern das "Google-Urteil" des EuGH kritisiert. Außerdem in der Presseschau: Verfassungsfragen zu Kostentragungspflicht für Polizeieinsätze bei Fußballspielen, Richter im NSU-Prozess nicht befangen, Russland wegen Yukos jetzt auch vom EGMR verurteilt und Österreich erwägt Hinweise wegen aggressiver Kühe.
Thema des Tages
Masing zu "Google-Entscheidung": Bundesverfassungsrichter Johannes Masing kritisiert das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Löschungsverpflichtung von Internetsuchmaschinen bei Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die Entscheidung drohe die liberale Karlsruher Linie im Äußerungsrecht zu unterlaufen. Dies ergibt sich aus einer bisher unveröffentlichten "vorläufigen Einschätzung" Masings, die von Ende Mai datiert. Die Rechtsanwälte Thorsten Feldmann, Carlo Piltz und Ansgar Koreng setzen sich auf irights.info mit der Stellungnahme auseinander, ebenso Rechtsanwalt Till Kreutzer (irights.info). Den Suchmaschinenbetreibern sei die Aufgabe umfassender Abwägung übertragen worden, die Gerichten zustehe. Dies gebe ihnen zusätzliche Macht über den Informationsfluss, überfordere sie und führe im Zweifel zur Löschung. Kritisiert wird auch die einseitige Wertung des EuGH zugunsten des Persönlichkeitsrechts, welches bei der Abwägung "im Allgemeinen" vorgehe. Die große Bedeutung von Verlinkungen in Suchmaschinen für das Äußerungsrecht und die Informationsfreiheit werde nicht bedacht. Eine Entscheidung durch eine dann faktisch entstehende "Kommunikationsregulierungs-Behörde" sei auch keine Lösung. Vorzugswürdig sei primär die Löschung der Ausgangsseite auf dem üblichen Rechtsweg anzustreben und allenfalls als Auffangmöglichkeit die Löschung der Verlinkung zu nutzen.
irights.info (Matthias Spielkamp) begründet, warum es das ihm vorliegende Papier Masings nicht veröffentliche: Masing habe die Freigabe nicht erteilt. Bei einer urheberrechtlichen Auseinandersetzung drohe man zu unterliegen.
Udo Vetter (lawblog.de) wirft die Frage auf, warum die offenbar bedeutsame Einschätzung des Verfassungsrichters eine "Geheimpost" der Judikative an Exekutive und Legislative sei und "dem Volk" nicht mitgeteilt werde.
Rechtspolitik
Kostentragung für Polizeieinsätze und Verfassungsrecht: Der Rechtswissenschaftler Björn Schiffbauer (juwiss.de) setzt sich mit verfassungsrechtlichen Fragen zur in Bremen geplanten Kostentragungspflicht der Deutschen Fußball Liga (DFL) für Polizeieinsätze bei Fußballspielen auseinander. Er sieht die geplante Regelung eines Gebührentatbestandes als einzig mögliche, deren grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung im Hinblick auf Versammlungs- und Berufsfreiheit jedoch kaum zu rechtfertigen sei. Auch einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sieht der Jurist.
Justiz
BGH zu Boykottaufrufen: Thomas Stadler (internet-law.de) stellt eine nun veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Februar dar. Danach sind Boykottaufrufe zwar grundsätzlich ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Die erforderliche Abwägung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit habe jedoch die Meinungsfreiheit zu berücksichtigen, für deren Überwiegen viel spreche, wenn der Aufruf – wie im zu entscheidenden Fall – im Allgemeininteresse erfolge.
BAG zu Kritik im Betrieb: Ein Kandidat für den Wahlvorstand einer Betriebsratswahl äußerte sich in sozialen Netzwerken zu seinem arbeitgebenden Unternehmen. Seine Äußerungen sah das Bundesarbeitsgericht noch als erlaubte sachliche Kritik an, womit kein Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliege. Es versagte ihm jedoch Sonderkündigungsschutz, welcher den Initiatoren einer Betriebsratswahl, den später gewählten Wahlvorständen sowie den Kandidaten der Betriebsratswahl zustehe. Es berichten die SZ (Detlef Esslinger) und lto.de.
OLG München - Befangenheit im NSU-Prozess: Das Oberlandesgericht München hat den am Dienstag durch Beate Zschäpes Anwälte gestellten Befangenheitsantrag gegen den gesamten über den sogenannten NSU-Prozess zur Entscheidung berufenen Staatsschutzsenat abgelehnt, melden FAZ (ahan) und spiegel.de. Die Zeugenvernehmung, die Zschäpe monierte, sei noch nicht abgeschlossen, weshalb nicht beurteilt werden könne, ob der Vorwurf, bedeutsame Aspekte zugunsten der Angeklagten seien bei der Befragung außer Acht gelassen worden, zutreffe.
VG-Münster zu Niederlassungserlaubnis: Unter Berufung auf das kürzlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu deutschen Sprachanforderungen beim Familiennachzug klagte eine Frau beim Verwaltungsgericht (VG) Münster. Ihr war mangels einfachster Sprachkenntnisse die Niederlassungserlaubnis versagt worden. Sie machte nun wegen einer Erkrankung eine Härtefall-Ausnahme geltend. Das VG verneinte jedoch die Anwendbarkeit der EuGH-Argumentation auf die Niederlassungsfreiheit, da die Frau eine Aufenthaltserlaubnis besitze. Außerdem sei ein späteres Erlernen der Sprache nicht ausgeschlossen. lto.de berichtet über die bereits am 21. Juli ergangene Entscheidung.
LG-Ulm – Scala-Sparer-Verfahren: Wie das Handelsblatt (E. Atzler/M. Buchenau) berichtet, ist ein Vergleich im Verfahren der Sparer mit sogenannten Scala-Verträgen gegen die Sparkasse Ulm gescheitert. Die Sparkasse hatte Kunden aus den Sparverträgen gedrängt, die mit hohen Zinsen zur Belastung für das Geldinstitut wurden. In dem nun weiterzuführenden Verfahren ist unter anderem über ein Kündigungsrecht der Bank zu entscheiden. Das Handelsblatt porträtiert auch die entscheidende Richterin.
StA darf gegen Haderthauer ermitteln: Bis zum Ablauf der Frist am Donnerstag hat der Bayerische Landtag keinen Widerspruch eingelegt. Damit kann die Staatsanwaltschaft München II mit den Ermittlungen wegen Betrugs und Steuervergehen gegen die Leiterin der Bayerischen Staatskanzlei Christine Haderthauer (CSU) beginnen, meldet zeit.de.
EuGH - Schwermetall in Spielzeug: Deutschland hatte vor dem Europäischen Gericht (EuG) gegen die Kommission geklagt, und dabei die unterschiedlichen Grenzwerte für Schwermetall in Spielzeug nach Unionsrecht und deutschem Recht moniert. Gegen das abweisende Urteil des EuG vom Mai ruft Deutschland nun den Europäischen Gerichtshof an, meldet die FAZ.
Psychiatrische Gerichtsgutachten: Die FAZ (Helene Bubrowski) setzt sich ausführlich mit psychiatrischen Gerichtsgutachten auseinander. Die Fehlerquote bei Gefährlichkeitsprognosen schätze Norbert Nedopil, derzeitiger Gutachter im Prozess gegen Gustl Mollath, auf sechzig Prozent. Zu den Fehlerquellen gehörten Gutachten nach den Akten, die Nichteinhaltung von bestimmten Mindestanforderungen ebenso wie Gerichte, die eine eigene Prüfung der Gutachten wie vom Bundesgerichtshof vorgeschrieben vermeiden wollen und eindeutige Gutachten den fachlich korrekten mit Alternativprognosen vorzögen. Auch von möglichen Gesetzesänderungen und den Schwierigkeiten mit Rechtsschutzmöglichkeiten im Maßregelvollzug handelt der Bericht.
Wirtschaftskriminalität vor Gericht: Angesicht der erwarteten Einstellung des Korruptionsprozesses gegen Bernie Ecclestone und ähnlicher Niederlagen der Staatsanwaltschaften fragt Klaus Ott (SZ), ob die Justiz die Großen laufen lasse. Er antwortet: "Der Rechtsstaat funktioniert", weil auch solche Verfahren transparent aufgeklärt würden. Am Ende gelte der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" Ott empfiehlt allerdings, bei neuen Fragestellungen, wie Cum/Ex-Aktiendeals nicht sofort flächendeckend anzuklagen, sondern zunächst ein Musterverfahren durchzuführen.
Recht in der Welt
EGMR zu Russland und Yukos: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) spricht den Eignern der zerschlagenen russischen Ölfirma Yukos Schadensersatz in Höhe von 1,9 Milliarden Euro zu, meldet die taz (Christian Rath). Nachdem der EGMR Russland 2011 im Steuerverfahren gegen Yukos mehrere Verstöße vorgeworfen hatte, ging es nun nur noch um die Höhe des Schadensersatzes.
Christian Rath (taz) zieht einen Vergleich zwischen der EGMR-Entscheidung und dem Urteil des Ständigen Schiedsgerichtshofes in Den Haag, der Russland jüngst in der gleichen Sache radikaler kritisierte und den Yukos-Eignern 37 Milliarden Euro Entschädigung zusprach. Rath fragt, ob das Haager Urteil die Gegner von Investorenschutz-Verfahren bestätige, indem es zeige, dass "stolze Staaten von schlecht legitimierten Gerichten mit exzessiven Urteilen in den Ruin getrieben" werden oder ob der Schiedshof einfach gründlicher und mutiger war als der EGMR.
Österreich – "Hypo Alpe Adría"-Gesetz: Wie das Handelsblatt meldet, hat der Österreichische Bundespräsident das Gesetz zum Schuldenschnitt der Hypo Alpe Adría unterzeichnet. Danach sollen auch bestimmte Gläubiger, wie etwa die Vermögensverwaltungsgesellschaft der Deutschen Bank, neben der früheren Mutter BayernLB an den Abwicklungskosten der notverstaatlichten Bank beteiligt werden, um nicht alles dem Steuerzahler zu überlassen. Es wird mit der Anrufung des Verfassungsgerichtshofs gerechnet.
USA – Datenherausgabe: Ein US-amerikanisches Gericht entschied, dass Microsoft E-Mail-Daten herausgeben muss, obwohl diese nicht in den USA sondern in Europa (Irland) gespeichert sind. Gegen das noch nicht rechtskräftige Urteil will der Konzern weiter vorgehen, meldet spiegel.de.
USA - Klage gegen Obama: Im US-Repräsentantenhaus haben die Republikaner eine Resolution durchgesetzt, die den Sprecher des Hauses ermächtigt, eine Verfassungsklage gegen Präsident Barack Obama einzulegen. Obama wird vorgeworfen, mit Erlassen am Kongress vorbei zu regieren und so seine Kompetenzen zu überschreiten. Es sei jedoch umstritten, ob eine derartige Klage neben dem klassischen Impeachment (wegen Hochverrat und Straftaten) möglich ist, berichtet die SZ.
Sonstiges
Untersuchungsausschuss zu S-21 verfassungswidrig? In einem Beitrag in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht hielt der Jurist Martin Reinhardt den Untersuchungsausschuss zu Polizeieinsätzen gegen die Gegner von "Stuttgart 21" für "evident verfassungswidrig". Der Ausschuss gefährde rückwirkend den „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Vorgängerregierung“. Gestützt auf diese und ähnliche juristische Einschätzungen will die CDU-Fraktion des Baden-Würtemberger Landtags nach der Sommerpause die Einstellung des Ausschusses beantragen, meldet die FAZ (Rüdiger Soldt). Andernfalls, so droht ein CDU-Abgeordneter, werde der Staatsgerichtshof von Baden-Württemberg angerufen.
Das Letzte zum Schluss
Österreich – Wandererregeln: Nach tragischen Angriffen von Kühen auf Wanderer will Österreich nun Verhaltensregeln und Hinweise zum Wandern auf der Alm aufstellen, berichtet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. August 2014: BVerfG-Richter kritisiert EuGH-Urteil – NSU: Abgelehnte Befangenheit – Problematische Gutachten . In: Legal Tribune Online, 01.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12750/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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