EU-Staaten müssen Menschenrechte von Flüchtlingen auch unter widrigen Umständen achten, so der EGMR. Außerdem in der Presseschau: BVerfG stoppt Datenvernichtung, Loveparade-Klage scheitert wohl und klauende Polizisten.
Thema des Tages
EGMR zu Lampedusa: Die Menschenrechte von Flüchtlingen müssen geachtet werden, auch wenn das Ankunftsland sich in einer humanitären Krise befindet, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Drei Flüchtlinge, die im Jahr 2011 auf der Insel Lampedusa landeten, hatten wegen der Zustände in der Erstaufnahmeeinrichtung und der Umstände ihrer Abschiebung beim EGMR Beschwerde eingereicht. Die Richter sahen unter anderem das Recht auf Freiheit gemäß Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt; die Abschiebungen seien rechtswidrigerweise erfolgt. verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) informiert über das Lampedusa-Urteil.
Rechtspolitik
TTIP – Schiedsgerichte: Der Rechtsreferendar Bernhard Fröhler greift auf lto.de die Empfehlung des Europäischen Parlaments an die EU-Kommission von vergangenem Juli auf, die Schiedsgerichte im geplanten Freihandelsabkommen TTIP durch ein alternatives System zu ersetzen. Der Entwurf solle rechtsstaatliche Defizite der Schiedsgerichte ausräumen – Fröhler kennt die Befürchtungen und erinnert daran, dass dieses Instrument, Rechtsstreitigkeiten beizulegen, ursprünglich aus Deutschland stammt.
Asylpolitik: Heribert Prantl (SZ.de) rekapituliert die Änderung des Asylrechts im Jahre 1993. Er moniert, die "radikale Verkleinerung des alten Asylgrundrechts" habe nicht dazu beigetragen, flüchtlingspolitische Probleme langfristig zu lösen. "Es gibt viel wieder gutzumachen", meint Prantl und hofft auf eine Flüchtlingspolitik, die sich den Problemen stellt, und auf ein Einwanderungsgesetz neben dem Asylrecht. Dieser Beitrag ist Teil der Schwerpunktwoche Asyl auf SZ.de.
Einwanderungsgesetz: Die taz hat einen Entwurf für ein liberales Einwanderungsgesetz ausgearbeitet.
Reform der EU: "Transferunion? Mais oui!", findet Eric Bonse (taz). Er begrüßt den Vorschlag einer EU-Reform des französischen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron – eine Währungsunion sei ohne Transfers nicht möglich. Macron hatte zudem gefordert, eine europäische Wirtschaftsregierung einzuführen. Bonse sieht "einen wichtigen Anstoß".
Justiz
BVerfG zu Zensus-Daten: Daten aus dem Zensus-Verfahren dürfen vorerst nicht gelöscht werden, entschied das Bundesverfassungsgericht auf Eilantrag des Berliner Senats hin. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Bevölkerungserhebung im Jahre 2011 methodische Ermittlungsfehler aufweise und deswegen eine geringere Einwohnerzahl ergebe – dies hatte weniger Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich bedingt. Etwa 1.000 weitere Kommunen haben aus den gleichen Gründen Rechtsmittel eingelegt. SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Joachim Jahn) und tagesschau.de schildern die Begründung des Gerichts.
LVG Mecklenburg-Vorpommern zu NPD-Besuch: Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern erlaubt NPD-Landtagsabgeordneten, die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge zu besuchen. Der Innenminister Lorenz Caffier (CDU) hatte ein entsprechendes Verbot ausgesprochen. Die Verfassungsrichter argumentierten, er habe damit die Selbstinformations- und Kontrollrechte der Abgeordneten verletzt. Dies meldet spiegel.de.
OLG München – NSU-Prozess: Ausführlich spricht spiegel.de (Gisela Friedrichsen) über Beate Zschäpes neuen Pflichtverteidiger Mathias Grasel, dessen besondere Stellung im Verfahren und seine bisherige Erfahrung als Strafverteidiger.
Annette Ramelsberger (SZ) beanstandet den gerichtlichen Umgang mit Rechtsradikalen. So müssten die Zeugen im NSU-Prozess, "die sich an nichts erinnern wollen", keiner Ordnungsstrafe oder ähnlichen Sanktion, "nicht einmal einer scharfen Ermahnung" entgegen sehen – eine "Ermutigung" für die Rechten. Sie würden ebenso durch Richter gestärkt, die bei ihren Entscheidungen "rassistischen Hass" als Tatmotiv nicht erkannten.
OLG Celle – IS-Rückkehrer: spiegel.de (Julia Jüttner) informiert über das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Celle gegen zwei IS-Rückkehrer wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Einer solle sich als Kämpfer, der andere als Selbstmordattentäter dem Islamischen Staat angeschlossen haben. Die Angeklagten geben an, sie seien zwar im IS gewesen, allerdings nicht, um sich dessen Kämpfen anzuschließen.
LG Duisburg – Loveparade: Das Landgericht Duisburg sieht für die Klage des Feuerwehrmannes wegen des Loveparade-Unglücks keine Aussicht auf Erfolg. Dieser zog vor Gericht, da er seit seinem Einsatz auf der Loveparade 2010 wegen psychischer Belastungsstörungen arbeitsunfähig ist. Der Vorsitzende Richter erklärte, der Schaden sei der eigenen Berufswahl zuzurechnen, der Kläger sei zudem nicht unmittelbar betroffen gewesen. Am 5. Oktober wollen die Richter endgültig entscheiden, wissen SZ (Bernd Dörries), FAZ (Reiner Burger) und spiegel.de (Wiebke Ramm).
LG Dortmund – Kik: Die Anwälte des Textilunternehmens Kik haben beim Landgericht Dortmund beantragt, die Schadensersatzklage von Angehörigen der Opfer des Fabrikbrands auf Schmerzensgeld abzuweisen. Es gebe keine Haftungsgrundlage, da das Unternehmen Ali Enterprises, welches im betreffenden Fabrikgebäude produzierte, rechtlich selbstständig sei. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte unterstützt die Kläger und argumentiert, transnationale Unternehmen müssten auch die Arbeitsbedingungen bei ihren ausländischen Zulieferern verantworten. Die SZ (Caspar Dohmen), FAZ (Christine Scharrenbroch) und Handelsblatt (Florian Kolf) schreiben über das Verfahren.
Zugang zu Entscheidungen: Ab Januar 2016 dürfen auch andere kommerzielle Weiterverwender gleichberechtigt über Urteile der Bundesgerichte verfügen. Die taz (Christian Rath) berichtet jetzt auch von dem Vergleich des Datenbankbetreibers LexXpress mit der Bundesrepublik, vertreten durch das Bundesverfassungsgericht, und skizziert den justiziellen Verlauf des 15 Jahre dauernden Rechtsstreits. Auch lto.de (Tanja Podolski) beschreibt die Hintergründe der außergerichtlichen Einigung.
StA Wuppertal – Schariapolizei: Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat den "Scharia-Polizisten" Sven Lau und sieben weitere wegen Verstößen gegen das versammlungsrechtlich vorgeschriebene Uniformverbot angeklagt. Ein Neunter solle sich wegen Beihilfe verantworten. Die Angeklagten könnten mit Haftstrafen von bis zu zwei Jahren rechnen, weil sie bei einer unangemeldeten Versammlung Westen mit der Aufschrift "Shariah Police" trugen, meldet focus.de.
Versammlungsverbot Heidenau: Ein Rechtsstaat muss gegen Fremdenfeindlichkeit vorgehen und seine Werte durchsetzen, konstatiert Reinhard Müller (FAZ) anlässlich der Ereignisse um Heidenau, wie auch des NPD-Verbotsverfahrens. Eine Gefahr für den Rechtsstaat sei es allerdings, wenn Versammlungen verboten und damit Grundrechte eingeschränkt würden, weil es an Polizisten mangele. Gefährlich sei es auch gegen Mindermeinungen vorzugehen – auch rechte Demonstranten müssten ihre Meinungs- und Versammungsfreiheit ausüben können.
Recht in der Welt
IStGH – Bosco Ntaganda: Der Internationale Strafgerichtshof hat das Hauptverfahren gegen den als "Terminator" bekannten Bosco Ntaganda eröffnet. Die Anklage wirft ihm Kriegsverbrechen in 13 Fällen vor – unter anderem die Rekrutierung von Kindersoldaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die taz (Simone Schlindwein) erfasst die Vorwürfe und resümiert das Ermittlungsverfahren gegen Ntaganda.
Dänemark – Asylreform: Im Interview mit zeit.de (Paul Middelhoff) erläutert der Menschenrechtler Thomas Gammeltoft-Hansen, welche Punkte er an der dänischen Asylreform für kritikwürdig erachtet und wie er die europäische Asylgesetzgebung einschätzt. Die Regelungen, welche am gestrigen Dienstag in Kraft getreten sind, sehen unter anderem vor, dass Asylsuchende nur noch die Hälfte der bisher gezahlten Sozialhilfe erhalten sollen – dies solle die Betroffenen abschrecken, so Gammeltoft-Hansen.
Sonstiges
"Neger" ist beleidigend: Die BerlZ (Christian Bommarius) erklärt, warum es aus rechtlicher Sicht legitim ist, sich über die Äußerung des bayrischen Innenministers Joachim Herrmanns (CSU), Roberto Blanco sei "immer ein wunderbarer Neger" gewesen, zu entrüsten. Der Begriff "Neger" gelte schon immer als rassistisch, die Justiz sehe darin eine Beleidigung.
Fischer für Flüchtlinge: Der Bundesrichter Thomas Fischer legt auf zeit.de ausführlich dar, warum ihm eine "Art von vernünftigem Grund" fehlt, um sich über die ankommenden Flüchtlinge zu sorgen und bringt "unkonventionelle Vorschläge", wie mit vermeintlich Besorgten umzugehen sei.
Schutz von Informanten: Der Journalistikprofessor Tobias Gostomzyk setzt sich in der SZ für einen besseren Schutz von Informanten im "digitalen Zeitalter" ein. Er skizziert, wie höchstrichterliche Rechtsprechung und entsprechende Gesetzgebung den derzeit geltenden Informantenschutz entwickelt haben und erläutert dessen Defizite. Insbesondere die Regelungen zur "Online-Durchsuchung" bei Journalisten seien unzureichend und reformbedürftig.
Das Letzte zum Schluss
Achtung klauende Polizisten!: Am heutigen Mittwoch wollen Polizisten die Besucher des Einkaufszentrums Alexa am Berliner Alexanderplatz für Taschendiebstahl sensibilisieren. Die Beamten spielen die Kniffe von Taschendieben nach und veranschaulichen so, wie schnell das Hab und Gut unbemerkt den Besitzer wechseln kann. Die besondere Polizeiaktion meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 02. September 2015: EGMR zu Lampedusa – BVerfG rettet Zensus-Daten – klauende Polizisten . In: Legal Tribune Online, 02.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16777/ (abgerufen am: 06.05.2024 )
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