Die Bundeswehr ist aktuell dem Vorwurf ausgesetzt, nicht ausreichend gegen Rechtsextremismus einzuschreiten. Doch welche Möglichkeiten hätte sie überhaupt? Simon Gauseweg mit einem Überblick zum Disziplinar- und Dienstrecht der Armee.
Dienstpflichtverletzungen von Soldaten können durch Disziplinarmaßnahmen geahndet werden. Diese werden in einfachen Fällen von Disziplinarvorgesetzten, ansonsten von den Wehrdienstgerichten verhängt und reichen von einem Verweis bis zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis. Daneben kann in manchen Fällen die fristlose Entlassung stehen.
Dabei gilt immer: Trotz Uniform bleiben deutsche Soldaten ganz normale Staatsbürger und müssen bei einer Straftat zusätzlich mit einer Anklage vor einem ordentlichen Gericht rechnen.
Aktuell werden zwei Offiziere der Bundeswehr von der Bundesanwaltschaft verdächtigt, Terroranschläge in Deutschland vorbereitet zu haben. Zumindest in einem Fall sollen rassistische und radikalnationalistische Ansichten der Soldaten hinlänglich bekannt gewesen sein. Dennoch wurden sie nicht entlassen.
Doch wie hätte das Verfahren einer solchen Entlassung ablaufen können?
Im Militär soll Ordnung herrschen
Soldaten sind unter anderem dazu verpflichtet, jederzeit für den Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes einzutreten. Verletzen sie diese Pflicht, begehen sie ein Dienstvergehen.
Gegen solche Verfehlungen einzuschreiten, ist Aufgabe ihrer Disziplinarvorgesetzten. Dazu stehen ihnen zunächst erzieherische Maßnahmen zur Verfügung. Diese reichen vom mündlichen Tadel bis hin zum Befehl, Zusatzdienst zu leisten – "Nachsitzen" gibt es auch bei der Bundeswehr.
Ist das nicht ausreichend, können die Disziplinarvorgesetzten des Soldaten, das heißt die militärischen Führer seiner Einheit oder seines Verbands, Disziplinarmaßnahmen gegen ihn verhängen. Diese werden in einfache und gerichtliche unterschieden.
Das macht der Chef noch selbst
Kennzeichen der einfachen Disziplinarmaßnahme: Die Disziplinarvorgesetzten können sie selbst verhängen. Sie reichen vom Verweis bis hin zu höchstens drei Wochen Diszplinararrest. Rechtsschutz hiergegen bietet die Wehrbeschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung. Über diese entscheidet wiederum der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte. Gibt es dann immer noch Klärungsbedarf, entscheidet ein Truppendienstgericht.
Einfache Vergehen können so innerhalb weniger Tage geahndet sein und dennoch aktenkundig werden, da Ermittlung, Verhängung und Vollstreckung in der Hand ein und desselben Vorgesetzten liegt. Pflichtvergessene Soldaten können auf diese Weise unmittelbar die Konsequenzen ihres Handelns zu spüren bekommen. Der Disziplinarvorgesetzte seinerseits erhält die Mittel, seine Autorität mit empfindlichen Maßnahmen durchzusetzen. Dass er hiervon nur absolut verhältnismäßig Gebrauch machen darf, ist Inhalt seiner besonderen Verantwortung gegenüber seinen Soldaten.
Der Disziplinarvorgesetzte ist in seiner Entscheidung über das "Ob" und "Wie" der Disziplinarmaßnahme unabhängig und nur an das Gesetz, die Wehrdisziplinarordnung, gebunden. Die erlegt ihm allerdings Einschränkungen auf, wie etwa einen Richtervorbehalt bei Durchsuchungen, eine nach Dienststellung des Vorgesetzten und Dienstgrad des Soldaten gestufte Disziplinarbefugnis oder die Verpflichtung, nur im Ausnahmefall zum "Diszi" zu greifen.
Wer erfährt davon?
Außer im Fall des strengen Verweises, der vor der versammelten Truppe bekannt gegeben wird, bleibt eine Disziplinarmaßnahme eine Sache zwischen dem Soldaten und seinem Vorgesetzten.
Hält der zuständige Disziplinarvorgesetzte eine Ahndung durch eine Disziplinarmaßnahme nicht für notwendig, kann er aber auch gänzlich von ihr absehen. Dies muss er weder melden noch kann ihm der Vorgesetzte befehlen, eine Maßnahme zu verhängen. Man darf vermuten, dass die von der Bundesministerin der Verteidigung beabsichtigte "Einrichtung weiterer Prüfschleifen" an dieser Stelle ansetzen wird.
Vorfälle mit Verdacht auf rechtsextremistische Motivation allerdings sind "besondere Vorkommnisse", die über den Dienstweg unverzüglich bis ins Verteidigungsministerium gemeldet werden müssen.
Verwirklicht das Dienstvergehen zugleich eine Straftat, sind für deren Ahndung die Staatsanwaltschaften und Gerichte zuständig. Die Wehrdienstgerichte in Deutschland beschäftigen sich ausschließlich mit dem Charakter des dienstlichen Fehlverhaltens einer Handlung. In Strafsachen werden Soldaten behandelt wie alle anderen Bürger auch. Eine Strafe tritt dann neben eine Disziplinarmaßnahme, deren Zweck nicht Bestrafung, sondern Erziehung ist.
2/2: Schwere Fälle übernehmen die Juristen
Reicht eine einfache Disziplinarmaßnahme zur Ahndung des Dienstvergehens nicht aus, wird der Disziplinarvorgesetzte die Sache einem Divisionskommandeur oder einem höheren Disziplinarvorgesetzten bis hin zur Bundesministerin der Verteidigung vorlegen. Der daraufhin Zuständige entscheidet als sog. Einleitungsbehörde darüber, ob ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wird. Lehnt er die Einleitung ab, hat der Bundeswehrdisziplinaranwalt (lies: "Bundes-Wehrdisziplinaranwalt") die Möglichkeit, ein Verfahren zu erzwingen.
Am Ende eines solchen gerichtlichen Disziplinarverfahrens können Maßnahmen stehen, die von einer Kürzung der Dienstbezüge über Beförderungsverbot und Herabsetzung in Besoldungsgruppe oder Dienstgrad bis hin zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis reichen.
Die Ermittlungen (und ggf. auch die Vorermittlungen vor der Entscheidung der Einleitungsbehörde) führen die Wehrdisziplinaranwälte. Sie sind keine Soldaten, sondern zivile Beamte mit der Befähigung zum Richteramt und Teil der Rechtspflege der Bundeswehr.
Ihre Stellung in den Ermittlungen ähnelt der einer Staatsanwaltschaft im Strafverfahren. Das heißt, sie können u.a. bei anderen Behörden Akten anfordern, Auszüge aus dem Zentralregister einholen oder Zeugen vorladen – auch solche, die nicht der Bundeswehrangehören. Wie die Staatsanwaltschaft auch, soll der Wehrdisziplinaranwalt neutral ermitteln und auch entlastende Umstände zu Tage fördern.
Wie es mit Franco A. und Maximilian T. weitergehen könnte
Es steht zu erwarten, dass nach Abschluss der generalbundesanwaltschaftlichen Ermittlungen deren Ergebnisse in ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen Franco A. und ggf. auch dessen mutmaßlichen Komplizen Maximilian T. einfließen werden.
Die Wehrdisziplinaranwaltschaft verfasst eine Anschuldigungsschrift, wenn sie von der Schuld des Soldaten überzeugt ist. Sie ähnelt der Anklageschrift in einem Strafverfahren. Ein Zwischenverfahren mit gerichtlicher Entscheidung über die Zulassung findet jedoch nicht statt: Nachdem der Soldat Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, wird das zuständige Truppendienstgericht die Hauptverhandlung anberaumen. Auch der Erlass eines Disziplinarbescheids, der letztlich einem Strafbefehl ähnelt, ist möglich.
Die Hauptverhandlung ähnelt der eines Strafprozesses. Sie ist grundsätzlich nicht öffentlich, kann auf Antrag des Soldaten aber öffentlich geführt werden. Nur wenn es zwingend zum Schutz der Bundeswehr nötig ist, kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Das Urteil des Truppendienstgerichts kann auf Einstellung des Verfahrens, Freispruch oder Verhängung einer Disziplinarmaßnahme lauten. Gegen letztere kann sich der Soldat mit der Berufung zu einem Wehrdienstsenat beim Bundesverwaltungsgericht wehren, der abschließend entscheidet.
Die Wehrdisziplinaranwaltschaft vollstreckt die Maßnahme und arbeitet dazu mit den entsprechenden Dienststellen der Bundeswehr zusammen.
Entlassung kann schnell gehen
Statt durch ein gerichtlichen Disziplinarverfahrens kann der Soldat auch durch Entlassung aus dem Dienstverhältnis entfernt werden. Diese ist gemäß § 55 Abs. 5 Soldatengesetz (SG) fristlos möglich, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat. Voraussetzung ist aber, dass "sein Verbleiben im Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde".
Die mit Gründen versehene Entlassungsverfügung durch einen Großverband oder eine Kommandobehörde ist Verwaltungshandeln, das den Soldaten in seinem Status betrifft und das er somit als Verwaltungsakt nach allgemeinem Verwaltungsrecht angreifen kann. Nach einem Widerspruchsverfahren ist mithin Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht möglich.
Von der Entlassungsmöglichkeit macht die Bundewehr vor allem in Fällen von Betäubungsmittelmissbrauch und Rechtsextremismus regen Gebrauch, aber auch Straftaten können schnell zu einer Entlassung führen.
Zumindest diese Maßnahme käme im Fall von Franco A. aber zu spät: Eine Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG ist nur in den ersten vier Dienstjahren zulässig – der 28-Jährige ist bereits seit gut acht Jahren bei der Truppe.
Der Autor Simon Gauseweg, LL.B. ist Reserveoffizier der Bundeswehr. Seine Aufgabenbereiche "in Uniform" weisen meistens deutliche wehrrechtliche Bezüge auf. Zivil studiert er an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), wo er derzeit sein erstes Staatsexamen ablegt.
Simon Gauseweg, LL.B., Radikale bei der Bundeswehr: Wie die Truppe Rechtsextreme loswerden kann . In: Legal Tribune Online, 12.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22904/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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