Der EuGH könnte sich auf "Neuland" begeben – er befasst sich mit der Frage, ob sich aus der EU-Grundrechtecharta Schutzpflichten für EU-Organe ergeben. Außerdem in der Presseschau: Kritische Kommentare zum Einstellungs-Angebot an Edathy, israelische Ermittlungen zum Gaza-Krieg, der Fall Mollath wird verfilmt und Autoknacker, die ganz schön Pech hatten.
Thema des Tages
EuGH – Datenschutz: Am 24. März wird der Europäische Gerichtshof darüber verhandeln, "ob die EU-Grundrechtecharta die Behörden zum Einschreiten gegen den Datentransfer in die USA verpflichtet". Nach Informationen der Montags-SZ (Wolfgang Janisch) wird es dann auch um die Frage gehen, ob sich aus Artikel 8 der EU-Grundrechtecharta Schutzpflichten für die EU-Organe zugunsten der Bürger ergeben können. Dies wäre auf EU-Ebene "Neuland", so die SZ. Im vorliegenden Fall hatte der österreichische Jurastudent Max Schrems vor dem Obersten Irischen Gerichtshof gegen die irische Datenschutzbehörde geklagt. Diese hatte sich geweigert, eine Untersuchung zur Weitergabe von Facebook-Daten an die USA und somit an die NSA durchzuführen – die Vereinigten Staaten seien nach dem Safe-Harbour-Abkommen ein "sicherer Hafen" für europäische Daten". Das irische Gericht bezweifelte allerdings die Datensicherheit in den USA und monierte, dass in der EU keine entsprechende Aufsicht stattfinde. Es legte den Fall zur Vorabentscheidung vor.
Rechtspolitik
Anti-Doping-Gesetz: Der Verfassungsrechtler Christoph Degenhart moniert in einem ausführlichen Rechtsgutachten, der Gesetzentwurf zum Anti-Doping-Gesetz beinhalte "Grundrechtsverstöße "von besonderer Intensität"". Vor allem verschlechtere sich die rechtliche Stellung der Sportler, da sie gezwungen würden mit den Verbänden Schiedsvereinbarungen abzuschließen. Die Sportsgerichtsbarkeiten wiesen jedoch "erhebliche rechtsstaatliche Defizite" auf. Dies meldet der Spiegel (Udo Ludwig).
Maut-Gesetz: Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass das geplante Mautgesetz gegen EU-Recht verstößt – dabei stützt sie sich auf ein umfangreiches Gutachten ihres juristischen Dienstes. Dieser stellte unter anderem einen Verstoß gegen das unionsrechtliche Anti-Diskriminierungsverbot fest, da inländische Autofahrer gegenüber ausländischen begünstigt würden – die deutsche KfZ-Steuer soll entsprechend der Höhe der Maut reduziert werden. Darüber informiert der Spiegel (Sven Böll).
Streiks in der Daseinsvorsorge: lto.de (Anne-Christine Herr) setzt sich kritisch mit dem geplanten Gesetz zur Tarifeinheit auseinander und stellt einen "Gesetzesvorschlag zur Streikschlichtung im Bereich der Daseinsvorsorge" der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing und Martin Fransen sowie des Verfassungsrechtlers Christian Waldhoff vor. Diese befürworten es, die Tarifpluralität beizubehalten und durch verschiedene Maßnahmen einen Ausgleich zu schaffen zwischen den Interessen der Allgemeinheit und der Möglichkeit der Gewerkschaften für ihre Ziele eintreten zu können.
Interview mit Maas: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) beantwortet in einem Interview mit dem Tagesspiegel (Hans Monath/Antje Sirleschtov) Fragen zu verschiedenen rechtspolitischen Themen. Er betont die rechtliche Möglichkeit einer Impfpflicht, äußert sich zu einem vorgelegten Gesetzentwurf, nach dem Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen strafbar werden sollen, sowie zu Kirchenasyl und den geplanten Freihandelsabkommen.
Justiz
BGH zu Trittschall: Der Bundesgerichtshof hat am vergangenen Freitag entschieden, dass die Eigentümer einer Wohnung ihren bisherigen Bodenbelag austauschen dürfen, auch wenn dies einen erhöhten Trittschall zur Folge hat. Voraussetzung sei, dass die Schallschutzwerte eingehalten werden, welche beim Bau des Hauses galten. Dies berichtet der Tagesspiegel (Ursula Knapp). Im vorliegenden Fall hatten Wohnungseigentümer gegen die Eigentümer der darüber liegenden Wohnung geklagt, da diese ihren Teppich durch Parkett ersetzten und die Geräuschbelästigung dadurch unzumutbar gestiegen sei.
BGH zu Mieterrechten: Der Focus hat 50 Urteile des Bundesgerichtshof zum Thema Mietrechtsstreitigkeiten aus den Jahren zwischen 2010 und 2015 zusammengefasst – darunter sind beispielsweise Entscheidungen zu Kaution, Untervermietung und Eigenbedarf.
OLG München – NSU-Prozess: Die Anwälte der Familie Yozgat, Nebenklägerin im NSU-Prozess, haben vergangene Woche die Vernehmung mehrerer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes beantragt, da sie vermuten, die Behörde habe bereits vor dem Anschlag auf Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel Kenntnisse über den geplanten Mord gehabt. Laut der Samstags-SZ (Tanjev Schultz) hat die Anklage die Beweisanträge mit einem Hinweis darauf abgewiesen, dass die Nebenklage bekannt gewordene Auszüge aus Telefonaten des Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas T. fehlinterpretiert habe. Zudem berichtet die SZ von Unklarheiten bei den Angaben T.'s zu seinem Aufenthalt in dem Internetcafé am Tag des Mordes.
verfassungsblog.de (Maximilian Pichl) befasst sich mit der Rolle der Bundesanwaltschaft und der deutschen Staatsanwaltschaften im NSU-Komplex, die seines Erachtens nicht ausreichend debattiert wird. Er moniert "massive Fehler" bei den Ermittlungen und fehlenden Aufklärungswillen.
LG Verden – Edathy: Bis zum heutigen Montag sollte Sebastian Edathy sich entscheiden, ob er ein Geständnis ablegen möchte. Die Staatsanwaltschaft Verden hatte ihm angeboten, das Verfahren dann gegen Geldauflage gemäß § 153 a der Strafprozessordnung einzustellen. Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) hält fest, das Verlangen eines Geständnisses sei weder ausdrücklich erlaubt noch verboten. Er fände es jedoch gerechter, diese "Machtposition" nicht zum Erwirken eines Geständnisses einzusetzen, sondern die Zahlung der Geldauflage auch ohne Geständnis als Übernahme "strafrechtlicher Verantwortung" zu bewerten.
Thomas Darnstädt (Spiegel) merkt an, dass es natürlich auch strafrechtlich relevant sei, wie der Täter zu seiner Tat stehe, moniert allerdings, die Ankläger wollten durch das Geständnis lediglich "von dem mickrigen Ergebnis ablenken". Denn die Taten Edathys hätten zwar Ermittlungen gerechtfertigt, würden jedoch nicht für eine Verurteilung ausreichen. Zudem hätte die Staatsanwaltschaft "das Leben eines Mannes zerstört".
Heribert Prantl (Montags-SZ) ist der Ansicht, dass sich die Staatsanwaltschaft mit dem Angebot an Edathy "vermeintlich halbwegs anständig herauszuwinden" versuche – selten habe sich die Staatsanwaltschaft so bloßgestellt. Prantl verweist zudem auf das Paradoxe der geplanten Einstellung hin, denn zunächst habe die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse entfacht und wolle nun über § 153 a der Strafprozessordnung einstellen – "unter Berufung auf ein angeblich nicht vorhandenes öffentliches Interesse".
Mira Gajevic (BerlZ) weist darauf hin, dass die Besonderheit bei der möglichen Einstellung des Verfahrens gegen Edathy die Eröffnung des Hauptverfahrens an sich sei. Üblicherweise würden entsprechende Kinderpornographie-Verfahren mit einem Strafbefehl und einer Geldstrafe beendet. Diese Praxis sei jedoch kritisch zu sehen, auch wenn die Prozessökonomie für die Verurteilung durch Strafbefehle spreche.
LG Oldenburg – Niels H.: Der Spiegel (Julia Jüttner) befasst sich ausführlich mit dem Fall Niels H.. Der Artikel beschreibt H.'s Vorgehensweise sowie seine Geschichte als Krankenpfleger und geht zudem auf seine Persönlichkeit und seine Begründung für die Taten ein. Der ehemalige Krankenpfleger wurde wegen mehrfachen Mordes und Mordversuchs vom Landgericht Oldenburg zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt.
LG München I – Fitschen: Im Strafverfahren gegen den Co-Chef der Deutschen Bank Jürgen Fitschen wegen des Verdachts des versuchten Prozessbetrugs vor dem Landgericht München I könne für den Angeschuldigten wohl "alles gut enden", so die Samstags-SZ (Hans Leyendecker/Klaus Ott). Die 5. Strafkammer habe "erhebliche Zweifel" an einer These, welche entscheidend für das Urteil des Oberlandesgerichts München im Zivilverfahren gegen Fitschen gewesen sei und werde vermutlich die Ergebnisse des Zivilgerichts überprüfen. Fitschen soll in besagtem Zivilverfahren gegen Leo Kirch falsche Angaben gemacht haben, um so den Schadensersatzanspruch des Klägers abzuwehren.
Klarstellung zu BaumgartenBrandt: Die "Abmahn-Kanzlei" BaumgartenBrandt wurde in einem am vergangenen Dienstag erschienen Beitrag auf chip.de verdächtigt, mehrere Gerichtsverfahren wegen Urheberrechtsverstößen ohne entsprechende Bevollmächtigung und trotz Insolvenz des Mandanten geführt zu haben. lto.de (Pia Lorenz/Anne-Christine Herr) kritisiert das Vorgehen von chip.de, denn das Magazin berief sich lediglich auf Aussagen des Insolvenzverwalters und des Beklagtenanwalts. Der Beitrag auf lto.de stellt den Standpunkt der beschuldigten Anwälte BaumgartenBrandt zur tatsächlichen und rechtlichen Situation dar und beleuchtet die Situation aus insolvenz- und zivilprozessrechtlicher Sicht. Der Insolvenzverwalter war zu einer Stellungnahme nicht bereit.
Recht in der Welt
Israel – Gazakrieg: Der Generalanwalt der israelischen Armee Dan Efrony ist mit den Ermittlungen zu etwaigen israelischen Kriegsverbrechen im Gazakrieg vergangenen Jahres betraut. Die Welt (Gil Yaron) beschreibt die Herausforderungen dieser Aufgabe, verschiedene Kritiken an den Untersuchungen und touchiert gegenwärtige Problemstellungen des Kriegsrechts. Die Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs könnte sich einschalten, wenn Israel selbst nicht ausreichend zur Aufklärung und Ahndung etwaiger Straftaten beitrage.
IStGH – Palästina: Die Montags-FAZ (Helene Bubrowski) befasst sich hinsichtlich der möglichen Untersuchungen von Völkerrechtsverbrechen auf palästinensischem Gebiet durch die Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs mit diesbezüglichen völkerrechtlichen Fragestellungen. Dabei setzt sich der Artikel unter anderem kritisch mit der Zuständigkeit des IStGH für Palästina auseinander und beleuchtet dabei die Frage, ob Palästina überhaupt die völkerrechtlichen Voraussetzungen eines Staats erfülle. Laut Völkerrechtler Claus Kreß sei dies nicht der Fall.
Estland – E-Voting: Estland hat bei seinen Parlamentswahlen am gestrigen Sonntag auch das im Jahr 2005 eingeführte E-Voting – also die Wahl über ein elektronisches Verfahren – angeboten. Die Montags-SZ (lexa) informiert über die verfassungsrechtlichen Wahlgrundsätze und Schwierigkeiten hinsichtlich deren Gewährleistung bei der digitalen Wahl. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung im Jahr 2009 das E-Voting untersagt.
Hong Kong – Gewalt gegen Hausangestellte: In Hong Kong wurde am vergangenen Freitag eine Arbeitgeberin zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil sie ihre Hausangestellte mehrfach misshandelt hat. Menschenrechtsorganisationen "bezeichnen das Urteil als wegweisend", da häufiger Fälle von misshandelten Haushaltshilfen bekannt würden. Die taz (Felix Lee) schreibt über das Verfahren und von der teils prekären Situation der oft ausländischen Haushilfen.
Sonstiges
Kinderpornographie: Die Samstags-FAZ (Helene Bubrowksi) widmet sich ausführlich dem Thema Kinderpornographie und erläutert erhebliche Schwierigkeiten bei der Aufklärung entsprechender Straftaten. So trete, nach Recherchen der FAZ, unter anderem wegen der Masse an Daten, vermehrt Überlastung bei den Strafverfolgungsbehörden auf – der Umfang der Kinderpornographie habe sich "in wenigen Jahren offenbar vervielfacht". Zudem sei die Nutzung des "Darknets", über welches die Straftäter entsprechendes Material erhalten können, zu Ermittlungszwecken nicht möglich, da diese selbst illegal ist.
Arten der Sterbehilfe: Die taz (Christian Rath) erklärt kurz die Arten der Sterbehilfe und geht dabei auch auf die geplanten Gesetzesänderungen und etwaige strafrechtliche Konsequenzen entsprechender Maßnahmen ein.
Fall Mollath wird verfilmt: Der Fall um Gustl Mollath, welcher zu Unrecht sieben Jahre in der Psychiatrie verbracht hatte, wird verfilmt. Dies meldet der Spiegel (Alexander Kühn/Jörg Schmitt). Der Film soll auf dem Buch des Strafverteidigers Gerhard Strate, "Der Fall Mollath", basieren und zudem die "anwaltliche Leistung" Strates hervorheben.
Das Letzte zum Schluss
Unglückliche Autoknacker: Ein Autodieb würde sich wohl zwei Mal überlegen, ob er einen Polizeiwagen stehlen will. Diese Überlegung konnten vier Autodiebe in Berlin-Pankow in der Nacht auf vergangenen Samstag allerdings nicht anstellen, denn das begehrte Ziel ihres Coups war kein schön auffallend blaues Polizeiauto, sondern ein Wagen von Zivilpolizisten. Als sich die Gruppe von vier Männern daran machte den Wagen zu stehlen, wurden sie von den Polizisten unterbrochen und später nach einer Verfolgungsjagd gestellt. Noch dazu sind sie ihren Fluchtwagen los, der wurde beschlagnahmt. Dies meldet welt.de.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. Februar - 2. März 2015: EuGH könnte Datenschutz stärken – Film über Fall Mollath – Ermittlungsprobleme bei Kinderpornographie . In: Legal Tribune Online, 02.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14818/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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