Die junge Frau, die der AfD-Politikerin Beatrix von Storch eine Torte ins Gesicht warf, sorgte bei ihrem Strafprozess für viel Aufsehen - nicht zuletzt mit ihrer Forderung, die Geldstrafe im Gefängnis absitzen zu dürfen.
(dpa) Zwei Fragen wollte das Amtsgericht (AG) Kiel am Montagmorgen klären: Hat eine 22-jährige Studentin die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch bei einer Veranstaltung in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt mit einer Torte beworfen - und ist dieser Tortenwurf als Beleidigung zu werten? Aber obwohl es Filmaufnahmen von der Veranstaltung ebenso gibt wie Zeugenaussagen, dauerte das Verfahren am Ende mehrere Stunden (Urt. v. 12.06.2017, Az. 42 Cs 42/17).
Obwohl die Verhandlung öffentlich war, sicherte die Polizei die Eingänge des Amtsgerichts mit viel Personal ab. Erst nach Kontrollen durften die Prozesszuschauer in den Verhandlungssaal eintreten. Rund zwei Dutzend Aktivisten protestierten vor dem Gebäude. Dazu hatte die Gruppe "Rote Hilfe e.V" im Internet aufgerufen.
Zu Beginn der Verhandlung forderte die 22-Jährige erfolglos die Zulassung einer wegen Landfriedensbruchs verurteilten Bekannten als Wahlverteidigerin. Diese sei Mathematikerin und deshalb in der Lage, die Anforderungen an die Logik zu erfüllen, die ein Gerichtsverfahren an einen Verteidiger stelle.
Dank ans Gericht für das "wunderbare Theaterstück"
Die Verhandlung zog die Angeklagte mit etlichen Beweisanträgen in die Länge. Sie offenbarten ein klar sortiertes Weltbild: Gerichte und Polizei? Erfüllungsgehilfen einer völkischen und faschistischen Öffentlichkeit. Das Verfahren? Ein Schauprozess. "Ich möchte mich bei Gericht dafür bedanken, dass sie mich zu diesem wunderbaren Theaterstück eingeladen haben", sagte sie.
"Mit dem Unterschied, dass sie dieses Theaterstück inszeniert haben", antwortete die Richterin. Die Angeklagte habe sich mit ihrem Einspruch gegen einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft selbst gegen ein vereinfachtes Verfahren entschieden. Auf den konkreten Tatvorwurf der Beleidigung ging die 22-Jährige trotz etlicher Beweisanträge kaum ein. Stattdessen las sie aus einem prall gefüllten Aktenordner mit vorgeschriebenen Texten vor.
Immer wieder ging es in den Anträgen um die Anschläge von Rostock, bei denen im August 1992 Anwohner und Neonazis vier Tage lang unter dem Applaus tausender Schaulustiger die Zentrale Aufnahmestelle (ZASt) für Asylsuchende und ein Wohnheim für vietnamesische Arbeiter angriffen und teilweise in Brand setzten.
2/2: Unabsichtliches Eingeständnis
Mit ihrer Rhetorik, die auf Ausgrenzung und Fremdenhass setze, bereite die AfD vergleichbaren Pogromen den Boden, erklärte sie und verwies auf einen Eintrag von von Storch auf Facebook, in dem diese die Frage bejaht hatte, ob sie den illegalen Grenzübertritt von "Frauen mit Kindern" notfalls mit Waffengewalt verhindern wolle.
Sich der AfD entgegenzustellen, sei moralisch geboten. Auch ihr Tortenwurf sei in diesem Sinne legitim, meinte die 22-Jährige und zitierte Passagen aus der Menschenrechts-Charta. "Also geben Sie den Tortenwurf zu?", hakte die Richterin nach. Dazu mache sie keine Angaben, sagte die 22-Jährige, als sie das ungeplante Eingeständnis bemerkte.
Der Rummel um ihre Person schien ihr nicht unangenehm zu sein. In einer Pause lief sie zu einem der Fenster des Verhandlungssaals, winkte und rief, um die Demonstranten auf sich aufmerksam zu machen. Die Beweisanträge, in denen sie einen Bogen vom Ende der Weimarer Republik bis zur Gegenwart schlug, trug sie mit viel Pathos vor.
Verurteilte will Ersatzfreiheitsstrafe
Zwei Mal wollte die Richterin die Beweisaufnahme schließen. Zwei Mal hallte es laut und deutlich "Nein!" durch den Gerichtssaal. Es folgten neue Beweisanträge. In ihrem Plädoyer bat die Angeklagte um Freispruch oder eine geringere Geldstrafe als die von der Staatsanwaltschaft geforderten 20 Tagessätze zu jeweils 30 Euro. Dem kam die Richterin entgegen: 150 Euro Gesamtstrafe, zahlbar in 15 Tagessätzen, lautete das Urteil am Ende.
"Ich möchte kein Geld bezahlen, ich möchte die Strafe im Gefängnis absitzen", sagte die Angeklagte überraschend. Ob ihr die Strafe zu hoch war oder zu unspektakulär, blieb offen. Dass sie das Urteil absitzt, ist jedoch unwahrscheinlich. Eine Ersatzfreiheitsstrafe können Angeklagte nicht einfach beantragen. "Grundsätzlich verhält es sich so, dass bei Nichtzahlung der Geldstrafe dies im Rahmen gemeinnütziger Arbeit 'abgearbeitet' wird, sofern die Angeklagten keine regelmäßigen Einkünfte haben", sagte der Strafverteidiger Felix Westpfahl aus Hannover der dpa. Auch Ratenzahlungen seien denkbar.
In einem weiteren Schritt könne die Geldstrafe durch Pfändungen eingetrieben werden. Erst wenn die Pfändung erfolglos verlaufe, komme eine Ersatzfreiheitsstrafe in Betracht. "Ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe entspricht einem Tagessatz der Geldstrafe." Für die 22-Jährige würde dies eine Freiheitsstrafe von 15 Tagen bedeuten - auch wenn sich der Strafbefehl nur auf 150 Euro beläuft. "Es wäre aber äußerst ungewöhnlich, dass jemand diesen Weg gehen möchte", sagte Westpfahl.
dpa
Nach Angriff auf AfD-Politikerin von Storch: Verurteilte will für Tortenwurf in Haft . In: Legal Tribune Online, 13.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23175/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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