Der EGMR muss entscheiden, ob die Einstellung der künstlichen Ernährung eines Wachkoma-Patienten gegen das Recht auf Leben verstößt. Außerdem in der heutigen Presseschau: Die Reform der Erbschaftsteuer könnte "Bürokratiemonster" hervorbringen, 17-jährige US-Amerikanerin fordert ihr Recht zu sterben, Palästina wird Mitglied des IStGH und der verzweifelte Versuch, Verbrechen zu verhindern.
Thema des Tages
EGMR - passive Sterbehilfe*: Ist die Einstellung der künstlichen Ernährung eines Wachkoma-Patienten mit dem Grundrecht auf Schutz des Lebens vereinbar? Am gestrigen Mittwoch befasste sich die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit dieser Frage. Der Betroffene, Vincent Lambert, befindet sich seit einem Motorradunfall im Jahre 2008 im Wachkoma. Eine Patientenverfügung liege nicht vor, die Familie sei sich über den Willen des Betroffenen uneinig. Das oberste französische Verwaltungsgericht hatte entgegen des Vorbringens der Eltern geurteilt, der Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen sei legitim. Gegen diese Entscheidung zogen die Eltern nun vor den EGMR. Sie sind der Ansicht, der Zustand ihres Sohnes sei eine Behinderung, die künstliche Ernährung demnach keine medizinische Behandlung, sondern eine Pflegemaßnahme. Angesichts der zu klärenden Fragen wird ein Grundsatzurteil des EGMR erwartet. Dies berichten die taz (Christian Rath) und der Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhof).
Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll bis Ende 2016 eine "Bedürfnisprüfung" hinsichtlich des Erlasses der Erbschaftsteuer eingeführt werden. Demnach sollen Unternehmen nur steuerlich entlastet werden, wenn sie nachweisen können, dass die Erbschaftsteuer ihr Geschäft gefährde. Am heutigen Donnerstag wird die Stiftung Familienunternehmen, unter anderem zusammen mit dem Verfassungsrichter Michael Eichberger, diskutieren, inwiefern eine Privilegierung von Großunternehmen weiterhin möglich wäre. Dies berichtet das Handelsblatt (Donata Riedel).
Donata Riedel (Handelsblatt) ist der Ansicht die Erbschaftsteuer müsse grundsätzlich gleichmäßig gestaltet werden. Sie bedauert, dass die derzeitige Koalition dazu wohl nicht mutig genug sei und es bei "kleinstmöglichen Korrekturen" belassen werde. Die "Bedürfnisprüfung" werde sich wohl als "Bürokratiemonster" entpuppen und einige Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen.
Korruptionsregister: Die Wirtschafts- und Justizminister der Länder setzen sich für die bundesweite Einführung von öffentlichen Korruptionsregistern ein. Das Gesetz auf Bundesebene solle sich an einem in Hamburg und Schleswig-Holstein bereits bestehenden Gesetz, dem Gesetz zur Errichtung eines Registers zum Schutz fairen Wettbewerbs, orientieren. Rechtsanwalt David Pasewaldt erläutert für lto.de die relevanten Regelungen und schildert etwaige Kritikpunkte.
Gewinnabschöpfung: Die Unionsfraktion ist der Ansicht, dass die Abschöpfung von Verbrechensgewinnen erleichtert werden sollte und fordert eine entsprechende Regelung von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Laut FAZ (Joachim Jahn) hat Maas eine Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung von Vorschlägen beauftragt.
Wirtschaftsgesetze: Am gestrigen Mittwoch hat die Bundesregierung verschiedene neue Wirtschaftsgesetze auf den Weg gebracht. Die FAZ (Joachim Jahn/Kerstin Schwenn) beschreibt die geplanten Neuregelungen. So sollen beispielsweise kleinere Unternehmen Erleichterungen bei der Rechnungslegung erhalten und öffentliche Ausschreibungen "verkürzt, vereinfacht und flexibler gestaltet werden".
CSU und Asylrecht: Die CSU Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt verteidigt auch nach Kritik aus der katholischen Kirche die Asylrechtspläne der Partei. So werde unter anderem eine kürzere Einspruchsfrist für abgelehnte Asylbewerber sowie eine schnellere Abschiebepraxis bei "Asylrechtsmissbrauch" gefordert. Dies berichtet die taz (LS).
* geändert am 08.01.2015 um 10.15, zuvor stand hier "Suizidhilfe".
Justiz
LG Dresden zu Landfriedensbruch: Das Landgericht Dresden hat Tim H. am vergangenen Dienstag im Berufungsverfahren vom Vorwurf des Landfriedensbruchs freigesprochen und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung eines Polizeibeamten. Der Verurteilte hatte 2011 gegen eine Versammlung von Neonazis demonstriert und erhielt in der ersten Instanz ein Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung. Die Verteidigung moniert, das Verfahren laufe "hart an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit", denn Polizeibeamte hätten Beweismaterial zu Lasten des Mandanten beeinflusst. Spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet.
LG München I - Gerald Toifl: Gerhard Gribkowsky, der frühere Vorstand der Bayern LB, verbüßt unter anderem wegen der Annahme von Schmiergeldern beim Verkauf der Formel-1-Anteile eine Freiheitsstrafe. Nun ist sein ehemaliger Anwalt und Steuerberater Gerald Toifl verdächtig, beim Verstecken des Schmiergeldes geholfen zu haben. Am Landgericht München I begann am gestrigen Mittwoch der Prozess wegen "Beihilfe in einem besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung". Dies berichtet die SZ (Christian Rost).
Müller - Selbstanzeige: Erwin Müller, der Gründer der Drogeriemarktkette Müller, hat sich selbst wegen Steuerhinterziehung angezeigt. Es sei allerdings anzunehmen, dass seine Selbstanzeige nicht vollständig war, denn es fehlten bei der Aufstellung wohl mehrere Konten, so der ehemalige Vizechef der zuständigen Bank Sarasin. Das Handelsblatt (Sönke Iwersen) schildert die Hintergründe des Falls.
Recht in der Welt
USA - Sterberecht für 17-Jährige: Im US-Bundesstaat Conneticut wird sich der Supreme Court am heutigen Donnerstag mit der Frage befassen, ob eine 17-Jährige über die Beendigung ihrer möglicherweise lebensrettenden Krebsbehandlung entscheiden darf. Im vorliegenden Fall hatten eine Minderjährige und ihre Mutter geklagt, weil sie gegen ihren Willen zu einer Chemotherapie gezwungen wird. Ohne die Therapie sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie sterbe. Dies berichtet die Welt (Michael Remke).
EU - Griechenland: lto.de (Pia Lorenz) befasst sich ausführlich mit dem etwaigen Ausscheiden Griechenlands aus der EU oder dem Euroraum. Laut dem Professor für Europarecht und Völkerrecht Wolfgang Weiß sei beides aus verschiedenen Gründen juristisch wohl nicht durchsetzbar und daher unwahrscheinlich.
IStGH - Palästina: UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat angekündigt, dass Palästina Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs wird. Ab dem 1. April können demnach Ermittlungsverfahren gegen Israelis wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Palästinensischem Gebiet eingeleitet werden. Auch gegen Palästinenser könnten allerdings Verfahren eröffnet werden. Dies melden zeit.de und die SZ.
Völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht: Der Völkerrechtsprofessor Claus Kress befasst sich in der FAZ mit der völkerrechtlichen Begründung des Militäreinsatzes gegen den IS in Syrien. Dabei nutzten die beteiligten Staaten das kollektive Selbstverteidigungsrecht, ein zwischenstaatliches Völkerrechtsinstitut. Kress stellt daneben noch weitere völkerrechtliche Interventionsmöglichkeiten, insbesondere die nicht in der UN-Charta verankerte "humanitäre Intervention", dar.
Irak - Bundeswehreinsatz: Der Professor für Völkerrecht Stefan Talmon legt in der FAZ ausführlich dar, weshalb der Einsatz der Bundeswehr zur Ausbildungsunterstützung irakischer Sicherheits- und Streitkräfte gegen den IS, verfassungswidrig sei. So verstoße das Vorgehen gegen Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes, da Deutschland nicht "im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit" handele.
China - Zhang Miao: Die Assistentin Zhang Miao der Pekinger Zeit-Korrespondentin Angela Köckritz wurde im Oktober 2013 in China festgenommen. Die Zeit (Angela Köckritz) bringt nun einen ausführlichen Bericht über die Inhaftierung Miaos und gibt ernüchternde Einblicke in das chinesische Rechtssystem.
USA - Polanski: Die USA haben bei der polnischen Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung von Roman Polanski beantragt. Der Regisseur hatte 1977 Sex mit einer Minderjährigen und soll in den USA deswegen verurteilt werden. Dies meldet die SZ.
Sonstiges
Verfassungsmäßigkeit des Nudging: Die Professorin Anne van Aaken beschäftigt sich auf verfassungsblog.de in einem englischsprachigen Beitrag mit den verfassungsrechtlichen Grenzen des Nudging. Bürger sollen durch diese staatliche Maßnahme zu bestimmten Verhaltensänderungen "vorsichtig angestoßen" werden. Van Aaken stellt kurz die staatlichen Möglichkeiten der paternalistischen Einflussnahme vor und prüft die Verhältnismäßigkeit des Nudging im Hinblick auf die allgemeine Handlungsfreiheit.
Blüm's Einspruch: Norbert Blüm veröffentlichte im letzten Jahr das Buch "Einspruch! Wider die Willkür an deutschen Gerichten". Der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Bonn Gregor Thüsing stellt in der FAZ fest, dass Blüm auch berechtigte und wichtige Fragen aufwerfe und kommt zu dem Schluss, dass das Buch vielleicht doch eines sei, "das auch Juristen zur Hand nehmen sollten".
Das Letzte zum Schluss
Krimineller Kapuzenpulli: Oklahoma plant das Tragen von Kapuzenpullovern, sogenannten Hoodies, in der Öffentlichkeit zu verbieten. Ziel des Gesetzes sei es für mehr Sicherheit zu sorgen, denn der Hoodie sei ein Hilfsmittel für Verbrecher, lasse sich doch durch die hochgezogene Kapuze die Identität verschleiern. Bei einem Verstoß gegen das geplante Gesetz sei eine Geldstrafe von 500 Dollar oder sogar eine einjährige Freiheitsstrafe vorgesehen. Dies meldet justillon.de (Stefan Weinberger).
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
* geändert am 08.01.2015 um 10.15, zuvor stand hier "Suizidhilfe".
Die juristische Presseschau vom 8. Januar 2015: EGMR zu passiver Sterbehilfe – Sterberecht für 17-Jährige? – Kriminelle Kapuzenpullover . In: Legal Tribune Online, 08.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14303/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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