Erstmals äußert sich der BGH zu EncroChat und positioniert sich in der umstrittenen Frage der Verwertbarkeit. Endgültig geklärt ist die Sache damit aber wohl noch nicht.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass durch französische Behörden gewonnene Erkenntnisse aus der Überwachung der Kommunikation mittels EncroChat im Ergebnis verwertbar sind (Beschl. v. 08.02.2022, Az. 6 StR 639/21).
EncroChat steht für scheinbar abhörsichere Mobiltelefone. Diese wurden vor zwei Jahren von französischen Behörden gehackt. So erlangte man Zugriff auf Daten von mehreren Zehntausend Nutzer:innen, darunter auch einige aus Deutschland. Deshalb kam es in den letzten zwei Jahren zu zahlreichen Verfahren und auch zu Verurteilungen, wie kürzlich vor dem LG Frankfurt. Problematisch ist dabei insbesondere, dass kaum Informationen über das konkrete Vorgehen der französichen Behörden besteht. Insoweit ist besonders fraglich, ob diese Beweise nicht einem Beweisverwertungsverbot unterliegen sollten. Hierfür werden auch rechtsstaatliche Erwägungen ins Feld geführt.
Der 6. Strafsenat teilt diese Bedenken offenbar nicht. In dem Beschluss von Anfang Februar, der in dieser Woche veröffentlicht wurde, schließt sich der Senat "im Ergebnis" der obergerichtlichen Rechtsprechung an. Diese Formulierung lässt den Schluss zu, dass man sich in Leipzig jedenfalls die Einzelheiten der Begründung noch offen halten möchte. Auf die Frage der Verwertbarkeit kam es nämlich eigentlich gar nicht an, da die zugrundeliegende Revision schon offensichtlich unbegründet war (§ 349 Abs. 2 StPO), die maßgebliche Verfahrensrüge war schon unzulässig. Gleichwohl sah sich der Senat zu einer "ergänzenden Bemerkung" veranlasst.
Damit ist die Sache aber wohl noch längst nicht abgeschlossen. Weitere Verfahren werden vom BGH noch entschieden werden, auch von anderen Senaten. Gegenüber LTO äußerte der BGH, dass zwar "zahlreiche Verfahren" anhängig seien, aber es sich nicht absehen lasse, "wann und in welchem Verfahren die Frage der Zulässigkeit auf eine zulässige Verfahrensrüge hin zu klären sein wird"*. Wie die übrigen Senate sich positionieren werden, ist also noch völlig offen. Eine Befassung des Großen Senats in Strafsachen scheint zwar grundsätzlich möglich, aber jedenfalls im Sinne einer Divergenzvorlage nicht sehr wahrscheinlich, da die Ausführungen des 6. Strafsenats ja nicht tragend für die Entscheidung waren, was § 132 Abs. 2 GVG verlangt. Der BGH bestätigte auf Nachfrage, dass sich diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht stellt*. Insoweit ist eine Abweichung in der Zukunft wohl möglich, über die Wahrscheinlichkeit einer Abweichung lässt sich indes nur spekulieren.
Neben dem BGH sind aktuell nach Informationen des Deutschlandfunk aufgrund der rechtsstaatlichen und sonstigen verfassungsrechtlichen Implikationen bereits auch noch das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit der Frage befasst, entsprechende Verfahren sind bereits anhängig.
*Hinzugefügt am Tag der Veröffentlichung, 14:40 Uhr
BGH äußert sich erstmals in Obiter Dictum: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47722 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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