Nach einer Entscheidung des LG Frankfurt könnten die Aufsichtsräte vieler Unternehmen mit mehr Belegschaftsvertretern zu besetzen sein. Außerdem in der Presseschau: Der verabschiedete Gesetzentwurf zur Verfassungsschutzreform, die Forderung nach einer Jugendquote in der Politik, der Hilferuf des überlasteten BVerfG, eine Bremse für den EU-Führerscheintourismus und eine für die Bürokratie.
Thema des Tages
Aufsichtsräte deutscher Unternehmen falsch besetzt?: Das Landgericht Frankfurt hat entschieden, dass der Aufsichtsrat der Deutschen Börse falsch besetzt ist. Sollte das Oberlandesgericht Frankfurt die gegen die herrschende Literaturmeinung ergangene Entscheidung bestätigen, könnte gleiches für viele weitere deutsche Unternehmen gelten. Ab einer Zahl von 2.000 Mitarbeitern sind die Hälfte der Aufsichtsratssitze mit Vertretern von Belegschaft und Gewerkschaft zu besetzen – im Gegensatz zu einem Drittel bei weniger Mitarbeitern. Das LG Frankfurt geht nun davon aus, dass dabei die ausländischen Mitarbeiter eines Unternehmens mitzuzählen seien, was zu dem Ergebnis der falschen Aufsichtsratsbesetzung führt, wie die FAZ (Joachim Jahn) berichtet.
Rechtpolitik
Verfassungsschutzreform: Den am gestrigen Mittwoch vom Kabinett verabschiedeten Entwurf des Gesetzes zur Reform des Verfassungsschutzes veröffentlicht netzpolitik.org (Andre Meister). Kooperation und Informationsaustausch zwischen dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz sollen gestärkt werden, V-Leute sollen weniger Geld erhalten und zuvor keine schweren Straftaten begangen haben. Bestimmte Taten von V-Leuten und verdeckten Ermittlern, die nicht in Rechte Dritter eingreifen – etwa der Hitlergruß –, und die Mitgliedschaft und Betätigung in den bespitzelten Organisationen soll gerechtfertigt sein. Bei anderen Straftaten kann das Verfahren eingestellt werden, sofern sie "nicht außer Verhältnis zum aufzuklärenden Sachverhalt stehen" und im konkreten Fall nicht mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe droht, berichten Welt (Manuel Bewarder) und taz (Christian Rath).
Christian Rath (taz) kritisiert, dass damit lediglich Akzeptanz geschaffen werden solle, die sich im NSU-Skandal zeigenden Probleme jedoch nicht angegangen würden.
Jugendquote in der Politik: Die Botschafter der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer plädieren in der Zeit für eine Quote von 20 Prozent für unter 35-Jährige auf den vorderen Plätzen der Parteilisten. Die Jungen seien in der Politik unterrepräsentiert im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung und sie seien es auch, die langfristig die Folgen politischer Entscheidungen trügen. Sie seien mit Globalisierung, Digitalisierung und vereintem Europa aufgewachsen und hätten den Alten – entgegen dem Vorwurf der Unerfahrenheit – gerade einiges voraus, was innovative Ideen befördern könne.
Kabinettsentwurf zum Anti-Doping-Gesetz: Am gestrigen Mittwoch verabschiedete das Bundeskabinett den Entwurf eines Anti-Doping-Gesetzes. Auch Athleten sollen danach nunmehr mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen: für Selbstdoping drohen bis zu drei und für den Besitz von leistungssteigernden Substanzen bis zu zwei Jahren Haft, meldet lto.de. Das bisherige Recht ist vor allem auf die Strafverfolgung von Hintermännern und kriminellen Netzwerken ausgerichtet.
Erbschaftsteuerreform: Nach einem Gutachten des Steuerrechtsprofessors Karl-Georg Loritz gebietet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer keine Bedürfnisprüfungen. Diese seien lediglich nach der vorhandenen Gesetzesbegründung – Bestandserhaltung der Unternehmen – erforderlich. Mit einer Ausrichtung auf den Erhalt der "einzigartigen deutschen Unternehmens- und Unternehmerlandschaft mit ihren überwiegend familienbezogenen Gesellschafterstrukturen" könnten Unternehmen mit solchen "familienbezogenen Eigentümerstrukturen" unabhängig von ihrer Größe begünstigt werden, was Loritz anregt. Es berichtet die FAZ (Manfred Schäfer).
Justiz
Überlastetes BVerfG: Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hat am gestrigen Mittwochabend die Politik um Vorschläge für eine deutliche Entlastung gebeten, da das Gericht und seine Rechtsprechung sonst Gefahr liefen, "ernsthaft Schaden zu nehmen". Die Zahl der Verfahren sei im letzten Jahr weiter gestiegen, mittlerweile um 22 Prozent im letzten Jahrzehnt. Insbesondere Verfassungsbeschwerden würden immer mehr, mit einer Erfolgsquote von lediglich 1,92 Prozent, meldet die Welt.
EuGH – "safe habor"-Abkommen: Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof im Vorlageverfahren des irischen obersten Gerichts die Frage verhandelt, ob das sogenannte "safe habor"-Abkommen mit den USA – eigentlich eine Entscheidung der EU-Kommission – gegen Unionsrecht verstößt. Das Verfahren geht auf eine Beschwerde des österreichischen Juristen Max Schrems gegen die irische Tochter des Facebook-Konzerns – zuständig für die Daten europäischer Nutzer – zurück. Die FAZ (Helene Bubrowski/Martin Gropp) stellt die Zusammenhänge dar und in Aussicht, dass – nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zum Datenschutz zu urteilen – eine Entscheidung auf Unionsrechtswidrigkeit nicht unwahrscheinlich ist.
BGH zu Recht auf gesetzlichen Richter: Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil wegen Verstoßes gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter aufgehoben, weil das Gericht einen Schöffen freigestellt hatte, ohne den dafür erforderlichen triftigen Grund tatsächlich zu prüfen. Das Gericht hatte vage Angaben zur Arbeitsbelastung des Schöffen ausreichen lassen, meldet lawblog.de (Udo Vetter).
BGH zu bedingungsloser Rückabwicklung: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Anspruch aus Rückabwicklung eines Vertrags über einen mangelhaften PKW unbedingt zu gewähren sei. Der Wagen war zwischenzeitlich ausgebrannt und die Versicherung hatte mangels Klärung der Ursachen noch nicht gezahlt und auch einer Abtretung der Ansprüche nicht zugestimmt. Daraus könne sich aber keine Rückzahlung unter Bedingung der Abtretung ergeben, so der BGH laut FAZ (Joachim Jahn) und lto.de.
BAG zu Urlaub und fristloser Kündigung: Rechtsanwältin Saskia Krusche stellt auf dem Handelsblatt Rechtsboard die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Februar zur Erfüllung von Urlaubsanspruch dar. Danach ist Urlaubsanspruch nicht allein durch Freistellung, sondern erst durch vorbehaltlose Zusage von Urlaubsentgelt erfüllt. Bei fristloser Kündigung und hilfsweise fristgerechter Kündigung unter Anrechnung auf den Urlaubsanspruch unter sofortiger Freistellung ist damit – bei wirksamer fristgerechter Kündigung – der Urlaubsanspruch nicht abgegolten.
VG Neustadt zu EU-Führerscheintourismus: Das Verwaltungsgericht Neustadt hat laut lawblog.de (Udo Vetter) entschieden, dass deutsche Behörden auch bei einem ausländischen Führerschein die Fahreignung eigens prüfen dürfen. Ein Deutscher hatte nach Führerscheinentzug wegen Alkoholfahrten in Tschechien einen "neuen" Führerschein gemacht. Als er danach wieder in Deutschland wegen Alkohols auffiel, ordneten die Behörden eine Fahreignungsprüfung an.
LG Köln – Sal. Oppenheimer-Prozess: Gegen Zahlung von sechs Millionen Euro hat das Landgericht Köln den Strafprozess gegen den Immobilienunternehmer Josef Esch wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Untreue im Zusammenhang mit dem Niedergang des Kölner Bankhauses Sal. Oppenheimer eingestellt. Wegen möglichen Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz muss sich Esch weiter verantworten. Auch gegen die vier persönlich haftenden Gesellschafter der Bank geht der Prozess weiter, sie müssen sich wegen besonders schweren Falls der Untreue verantworten. Es berichtet das Handelsblatt (Massimo Bognanni).
Privilegierungsverbot nach BVerfG auch für Bildungsinhalte? Das Bundesverfassungsgericht hat im Kopftuchbeschluss auch für verfassungswidrig erklärt, dass die "Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" laut nordrhein-westfälischem Schulgesetz nicht gegen das Neutralitätsgebot verstießen. Didaktikprofessor Wolfgang Sander macht in der FAZ darauf aufmerksam, dass die Regelung auch auf Bildungsinhalte beziehbar sei – etwa die Bedeutung des Christentums in der deutschen Geschichte und für die Entstehung der normativen Werteordnung des Grundgesetzes. So könnte das BVerfG einem Säkularismus Vorschub geleistet haben, der "Weltlichkeit" zu ideologischer Grundlage staatlicher Schulen mache und so die Attraktivität religiöser Fundamentalismen fördere.
Recht in der Welt
USA - Debra Milke: Nachdem sie 25 Jahre unschuldig wegen Anstiftung zur Tötung ihres Sohnes in den USA im Gefängnis saß – davon 22 Jahre im Todestrakt –, hat die gebürtige Berlinerin Debra Milke nach ihrer Freilassung am Dienstag bereits Schadensersatzklage gegen die Behörden eingereicht. Unabhängig von deren Erfolg steht ihr nach amerikanischem Recht eine Entschädigung von 142 Dollar pro Hafttag zu, insgesamt mehr als eine Millionen Euro, meldet die FAZ (andi).
Saudi-Arabien – Fall Badawi: Eine Gruppe kanadischer Anwälte von Anwälte ohne Grenzen will, laut Zeit (Katharina Kühn), den in Saudi-Arabien vor Gericht stehenden Blogger Raif Badawi – der sich nach Inhaftierung seines Anwalts selbst verteidigen wird – unterstützen und arbeitet sich bereits in das dortige Recht ein. Unklar ist noch, ob und wie sie mit Badawi in Kontakt treten können. Das vorhergehende Urteil – 1.000 Stockhiebe und zehn Jahre Haft – war aufgehoben worden und nach Zurückverweisung droht eventuell die Todesstrafe.
Sonstiges
Bürokratiebremse: Am gestrigen Mittwoch hat die Bundesregierung in einem Maßnahmenpaket zum Bürokratieabbau auch eine Bürokratiebremse beschlossen, wonach jedes Ministerium einem Vorschlag der zu Bürokratieaufbau vorbringen muss, berichtet die FAZ (dc). Der Vorsitzende des Normenkontrollrats Johannes Ludewig begrüßt die Regelung im Handelsblatt als "Paradigmenwechsel im Umgang mit gesetzlichen Folgekosten".
Abmahnen wegen Teilens auf Facebook: lto.de (Constantin von Lijnden) legt dar, warum die Aufregung um die Abmahnung wegen eines Posts auf Facebook reichlich übertrieben ist und warum mit einer Abmahnwelle nicht zu rechnen ist. Es ist nur eine Abmahnung und nicht die erste ihrer Art, gerichtlich entschieden ist es noch nicht und die Abmahner scheuen den teuren langen Prozess bis zum Bundesgerichtshof. Ein Urheberrechtsverstoß lässt sich überdies mit guten Argumenten verneinen.
Bleiberecht: In der Schwerpunktwoche "Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung" auf juwiss.de setzen die Rechtswissenschaftler Tobias Brings und Maximilian Oehl ihren Beitrag über den geplanten § 25b AufenthaltsG in einem Teil zwei fort. Rechtswissenschaftlerin Kathleen Neundorf kritisiert, dass der Öffnung des Ausbildungsmarktes für Geduldete durch kurzen Duldungstitel praktisch entgegengewirkt werde und die mögliche Lösung des Problems über eine Bindung der Duldungs- an die Ausbildungsdauer im Gesetzentwurf zum Aufenthaltsgesetz fehle.
Rechtsgrundlage des DIMR: Damit dem 2001 gegründeten Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) der begehrte A-Status bei den UN – mit den dazugehörigen Rechten wie dem Rederecht im UN-Menschenrechtsrat – erhalten bleibe, musste zum Fristablauf in diesem März eine Rechtsgrundlage geschaffen werden. In letzter Sekunde wurde das entsprechende Gesetz erlassen. lto.de (Anne-Christine Herr) berichtet von der beinahe Blamage und den nun erlassenen Regeln.
Vertragsverletzungsverfahren wegen Umweltschutz: Die für Naturschutz zuständigen Bundesländer sollten bis 2010 die nach EU-Recht als besondere Schutzflächen gemeldeten Flächen auch tatsächlich unter Schutz stellen. Nachdem dies immer noch nicht geschehen ist und sich die Länder bis 2022 Zeit nehmen wollte, hat die EU-Kommission nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, berichtet die taz (Bernward Janzig).
Flugstornierung aus Angst: Auf Anfrage der Welt erläutert die Verbraucherzentrale Brandenburg, dass es jedem freistehe, einen Flugreisevertrag jederzeit zu kündigen und dann maximal den vereinbarten Flugpreis abzüglich personenbezogener Entgelte – wie Steuern und Gebühren – zu zahlen. Angst vor Flügen sei jedoch kein Grund zur Kündigung, bei welchem die Reiserücktrittsversicherung eintrete.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. März 2015: Falsch besetzte Aufsichtsräte? – Verfassungsschutzreform – Überlastetes BVerfG . In: Legal Tribune Online, 26.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15066/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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