Das Kanzleramt muss über Geheimnisverrat beim BND infomieren. Außerdem in der Presseschau: Fachanwalt für Migrationsrecht, kein Mindestlohn für Strafgefangene und Rational Choice-Ansatz kann Dieselgate nicht erklären.
Thema des Tages
BVerwG zu Informationspflicht über Geheimnisverrat: Das Bundesverwaltungsgericht hat das Kanzleramt in einem Eilverfahren verpflichtet, über Zahl und Zeitpunkt von Geheimschutzverstößen beim BND Auskunft zu erteilen. Das betreffe etwa den Fall, dass Dokumente, die als "geheim" oder "vertraulich" eingestuft wurden, an die Medien gelangt sind, berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Der Tagesspiegel hatte den Antrag gestellt, auf den die Entscheidung zurückgeht. Das Kanzleramt verweigerte die Information, da durch die Mitteilung Schwachstellen sichtbar würden, die sich andere Dienste zunutze machen könnten und Partnerdienste verlören das Vertrauen, was die Zusammenarbeit gefährde. Das ließ das BVerwG nicht gelten. Dass Geheimdienstinformationen verraten werden sei eine offenkundige Tatsache und die Mitteilung konkreter Zahlen daher nicht geeignet diese Folgen herbeizuführen. Gerade weil die Regierung mit Strafverfahren wegen Geheimnisverrats gedroht habe, bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der Mitteilung.
Rechtspolitik
Fachanwalt für Migrationsrecht: Funktionsträger von Deutschem Anwaltsverein und verschiedenen Anwaltskammern haben eine Initiative zur Einführung eines Fachanwaltstitels für Migrationsrecht gestartet, meldet die FAZ (Joachim Jahn). Es gebe nicht genügend Anwälte, die sich auf Ausländer- und Asylrecht spezialisiert hätten.
Suizidhilfe: In seiner Kolumne schreibt Bundesrichter Thomas Fischer auf zeit.de "pure Polemik" über Sterbehilfe nach geltendem Recht und die Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe. Alle vorgeschlagenen Regelungen seien schlechter als der bestehende Zustand. Wenn schon keine Regelung für mehr Selbstbestimmung gefunden werde, sollten die Abgeordneten wenigstens den Entwürfen ihre Zustimmung verweigern.
Flüchtlingsunterbringung: Wie die SZ berichtet, plant Bremen nun ebenfalls ein Gesetz zur Erleichterung der Beschlagnahme von Immobilien zur Unterbringung von Flüchtlingen. Es soll wie in Hamburg um große Gebäude gehen, mit einer Nutzflächen ab 300 Quadratmetern. Die BadZ (Christian Rath) legt die aktuellen Möglichkeiten zur Beschaffung freien Wohnraums für Flüchtlinge in Frage- und Antwortform dar.
"Kollektivklagen": Hinsichtlich der Frage in welcher Form Kollektivklagemöglichkeiten in Deutschland geschaffen werden sollen, macht die FAZ (Joachim Jahn) einen weitgehenden Konsens unter Rechts- und Verbraucherpolitikern für das Modell der Musterklage aus, ähnlich dem Kapitalanleger-Musterverfahren. Auch der Chefjurist des Deutschen Industrie- und Handelskammertages habe sich grundsätzlich dafür ausgesprochen. Sammelklagen mit Erpressungspotential nach US-Vorbild würden hingegen weitgehend abgelehnt.
Börsenrückzug: Der Gesetzentwurf zum Börsenrückzug sei noch einmal überarbeitet worden, meldet die FAZ (Joachim Jahn). Verfahren zur Überprüfung von Aktionärsabfindungen nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz sollen nun auch möglich sein, wenn sich Fehlinformationen in den letzten sechs Monaten vor dem Rückzug auf den Kurs auswirken. Zuvor waren nur Fehlinformationen erfasst, die in diesem Zeitraum erfolgten.
TTIP/Investitionsgericht: In englischer Sprache schreibt Rechtsprofessor Stephan Schill auf verfassungsblog.de zur Frage, ob die Argumente der "Opinion 2/13" des Europäischen Gerichtshofs (zur Ablehnung der Zulässigkeit einer Mitgliedschaft der EU im Europarat) dem geplanten Investitionsgericht entgegenstehen. Dies sei nicht der Fall, sinnvoll sei es jedoch in jedem Fall eine Stellungnahme des Europäischen Gerichtshofs einzuholen.
Justiz
EuGH – "Schrems vs. Facebook": Der Europäische Gerichtshof will sein Urteil im Fall "Schrems vs. Facebook" am 6. Oktober verkünden, einen Tag vor dem Ende der Amtszeit des EuGH-Präsidenten Vassilios Skouris, der das Urteil noch selbst verkünden wolle. Das meldet die SZ (Wolfgang Janisch).
EuG – Winnetou: Am heutigen Mittwoch verhandelt das Europäische Gericht erster Instanz zu der Frage, ob Winnetou eine Marke oder nur eine beschreibende Angabe als Synonym für den rechtschaffenen Indianerhäuptling ist. Der Karl-May-Verlag beansprucht Markenrechte, die ihm der Bundesgerichtshof und die zuständige EU-Behörde verwehrt haben. Es berichtet die SZ (Wolfgang Janisch).
BAG zu Kündigungszugang: Wer die Entgegennahme der Kündigung verweigert, muss sich so behandeln lassen, als sei sie ihm im Moment des Aushändigungsversuchs zugegangen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht im Fall einer Frau, die sich bei einem Gespräch mit ihren Vorgesetzten weigerte, das Schreiben in Empfang zu nehmen. Das meldet die FAZ (Joachim Jahn).
OLG Hamburg zu Mindestlohn für Strafgefangene: Das Oberlandesgericht Hamburg hat entschieden, dass das Mindestlohngesetz auf Strafgefangene, die in diesem Rahmen eine Arbeitstätigkeit ausüben, keine Anwendung findet. Sie seien keine Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes. Das meldet blog.beck.de (Markus Stoffels).
OLG München – NSU-Prozess: "Kein guter Tag für die Nebenklage", schreibt spiegel.de (Gisela Friedrichsen). Ein Nebenklageanwalt wurde vom Vorsitzenden gescholten, weil er keine Kontakt zu seiner Mandantin hat und nicht angeben konnte, wo sie sich befindet. Eine Fülle von Beweisanträgen – hauptsächlich der Nebenklage – wurden mangels Relevanz für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage abgelehnt. Und eine CD mit Aktenstücken aus dem Verfahren wurde in Köln auf einem Bürgersteig gefunden.
LG Passau – Schleuser: Vor dem Landgericht Passau sind zwei mutmaßliche Schleuser-Organisatoren angeklagt. Zum ersten Mal sei bei ihnen die Festnahme nicht nur von Fahrern gelungen, berichtet zeit.de (Astrid Geisler), in einem Artikel, der sich auch mit den mutmaßlichen Schleusern befasst, die in steigender Zahl in bayerischen Untersuchungsgefängnissen sitzen.
LG Koblenz zu Handynutzung durch Schöffen: Auch Schöffen dürfen sich in der Verhandlung nicht mit ihrem Handy beschäftigen, entschied das Landgericht Koblenz laut lawblog.de (Udo Vetter). Unabhängig davon, wofür es genutzt werde, könne beim Angeklagten der Anschein der Gleichgültigkeit gegenüber dem Verhandlungsinhalt erweckt werden. Deshalb bestehe Besorgnis der Befangenheit.
LG Köln – Kachelmann/Bild: Am heutigen Mittwoch urteilt das Landgericht Köln über die Klage Jörg Kachelmanns gegen Bild. Dass auf Schmerzensgeld entschieden wird sei abzusehen, berichtet die FAZ (Michael Hanfeld), unklar sei, ob es eine Rekordsumme sein wird.
Schadensersatz, VW-Aktie: Weitere Schadensersatzforderungen gegen VW drohen von Seiten der Kapitalanleger, die durch den Wertverlust der VW-Aktie betroffen sind. zeit.de (Karsten Polke-Majewski u.a.) beschreibt das in Deutschland seit 2012 mögliche Kapitalanleger-Musterverfahren. Verfahren seien bereits in Vorbereitung, mit dem Vorwurf gegen VW, den Anlegern Insiderinformationen vorenthalten zu haben.
StA München I – KMW: Die Staatsanwaltschaft München I hat das Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen den Chef von Krauss-Maffei Wegmann mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Das berichtet die SZ (Klaus Ott), in einem Artikel, der sich auch mit dem gegen einen Ex-Manager der Firma beim Landgericht München anhängigen Verfahren beschäftigt. Es wird wegen Steuerhinterziehung im Anschluss an (verjährte) Bestechung bei Rüstungsdeals mit Griechenland geführt.
StA Ingolstadt – Audi: Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat nach Meldung von focus.de ein Prüfverfahren eingeleitet, um zu untersuchen, ob in Bezug auf die VW-Tochter Audi ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden soll.
LG Düsseldorf zu Bertelsmann: Bertelsmann beabsichtigt den Buch-Club zum Ende des Jahres wegen fallender Mitgliederzahlen zu schließen und kündigte den Buchhändlern, die bisher Mitglieder für den Club geworben hatten. In den Verträgen war die Kündigung jedoch ausgeschlossen, weshalb das Landgericht Düsseldorf die Kündigungen für unwirksam erklärte. Schadensersatz für Filialschließungen erhalten die Buchhändler jedoch nicht, da Bertelsmann über die Ausgestaltung des Buchvertriebs entscheiden dürfe. Das melden die FAZ (Jan Hauser) und lto.de.
Sonstiges
DAV-Präsident: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) stellt Ullrich Schellenberg, den neuen Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins, vor sowie dessen Perspektive auf die Arbeit des Vereins.
Kanzleimarke: Die Autorin des Buches "Die Kanzlei als erfolgreiche Marke", Stephanie Hartung, erläutert auf anwaltskommunikation.de die Grundfunktionen einer Kanzleimarke. Mit der VW-Abgasaffäre und ihren Auswirkungen auf die Marke Deutschland als Beispiel, verdeutlicht sie die Entstehung und erfolgreiche Führung einer Kanzleimarke.
Irrational Choice: Vor dem Hintergrund des für die Erklärung wirtschaftlichen und wirtschaftskriminellen Verhaltens verwendeten Rational Choice-Ansatz, wundert sich Henning Ernst Müller (blog.beck.de) über das hohe Entdeckungsrisiko, dass in der Abgasaffäre durch VW eingegangen wurde, bei gleichzeitig absehbaren enormen Entdeckungsfolgen.
Stichtag Frauenquote: Ab 1. Januar 2016 gilt die Frauenquote für Unternehmen. Für Unternehmen, die entweder der paritätischen Mitbestimmung unterliegen oder börsennotiert sind, gilt die verbindliche 30 Prozent-Quote nicht. Sie müssen spätestens am heutigen Mittwoch ihre eigene Quote in Form einer Zielvorgabe festlegen, berichtet Rechtsanwältin Katharina Stüber in der FAZ.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. September 2015: Geheimnisverrat mitteilen – Schleuserbosse angeklagt – VW irrational . In: Legal Tribune Online, 30.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17046/ (abgerufen am: 03.05.2024 )
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