StA Göttingen stellt Ermittlungsverfahren gegen Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig ein. Außerdem in der Presseschau: Mordanklage wegen Fabrikeinsturzes in Bangladesch, Kritik an Mietpreisbremse und Reform der US-amerikanischen Vorratsdatenspeicherung?
Thema des Tages
StA Göttingen – Einstellung gegen Lüttig: Die Staatsanwaltschaft Göttingen hat ihre Ermittlungen gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig eingestellt. Er stand unter dem Verdacht, in den Fällen Wulff und Edathy Dienstgeheimnisse weitergegeben zu haben. Die Staatsanwaltschaft habe "keinen genügenden Anlass zur Anklageerhebung" gesehen. Da es auch "keinen hinreichenden Tatverdacht gegen eine oder mehrere Personen" gebe, sei allerdings unklar, welcher Amtsträger Interna der Ermittlungen veröffentlichte. Die FAZ (Reinhard Bingener) befasst sich ausführlich mit dem Fall Lüttig und erläutert, wie es zu den Ermittlungen gegen den Celler Generalstaatsanwalt kam. Auch die SZ (Thomas Hahn) berichtet.
Heribert Prantl (SZ) hält es für "gut und richtig", dass die Ermittlungen gegen Frank Lüttig eingestellt wurden. Zwar sei die Unschuldsvermutung in den Fällen Edathy und Wulff nicht ausreichend berücksichtigt worden, aber immerhin im Fall Lüttig. Das Verfahren könne daher als "Vorbild" dienen. Prantl konstatiert, "ein Ermittlungsverfahren ist kein Grill und die Beschuldigten sind nicht Würstchen, die man brutzelt, bis sie platzen."
Rechtspolitik
Tarifeinheitsgesetz: Unter dem Titel "Warum das Tarifeinheitsgesetz die Falschen trifft" erläutert der CDU-Bundestagesabgeordnete Heribert Hirte auf verfassungsblog.de seine verfassungsrechtliche Kritik am Tarifeinheitsgesetz. Der Professor für Handelsrecht stimmte gegen das Gesetz – er findet es fraglich, ob die Einschränkung der Koalitionsfreiheit hier verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Insbesondere hofft er, das Bundesverfassungsgericht werde klären, ob ein Eingriff in das Streikrecht "nicht zulässig und vielleicht sogar geboten gewesen wäre".
Der Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer legt im Handelsblatt dar, weshalb seiner Ansicht nach keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das Tarifeinheitsgesetz vorliegen. Er moniert allerdings Anwendungsprobleme und schlägt Änderungen im Tarif- und Arbeitskampfrecht vor. Bauer spricht sich beispielsweise dafür aus, Gewerkschaften vor Beginn eines Streiks zu einem Schlichtungsversuch zu verpflichten.
Gleichgeschlechtliche Ehe: Die Welt (Alexander Robin) stellt kontroverse Positionen innerhalb des CDU-Präsidiums zur gleichgeschlechtlichen Ehe dar.
In einem separaten Interview mit der Welt (Robin Alexander/Thomas Vitzthum) plädiert das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn dafür, die CDU müsse sich "von der ewigen Abwehrhaltung" gegenüber der gleichgeschlechtlichen Ehe "befreien".
Justiz
BVerfG – Rente ehemaliger DDR-Bürger: Die FAZ (Stefan Locke) weist auf die Verfassungsbeschwerde Gundhardt Lässigs hin, welche sich gegen die Minderung der Rente für ehemalige DDR-Übersiedler richtet. Im Jahr 1989, als Lässig in die Bundesrepublik zog, galt die Regelung, dass Übersiedler aus der DDR und Berlin (Ost) in der gesetzlichen Rentenversicherung wie Bundesbürger behandelt werden. Lässig hält es für unzulässig, dass der Gesetzgeber diese Bestimmung rückwirkend änderte – demnach werden Übersiedler, die nach 1936 geboren wurden, wie alle Ostdeutschen behandelt, was teils zu "gravierenden Rentenminderungen" führe.
BVerfG – "Treaty Override": Auf Vorlage des Bundesfinanzhofs wird das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr darüber entscheiden, ob die Praxis des "Treaty Override" ("das Verfahren, sich über bestehende völkerrechtliche Verträge hinwegzusetzen") verfassungsmäßig ist. Der BFH hielt eine Auffangvorschrift im Einkommensteuergesetz für verfassungswidrig, nach der Arbeitnehmer, welche im Ausland eingesetzt werden, trotz bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen vornehmlich in Deutschland Steuern bezahlen sollen. Das Handelsblatt (Constanze Elter) erläutert die steuerrechtliche Problematik dieser Regelung.
VG München – Klage gegen Demo-Auflage: Die Veranstalter der G7-Proteste haben vor dem Verwaltungsgericht München gegen Auflagen für die geplante Demonstration am kommenden Sonntag geklagt. Es handele sich hier um eine "massive Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit", denn das zuständige Landratsamt Garmisch-Patenkirchen habe die Veranstaltung durch die vielen Auflagen quasi verboten. Dies teilt br.de mit.
Recht in der Welt
USA – NSA-Vorratsdatenspeicherung: Einige Bestimmungen des US-amerikanische Anti-Terror-Gesetzes Patriot Act sind vorübergehend ausgelaufen. Der US-Senat konnte sich am vergangenen Sonntag nicht einstimmig auf ein beschleunigtes Abstimmungsverfahren einigen. Es geht um die Frage, ob die bisherigen Regelungen verlängert werden oder die Vorratsdatenspeicherung durch den Freedom Act reformiert werden soll. Eine erneute Abstimmung soll zeitnah stattfinden. Da das Gesetz auch die Vorratsdatenspeicherung inländischer Daten durch die NSA umfasste, muss diese ihre Speicherung vorerst einstellen. spiegel.de (Sebastian Fischer) und die Welt (Clemens Wergin) informieren. Die Seite drei der SZ (Hans Leyendecker) befasst sich mit den Spionageaktivitäten der USA und einer möglichen Reform der Überwachungsgesetze durch den Freedom Act.
Ungarn – Todesstrafe: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Ungarn angedroht, das Land müsse bei Wiedereinführung der Todesstrafe aus der EU austreten. Ungarns Premier Viktor Orbán hatte vergangenen April entsprechende Überlegungen verkündet. fr-online.de berichtet unter Hinweis auf Informationen der SZ.
Bangladesch – Mordanklage: 41 Verantwortliche wurden wegen des Einsturzes einer Textilfabrik im April 2013 in Bangladesch wegen Mordes angeklagt. Bei dem Einsturz starben 1.135 Menschen. Die Fabrikbetreiber sollen die Arbeiter trotz Rissen im Fabrikgebäude dazu gezwungen haben, darin weiter zu arbeiten. Dies meldet zeit.de.
Sonstiges
Mietpreisbremse: Silke Kersting (Handelsblatt) moniert, es bedürfe eines belastbaren Mietspiegels, damit die Mietpreisbremse funktioniert. Das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg habe gezeigt, dass eine rechtssichere Grundlage für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht gegeben sei. Kersting fordert daher die Einführung von "verfassungsrechtlich ordentlichen Kriterien", um Mietspiegel zu bestimmen. Solange bleibe die Mietpreisbremse "ein sanierungswürdiges Berliner Experiment mit umstrittener Wirkung".
Sonderbericht V-Leute: Der Sonderermittler Jerzy Montag (Die Grünen) spricht mit der taz (Konrad Litschko) über seinen Bericht zum V-Mann "Corelli". Er übt Kritik an verschiedenen Maßnahmen des Verfassungsschutzes im Umgang mit seinem V-Mann. Montag betont zudem, es sei sinnvoll, Aussteigerprogrammen den Vorrang einzuräumen.
Vertragsverletzungsverfahren/Maut: Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren angekündigt, sollte das Mautgesetz in Kraft treten. Sollte die EU das Gesetz kippen, sei es wahrscheinlich, dass die Maut bleibe, aber die Entlastung deutscher Autofahrer über die KfZ-Steuer entfalle, prognostiziert bild.de (Anne Merholz). Die EU-Kommission kritisiert, die Maut verstoße gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot – Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hingegen betont weiterhin, die Regelung sei rechtmäßig. Auch die FAZ (Manfred Schäfers/Michael Stabenow) schreibt über das geplante Vertragsverletzungsverfahren und fasst kurz die Kritik am Mautgesetz zusammen. Die Bundesregierung werde ihre Rechte in dem möglichen Verfahren "ausgiebig wahrnehmen", um zu gewährleisten, dass die Maut nicht gekippt werde.
Gemütsüberwachung durch Arbeitgeber: Das Münchener Unternehmen Soma Analytics hat eine App entwickelt, mit der Arbeitgeber den Gemütszustand ihrer Arbeitnehmer überwachen können. Chefs sollen so etwaigen Stress ihrer Mitarbeiter erkennen und in der Folge dann reduzieren können. lto.de (Christian Oberwetter) stellt die datenschutz- und arbeitsrechtlichen Hürden für eine zulässige Überwachung der betreffenden Gesundheitsdaten dar.
Das Letzte zum Schluss
"Kreative Gerechtigkeit": Ein US-Richter macht durch ungewöhnliche Urteile von sich reden. Beispielsweise verdonnerte er in einem Fall eine Gruppe Schüler dazu, ein Picknick für Grundschüler auszurichten. Die Täter hatten die Reifen eines Schulbusses aufgeschlitzt und so den geplanten Ausflug der Schüler ins Wasser fallen lassen. Der Richter möchte die Verurteilten durch seine "kreative Gerechtigkeit" dazu bewegen, sich zu ändern. bild.de hat die kuriosen Urteilssprüche gesammelt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 02. Juni 2015: Einstellung gegen Lüttig – Mordanklage wegen Fabrikeinsturz – "Kreative Gerechtigkeit" . In: Legal Tribune Online, 02.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15710/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
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